Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 22.

Calvin, Jean - Das Buch Josua – Kapitel 22.

V. 1. Da rief Josua die Rubeniter usw. Nun werden die zweieinhalb Stämme zurückgesandt, welche das Volk begleitet hatten, ohne für sich selbst dabei etwas zu erstreben. Weil sie schon Wohnsitze und Äcker empfangen hatten, sollten sie mit ihren Brüdern kämpfen, bis auch diese ihr Erbteil ungestört genießen konnten. Jetzt haben sie als treue Begleiter ihren Brüdern geholfen, darum rühmt Josua ihre Verdienste und sendet sie in ihre Heimat zurück. Doch inwiefern konnte er der Meinung sein, dass sie ihre Kriegspflicht erfüllt hätten? Noch war ja ein Teil des Landes in den Händen der Feinde, und erst der völlige Besitz desselben konnte doch als Abschluss des Krieges gelten. Allein diese Schwierigkeit löst sich leicht. Hätten die anderen Stämme Gottes Befehlen gehorcht und sich von seiner Hand leiten lassen, statt sich schimpflicher Weise zurückzuziehen, dann wären die übrigen Eroberungszüge ohne große Mühe und Gefahr längst beendet gewesen. Durch ihre eigene Untätigkeit weisen sie die Gaben ab, die Gottes Bereitwilligkeit ihnen schenken wollte. So kam es, dass die Verpflichtung jener Stämme aufhörte. Sie hatten sich ja nur dazu verpflichtet, die zehn anderen Stämme zu begleiten; sie hatten so tapfer gestritten, als gelte es ihr eigenes Interesse. Nachdem sie so lange sich als Bundesgenossen treu erzeigt hatten, verlangen die anderen Stämme ihre Hilfe nicht mehr, weisen sie sogar stillschweigend ab und geben sich zufrieden mit dem bisher Erreichten. Darum dürfen sie jetzt zu den Ihrigen heimkehren.

V. 5. Haltet aber nur an mit Fleiß usw. Josua entlässt diese Stämme aus ihrer vorübergehenden Dienststellung, indem er sie für immer zum Dienste des einen wahren Gottes verpflichtet. An die Erlaubnis zur Heimkehr knüpft er die Bedingung, dass sie überall, wo sie sind, Gott dienen sollen, indem sie sein Gesetz halten. Aber weil die Eitelkeit und Unbeständigkeit des Menschengeistes leicht die Gottesfurcht aus dem Herzen reißt und Gleichgültigkeit und Verachtung einschleichen lässt, so verlangt er von ihnen Eifer und Sorgfalt in der Beachtung der Gebote, die Mose gelehrt hatte. Als Hauptsumme des Gesetzes schreibt er vor, sie sollten Gott lieben und ihm anhangen, und weil äußerliche Frömmigkeit wertlos ist, verlangt er: sie sollen Gott dienen von ganzem Herzen und von ganzem Gemüt, d. h. in wahrer Aufrichtigkeit.

V. 8. Ihr kommt wieder heim mit großem Gut usw. Der größte Teil dieser beiden Stämme scheint im Gebiet jenseits des Jordans geblieben zu sein, als die anderen zum Kampfe auszogen. Sie hatten in Frieden mit ihren Familien zusammenleben können und durch häusliche Geschäfte mancherlei erwerben können; nun war es recht, dass sie mit der Frucht ihrer Arbeit zufrieden waren und nichts von der Beute verlangten, welche die anderen mit vielen Mühen und Gefahren erworben hatten. Doch Josua stellt sich nicht auf den Standpunkt des Rechtes, er ermahnt die Krieger vielmehr zu freigebigem Austeilen der Beute. Die Beute war nicht gemeinsam, Josua sagt auch nicht, sie seien verpflichtet, nach seinen Worten zu handeln; er erinnert sie nur daran, dass Gottes Gnade sie so reich beschenkt habe, und dass sie jetzt auch freigebig gegen ihre Brüder sein müssten, die an demselben Beutezug nicht hatten teilnehmen können. Er fordert aber nicht eine Teilung in gleiche Teile, wie sie bei gleichberechtigen Genossen vorgenommen werden müsste: sie sollen vielmehr durch Abgabe eines Teils jede Veranlassung zu Neid und Hass zu beseitigen suchen.

V. 10. Und da sie kamen usw. Diese Erzählung ist besonders beachtenswert. Die zweieinhalb Stämme beabsichtigen, ein Denkmal der treuen Gemeinschaft und der brüderlichen Einmütigkeit aufzurichten. Doch tun sie es unbedachtsam in einer den Brüdern verdächtigen Weise. Die zehn Stämme erblicken also in ihrem Vorgehen einen frechen Eingriff in die heiligen Ordnungen des Gottesdienstes. Darum greifen sie in heiligem Zorn zu den Waffen und wollen gegen ihre eigenen Blutsverwandten losfahren. Sie beruhigen sich nicht eher, als bis sie Rechenschaft empfangen haben. Die Absicht bei der Errichtung des Altars war durchaus berechtigt. Ruben, Gad und Manasse wollen trotz der Trennung durch den Fluss bezeugen, dass sie in der Verehrung Gottes eng vereinigt bleiben und in der Beachtung des Gesetzes mit den anderen zusammenhalten. Nichts lag ihnen ferner, als Neuerungen auf religiösem Gebiete einzuführen. Dennoch haben sie sich schwer versündigt. Einmal übergingen sie den Hohenpriester und fragten die Brüder nicht um Rat; zum andern konnte auch die Form ihres Zeugnisses übel aufgefasst werden. Wir wissen ja, wie streng das Gesetz einen zweiten Altar verbot (2. Mo. 20, 24): Gott wollte nur an einem Ort verehrt werden. Was nun die zehn Stämme sahen, brachte sie auf den Gedanken, dass jene einen zweiten Altar bauten, und darin musste eine strafbare Verletzung des Heiligtums gefunden werden. In der wichtigen und ernsten Frage hätten sie die anderen Brüder um Rat fragen müssen; vor allem durften sie den Hohenpriester nicht übergehen, dessen Mund Gottes Willen verkündigte. Den Tadel verdienen sie, denn ihr Beispiel gab anderen Anstoß. Daraus wollen wir lernen, nichts unbedachtsam zu unternehmen, selbst wenn es durchaus berechtigt ist. Wir wollen immer daran denken, was Paulus sagt, dass man nicht bloß fragen muss, was erlaubt ist, sondern was frommt. Insbesondere sollen wir uns ernstlich hüten, nicht durch ungewohntes Tun frommen Gemütern einen Anstoß zu bereiten (1. Kor. 6, 12; 10, 23).

V. 11. Da aber die Kinder Israel hörten usw. Ihr heiliger Eifer scheint sehr heftig gewesen zu sein, sonst hätten sie doch nicht wegen dieses Steinhaufens ihre Volksgenossen vernichten wollen. Nicht mit Unrecht meinten sie, sobald an zwei Stellen dem Herrn geopfert werde, sei seine Ehre geschädigt, seine Heiligkeit verletzt, die gemeinsame Frömmigkeit zersplittert, und eine Tür für allerlei abergläubische Freiheit geöffnet. Aus diesem Grunde hatte sich das Volk verpflichten müssen, nur einen Altar zu haben. Darum wird mit Recht der andere Altar als frevelhafte Entweihung verabscheut. Dieses besondere Beispiel von Frömmigkeit soll uns zu scharfer Verurteilung alles dessen treiben, was Gottes Ehre schädigt. Nicht allen ist das Schwert in die Hand gegeben, aber jeder soll an seinem Platze und in seinem Beruf mannhaft und entschlossen eintreten gegen alle Verdrehungen auf dem Gebiete des Gottesdienstes. Der Eifer des halben Stammes Manasse, der selbst die brüderliche Verwandtschaft seiner nächsten Angehörigen nicht schont, verdient noch besonders hervorgehoben zu werden. Man muss indessen auch zugeben, dass dieser heilige Eifer mit voreiligem Ungestüm vermischt war. Bevor sie sich nach der eigentlichen Absicht der Brüder erkundigt hatten, eilen sie gleich zum Kampfe. Doch sie senden Boten zu ihnen, um die Frage zu untersuchen. Darum rühren sie keinen Finger zur Bestrafung, bevor sie den Frevel genau erkannt hatten.

V. 16. So lässt euch sagen die ganze Gemeinde usw. Sie beginnen mit dem sehr schweren Vorwurf, als ob es schon allgemein bekannt wäre, dass dieser neue Altar im Gegensatze zu dem allein berechtigten Altar Gottes erbaut würde. Sie nehmen als sicher an, dass diese zwei Stämme auf dem neuen Altar ihre Opfer darbringen wollen. Darin haben sie sich jedoch getäuscht, er war zu anderem Zweck bestimmt. Wenn ihre Annahme richtig gewesen wäre, dann wäre auch ihr Vorwurf berechtigt gewesen. Dann hätte es sich um offenbaren Abfall von dem Gott gehandelt, welchem Gehorsam mehr gilt als alle Opfer (1. Sam. 15, 22); dann war ihr Urteil aufs Beste begründet, dass sie Abtrünnige seien, die sich von dem einzig berechtigten Altar lossagten.

V. 17. Ist es nun zu wenig? usw. Die zehn Stämme rücken den Frevel in ein noch grelleres Licht, indem sie ihn als hartnäckige Fortsetzung von Gräueln auffassen, mit denen man von jeher den Herrn gereizt hat. Sie weisen auf ein Beispiel hin, das noch in aller Gedächtnis war (4. Mo. 25, 3). Trotzdem sie als Wächter das Heiligtum rings umgaben, trotzdem ihnen das Gesetz der rechten Gottesverehrung anvertraut war, hatten sie sich doch von der Lockung der „Hurerei“ verleiten lassen, den Baal Peor anzubeten und Abgötterei zu treiben. Das ganze Volk war an diesem Frevel beteiligt gewesen, darum schließen sich die zehn Boten ein. Genügt uns noch nicht die Not, die wir uns zugezogen haben durch den Götzen Peor? Das Andenken daran ist noch nicht begraben, Gottes Rache dafür ist noch nicht ausgelöscht worden. Nun fürchten sie, dieser neue gottlose Abfall werde nicht nur die zweieinhalb Stämme ins Unglück stürzen, sondern den Untergang des ganzen Volkes heraufbeschwören. Gott wird das Unrecht ja später rächen, wie (V. 20) Achans Beispiel beweist. Weil er heimlich etwas gestohlen hatte, wird nicht nur er bestraft, sondern seine Verschuldung riss das ganze Volk ins Unglück und die Niederlage hinein. Wenn nun Gottes Zorn wegen des kleinen Vergehens eines einzelnen schon so sehr gegen viele entbrannt ist, wie viel mehr wird er das Volk bestrafen, das offenbaren Götzendienst in sich birgt! Dazwischen steht noch ein Satz: Wenn die zweieinhalb Stämme den Altar etwa wegen ihrer etwas fernliegenden Wohnsitze außerhalb des eigentlichen Landes Kanaan gebaut haben, so sollten sie doch kommen und sich dort ansiedeln, um nicht mit ihrer Nachäffung der allein zulässigen Gottesdienststätte Gottes Zorn heraufzubeschwören. Wie ernst nehmen es die zehn Stämme, indem sie sich bereit erklären, unter eigenem Nachteil die anderen aufzunehmen, welche sich ihren Wohnsitz schon vorher an anderer Stelle ausgebeten hatten.

V. 21. Da antworteten die Kinder Ruben usw. Jetzt klärt sich alles auf. Ruben, Gad und Manasse entschuldigen sich, indem sie sagen, ihre Absicht sei eine ganz andere gewesen. Somit wird der Vorwurf hinfällig: denn ihre Tat erschien nun in einem anderen Lichte, als jene meinten. Sie werden nicht heftig, zanken nicht wegen des ihnen widerfahrenen Unrechts und zeigen dadurch große Selbstbeherrschung. Das sollen wir uns zum Vorbild nehmen, und wenn wir einmal getadelt werden wegen einer Tat, die an sich recht ist, so soll es uns genügen, den Tadel soweit zurückzuweisen, dass wir gereinigt dastehen. Später weisen sie, um ihre Schuldlosigkeit noch besser zu bezeugen, mit schwerem Eide den Verdacht solchen Frevels von sich ab. Die Wiederholung der Worte: der starke Gott, der Herr verleiht ihrer Rede große Wucht. Sie wollen dadurch bezeugen, wie treu sie am Gesetz festhalten wollen, wie sehr sie vor dem Götzendienst zurückschrecken. Weil ihre Absicht von Menschen verschieden gedeutet werden konnte, rufen sie Gottes Urteil an und erklären sich bereit zur Buße, wenn er Unrecht an ihnen finde. Sie wollen nicht den Heuchlern gleichen, die Gott hundertmal zum Zeugen anrufen, obwohl sie sich in ihrem Herzen schuldig wissen. Sie rufen das ganze Volk zu Zeugen an, als wollten sie sagen, es sei allgemein bekannt, dass es ihnen nie in den Sinn gekommen sei, einen anderen Gottesdienst zu ersinnen. Sie sagen selbst, dass der Altar dem Gesetze widersprechen würde, sobald sie daselbst Opfertiere schlachten würden. Einfache Steinhaufen verfluchte das Gesetz nicht; aber es wollte, dass nur an einem Orte Opfer dargebracht werden sollten, um das Volk in einheitlichem Glauben zu befestigen. Sonst wäre der menschlichen Unordnung ein weiter Spielraum gegeben worden, und jeder wäre seinen eigenen Erfindungen gefolgt. Nach dieser Aufklärung schwindet der Grimm bei den zehn Stämmen.

V. 26. Darum sprachen wir usw. Die Anklage wegen schwerer Abgötterei haben sie mit Recht abgewiesen. Dennoch schienen sie nicht frei von Schuld zu sein, weil das Gesetz die Aufrichtung von Bildern verbot (2. Mo. 20, 4; 3. Mo. 26, 1; 5. Mo. 5, 8). Dieser Fluch trifft aber nur bildliche Darstellungen Gottes. Das Gesetz verbietet keineswegs die Errichtung eines Steinhaufens als Siegeszeichen oder als Denkmal besonderer Gnadenwunder Gottes. Sonst hätten sich Josua und viele fromme Könige nach ihm durch solche Neuerungen schwer verfehlt. Nur daran hat Gott Missfallen, dass die Menschen ihn in krass irdischer Weise verehren, statt ihre Herzen zu ihm emporzuheben. Ruben, Gad und Manasse befreien sich durch ihre Erklärung von aller Schuld: der Altar soll ja nur ein Band brüderlicher Zusammengehörigkeit sein. Sie geben auch den Grund dafür an: im Laufe der Zeit könnte es geschehen, dass die anderen zehn Stämme sich von ihnen lossagten, als gehörten sie nicht zum Volke, da sie nicht dasselbe Land bewohnten. Die Verschiedenheit des Wohnsitzes konnte zum Streit Veranlassung geben, weil das Land jenseits des Jordans nicht von Anfang an bei dem Bunde miteinbegriffen war. So sorgten sie beizeiten für ihre Nachkommen, damit sie durch den Altar als durch ein öffentliches Beweismittel ihr Recht schützen könnten. Ein Teil sollte den anderen anerkennen, und miteinander sollten sie einen Gott verehren.

V. 30. Da aber Pinehas, der Priester usw. Pinehas und die anderen Boten zähmen ihren Übereifer und nehmen diese Entschuldigung an. Wie oft lassen sich sonst beleidigte und erbitterte Leute durch keinerlei Verteidigung und Entschuldigung besänftigen! Immer finden sie noch etwas, was sie böswillig und missgünstig aufgreifen können, um nur nicht nachgeben zu müssen. Wir wollen hier lernen, uns von freundlicher Nachgiebigkeit statt von hartnäckiger Rechthaberei leiten zu lassen. Dass übrigens Ruben, Gad und Manasse schuldlos erfunden werden, schreiben Pinehas und die anderen Boten der Gnade Gottes zu. Denn die Worte: „Heute erkennen wir, dass der Herr unter uns ist“, wollen besagen, dass Gott gnädig sei und die Seinen vor Sünde bewahrt habe. Das ist eine bemerkenswerte Aussage. Denn es folgt daraus auch umgekehrt, dass wir niemals von Gott abfallen und in Gottlosigkeit versinken können, es sei denn, dass Er uns verließe und in verkehrten Sinn dahingäbe. Die Götzendienerei ist schon ein Zeichen davon, dass Gott sich zurückgezogen hat, um die Sünden der Menschen durch gerechte Verblendung zu strafen. Nur dann können wir in Frömmigkeit feststehen, wenn er uns mit seiner Hand aufrecht erhält und durch seines Geistes Kraft standhaft macht. Nun ist Gottes Rache nicht mehr zu fürchten, denn alle sind von dem Verdacht der Abgötterei befreit. Die Entschuldigung der drei Stämme machte auch das ganze Volk los von aller Schuld. So beruhigen sich die erhitzten Gemüter. Aber auch die zweieinhalb Stämme suchten mit Eifer ihre Pflicht zu erfüllen. Dem Altar geben sie einen Namen, der seine eigentliche Bestimmung kennzeichnet und das Volk vor allem Aberglauben bewahrt.

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