Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 63.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 63.

V. 1. Wer ist der, so von Edom kommt? Dies Kapitel ist von den Christen stark missdeutet worden, als ob es sich auf Christus bezöge, während der Prophet doch einfach von Gott redet. Der mit rötlichen Kleidern kommt, sollte Christus sein, bespritzt mit seinem eigenen, am Kreuze vergossenen Blut. Aber der Prophet dachte an nichts Derartiges. Der einfache Sinn ist der, dass Gott hier in roten Kleidern vor sein Volk tritt, damit ihn alle als Schützer und Rächer der Seinen erkennen. Denn als das Volk unter endlosen Übeln zu leiden hatte und dazu die Edomiter und andere Feinde ohne eigene Gefahr ungestraft im Übermut sich erhoben, konnte der versucherische Gedanke den Juden in gefährlicher Weise zu schaffen machen, ob dies alles zufällig über sie hereinbräche, oder ob sie von Gott vergessen oder allzu hart bestraft würden. Denn wenn bei den Juden jede Gottesverachtung gestraft wurde, wie viel mehr hätte das dann geschehen müssen bei den Edomitern und anderen offenbaren Feinden des göttlichen Namens. Dieser schweren Beunruhigung begegnet der Prophet, indem er Gott siegreich aus der Schlacht gegen die Edomiter, gleichsam mit ihrem Blut bespritzt, zurückkehren lässt. Diese Schilderung ist recht lebendig und wirkungsvoll; die Frage: „Wer ist er?“ versetzt die Zuhörer in Verwunderung und ist wirkungsvoller als ein einfacher Bericht. Der Prophet verfährt so, um die schlaff und mutlos gewordenen Juden zu ermuntern. Wir wissen, dass die Edomiter sozusagen Blutsverwandte der Juden waren, weil sie ihren Ursprung von denselben Vorfahren herleiteten; ihren Namen hatten sie von Esau, der auch Edom hieß. Wenn sie auch dasselbe Zeichen der Beschneidung besaßen, so hatten sie doch den reinen Gottesdienst verunreinigt und verfolgten die Juden mit einem tödlichen Hass. Sie stachelten auch die Wut anderer Feinde gegen die Juden auf und zeigten ihre große Freude über die Niederwerfung dieses Volkes, wie genugsam aus Ps. 137, 7 erhellt: „Herr, gedenke den Kindern Edom den Tag Jerusalems, die da sagten: Rein ab, rein ab bis auf ihren Boden.“ Der Prophet kündigt also den Edomitern das Gericht an, damit keiner denke, dass ihr unmenschliches Wüten gegen ihre Brüder unbestraft bliebe. Gott wird alle Gottlosen und Feinde seiner Gemeinde in dieser Weise strafen, um seine Sorge für dieselbe zu offenbaren. Obgleich nun Blutflecken einen Sieger sonst beschmutzt und hässlich erscheinen lassen, sagt der Prophet doch von Gott, dass er nach der Rache über seine Feinde „geschmückt in seinen Kleidern“, herrlich einher treten werde. Wird doch auch an anderen Stellen die Niedermetzelung der Gottlosen mit einem Opfer verglichen, aus welchem Gottes Herrlichkeit hervorleuchtet. Denn welch schönerer Schmuck kann für den Herrn erdacht werden, als dass er gerechtes Gericht übt? Um solchen Gottesgerichten ehrfürchtige Anerkennung zu schaffen, erklärt der Prophet das Blut, mit welchem der Herr nach der Vernichtung der Frevler bespritzt ist, für einen prächtigen Schmuck. Er will damit etwa sagen: Vergleicht Gott nicht mit einem gewöhnlichen Menschen; wenn er auch mit Blut besudelt ist, so leuchtet doch seine glanzvolle Majestät daraus hervor.

Ich bin es, der in Gerechtigkeit redet. Der Herr antwortet selbst, was viel gewichtiger lautet, als wenn der Prophet in seinem Namen reden würde. Und er erinnert die Gläubigen an die früheren Weissagungen: sie sollen wissen, dass sich in den Gerichten Gottes nicht nur seine Gerechtigkeit und Güte, sondern auch seine Treue offenbart. Er ruft ihnen gleichsam zu: Seht, jetzt wird alles erfüllt, was ich bisher öfters durch meine Knechte euch bezeugt habe; dieser Erfolg meiner Weissagungen zeigt auf das Deutlichste, dass ich „in Gerechtigkeit“, d. h. recht und wahrhaftig, geredet habe, ohne euch zu täuschen. Die hier geschilderte Erscheinung Gottes hätte ihren Eindruck verfehlen müssen, wenn die Juden nicht der Verheißungen gedacht hätten, die sie früher vernehmen durften. Weil es aber Gottes Absicht war, dass sie auf sein Heil vertrauensvoll sich stützen sollten, stellt er sich zugleich als einen „Meister zu helfen“ vor.

V. 2. Warum ist dein Gewand so rotfarben? Der Prophet fährt in demselben Gedanken fort. Um aber die Rede eindrucksvoller zu gestalten, erklärt er nicht sofort, woher die rote Farbe an der Kleidung Gottes stamme, sondern bildet wieder einen Fragesatz. Es soll das Nachdenken über die ungewohnte und seltene Erscheinung angeregt werden. Er will ja gerade die Bespritzung mit Blut als etwas Merkwürdiges und Ungewöhnliches hinstellen. Auch das Bild von der Kelter passt aufs Beste; denn die vorher erwähnte Stadt Bozra lag in einer Weingegend. Es ist, als wolle der Prophet sagen, dass jetzt eine andere als die gewöhnliche Weinlese stattfindet: statt Traubensaft soll Blut vergossen werden.

V. 3. Ich trete die Kelter allein. Jetzt wird die Erscheinung erklärt. Dass der Herr mit Blut gefärbt ist, kommt daher, dass er die Edomiter und die übrigen Feinde, die sein Volk unmenschlich behandelt hatten, zu strafen im Begriff steht. Es wäre töricht, dies auf Christus zu beziehen, weil er uns allein ohne menschliche Hilfe erlöst habe. Der Prophet denkt nur daran, dass Gott die Edomiter züchtigen wird, ohne die Hilfe der Menschen irgendwie nötig zu haben; er ist in sich selbst stark genug, sie zu vernichten. Die Juden konnten ihm ja entgegenhalten, dass die Edomiter, von Kriegen nicht geschwächt, im ruhigen Genuss des Friedens lebend, große Macht besäßen. Der Prophet zeigt, dass dies den Herrn nicht an seiner Absicht, sie zu bestrafen, hindern könne. Zwar bediente er sich bei der Bestrafung der Feinde menschlicher Werkzeuge, aber doch so, dass jedermann seine königliche Hand erkennen und menschlicher Macht und Klugheit kein Verdienst zuschreiben konnte. Jene wurden nämlich plötzlich und unerwartet überwältigt, und das Volk, das so häufig darauf hingewiesen war, konnte nicht zweifeln, dass Gott allein der Urheber davon war. Dass Gott des Weiteren erklärt: „und ist niemand unter den Völkern mit mir“, hat den Sinn, dass, wenn auch die Völker aus ihren Ländern zur Vernichtung Edoms aufbrachen, doch Gottes Werk getrennt von dem ihrigen besteht, weil die heidnischen Völker nur die Absicht hatten, die Edomiter für ihre ungerechte Grausamkeit zu züchtigen. Gott will also zwischen all dem Waffenlärm und den gewaltigen Erschütterungen sein Gericht hervorleuchten lassen und als etwas Besonderes betrachtet wissen.

Ich werde sie keltern. Es empfiehlt sich die Übersetzung in der Zukunftsform. Denn der Prophet redet von zukünftigen, noch nicht erfüllten Dingen: die Edomiter sollen, wenn sie auch jetzt noch sorglos und unversehrt dahinleben, doch ob ihrer Grausamkeit schwer gestraft werden. Weshalb der Prophet das Bild von der blutroten, einen hässlichen Anblick gewährenden Kelter gebraucht, haben wir schon teilweise gesagt. Ein weiterer Grund ist der, dass die Bezeichnung der Strafen, die Gott an seinen Feinden vollzieht, als einer Weinlese recht gut passt; Gott liest sie gleichsam zusammen, wenn er sie vernichtet oder zu Boden schlägt. Anderswo wird auch ein derartiges Hinschlachten ein feierliches Opfer genannt; und wir sollen daraus lernen, dass dem Herrn die Ausübung seiner Gerichte ebenso sehr zur Verherrlichung dient als die Offenbarung seiner Gnade. Außerdem drückt Gott dadurch seine besondere Liebe zu den Juden aus, dass er ihretwegen sich mit dem Blut der Feinde bespritzt oder besudelt.

In meinem Zorn. Der Umstand, dass Gott zornig über sie geworden ist, genügt also allein, um die Edomiter zu vernichten. Niemand kann sie ihm entreißen, wenn er gegen sie einschreiten will. Den Menschen droht also, können wir sagen, der Untergang nur vom Zorne Gottes, wie auch umgekehrt unser Heil allein von seiner Gnade abhängt. In Summa, Gott will hier bezeugen, dass die Edomiter wegen der Verfolgung der Gemeinde Gottes nicht ungestraft bleiben.

V. 4. Denn ich habe einen Tag der Rache usw. Das erste Versglied gibt zu verstehen, dass Gott sein Wirken nicht eingestellt hat, wenn er auch seine Gerichte nicht sofort ausführt; er schiebt sie vielmehr auf für eine günstige Zeit, die er am besten kennt. Es gebührt uns nicht, Zeit und Weise für sein Handeln ihm vorzuschreiben. Wir müssen es seinem heiligen Rat überlassen, dass er alles nach seinem Wohlgefallen ausführt. Wenn er auch zögert, so dürfen wir doch nie meinen, dass er schliefe oder untätig sei. Im zweiten Versglied zeigt Gott, dass dies alles zum Heil der Frommen geschieht. Denn er spricht von einem „Jahr, die Meinen zu erlösen.“ Tag oder Jahre bedeutet dasselbe; durch das Wort „Jahr“ soll aber die Länge der Verbannung ausgedrückt werden, damit die Juden nicht verzweifelten oder voll Überdruss den Mut sinken ließen, wenn die Erlösung sich länger hinzog. Der Herr straft also und vernichtet die Gottlosen, um die Frommen zu befreien und seine Gemeinde, auf die er vor allem sein Auge richtet, zu erlösen. Durch die Niederwerfung und Vernichtung jener bereitet er den Weg für seine Gnade. Das soll uns zum Troste dienen; wir sollen wissen, dass so oft die Zeichen des göttlichen Zorns sich drohend auf die Gottlosen niedersenken, die Frucht der ihnen auferlegten Strafe für uns kommen wird. Es wird uns klar, dass unsere Seufzer erhört sind und dass Gott, wenn er den Elenden helfen will, stark genug ist, alle Feinde seiner Gemeinde niederzuschlagen. Wenn die Last des Kreuzes uns auch noch so sehr drückt, so sollen wir sie doch geduldig tragen und es lernen, hoffnungsvoll unsere Gedanken auf das Jahr zu richten, das der Herr für seine Vergeltung sich ausersehen hat.

V. 5. Da war kein Helfer. Wenn auch die Juden völlig verlassen waren und niemand ihnen durch Wort und Tat beistand, so genügt doch einzig und allein der Arm des Herrn zur Bestrafung der Feinde und zu ihrer eigenen Befreiung. Von Gott allein also muss man das Heil erwarten, nicht nach allen Seiten sich umschauen, sondern ganz auf Gott gerichtet sein, der keiner fremden Hilfe bedarf. Jesaja lässt Gott darüber erstaunt sein, dass niemand ihm Hilfe gewährt bei der Vollstreckung seiner Gerichte; er will dadurch den Frommen die Lehre einprägen, dass Gott menschlicher Hilfe nicht bedarf und selbst stark genug ist, seinem Volke das Heil zu verschaffen. Hierdurch macht der Prophet recht deutlich, welch starke Hilfe Gott seinem Volke zu bringen beschlossen hatte; teils will er dadurch das Misstrauen beseitigen, teils für die Zukunft zur Dankbarkeit ermuntern. Gott versetzt sich in die Rolle einer anderen Person, wenn er sagt, dass er gleichsam bestürzt dagestanden habe. Eigentlich hätte das Erstaunen bei den Juden sein müssen, die das, was Menschen unmöglich war, kaum glaubten. Daher stellt der Herr allen Hilfsmitteln seinen Arm gegenüber, mit dessen unüberwindlicher Stärke er genugsam den Seinen zu helfen, als auch alle Gottlosen zu zerstreuen und niederzuwerfen vermag.

V. 6. Ich will die Völker zertreten usw. Jetzt wird aus dem vorigen Verse die Folgerung gezogen, dass Gottes Zorn stark genug ist zur Vernichtung der Gottlosen; er braucht nicht anderswoher Hilfe zu holen, und die Juden brauchen sich nicht durch feindliche Mächte von ihrer guten Zuversicht abbringen zu lassen. Dass Gott die Völker „trunken“ macht, ist hier anders zu verstehen als an einigen früheren Stellen (z. B. 29, 9). Dort ist die Meinung, dass der Herr Menschen mit Raserei, Wahnsinn oder einem Schwindelgeist schlägt oder sie in verworfenen Sinn dahingibt. Hier soll einfach gesagt sein, dass er sie bis zur völligen Sättigung mit seinem Zorn erfüllen will. Die Juden brauchen also, wenn sie Unterdrückungen zu erleiden haben, nicht an ihrer Rettung zu verzweifeln, als ob sie dem Herrn gänzlich verhasst wären, auch brauchen sie nicht unter den Strafen, die sie zu tragen haben, zu erschrecken, als ob diese sie zufällig träfen. Denn die anderen Völker, von denen sie jetzt gequält werden, werden ihre Strafen bekommen; es wird ein Wechsel der Dinge eintreten und diejenigen, die vor der Zeit von einem Triumph träumen, werden nicht entrinnen können. Die Edomiter müssen dafür als Beispiel dienen, weil sie, die in unmittelbarer Nähe wohnten, besonders bekannt waren, und weil sie sich vor anderen feindselig zeigten.

V. 7. Ich will der Gnade des gedenken. Der Prophet will sein Volk in seinem Elend trösten und fordert die Juden auf, nach seinem Beispiel in ihren Nöten sich der früheren Wohltaten Gottes zu erinnern und zum Gebet ihre Zuflucht zu nehmen; sie sollen nicht Heuchlern gleichen, die lediglich im Glück an Gottes Güte denken, sich durch Unglück aber derartig niederwerfen lassen, dass sie alle erfahrenen Wohltaten vergessen. Auch wenn der Herr uns züchtigt, müssen wir seiner Wohltaten gedenken, sie preisen und für die Zukunft getroste Zuversicht hegen. Denn Gott bleibt sich immer gleich und ändert seine Gesinnung und seinen Willen nicht. Wenn wir dann nur seiner Gnade Raum gewähren, sind wir nie verlassen. – Was Gott in grauer Vorzeit seinem Volk getan, geht doch auch das gegenwärtige Geschlecht an. Darum erinnert der Prophet an alles, das „uns“ der Herr hat getan. Weil die Juden Glieder eines und desselben Leibes waren, zählt er die Nachkommen mit Recht den Erzvätern und sonstigen Vorfahren zu. Auch Jesaja hatte zwar jene, von ihm erwähnten Wohltaten nicht erfahren; da sie aber der Gemeinde verliehen waren, war ihre Wirkung teilweise auch auf ihn gekommen, da er ja ein Glied der Gemeinde war. Und fürwahr, die Gemeinschaft der Heiligen, die wir bekennen, muss so viel bei uns gelten, dass wir überzeugt sind, alles, was die Gemeinde aus Gottes Hand empfangen hat, ist auch uns gegeben. Denn die Gemeinde Gottes ist nur eine, und die, die jetzt ist, hat nichts ohne Zusammenhang mit der, die einst war. Jesaja erklärt sich auch selbst, indem er hinzufügt, dass Gott seine Güte dem Hause Israel erzeigt hat. Also, wenn der Herr sich gütig und freundlich gegen die Seinen bewiesen hat, kann man auch heute solche Hoffnung hegen, da wir seine Hausgenossen und Glieder derselben Gemeinde sind. Wenn wir nun auch wissen, dass er ob unserer Sünden zornig geworden ist über uns, so muss dennoch die Hoffnung uns aufrichten und das Vertrauen uns stärken, denn er kann seine Gemeinde nicht verlassen. Der Prophet rühmt und preist aber die Barmherzigkeit Gottes auch aus dem Grunde, damit wir sie als die Grundlage unseres Heils und aller Güter erkennen. Menschliche Verdienste werden hier ausgeschlossen, ihnen dürfen wir gar nichts zuschreiben. Um diese Lehre desto besser zu verstehen, müssen wir an die Zeit denken, von der Jesaja redet. Damals standen Gerechtigkeit und Frömmigkeit in hohem Ansehen. Wenn das Volk auch sehr verderbt war, so standen ihm doch Mose, Aaron und andere fromme Männer als hervorragende Beispiele von Reinheit und Heiligkeit vor Augen. Alle Gnadengüter aber, die Gott Mose und den anderen verlieh, darf man nach des Propheten Weisung nicht ihren Verdiensten, sondern allein der göttlichen Barmherzigkeit zuschreiben. Sind wir nun besser als Mose, dass wir Verdienste vor Gott hätten? So muss denn die Erinnerung an die Güte, Gnade und Barmherzigkeit Gottes einerseits uns schwache Menschen ermutigen und über schwere Versuchungen emporheben, anderseits alle Gedanken an menschliche Verdienste völlig vertreiben.

V. 8. Denn er sprach: Sie sind ja mein Volk. Der Prophet gedenkt der Erwählung des Volkes, und um Israel an den Zweck seiner Berufung zu erinnern, lässt er den Herrn davon reden, dass er ein Volk des Eigentums sich schaffen wollte, das ihn anruft. Daneben klagt er auch das undankbare Volk an, weil es den Herrn in seiner Erwartung getäuscht hat; nicht als ob Gott betrogen werden könnte, da er ja ihr zukünftiges Verhalten klar genug vorhersah und es auch durch Mose hatte bezeugen lassen; aber die Schrift redet so, weil gerade die Undankbarkeit der Menschen daran schuld ist, dass sie Gottes Absichten vereiteln. Hörten wir doch früher den Herrn von seinem Weinberg sagen (5, 2): „Ich wartete, dass er Trauben brächte, aber er brachte Herlinge.“ Darum sollen wir es als das Ziel unserer Berufung erkennen, dass wir ein heiliges und reines Leben führen, - wie dies die Schrift allenthalben bezeugt. Mit Recht also sagt der Herr, er habe sich ein Volk erwählt, das da heilig und wahrhaftig sein solle. Er will Kinder haben, frei von Lüge und Eitelkeit. Aber das Volk hat ihn in seiner Erwartung getäuscht und war weit ab von der Aufrichtigkeit, die es hätte haben sollen; alles war voll von Lüge und Heuchelei. Nichtsdestoweniger macht der Prophet ihm Hoffnung auf Vergebung, wenn es nur zu Gott seine Zuflucht nimmt, sich von ganzem Herzen bekehrt und demütigt. Dabei weist er auf den Hauptpunkt in der Gottesverehrung hin, auf den Besitz eines reinen, aufrichtigen Herzens. Daraus folgt, dass wir deswegen von Gott verlassen werden, weil wir treulos und bundbrüchig sind. Da nun dieses Volk an seinen Sünden Gefallen hatte, musste es zuerst seiner Treulosigkeit überführt werden, um dann sich zu Gott zu bekehren und ihn als Erretter kennen zu lernen.

V. 9. Wer sie ängstete usw. Dieser Vers schildert die Güte Gottes gegen sein Volk noch ausführlicher. Gott ist schon den Vätern gnädig gewesen, solange sie sich von ihm leiten ließen, und er ist so besorgt um sie, dass er selbst ihre Plagen und Mühen getragen hat. Durch diese Ausdrücke will der Prophet die unvergleichliche Liebe Gottes gegen die Seinen dartun. Alles, was es nur an väterlicher Empfindung, Liebe und Sympathie geben kann, nimmt der Herr für sich in Anspruch, um desto mehr unsere Herzen zu bewegen und an sich zu ziehen. Es kann keine Art von menschlicher Liebe und Wohlwollen ausgedacht werden, die er nicht weit überträfe. Gott hat selbst, um die Ängste und Nöte seines Volkes zu lindern, alle Plage auf sich genommen, nicht etwa, dass er geängstigt werden könnte, sondern er nimmt bildlicher weise die menschlichen Leiden auf sich. Danach schildert der Prophet die Wirkung dieser Fürsorge: durch die Hand seines Engels hat er sie immer errettet. Er nennt ihn den „Engel seines Angesichts“, weil er ein Zeuge der Gegenwart Gottes war und gleichsam der Vollstrecker seiner Befehle. Wir dürfen nicht glauben, dass die Engel von selbst, aus eigenem Antrieb, ausgehen zu unserer Hilfe, sondern Gott gebraucht sie und zeigt uns durch sie seine Gegenwart an. Die Engel vermögen nichts aus sich selbst und bringen nur insoweit Hilfe, als Gott sie schickt; sie sollen Diener unseres Heils sein. Wir dürfen also nicht an ihnen hangen, da sie uns nur den rechten Weg zu Gott führen sollen. Die Meinung, dass das lebendige Abbild Gottes durch jenen Engel dargestellt werde, weil er als Führer und Wächter des Volkes, wie in einem Schauspiel, Gottes Angesicht zeigte, ist auch nicht unrichtig. Doch muss unzweifelhaft das Amt der Errettung Christo zuerkannt werden, da wir ja wissen, dass er der vornehmste Gottesbote gewesen ist, unter dessen Hand, Wache und Schutz die Gemeinde wohlbehalten war.

Er erlöste sie, darum dass er sie liebte. Jetzt hören wir von der Ursache aller Wohltaten: sie liegt in Gottes Liebe und unverdientem Erbarmen. So bezeugt es auch Mose (5. Mose 4, 37; 7, 8): Wie kommt es, ruft er aus, dass Gott deine Väter getragen hat? Daher, dass er sie liebte und sein Herz mit ihnen verbunden war. Mose will ihnen ja alle falsche Meinung und Selbstüberschätzung nehmen, die sie in ihrem hochfahrenden Sinn hegten. So weist auch hier der Prophet darauf hin, dass es keinen anderen Grund für so große Wohltaten gibt als die reine, unverdiente Gnade Gottes. Er gebraucht auch nachher dasselbe Bild wie Mose in seinem Liede (5. Mose 32, 11): Gott hat sein Volk ebenso getragen wie ein Adler seine Jungen mit den Flügeln stützt. Am besten passt freilich das Bild einer Mutter, die ihr Kindlein nicht nur im Schoße trägt, sondern es auch erzieht, damit es rechte Kraft gewinne. Kurz und gut, das Volk hat nach seiner Erlösung nicht nur einmal Gottes Gnade erfahren, sondern fortwährend, und verdankt ihm allein alles, was es empfangen hat. Darum auch der Zusatz, dass er sie trug „von alters her“, d. h. eine lange Reihe von Jahren. Gott wird nicht müde in seinem Wohltun und erzeigt nicht nur einem Zeitalter seine Güte, sondern stattet unaufhörlich seine Gemeinde mit den mannigfaltigsten Gaben aus.

V. 10. Aber sie erbitterten usw. Der Herr hat deswegen seinem Volke keine Wohltaten mehr erzeigt, weil es von ihm abgefallen ist. Sie sprechen: Gott hat sich lange Zeit gegen unsere Väter huldvoll erzeigt, warum erfahren wir seine Güte nicht? Ist er etwas sich unähnlich geworden? Keineswegs, aber wir selbst haben durch unsere Treulosigkeit seine Güte zurückgewiesen, ja zurückgestoßen. Indessen klagt der Prophet nicht nur seine Zeitgenossen, sondern auch die früheren Geschlechter an. Wir wissen, wie sie auch unter der Leitung eines Mose gegen Gott murrten und sich empörten. Da ist Gott, der ihnen so freundlich gesinnt war, durch ihre Widerspenstigkeit ihr Feind geworden. Deshalb sollen sie sich selbst anklagen, wenn sie für ihre Sünden Strafe leiden müssen. Gott ist von Natur zum Wohltun geneigt; nichts ist ihm lieber, als Wohltaten zu erweisen. In Anpassung an menschliches Empfinden wird nun gesagt, dass wir seinen heiligen Geist zum Zorn gereizt haben. Dadurch erscheint unsere Sünde besonders hässlich. Da dies nun derselbe Geist ist, durch welchen Gott unser Heil schafft, liegt in den Worten des Propheten auch eine Erinnerung daran, dass unsere Sünden uns von Gott trennen und das Band der Gemeinschaft mit ihm zerreißen. Darauf bezieht sich auch das Wort des Paulus (Eph. 4, 30): „Betrübt nicht den heiligen Geist Gottes, mit dem ihr versiegelt seid“ usw. Dabei müssen wir uns auch merken, dass wir keinen Grund haben, Menschen, die uns feindselig gesinnt sind oder Schwierigkeiten bereiten, anzuklagen, da der Herr es ist, der da Krieg führt und durch ihre Hand unsere Sünden straft. Diese letzteren müssen wir also vor allem anklagen und verurteilen, weil sie die Ursache sind für alle Übel, die wir zu tragen haben.

V. 11. Und sein Volk gedachte usw. Das ist der Zweck der Züchtigung, dass das Volk aus seiner Schlaffheit aufgerüttelt werden und sich an das längst Vergessene erinnern soll. Wir werden ja durch das Glück so berauscht, dass wir Gott ganz vergessen. Dieses in uns erstorbene Nachdenken soll durch die Züchtigungen wiederaufleben: Wo ist der Gott, der einst den Vätern so viele Wohltaten erwiesen hat? Der Prophet erinnert an die Zeit, da Mose an der Spitze des Volkes Gottes stand. Die Juden haben denn auch während der harten Bedrückung an die früheren Zeiten gedacht, da der Herr seine Macht zur Erlösung seines Volkes offenbarte; sie haben unter den schweren Züchtigungen gelernt, wie traurig es ist, den Schutz Gottes zu verlieren. Mit dem Hirten ist Mose gemeint. Der Prophet gibt auch die Art der Hilfe an: Gott hat ihn mit besonderer Geistesgabe ausgerüstet. Denn, dass Gott seinen heiligen Geist unter sie gab, will besagen, dass er dessen Kraft sie spüren ließ. Dies gilt in erster Linie von Mose, dem Werkzeug der göttlichen Gnade, der das Volk zur Freiheit führen sollte. Aber auch im ganzen Volke hat Gottes Geist seine Macht bewiesen.

V. 12. Der Mose bei der rechten Hand führte usw. Dieser Vers schildert noch weiter die wunderbare Befreiung des durch Mose aus Ägypten geführten Volkes. Er fährt fort im Bericht über die Klage, die den niedergebeugten Juden in den Sinn kommen konnte. Zwei Dinge sehen wir hier verbunden: die rechte Hand Moses und den herrlichen Arm Gottes. Der Herr gebraucht die Hilfe und den Dienst der Menschen also, dass seinem Ruhm und Lob nicht der geringste Abbruch geschieht. Jenes alles geschah unter Leitung Moses, aber so, dass dem Herrn jegliche Ehre gebührt. Und wenn man heute von den Dienern des Evangeliums sagt, dass sie Sünden vergeben, was doch lediglich Gottes Sache ist, vermindert das wohl irgendwie seine Ehre und Majestät? Keineswegs, sie sind ja nur Werkzeuge und müssen mit ihrem Dienst sich dem Herrn unterordnen, dem allein die Ehre gebührt. Was hätte denn auch die Hand eines einzigen Menschen vollbringen können, wenn sie nicht von Gottes Arm geführt worden wäre? Darum drückt der Prophet Gottes Absicht klar aus: er hat wunderbar gewaltet, auf dass er sich einen ewigen Namen machte. Wenn es Sünde ist, ihm diesen zu nehmen, dann dürfen wir auch nicht den kleinsten Teil von dieser Ehre den Menschen zuschreiben.

V. 13. Der sie führte durch die Tiefen usw. Dies dient zur weiteren Verherrlichung jener Wohltat. Zur Beschreibung jener herrlichen Gottestat bedienst sich der Prophet einiger Bilder: Gott hat sein Volk geführt wie Rosse in der Wüste, oder wie das Vieh ins Feld hinabgeht. So sanft durfte es dahingehen, wie ein Ross auf ebener Fläche. Unter der „Wüste“ ist nämlich nicht etwa die Wüste Pharan zu verstehen, in welcher das Volk vierzig Jahre lang weilen musste, sondern gemäß dem hebräischen Sprachgebrauch ist an Weideplätze zu denken, auf welchen die Tiere sich frei ergehen. Das ergibt sich auch daraus, dass „Wüste“ und „Feld“ nebeneinander gestellt werden. Alles in allem will der Prophet sagen, dass das Volk durch die Tiefen des Roten Meeres ziehen konnte, als ginge es auf glatter Bahn dahin. Nun hält das Volk dem Herrn vor: wenn er sich einmal einen herrlichen, oder wie es zuvor in demselben Sinne hieß, ewigen Namen machen wollte, so dürfe er auch jetzt nicht ablassen, für die Erreichung dieses Ziels zu sorgen, - sonst würde die Erinnerung an die den Vätern einst erwiesenen Wohltaten völlig ausgelöscht werden.

V. 15. So schaue nun vom Himmel. Nachdem der Prophet im Namen des ganzen Volkes an die Wohltaten der früheren Zeit erinnert hat, wendet er sich jetzt der Gegenwart zu und bittet Gott, seines Volkes gedenken zu wollen. Die Bitte, dass Gott vom Himmel herabschauen möge, deutet an, dass seine Macht nicht vermindert ist, obgleich dies nicht immer in die Erscheinung tritt. Man muss aus diesen Worten die Klage heraushören, dass Gott damals sich gleichsam verborgen hielt und sich dem gegenwärtigen Geschlecht nicht so wie den Vätern offenbarte: „Obwohl wir dich nirgends sehen, o Herr, und du dich gleichsam in den Himmel eingeschlossen und dich uns entzogen hast, sodass du scheinbar völlig aufgehört hast, für uns zu sorgen, blicke dennoch vom Himmel hernieder und sieh von deiner Wohnung auf unser Elend.“ So müssen sich ja die Frommen von den Ungläubigen unterscheiden, dass sie Gott als den Mächtigen und Gütigen anerkennen, auch wenn sie keine Zeichen seiner Macht und Güte empfangen, und dass sie ihn trotz noch so weiter Entfernung anrufen; denn Gott hört niemals auf, für sein Volk zu sorgen, da er ja die ganze Welt beständig regiert.

Wo ist nun dein Eifer? Anscheinend machen die Gläubigen durch diese Frage dem Herrn gleichsam den Vorwurf, dass er keine Liebe für sie empfinde oder dass seine Macht verkleinert sei. Der Prophet hat aber etwas anderes im Sinn: er rühmt jene Wohltaten, weil er die Hoffnung der Frommen auf die Zukunft stärken will; sie sollen wissen, dass Gott sich immer treu bleibt und immer für sein Volk sorgen will. Es ist auch nichts Unerhörtes, dass die Frommen in ihrem Schmerz dem Herrn freundlich vorhalten, dass er sein Inneres gegen sie verschließe. Sie halten freilich den Grundsatz fest, dass Gott, weil er sein Wesen nicht ändert, immer barmherzig ist, aber wenn er sich ihnen nicht als solchen zeigt, dann fragen sie, wenn sie auch ihren Sünden die Schuld beimessen, dennoch, um der Verzweiflung zu wehren, warum er denn weniger freundlich mit ihnen handle, ja, gleichsam sein eigenes Wesen vergessend, nur Zeichen seiner Strenge gebe.

V. 16. Bist du doch unser Vater usw. Gott erlaubt uns, vertrauensvoll alle unsere Gedanken vor ihm auszuschütten. Das Gebet ist ja nichts anderes als die Erschließung unseres Herzens vor Gott. Es gewährt die größte Erleichterung, wenn wir unsere Sorgen, Ängste und Kümmernisse gleichsam in seinen Schoß legen können. Wirf deine Sorgen auf den Herrn, spricht David (Ps. 37, 5). – Der Prophet hatte im Vorhergehenden die Wohltaten Gottes aufgezählt, aus denen die göttliche Macht und Güte so hervorleuchtete, dass zweifellos nur die Sünden der Menschen daran schuld sind, wenn man sie nicht so, wie einst, erfährt. Nunmehr aber wendet er sich zu dem Gedanken zurück, dass die große Güte Gottes nichtsdestoweniger die Bosheit der Menschen überwindet. Er nennt Gott Vater im Namen der Gemeinde. Gott darf nicht von allen so genannt werden; es ist ein besonderes Vorrecht der Gemeinde, ihm den Vaternamen beizulegen. Daraus können wir entnehmen, dass Christus als der erstgeborene, ja einzige Sohn Gottes immer das Haupt der Gemeinde gewesen ist, denn Gott kann nur durch ihn Vater genannt werden. Und hier sehen wir wiederum, dass die Gläubigen nicht mit Gott hadern, sondern sein Wesen sich vergegenwärtigen, um die Anfechtungen niederzuringen und gute Hoffnung zu gewinnen.

Denn Abraham weiß von uns nicht. Dies wird schwerlich so gemeint sein, dass die Erzväter von dem Volk nichts mehr wissen wollten, weil es abgefallen und solcher Ehre unwürdig war. Der Prophet will einfach sagen: O Herr, der du unser Vater bist, lass dies so fest und sicher sein, dass, wenn auch auf Erden das Vaterrecht und jegliche Verwandtschaft hinfällt, du duch nicht aufhörst, Vater zu sein. Eher werden doch Naturrechte weichen, als dass du dich nicht als Vater erzeigst oder die heilige Sohnschaft ins Wanken käme, die auf deinen unerschütterlichen Ratschluss gegründet und durch den Tod deines eingeborenen Sohnes versiegelt ist. – Nebenher mögen wir aus den Worten des Propheten den Schluss ziehen, dass die Frommen sich in ihrem Gebet ganz und gar an Gott halten und nach keiner Fürsprache anderer ausschauen. Sie werden geheißen, so zu beten, dass sie in der Zuversicht zu Gottes väterlichem Erbarmen alle anderen Stützen ihres Vertrauens fahren lassen. Dabei sollen wir die Augen gegen alle Vermittlungen von Menschen, sowohl lebendiger als toter, verschließen. Demnach bekennen die Gläubigen, dass sie ihre Hilfe nicht hier oder da suchen, sondern dass sie allein in Gott ruhen. Man kann noch fragen, warum der Prophet gerade Abraham und Jakob nennt und Isaak übergeht. Der Grund ist wohl der, dass der Bund mit jenen beiden recht feierlich geschlossen wurde. Isaak hatte freilich nicht weniger teil an dem Bunde, empfing aber nicht so große und zahlreiche Verheißungen.

Unser Erlöser. An die Erlösung wird erinnert, weil sie das Zeugnis jener Annahme zur Kindschaft ist. Durch diese Tat hatte Gott sich ja als Vater des Volkes offenbart. Anhaltend und unbekümmert rufen die Gläubigen Gott als Vater an, weil er durch dies herrliche, Vertrauen erweckende Zeugnis seine väterliche Gesinnung gegen uns kundgetan hat. Aber die Erlösung an und für sich hätte nicht ohne gleichzeitige Hinzufügung einer Verheißung genügt. Wie Gott uns einmal erlöst hat, so verspricht er, für immer unser Vater sein zu wollen. Das Wort „von alters her“ soll die Beständigkeit und Festigkeit seines Vaternamens anzeigen. Wir haben ja kein Anrecht auf den Kindesnamen, sondern er hat uns nach seinem unumstößlichen Willen einmal als Kinder angenommen. Wenn also der Herr einen ewigen Namen hat, so folgt daraus, dass auch der Titel und die Gnadengabe, die für uns damit verbunden ist, fest und beständig bleiben werden.

V. 17. Warum lässt du uns irren? Weil dieser Satz so hart lautet, nehmen einige Ausleger an, dass hier eine Rede ungläubiger Leute eingeführt werde, welche in verzweifelter Verstocktheit den Herrn mit Lästerungen reizen. Doch lässt dies der Zusammenhang in keiner Weise zu. Vielmehr zeigt der Prophet, welche Frucht die Juden aus ihren Heimsuchungen und Plagen gewinnen werden: sie lassen sich beugen und bändigen, stehen ab von ihrem Trotz und gefallen sich nicht mehr in ihren Lastern. Sie empfinden Reue über die Vergangenheit, in der sie vom rechten Weg abgeirrt waren, und erkennen ihre Schuld an. Wenn sie ihre Verirrungen und Sünden auf Gottes Zorn zurückführen, so wollen sie damit nicht etwa ihre Schuld leugnen und sich von Verantwortung freisprechen. Gewiss entspricht des der Lehre der Schrift, dass Gott zuweilen Menschen verstockt und verblendet. Darum darf man ihn aber nicht als den Urheber der Schuld ansehen: denn es ist immer die Undankbarkeit der Menschen, die er durch solche Verblendung bestraft. So klagen hier die Gläubigen, dass Gott sie verlassen hat, - aber infolge ihrer Schuld. Damit erkennen sie seine gerechte Strafe gegen sich an. Wenn Mose einmal sagt (5. Mose 29, 4), dass Gott bisher dem Volke noch nicht gegeben habe Augen zu sehen und ein Herz, das verständig wäre, so legt er nicht ihm die Schuld bei, sondern erinnert die Juden, wo sie das Heilmittel gegen ihre Trägheit, deren sie überführt waren, zu suchen hätten. So erkennen auch die Gläubigen an, dass sie in die Irre gegangen sind, weil Gottes Geist sie nicht geleitet hat; aber sie rechten darüber nicht mit Gott, sondern bitten vielmehr um jenen Geist, um dessen Leitung willen die Väter einst alles Gute erlangten.

Kehre wieder um deiner Knechte willen. Diese Worte wollen manche Ausleger auf das ganze Volk beziehen, wie ja die Schrift meistens alle Glieder der Gemeinde Gottes Knechte nennt. Nach meiner Meinung beziehen sie sich recht eigentlich auf Abraham, Isaak und Jakob. Das ist umso wahrscheinlicher, nicht weil das Volk auf ihre Vermittlung sich verlässt, sondern weil der Herr mit ihnen einen Bund gemacht hatte, den sie von Person zu Person auf ihre Nachkommen weitergeben sollten. Man soll jene hier nicht ansehen als gewöhnliche Menschen, sondern als Diener und Verwalter oder als Vermittler des Bundes, der das Fundament ihres Glaubens war, wie es im Psalm (132, 1) heißt: „Gedenke, Herr, an David.“ Der Name des toten Patriarchen wird Gott vorgehalten, nicht weil er einen Schutz gewähren könnte, sondern weil die Verheißung, die diesem Einen über die Erhaltung des Königtums in seiner Familie für alle Zeit gegeben war, sich auf das ganze Volk bezieht. Die Papisten nehmen sehr gern solche Stellen in Anspruch, als ob diese auf die Vermittlung der Heiligen hinwiesen. Wie leicht man darauf Antwort geben kann, geht aus der richtigen Auslegung hervor: Die Vorfahren werden erwähnt, nicht weil sie von sich aus irgendeinen Verdienst hätten oder jetzt eine Vermittlung ausübten, sondern weil der Gnadenbund mit ihnen geschlossen war, der sich nicht bloß auf sie, sondern auf alle ihre Nachkommen bezieht.

In den Stämmen deines Erbes. Der Sinn ist: Nimm dein Volk wieder in Gnaden an! Daraus wird deutlich, dass schon im vorigen Satze das Volk den Herrn dadurch zur Barmherzigkeit bewegen wollte, dass es ihm seine Heimsuchungen und Plagen vorhielt. Auch wir müssen so zu Gott treten; wir müssen die früheren Wohltaten ihm vorhalten und unsere Nöte ihm klagen, wenn wir Erlösung von ihm begehren. Gottes „Erbe“ oder Erbteil heißt das Volk, weil er sich dasselbe zum Eigentum erwählt hat. Der Prophet will sagen: Wo wird dein Volk sein, wenn wir umkommen? Nicht als ob der Herr an dies Volk gebunden gewesen wäre, sondern weil er ihm seine Zusage gegeben hatte. Das Volk wagt also Gott ob seiner Verheißungen anzurufen und mit Bitten zu bestürmen, weil er sich freiwillig sowohl den Vätern als den Nachkommen verpflichtet hat. Jetzt aber, da alle Verheißungen in Christus erfüllt und versiegelt sind und wir die ganze Wahrheit besitzen, muss uns noch größeres Vertrauen beseelen. Denn der Bund ist nicht bloß durch seine Hand geschlossen, sondern auch durch sein Blut bekräftigt und versiegelt. So war er freilich auch der Mittler für die Väter der Vorzeit, wir aber haben alles noch deutlicher und herrlicher, während jene noch im dunklen Schatten lebten.

V. 18. Eine kleine Zeit hatte dein Volk Besitz. Es ist merkwürdig, dass der Prophet von einer kurzen Zeit redet, während doch das Volk jenes Land bereits seit 1400 Jahren in Besitz hatte. Aber wir müssen daran denken, dass die Verheißung von einem ewigen Erbe des Samens Abrahams geredet hatte. Jene Zeit war also im Vergleich mit der Ewigkeit kurz. Die Gläubigen halten dem Herrn die Kürze der Zeit vor, nicht als ob sie ihn der Untreue bezichtigen wollten, sondern um ihn an den geschlossenen Bund zu erinnern, damit er sie mehr nach seiner Güte als nach ihren verdienten Strafen behandele. So klagt im 120. Psalm die Gemeinde des alten Bundes, dass ihre Kraft auf dem Wege zusammengebrochen und ihre Tage verkürzt wären, und sie bittet, dass sie nicht mitten auf dem Lebenswege umkomme. Die Erfüllung der Zeit hing ja ab von der Ankunft Christi.

Deine Widersacher usw. Diese Klage war umso bitterer, weil das Land, das der Herr sich geheiligt hatte, von Gottlosen entweiht wurde. Dieser Umstand war dem Volke viel schmerzlicher als alle übrigen Plagen; und mit Recht. Wir müssen eben nicht so sehr an uns denken als an den Gottesdienst und die Religion. Und dies ist auch das Ziel der Erlösung, dass es ein Volk gebe, das des Herrn Namen preist und recht ehrt.

V. 19. Wir sind worden wie solche usw. Das Volk hält dem Herrn vor und beklagt sich, dass es sich scheinbar gar nicht von den Ungläubigen unterscheidet, weil es ja in seiner Not von ihm gar keine Hilfe und Erleichterung empfängt; solches aber wäre doch verkehrt und unwürdig. Daraus können wir eine herrliche Anweisung entnehmen: Wir dürfen, so oft wir unter übermäßigem Unglück zu leiden haben, unsere Klagen vor Gott bringen und ihm unsere Berufung vorhalten, damit er uns helfe und den Unterschied zwischen uns und den draußen Stehenden offenbare.

Die nicht nach deinem Namen genannt wurden. Diese Worte haben denselben Sinn; die Berufung durch Gott kann niemals vergeblich sein. Und Gott will sich auch nicht vergeblich von uns anrufen lassen. Vergeblich und unnütz wären unsere Bitten, wenn der Herr sich nicht um uns kümmerte. Die Gemeinde Gottes aber wird durch dies Merkmal ausgezeichnet, dass sein Name über sie ausgerufen wird. Denn die Gottlosen können ihn nicht anrufen; einen Zugang dazu hat man nur durch das Wort, das diese nicht kennen. Wo also Glaube ist, da ist auch eine Anrufung; wo dieser aber fehlt, da kann es sicher keine Hoffnung oder Zuversicht geben.

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