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Calvin, Jean - Psalm 115.

Calvin, Jean - Psalm 115.

Inhaltsangabe: Es ist leicht zu ersehen, dass dieser Psalm der Gemeinde geschenkt wurde, als sie in schwerer Bedrängnis sich befand. Obwohl sie der Erhörung unwert sind, bitten die Gläubigen, dass Gott sie befreie, damit sein heiliger Name nicht dem Spott und den Vorwürfen der Heiden ausgesetzt sei. Nachdem sie somit neuen Mut gewonnen, schmähen sie den Wahnsinn aller derer, die sich den Götzen ergeben, und mit heiligem Rühmen preisen sie ihr Glück, dass Gott sie zu seinen Kindern angenommen hat; darum ermahnen sie sich auch untereinander zur Dankbarkeit.

1 Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre um deine Gnade und Wahrheit! 2 Warum sollen die Heiden sagen: Wo ist nun ihr Gott? 3 Aber unser Gott ist im Himmel; er kann schaffen, was er will.

V. 1. Nicht uns, Herr, usw. Wenn man auch weder den Verfasser noch die Abfassungszeit des Psalms kennt, lässt dieser Anfang doch ersehen, dass die Gläubigen in verzweifelter Lage ihre Zuflucht zu Gott nehmen. Sie drücken aber, was sie wünschen, nicht mit klaren Worten aus, sondern lassen ihr Begehren nur ahnen. Dabei schicken sie voraus, dass sie nicht irgendwelche Verdienste beibringen und ihre Erhörungszuversicht allein darauf gründen, dass Gott für seine Ehre sorgen wird, wenn er sie befreit: denn diese beiden Stücke sind untrennbar miteinander verbunden. Obgleich also die Juden eine Zurückweisung verdienen, bitten sie doch, Gott möge seinen heiligen Namen nicht den Schmähungen der Heiden aussetzen. Gewiss begehren sie auch Trost und Hilfe für ihr Elend: aber weil sie in sich selbst nichts finden, was Gottes Gunst herbeiziehen könnte, rufen sie ihn als den Verteidiger seiner Ehre an. Das ist bemerkenswert: obwohl wir nicht wert sind, dass Gott uns anschaue, sollen wir doch gute Hoffnung haben, weil er seinen Namen durch unsere Rettung verherrlichen will. Denn er hat uns angenommen, um uns niemals zu verlassen. Dabei wollen wir darauf achten, dass sie aus Demut und Bescheidenheit nicht offen über ihren Jammer klagen, auch den Anfang nicht mit ihrem Wohlergehen machen, sondern vielmehr mit Gottes Ehre. Denn da ihr Unglück eine Art von Verwerfung war, wurden sie in ihrer Scham verwirrt und wagten nicht, frei heraus vom Herrn zu erbitten, was sie wünschten; sie bedienen sich also eines Umschweifes und geben ihm zu verstehen, dass er sich den Sündern, die keine Gnade verdienen, in Rücksicht auf seine Ehre als Vater beweisen solle. Diese Gebetsform ward nun der Gemeinde nicht bloß für diesen einen Fall gegeben: immer also, wenn wir uns zu Gott nahen, sollen wir daran denken, dass wir uns der eigenen Würdigkeit entkleiden müssen, damit seine unverdiente Güte uns zu froher Hoffnung ermutige. Ja es muss, wenn wir Hilfe begehren, unser Ziel sein, dass die zu gewinnende Befreiung zur Verherrlichung des Namens Gottes diene. Wahrscheinlich haben die Juden so gebetet, weil eine Verheißung ihnen den entsprechenden Wink gab. Hatte doch der Herr zur Zeit der Gefangenschaft gesprochen (Jes. 48, 11): „Nicht um euretwillen, sondern um meinetwillen werde ich dies tun.“ Nunmehr erkennen sie, dass dies ihre einzige Zuflucht ist, wenn alle anderen Hoffnungen fallen. Indem sie nun zweimal ausrufen: „nicht uns“, - zeigen sie ganz deutlich, wie ernstlich sie sich ihrer Unwürdigkeit bewusst sind. Mögen ihre Bitten hundertmal zurückgewiesen werden, sie werden um ihrer selbst willen keinen Rechtsanspruch erheben wollen.

V. 2. Warum sollen die Heiden usw. Dieser Vers zeigt, inwiefern Gott für seine Ehre sorgen würde, wenn er die Gemeinde rettet. Überließe er sie dem Untergang, so würde sein heiliger Name den Spöttereien der Heiden verfallen. Denn die Zungen sind zu der Schmähung gespitzt, dass der Gott Israels, der seine Schutzbefohlenen in äußerster Not stecken ließ, keine Macht habe. Gewiss bedarf der Herr selbst solcher Erinnerung nicht, aber die Gläubigen sollen sich zu jenem heiligen Eifer stimmen, dessen Worte uns berichtet wurden (Ps. 69, 10): „Die Schmähungen derer, die dich schmähen, sind auf mich gefallen.“ So bedient sich der Psalm nicht hohler, törichter Wendungen, sondern die Kinder Israel bekennen, dass sie, wie es sich auch gebührt, bei aller unruhigen Sorge für ihr Wohlergehen Gottes Ehre doch noch höher schätzen. Sie geben auch den Grund an, weshalb Gottes Ehre ein Interesse an ihrer Rettung hat (V. 1): er hatte ja seinen Bund geschlossen, welchen die Gottlosen als abgeschafft und erloschen hätten ausschreien müssen. Sie hätten behauptet, dass seine Gnade vergeblich und die Wahrheit seiner Verheißungen anfechtbar sei. Auf beides hätten lästerliche Schmähungen fallen müssen, hätte er sein Volk betrogen, welches er durch einen ewigen Bund mit sich verbunden und in freiem Erbarmen zu seiner Kindschaft angenommen hatte. Auch wir werden ihm das Gleiche vortragen dürfen, da er uns doch sein Evangelium geschenkt und sich herabgelassen hat, uns dem Leibe seines Sohnes einzupflanzen.

V. 3. Aber unser Gott ist im Himmel. Schon erwecken die Gläubigen in heiliger Kühnheit noch höheren Mut zum Gebet: wissen wir doch, dass unsere Bitten vergeblich sind, wenn wir uns in Zweifeln umtreiben lassen. Hätte jene Lästerung Eingang in ihre Seele gefunden, so wären sie zum Tode verwundet worden: darum halten sie rechtzeitig den Schild vor. Indem sie ihren Gott im Himmel suchen, denken sie ihn doch nicht räumlich umschrieben, noch ziehen sie Schranken um sein unermessliches Wesen. Dieser Ausdruck will nun besagen, dass seine Macht nicht beschränkt noch an menschliche Mittel gebunden, noch dem Glück oder Schicksal unterworfen ist, dass vielmehr die ganze Welt unter seinem Befehl steht, so dass er wider alle Hindernisse frei durchführen kann, was er beschlossen hat. Das sagt das zweite Glied noch deutlicher: Er kann schaffen, was er will. Dies ist eine herrliche Lehre, deren man sich allerdings in wahrer und rechter Weise bedienen muss. Ich gebe diese Erinnerung, weil nach der Ausgelassenheit des menschlichen Geistes viele über dies Geheimnis, das man mit besonderer Ehrfurcht aufnehmen müsste, ohne Scham und Maß schwätzen. Sollen wir aber von dieser Lehre Nutzen haben, so müssen wir uns vor allen Dingen einprägen, warum gesagt wird, dass Gott schaffen kann, was er will: es wird ihm nämlich dadurch die unbeschränkte Macht zugeschrieben, das Wohlergehen seiner Gemeinde zu schützen; und weil er alle Kreaturen unter seiner Hand hält, soll ihm kein Hindernis die Durchführung seiner Pläne verwehren. Mögen also die Gläubigen vielleicht jeden Weg zur Rettung abgeschnitten sehen, sollen sie doch Mut fassen: denn Gott ist nicht nur größer als alle Hindernisse, sondern bedient sich derselben sogar, seinen Weg zu bahnen. Dabei müssen wir zugleich festhalten, dass alles durch den Beschluss des einigen Gottes geschieht, nichts aber durch Zufall. Allerdings wollen wir für den Gebrauch dieser Lehre noch einmal aussprechen, dass unser Geist sich in seinen Schranken halten muss und nichts der Ehre Gottes Unwürdiges erträumen darf, wie die Irrgeister tun. Halten wir uns aber an diesen Grundsatz, so wollen wir das offene Bekenntnis nicht scheuen: Gott lenkt alle Dinge nach seinem ewigen Rat, so dass nichts ohne seinen Willen und seine Anordnung geschieht. Daraus zieht Augustin den durchaus zutreffenden Schluss, dass, was uns anstößig scheint, nicht durch Gottes bloße Zulassung, sondern nach seinem Wink und Beschluss geschieht. Denn wenn unser Gott alles tut, was er will, warum sollte er geschehen lassen, was er nicht will? Warum hält er nicht seine gottlosen Widersacher und den Teufel darnieder? Wollte man ein Mittleres zwischen Tun und Leiden bei Gott annehmen, so dass er zuließe, was er doch nicht will, dass es geschehe, - so würde er müßig im Himmel sitzen, wie die Epikuräer träumen. Glauben wir, dass Gott mit Verstand begabt ist, die Welt als seine Schöpfung zu versorgen und zu regieren, und dass er keinen Teil derselben vernachlässigt, so folgt auch, dass alles, was geschieht, durch seinen Willen geschieht. Wer dawider streitet, dass Gott auf diese Weise zum Urheber des Bösen werde, ist ein schlechter Logiker. Solch unreiner Hund wird den Propheten nicht zum Lügner machen, noch dem Herrn das Weltregiment entreißen. Wenn nichts geschieht, als was Gott beschlossen und verordnet hat, so scheint er die Sünden nicht zu missbilligen. Aber er hat seinen verborgenen und uns unbekannten Ursachen, weshalb er getan wissen will, was verkehrte Menschen tun, wobei er doch ihre fehlerhafte Stimmung und Absicht nicht teilt. Gott wollte, dass Jerusalem zerstört werde: eben dasselbe wollte der Chaldäer, aber in anderer Weise. Und obwohl Gott die Babylonier öfter seine Söldner nennt, die er durch sein Pfeifen herbeirief (Jes. 5, 26), ja das Schwert seiner Hand, so werden wir darum doch nicht sagen, dass sie seine Bundesgenossen waren. Denn die Absicht war eine durchaus verschiedene: Gott wollte in der Zerstörung Jerusalems seine Gerechtigkeit leuchten lassen. Die Chaldäer aber stehen durch ihre böse Lust, Habsucht und Grausamkeit als verdammenswerte Sünder da. Obgleich also Gott will, dass alles geschehe, was in der Welt geschieht, so will er doch nicht, dass irgendetwas Böses geschehe; ist auch sein Rat für uns unbegreiflich, so hat er doch immer den besten Grund. Wenn allein sein Wille uns genügt und wir die feste Überzeugung haben, dass seine Gerichte zwar (Ps. 36, 7) eine große Tiefe, aber doch voll höchster Gerechtigkeit sind, - so werden wir in dieser Unwissenheit viel gelehrter dastehen, als die allerscharfsinnigsten Leute, die seine Werke mit ihrem Begriffsvermögen zu messen sich erkühnen. Andrerseits wollen wir uns auch einprägen, dass, wenn Gott alles tut, was er will, er dasjenige, was nicht geschieht, nicht will. Das ist eine überaus nützliche Erkenntnis. Denn wenn Gott bei den Bedrängnissen seiner Gemeinde stillschweigt und sich zurückhält, fragen wir oft, warum er sie, der er doch helfen könnte, dahinschwinden lässt. Habsucht, Betrug, Treulosigkeit, Grausamkeit, sündhafter Ehrgeiß und Stolz, lüsternes und üppiges Leben, kurz alle Laster gehen heute in der Welt im Schwange, die alle sofort ein Ende nehmen müssten, wenn es dem Herrn gefiele, ein Heilmittel zu senden. So diene uns denn dies als Zügel der Ungeduld: wenn Gott zu schlafen oder keine Macht zu haben scheint, zu helfen, so will er eben nicht so schnell, weil er Verzug und Aufschub für nützlich erkennt. Mit Wissen und Willen übersieht und trägt er, was er im Augenblick bessern könnte, wenn es ihm beliebte.

4 Jener Götzen aber sind Silber und Gold, von Menschenhänden gemacht. 5 Sie haben Mäuler und reden nicht; sie haben Augen und sehen nicht; 6 sie haben Ohren und hören nicht; sie haben Nasen und riechen nicht; 7 sie haben Hände und greifen nicht; Füße haben sie und gehen nicht; und reden nicht durch ihren Hals. 8 Die solche machen, sind ihnen gleich, und alle, die auf sie hoffen.

V. 4. Jener Götzen usw. Dieser Gegensatz hat den Zweck, dass die Frommen ihre Hoffnung noch besser stärken können, weil sie auf den einen Gott sich stützen: denn was außer diesem der Menschen Gedanken an Gottheit erdichten, ist ein törichtes und täuschendes Gemächte. Sicherlich kann es nicht wenig zur Stärkung wahrer Frömmigkeit beitragen, den Irrtum und Unsinn der ganzen Welt zu erkennen, wenn auf der andern Seite uns Gott begegnet, den wir mit völliger Klarheit als den Schöpfer Himmels und der Erde kennen, und von dem wir wissen, dass wir ihn nicht vergeblich verehren. Um nun noch tapferer den frechen Angriff der Gottlosen zurückzuweisen, die sich erkühnten, Gott samt dem auserwählten Volk stolz von oben herab anzusehn, gießt der Dichter seine wegwerfenden Spott über ihre trügerischen Götter aus. Erstlich nennt er sie Götzen, was so viel als „Nichtse“ bedeutet. Sodann legt er dar, wie sie keine Lebenskraft und Empfindung haben, da sie aus totem Stoff gemacht sind. Was kann verkehrter sein, als dass man von ihnen irgendwelche Hilfe erwartet? Enthält doch weder der Stoff, aus dem sie gemacht werden, noch die Gestalt, die Menschenhände ihnen geben, auch nur einen Tropfen gottheitlichen Wesens, um dessentwillen sie man verehren müsste. Dabei deutet der Prophet an, dass die Kostbarkeit des Stoffes die Götzen um nichts besser mache. Denn der Gedankengang stellt sich gegensätzlich folgendermaßen dar: obwohl die Götzen von Silber und Gold sind, sind sie doch nicht Götter, weil Menschenhände sie gemacht haben. Hätte der Dichter beabsichtigt, den Stoff kurzweg verächtlich erscheinen zu lassen, so würde er von Holz und Stein gesprochen haben, während er doch nur an Gold und Silber erinnert. Außerdem erklärt er es auch für ganz ungereimt, dass Menschen, denen selbst ein flüchtiger Lebenshauch geschenkweise verliehen ward, ihrem Gott Wesen, Gestalt und Ehre verleihen sollten. Es ist also eine Torheit, wenn die Heiden sich der Hilfe ihrer Götter rühmen, die sie haben entstehen lassen. Hat doch recht menschliche Willkür den Götzen ihr Dasein gegeben. Der Stoff lag bereit, man hätte die Freiheit gehabt, aus dem Silber oder Gold eine Schale oder ein anderes Gefäß, meinetwegen auch einen Nachttopf zu machen: aber man will lieber einen Gott machen! Was kann nun lächerlicher sein, als dass sich zu dem toten Stoff ein neues, gottheitliches Wesen gesellen soll? Mit bitterem Spott fügt der Prophet auch hinzu, dass die Heiden ihren Bildern zwar Glieder geben, dass sie ihnen aber keine Bewegung und einen Gebrauch derselben nicht verleihen können. So können die Gläubigen sehen, wie viel besser sie daran sind: denn auf ihrer Seite steht ohne Zweifel der wahre und einige Gott, während alle Heiden auf die Hilfe von Schatten vergeblich pochen. Aus dieser Lehre muss man nun den umfassenderen Schluss ziehen, dass es überhaupt verkehrt ist, Gott unter der Gestalt äußerer Bilder zu suchen, die keine Ähnlichkeit oder Verwandtschaft mit seiner himmlischen Herrlichkeit haben. Hielten wir uns heutzutage nicht an diesen Grundsatz, so könnten die Heiden sagen, dass man sie mit Unrecht verurteile: gössen sie sich auch irdische Bilder, so seien sie doch überzeugt, dass Gott im Himmel sich befinde. Sie hielten ja auch nicht den Jupiter für einen Stein, für Gold oder ein sonstiges Gebilde, sondern stellten ihn unter diesen Zeichen dar. Aber indem sie die Götter sich näher glaubten, wenn sie zu diesen Bildern sich nahten, straft der Prophet hoch mit Recht es als Wahnsinn, dass sie die Gottheit in vergängliche Zeichen einschließen: denn es widerspricht dem Wesen Gottes, in einem Stein, einem Marmorblock, im Holz und Klotz, in der Luft oder im Silber zu wohnen. Darum bezeichnet der Prophet Habakuk (2, 18) diese rohe Form der Gottesverehrung als eine Unterweisung zur Lüge. Bemerkenswert ist auch der weitere Angriff (V. 5): Sie haben Mäuler und reden nicht. Warum anders fliehen wir denn zu Gott, als weil unser Leben von ihm abhängt, unser Heil in seiner Hand ruht, bei ihm die Fülle aller Güter und die Fähigkeit zur Hilfe vorhanden ist? Was ist also unsinniger, als von Götzenbildern zu verlangen, was sie selbst nicht haben, da ihnen Bewegung und Empfindung abgehen?

V. 8. Die solche machen, sind ihnen gleich. Spottend behauptet der Prophet, dass die Götzendiener nicht minder stumpfsinnig sind, als wenn sie selbst Klötze und Steine wären. Er hat Recht, so scharf gegen Menschen loszufahren, welche doch von Natur mit Vernunft begabt sind, jetzt aber Vernunft und Urteil und den gemeinen Menschenverstand wegwerfen. Wer bei toten Dingen Leben sucht, löscht doch, so viel an ihm ist, alles Licht der Vernunft aus. Man kann nur folgern, dass solche absichtlich ihre Augen schließen, sich in Finsternis hüllen und sich abstumpfen. Diese selbst gewollte Blindheit macht sie ganz unentschuldbar: sie dürfen nicht vorwenden, dass ihr Irrtum aus frommem Eifer entsprungen sei. Es ist auch kein Zweifel, dass ihnen der Prophet eben diese Entschuldigung mit Unwissenheit entreißen wollte, weil die Menschen sich mit Mutwillen verstocken.

Und alle, die auf sie hoffen. Diese Wendung lässt vollends deutlich ersehen, warum Gott die Götzenbilder so heftig verabscheut: er kann es nicht tragen, dass man die ihm geraubte Verehrung ihnen schenkt. Ist es doch Gottes unveräußerliches Eigentum, dass die Welt ihn als den einzigen Urheber des Heils anerkenne und alles Nötige von ihm allein erbitte und erwarte. So oft man sein Vertrauen auf etwas anderes setzt, raubt man ihm die schuldige Verehrung und macht seine Majestät gleichsam zunichte. Wider diesen Gottesraub erhebt der Prophet seine Anklage, wie denn auch oft die Entrüstung Gottes über die Bilder und Götzen, die man vor seinen Augen mit ihm geraubten Trophäen schmückt, mit der Eifersucht verglichen wird. An sich ist es nicht verabscheuenswert, dass jemand eine Statue aus Marmor oder Holz macht oder aus Gold und Silber gießt: will aber der Mensch an diese seine Gebilde Gott binden und ihn gleichsam vom Himmel herabholen, so setzt man an seine Stelle eitlen Trug. Man verfälscht schon sozusagen Gottes Herrlichkeit, sobald man ihn in einer vergänglichen Gestalt darstellt. Denn er ruft durch Jesaja (40, 26; 46, 5) und an vielen anderen Stellen der Schrift: „Wem wollt ihr denn mich nachbilden?“ Die Schmach verdoppelt sich aber, wenn man Gottes Kraft, Gnade und Macht in solche Bilder eingeschlossen glaubt. Es sind indes zwei fast unzertrennliche Krankheiten, dass man seine Zuversicht an die Götzen heftet, nachdem man sie einmal gemacht hat. Warum anders will die Welt steinerne oder hölzerne, gegossene oder aus sonstigem irdischen Stoff gemachte Götter haben, als weil man den Herrn von sich entfernt glaubt, wenn man ihn nicht gleichsam gebunden in Händen hält? Weil man Gott nicht im Geist suchen will, zieht man ihn von seinem Thron und unterwirft ihn toten Elementen. So kommt es, dass man Gebete an Bilder richtet, weil man in ihnen Gottes Ohren, Augen und Hände nahe glaubt.

9 Aber Israel hoffe auf den Herrn; der ist ihre Hilfe und Schild. 10 Das Haus Aaron hoffe auf den Herrn; der ist ihre Hilfe und Schild. 11 Die den Herrn fürchten, hoffen auf den Herrn; der ist ihre Hilfe und Schild. 12 Der Herr denket an uns und segnet uns; er segnet das Haus Israel, er segnet das Haus Aaron; 13 er segnet, die den Herrn fürchten, beide, Kleine und Große. 14 Der Herr segne euch je mehr und mehr, euch und eure Kinder. 15 Ihr seid die Gesegneten des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

V. 9. Aber Israel hoffe auf den Herrn. Die Rede kehrt zu ihrem Hauptgegenstand zurück: die wahren Verehrer Gottes brauchen nicht zu fürchten, dass er sie in der Not verlasse und täusche; denn er ist ebenso geneigt, für ihr Heil zu sorgen, als mit Macht dazu gerüstet. An erster Stelle ermahnt nun der Prophet ganz Israel im Allgemeinen, auf Gott zu hoffen. Sodann nennt er namentlich das Haus Aaron, endlich spricht er von denen, die den Herrn fürchten. Dies ist eine wohlbegründete Ordnung, denn Gott hatte unterschiedslos das ganze Volk zur Kindschaft angenommen; allen lag seine Gnade bereit, so dass sie alle insgesamt auf ihn ihre Hoffnung setzen mussten, in welchem Sinne auch Paulus sagt (Apostelg. 26, 7), dass die zwölf Stämme Israels auf die verheißene Erlösung hofften. Mit gutem Grunde umspannt also der Prophet zuerst das ganze Israel. Zum andern aber hatte Gott sich die Leviten in eigenartiger Weise erwählt, insbesondere die Priester aus dem Hause Aaron: sie sollten den andern vorangehen und religiöse Führer sein, weshalb auch von ihnen mehr erfordert wird als vom übrigen Volk, - nicht als wäre ihnen ein besonderes Heil verheißen, sondern weil es billig war, dass sie andern den Weg zeigten, wie ihnen der Zugang ins Heiligtum offen stand: Der Prophet will etwa sagen: Ihr Kinder Aarons, die ihr nach Gottes Willen die Lehrer seines Volks sein sollt, müsst auch den andern zum Beispiel des Glaubens dienen, da er euch einziger Ehre gewürdigt hat, indem er euch sein Heiligtum öffnete.

V. 11. Die den Herrn fürchten, sind nicht, wie manche Ausleger irrtümlich annehmen, Fremde. Dann wäre hier eine Weissagung von der Berufung der Heiden zu finden. Man meint, dass es sich neben den Kindern Israel und dem Haus Aaron um eine solche dritte Gruppe der Unbeschnittenen handle, die noch nicht in den Schafstall gesammelt sind. Aber mit demselben Grunde könnte man auch beweisen, dass die Priester nicht zu Abrahams Geschlecht gehören, weil sie an zweiter Stelle besonders genannt werden. Unter unsern Worten birgt sich vielmehr eine verbessernde Einschränkung: die wahren Gottesverehrer werden aus den heuchlerischen und entarteten Abrahamskindern herausgehoben. Der Prophet beschränkt die Verheißung auf diejenigen, welche dieselbe im Glauben ergreifen und Gott in rechter Weise verehren.

V. 12. Der Herr denket an uns und segnet uns. Den Gläubigen werden dieselben Gnadenerweise versprochen, die sie schon früher erfahren hatten. Der Prophet will sagen: Weil Gott noch immer seiner Brüder gedenkt, schaut er auf uns; darum muss sein Segen, wie im Anfang, so auch bis zum Ende, auf uns herabfließen. Er verfolgt nun die gleiche Ordnung wie vorhin, indem er bei den Segnungen Gottes den Kindern Aaron eine besondere Stufe anweist, die Scheinfrommen aber ausschließt. Dass (V. 13) beide, Kleine und Große, gesegnet werden sollen, dient zu noch höherem Ruhm der väterlichen Freundlichkeit Gottes: auch die Geringsten und Verachtetsten übersieht er nicht, wenn sie ihn nur von Herzen um seinen treuen Schutz anrufen. Da also bei Gott kein Ansehen der Person ist und er so freundlich die verächtlichsten Leute einlädt, soll uns unsre unbedeutende und gering geschätzte Stellung nicht abschrecken, ihm zu nahen. Dass Gott uns je mehr und mehr segnen soll, stellt ihn uns als den Quell unerschöpflicher Freigebigkeit dar: er bleibt unaufhörlich in dieser Bahn, solange die Menschen ihm nicht durch Undankbarkeit den Zugang verbauen. Daraus folgt, dass seine Freigebigkeit auch den Nachkommen zufließt (V. 14): Gott dehnt die Gnadengabe und Frucht der Kindschaft auf tausend Geschlechter aus.

V. 15. Ihr seid die Gesegneten des Herrn. Im vorigen Vers hatte der Prophet eine Hoffnung auf bleibendes Glück eröffnet: denn Gottes unermessliche Fülle trocknet durch sein freigebiges Schenken nicht aus, und er hört nicht auf, reich zu machen, die er einmal seine Guttätigkeit hat schmecken lassen. Um diese Belehrung zu bekräftigen, weist er nunmehr darauf hin, dass die Juden von den übrigen Völkern gesondert wurden, damit sie im Vertrauen auf diesen Vorzug sich unbedenklich einem so gütigen und guttätigen Vater ganz ergeben möchten. Weil aber das Fleisch in seiner Unempfänglichkeit Gottes Macht nicht fasst, deren Erkenntnis uns unter seinem Schutz ruhig, sicher und gefasst sein lässt, bezeichnet ihn der Prophet als den Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat: man braucht also durchaus nicht zu fürchten, dass dieser Eine etwa nicht ausreiche, uns zu schützen. Der Gott, der Himmel und Erde geschaffen hat, sitzt jetzt nicht müßig im Himmel, sondern lenkt mit seinem Regiment, was er einmal gründete.

16 Der Himmel allenthalben ist des Herrn; aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben. 17 Die Toten werden dich, Herr, nicht loben, noch die hinunterfahren in die Stille! 18 Sondern wir loben den Herrn von nun an bis in Ewigkeit. Hallelujah!

V. 16. Der Himmel allenthalben ist des Herrn. Hier wird Gottes Güte und väterliche Liebe gegen das Menschengeschlecht gepriesen, der selbst keines Dinges bedarf und dennoch die Welt mit allen ihren Schätzen zum Besten der Menschen geschaffen hat. Wozu anders ist die Erde mit so mannigfachen Gütern ausgefüllt, die uns überall in die Augen fallen, als weil Gott wie ein fürsorglicher Hausvater unsre Bedürfnisse befriedigt? So viele Bequemlichkeiten wir also hier genießen, so viele Zeugnisse seiner väterlichen Fürsorge empfangen wir. Alles in allem: Gott, der mit seiner eigenen Herrlichkeit zufrieden ist, hat die Erde den Menschenkindern gegeben und sie mit jeglichem Reichtum ausgestattet, damit den Menschen nichts fehle. Er selbst aber kann allen irdischen Reichtum entbehren: denn er wohnt im Himmel, in welchem sicherlich weder Wein noch Weizen noch andere Nahrungsmittel wachsen. Darum folgt, dass Gott nicht irgendetwas außer sich zu suchen braucht; weil er keiner Hilfen bedarf, hat er an sich selbst so viel wie an tausend Welten. Daraus ergibt sich denn dies zweite, dass aller Überfluss, der die Welt erfüllt, mit lauter Stimme davon predigt, ein wie guttätiger Vater Gott für die Menschen ist. Wir müssen uns wundern, dass man für diese Lehre keinen Geschmack beweist, obwohl der heilige Geist so eindrücklich von Gottes unvergleichlicher Güte redet. Darin offenbart sich die Undankbarkeit der Welt: aber noch hässlicher ist es, wenn heillose Schwätzer die Aussage, dass der Himmel des Herrn ist, für den gotteslästerlichen Spott missbrauchen, dass Gott im Himmel sich ergötze und sich um die Menschenschicksale nicht kümmere. Ich will hier eine Geschichte erzählen. Als wir einst in einem Wirtshaus speisten, spottete ein unheiliger Gottesverächter über die Reden, die wir von der Hoffnung auf das himmlische Leben führten, und spie dabei den Witz aus: „Der Himmel ist ja nur des Herrn.“ Da wurde er plötzlich von heftigen Leibschmerzen ergriffen und fing an zu schreien: O Gott, o Gott. Mit seiner breiten Aussprache erfüllte er brüllend den ganzen Speiseraum. Ich, der ich heftig über ihn erzürnt war, fuhr, wie dies meine Weise ist, ärgerlich auf und verkündigte ihm, dass er jetzt wenigstens fühle, wie man Gottes nicht ungestraft spotte. Einer von den Tischgenossen aber, der heute noch lebt, ein rechtschaffener und frommer, aber ironischer Mann, knüpfte in anderer Weise an den Vorfall an: Du rufst zu Gott? Hast du deine Philosophie vergessen? Warum lässt du ihm nicht seine Ruhe im Himmel? Und so oft jener schrie: O Gott, gab der andere spottend zurück: Wie steht´s nun mit deinem Wort, dass nur der Himmel des Herrn ist? Dann trat Erleichterung ein, aber den Rest seines Lebens brachte jener in seiner schmutzigen Unsauberkeit zu.

V. 17. Die Toten werden dich nicht loben usw. Jetzt schreitet der Prophet zu der Bitte fort, Gott möge sich wenigstens darum versöhnlich zu seiner Gemeinde stellen, damit das Menschengeschlecht nicht ganz und gar untergehe und es Leute gebe, die nicht nur seine Guttätigkeit genießen, sondern auch seinen Namen anrufen und preisen. Denn nachdem der Prophet Gottes besondere Gnade gegen die Kinder Israel, sodann seine Guttätigkeit gerühmt, mit der er das ganze Menschengeschlecht geleitet, flieht er nun zu Gottes Barmherzigkeit mit der Bitte um Vergebung für die Sünden seines Volks. Er geht aber von dem Grundsatz aus, dass zwar auch die Heiden Gottes Wohltaten herab schlingen, dass aber allein Abrahams Geschlecht erwählt ward, sein Lob zu singen. Es ist, als wollte er fragen: Herr, was soll geschehen, wenn du uns umkommen lässest? Muss nicht dein Name mit uns erstickt und begraben werden? Doch es erscheint anstößig, dass er alle Toten sich als empfindungslos vorzustellen scheint. Denn wenn die Seelen aus dem Gefängnis des Leibes befreit sind und doch nicht zugrunde gehen, führen sie ohne Zweifel ein noch frischeres Leben, woraus sich ergibt, dass Gott auch von den Toten gelobt wird. Ein zweiter Anstoß ist, dass die Menschen von Gott getrennt erscheinen, wenn der Dichter ihnen ihre Wohnstätte auf der Erde anweist: ist dann ihr Leben noch ein anderes als das der unvernünftigen Tiere? Denn nicht allein den Menschen ward die Erde gegeben, sondern auch Rindern, Schweinen, Hunden, Löwen und Bären, ja auch allerlei Insekten; es gibt ja keine Fliege noch einen Wurm, dem die Erde nicht eine Wohnstätte böte. Der erste Anstoß ist leicht zu beseitigen: wurden doch die Menschen eben darum auf die Erde gesetzt, damit sie wie aus einem Munde Gottes Lob unter sich erklingen ließen. An diesen Zusammenhang denkt hier der Prophet, wie es die Schrift auch an anderen Stellen tut (Ps. 118, 17): „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen.“ Auch der fromme König Hiskia sprach (Jes. 38, 19): „Allein, die da leben, loben dich, wie ich jetzt tue.“ Auch der Prophet Jona (2, 10) sprach, als er aus dem Bauch des Ungeheuers ausgeworfen war: „Ich will mit Dank dem Herrn opfern, meine Gelübde will ich bezahlen.“ Dies ist ja unsres Lebens Zweck, dass wir auf Erden Herolde des Ruhmes Gottes sein sollen, während unter den Toten ein solcher Austausch und eine Gemeinschaft, in der sie wechselseitig Gottes Lob singen können, nicht besteht. Darum sagt der Prophet mit Recht, dass die Toten den Herrn nicht loben werden. Daraus ergibt sich auch die Beseitigung des zweiten Anstoßes. Ward die Erde den Menschen gegeben, so geschah es doch eben dazu, damit sie sich dort in der Verehrung Gottes übten, bis sie endlich zu ihrer ewigen Glückseligkeit gelangen. Mögen auch das Vieh und die wilden Tiere die Schätze der Erde genießen, so verkündigt doch der heilige Geist, dass alles vornehmlich zum Gebrauch für die Menschen geschaffen ward, welche dadurch Gott als ihren Vater erkennen sollen. So zieht der Prophet endlich den Schluss, dass die ganze Ordnung der Natur zusammenbrechen müsste, wenn nicht Gott seine Gemeinde bewahrte: die Weltschöpfung hätte ihren Zweck eingebüßt, wenn nicht irgendein Volk vorhanden wäre, das Gott anruft. Daraus ergibt sich, dass immer einige Reste übrig bleiben müssen; und der Prophet verheißt nicht nur, dass die Gemeinde unversehrt bleiben wird, sondern ermahnt auch diejenigen zur Dankbarkeit, die für diesen Zweck gerettet wurden, ja er verpflichtet sich in ihrer aller Namen, dem Herrn Lob zu singen. Es ist aber nicht bloß von den Menschen eines Zeitalters die Rede, sondern von dem ganzen Leib der Gemeinde, den Gott durch alle Zeiten ausbreitet, damit er immerdar Zeugen und Herolde seiner Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit habe.

Quelle: Müller, Karl / Menges I. - Johannes Calvins Auslegung der Heiligen Schrift - Psalter

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