Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 45.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 45.

V. 1. So spricht der Herr. Es ist keine eitle Verheißung, die Gott, gegeben hat, sein Volk zu befreien. Denn sein Entschluss ist fest und unerschütterlich. Wo es sich um unser Heil handelt, da forschen wir immer nach dem Wie und Was. Wenn uns Gott auch oft hangen und bangen lässt und uns so keine Klarheit über das Wie schenkt, so übt er doch hier Nachsicht mit der Schwachheit seiner Gläubigen und gibt über das Wie der Befreiung Aufschluss, indem er den nennt, durch dessen Hand er sie heimbringen will. Denn wird auch ihr Glaube durch andere Versuchungen hart genug auf die Probe gestellt, so beugt er doch in diesem Stück jedem Zweifel vor, damit sie nicht über der schwierigen Lage zu Fall kommen. Um dieses sein Wort desto eindrücklicher zu machen, redet er Kyrus an: Ich habe dich zu meinem König erwählt; ich will dich bei der Hand ergreifen und die Völker in deine Gewalt geben, damit sie dir die Tore zum Durchzug öffnen und sich selbst gerne dir in die Arme werfen. Durch diese Wendung der Anrede wird mehr erreicht, als wenn der Herr zu seinem Volke spräche. Immerhin könnte es töricht erscheinen, dass Gott den Kyrus seinen Gesalbten nennt. Ist das doch der Amtsname der Könige Judas und Israels im Blick auf Christi Person, und darum gebührt diese Bezeichnung eigentlich allein dem Christus des Herrn. In der Person Davids war das Reich aufgerichtet worden, das den Abglanz und das Abbild Christi trug. Darum nennen auch die Propheten ihn selbst bald David, bald Sohn Davids. Wenn also allein den jüdischen Königen diese Bezeichnung zukam, so könnte es töricht erscheinen, dass sie hier dem heidnischen König, der vor Götzen anbetet, gegeben wird. Mag er auch von Daniel belehrt worden sein und Israels Gott für den höchsten gehalten haben – jedenfalls wissen wir nichts davon, dass er Jude geworden wäre und irgendwie einmal den Aberglauben abgelegt hätte. Gesalbter heißt er also nur insofern, als ihm zu einer bestimmten Zeit das Amt eines Erlösers aufgetragen war, die Gemeinde Gottes an den Assyrern zu rächen und sie zu befreien. Und dieses Amt ist eigentlich ein Hinweis auf Christum. Daran, dass der Heide Kyrus nur um dieser Wohltat willen den Ehrennamen „Gesalbter“ erhält, sehen wir, wie wichtig dem Herrn das Heil seiner Gemeinde ist.

Den ich bei seiner rechten Hand ergreife. Damit ist gesagt, wie alles dem Kyrus glücken müsse. Er führt ja unter der Leitung Gottes Krieg. Darum verkündet Jesaja: zum Heil der Gemeinde, die er befreit, lässt Gott ihm alles gelingen. Zugleich aber weist er auch auf die Vorsehung Gottes hin, um den Juden in der unruhigen Zeit einen fest Halt unter die Füße zu geben, in dem Bewusstsein: Gott leitet von seinem erhabenen Throne alles so, dass es zum Heil seiner Erwählten ausschlägt. Es war nicht leicht für Kyrus, nach Babel zu gelangen, da ganz Asien sich vereinigt hatte, seine Pläne zu vereiteln. Darum bezeugt der Prophet: alle Macht der Sterblichen wird von Gott zunichte gemacht werden. Er nimmt den Königen das Wehrgehenke ab und entkleidet sie ihrer königlichen Würde. Sie haben eben nur so viel Kraft und Macht, als der Herr ihnen verleiht, um ihre Völker zu leiten. Wo er aber ihre Herrschaft einem anderen geben will, da helfen alle Waffen und Schwerter nichts.

Auf dass vor ihm die Türen geöffnet werden. Keine Befestigung vermag dem Herrn zu trotzen. Das geben alle zu. Und doch verlassen sie sich immer wieder auf Festungen und Bollwerke. Sind die Städte gut ummauert und die Tore verriegelt, so fühlen sich die Menschen sicher. Dagegen zeigt der Prophet die Nutzlosigkeit jeder Schutzwehr, die Vergeblichkeit jeder Verrammelung, wenn der Herr einmal dem Feinde den Weg öffnen wolle. So können auch dem Kyrus bei seinem hurtigen Laufe die Tore nicht verschlossen bleiben.

V. 2 – 3. Diese beiden Verse enthalten nichts Neues, sondern zeigen nur noch einmal deutlich, wie dem Kyrus der Sieg leicht werden musste, da der Herr sein Führer sein wird. Gott schafft alle Hindernisse weg. Darum die Verheißung: Ich will die Höcker eben machen. Weil Kriege ohne Geld nicht geführt werden können, Kyrus aber aus den dürren Steppen des persischen Berglandes herabkam, so verheißt der Herr ihm im Folgenden längst verborgene, geheime Schätze, damit er aus dieser reichen Beute seinen Aufwand bestreiten könnte. Und das bewahrheitet die Geschichte: durch den Sieg über den Lyderkönig Krösus, den reichsten Mann der damaligen Welt, bemächtigte er sich ungeheurer Reichtümer. Niemand hätte geglaubt, dass der Sieg ihm so leicht sein würde. Aber woher dieses herrliche Gelingen? Der Herr rief ihn und leitete ihn, damit er ihm einen Beweis seiner Allgewalt gebe. Denn es heißt: auf dass du erkennest, dass Ich der Herr usw. Gleichwohl hat Kyrus im Gott Israels den wahren Gott nur erkannt, aber ihm nicht rein und lauter gedient. Es war also nur eine unvollkommene Erkenntnis: weil er die Gemeinde befreien sollte, musste er selbst dieses Wissen besitzen, um das Gotteswerk durchzuführen. Es ist aber nicht die Erkenntnis, die uns innewohnt, oder die Wiedergeburt durch den Geist, sondern nur ein beschränktes Kennenlernen, wie es auch Weltkinder haben können.

Ich rief dich bei deinem Namen. Gott ruft beim Namen, den er erwählt hat und zu einem bestimmten Werk ausersieht, um ihn von dem großen Haufen abzusondern. Mit diesem Ausdruck weist der Prophet auf eine engere, innigere Gemeinschaft hin. So heißt es vom Hirten, er rufe seine Schafe beim Namen, weil er sie einzeln kennt. Der Ausdruck trifft wohl am besten auf die Gläubigen zu, die Gott zu seiner Herde und zu seinen Hausgenossen rechnet, - und dazu gehörte Kyrus nicht. Aber weil er eine solch herrliche Befreiung heraufführen soll und Gott ihm einzelne Kennzeichen seiner Herrlichkeit aufprägt, so darf man doch auch auf ihn dieses „beim Namen rufen“ anwenden.

Der Gott Israels. Die Menschen schreiben errungene Siege der Macht ihrer Götzen zu und malen sich in ihren Gedanken irgendein Wesen aus, das ihnen geholfen hätte, statt dass sie sich vor dem allein wahren Gott beugen. Was von Kyrus gesagt ist, gilt uns noch weit mehr: Wir sollen nicht irgendwelches Wissen von Gott haben, sondern uns mit vollem Bewusstsein von den Götzen abwenden und ihm allein dienen, dass wir allein in Christo erfunden werden. Er oder – Götze und Teufel! Wir sollen also den Kyrus, dem das Wissen um Gott offenbart war, darin überragen, dass wir, fern von allem unfrommen und abgöttischem Dienst, den Herrn rein und lauter verehren.

V. 4. Um Jakobs, meines Knechts, willen. Der Herr zeigt, zu welchem Zweck er diesem Fürsten so herrliche Erfolge schenkt: um sein Volk zu bewahren. Du – will der Herr sagen – hast einen herrlichen Sieg erfochten, aber du hast damit vielmehr die Sache meines Knechtes, als die deine vertreten. Denn seinetwegen unterwerfe ich dir Könige und Völker. Dadurch will der Herr die Herzen seiner Frommen aufrichten, dass sie nicht in der Trübsal vergehen. Aber gewiss soll es auch den Kyrus dazu treiben, anzuerkennen, dass er all seine Erfolge jenem Volke verdanke, und ihn darum entgegenkommender und freundlicher stimmen. – Die Israeliten heißen Gottes Knechte, weil er sie aus freier Gnade erwählt hat. Es steht ja nicht im Willen des Menschen, sich zum Knecht Gottes zu machen, oder durch eigenes Glück solche Ehre zu erobern. Wozu aber sind wir erwählt? Wir sind von Natur Knechte des Teufels. Deshalb werden wir gerufen, um in Freiheit Gott zu dienen. Und das kann nur, wer von ihm erwählt wird. Denn wer sollte sich dieses Dienstes würdig erachten, oder was könnten wir dem Herrn opfern? Wir taugen nichts von uns aus, sondern der Herr macht uns tauglich, wie auch Paulus sagt (2. Kor. 3, 5). Darum: der Grund unseres Heils ist die Freiwahl Gottes, und der Zweck: der Gehorsam, den wir ihm schulden. – Wenn das alles auch auf die Geschichte des Kyrus zu beziehen ist, so können wir doch daraus eine allgemeine Lehre ziehen. In den größten Weltumwälzungen sorgt der Herr für das Heil der Seinen und bewahrt seine Gemeinde. Wir sind Gottes Werken gegenüber zwar blind, aber das steht fest: Gott vergisst seine Gemeinde auch nicht, wenn die ganze Welt auf den Kopf gestellt wird, ja er wendet das vielmehr im Verborgenen zu ihrem Besten, so dass er schließlich als ihr Schutz und Hort dasteht.

Der Schluss des Verses: Da du mich noch nicht kanntest – erhöht das Gewicht des zuvor Gesagten. Kyrus soll nicht allein einsehen, dass nicht sein Verdienst dies gewirkt hatte, sondern auch den Gott Israels nicht verachten, obwohl er ihm nicht bekannt war. Auch uns erinnert der Herr oft daran, dass ohne seine zuvorkommende Gnade all unser menschlicher Fleiß nichts nützt, um dadurch unser Fleisch zu demütigen. Bei Kyrus hat dieselbe Erinnerung einen anderen Grund. Hätte dieser geglaubt, der Herr habe ihm die großen Erfolge um seiner selbst willen geschenkt, so hätte er die Juden für nichts geachtet und sie wie Leibeigene missbraucht. Darum wird es so ausdrücklich betont, dass sein Verdienst gar nicht dabei in Betracht komme, sondern nur die Huld Gottes, der sein Volk aus des Feindes Hand zu erretten beschlossen hatte.

V. 5. Ich bin der Herr usw. Diese Bekräftigung ist keineswegs überflüssig. Denn Kyrus musste es einsehen lernen, dass es nur einen Gott gibt, dessen Hand alle Fürsten und Völker lenkt, um allen Trug beiseite zu setzen und sich ganz dem Gotte Israels hinzugeben. Dann wird es noch deutlicher ausgeführt, dass sonst nirgends Gottheit zu suchen sei: Hüte dich, will er sagen, diesen Sieg eitlen Götzen zuzuschreiben oder irgendein unklares Walten, wie es sich die Menschen vorspiegeln, anzubeten. Wisse, dass du dem Gotte Israels allein diesen Sieg verdankst. Brachte es auch Kyrus nicht so weit, sich voll und ganz auf die Seite Gottes zu stellen, so fühlte er sich doch innerlich getrieben, ihn als den höchsten Herrscher und Lenker zu ehren. Möchten doch alle Hausgenossen der Gemeinde daran lernen, kühnlich alle erdichteten Götter zu verachten!

Ich habe dich gerüstet. Das wird von solchen gesagt, die Gott mit Kraft und Stärke rüstet und zu Siegern macht, im Gegensatz zu den Königen, von denen im ersten Verse die Rede war. Also kein Mensch besitzt Mut, wenn ihm nicht der Herr selbst seine Kraft und Stärke einflößt. Nichts hilft Waffenmacht und Heer, wenn er nicht mit uns ist. Kurz, er lenkt alle Kriege und gibt den Sieg, wem er will, damit niemand glaube, ihm sei es durch Zufall oder gar durch eigene Macht geglückt. Die Wiederholung: da du mich noch nicht kanntest, macht es dem Kyrus noch eindrücklicher, dass er die große Wohltat seines Sieges nur dem Volke Gottes verdanke und sich darum desto dankbarer gegen dasselbe erzeigen müsse.

V. 6. Auf dass man erfahre usw. Diese Wohltat soll so erhaben sein, dass alle Völker sie preisen werden. Das hat sich nicht sogleich erfüllt; denn wenn auch die Siegeskunde weit und breit bekannt wurde, so erkannten doch nur wenige, dass der Gott Israels der wahre Sieger sei. Aber den Nachbarn war es sogleich offenbar, dann dem und jenem, bis die Kunde die ganze Welt erfüllte. Gott wird also nicht zulassen, dass man diese Tat vergesse; er will sie zu einem ewigen Denkmal setzen, dass man sie zu allen Zeiten auch in den entferntesten Weltteilen bis ans Ende der Erde preise. Wohl können durch die menschliche Undankbarkeit und Schlechtigkeit die Großtaten Gottes gleichsam begraben werden, aber sie bleiben dennoch wahr und werden einst vor der ganzen Welt in hellem Lichte leuchten.

V. 7. Der ich das Licht mache usw. Wer früher alles dem Schicksal oder den Götzen zugeschrieben hat, der soll den wahren Gott erkennen und ihm allein Macht und Leitung aller Dinge zuweisen. Es handelt sich nicht um vollkommene Erkenntnis. Es ist nur eine Vorstufe dazu. Aber wenn der Prophet sagt, auch den Heiden werde es offenbar werden, dass Gott alles nach seinem Rat lenke und leite, dann müssen sich die Namenschristen schämen, die ihn seiner Macht entkleiden, um sie an die verschiedensten Machthaber zu verteilen, die sie sich in ihrer Sinnlichkeit ausmalen, wie es z. B. bei den Papisten geschieht. Das heißt nicht Gott erkennen, wenn man ihm den nackten, leeren Namen gibt, aber die volle Macht nimmt. – „Licht“ und „Finsternis“ ist ein bildlicher Ausdruck für Friede und Krieg, Unglück und Glück. Friede umfasst alle glücklichen Ereignisse, wie der Gegensatz zeigt. Denn der Friede steht nicht nur dem Krieg gegenüber, sondern überhaupt jedem Übel. Manche verdrehen das Wort „Übel“ und sagen: Gott sei der Urheber des Übels, d. h. der Sünde. Aber man sieht leicht, wie sie das prophetische Zeugnis missbrauchen. Die Gegenüberstellung der Glieder spricht zu deutlich gegen diese Behauptung. Denn Friede steht im Gegensatz zu Übel, d. h. der Not, dem Krieg und allen Widerwärtigkeiten. Sie hätten nur dann einen Schein von Recht, wenn Übel als Gegensatz zur Gerechtigkeit stände. Auch die übliche Unterscheidung ist nicht zu billigen: Gott sei der Urheber des Übels, zwar nicht der Schuld, aber der Strafe. Das ist eine verkehrte Klügelei: denn sie geben es zu, dass Hunger, Unfruchtbarkeit, Krieg, Seuche und andere Geißelschläge auf Gott zurückgehen, leugnen aber, dass Gott seine Hand im Spiele habe, wenn wir solches von Menschen erleiden. Nein, der Herr ruft die Gottlosen herbei, um uns durch ihre Hand zu züchtigen. Das sagen uns viele Schriftstellen. Der Herr gibt ihnen zwar die Bosheit nicht ein, sondern gebraucht sie als Richter zu unserer Züchtigung. So hat er einst die Quälereien Pharaos und anderer benutzt, um sein Volk zu bestrafen. Darum: Gott allein ist der Urheber aller Dinge, d. h. Glück und Unglück kommt von ihm, auch wenn er Menschenhand dazu gebraucht. Niemand soll etwas von dem Schicksal oder anderen nichtigen Ursachen erwarten.

V. 8. Träufelt, ihr Himmel, von oben usw. Der Prophet redet immer im Namen Gottes. Für sein Reich bewegt er Himmel und Erde, um den Wiederaufbau seiner Gemeinde zu betreiben. Diese Worte haben viel Trostkraft für die Frommen im Blick auf die künftige Erlösung. Denn wohin das Volk schaute, nichts als Verzweiflung! Richtete es die Augen zum Himmel empor, so leuchteten dort die Zornesblitze Gottes. Schauten sie auf die Erde, so trat ihnen Plage und Züchtigung entgegen. Also nirgends auch nur ein Schimmer von Hoffnung! Darum stärkt sie der Prophet und heißt Himmel und Erde Heil und Gerechtigkeit hervorbringen, sie, die nur mit Verderben und Schrecken drohten. Dieser Redeweise begegnen wir häufig in der heiligen Schrift, z. B. Ps. 72, 3: „Lass die Berge den Frieden bringen unter das Volk, und die Hügel die Gerechtigkeit“, und Ps. 85, 11 f.: „Dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen, dass Treue auf der Erde wachse und Gerechtigkeit vom Himmel schaue.“ Dort beschreibt David das Reich Christi und seine Glückseligkeit und zeigt, dass sich darin Gerechtigkeit, Friede, Barmherzigkeit und Wahrheit vereinigen werden. Davon ist auch hier die Rede. Der Prophet spielt auf die gewöhnliche, menschliche Nahrung an, die aus Brot und Früchten besteht. Soll aber die Erde Früchte hervorbringen, so muss sie vom Himmel Kraft empfangen und aus den Wolken Wasser schöpfen, das fruchtbar macht. Dann kann sie Kraut und Früchte hervorbringen zum Unterhalt für Mensch und Tier.

Gerechtigkeit ist nichts anderes, als die Treue, mit welcher der Herr die Seinen schützt und erhält. Denn so träufelt der Herr aus dem Himmel Gerechtigkeit, d. h. eine rechte und gute Ordnung, deren Frucht das Heil ist. Er redet ja von der Befreiung seines Volkes von Babel, an dem sich der Herr als ein Rächer erweisen wird. Das meinte der Prophet in erster Linie. Aber er blickt zugleich weiter hinaus auf Christi Reich. Hat doch Gott diese Verheißungen nicht bloß für wenige Jahre gegeben. Er erstreckt seine Wohltaten bis in die Zeit, da Christus kommt, in dem all das reichlich erfüllt ist. So weist er denn ohne Zweifel auch auf die ewige Gerechtigkeit und das ewige Heil, das uns durch Christus gebracht wird.

V. 9 – 10. Weh dem, der mit seinem Schöpfer hadert. Der Prophet sucht den Strom der Klagen zu hemmen, der in Zeiten des Unglücks losbricht, so dass man mit Gott streitet und hadert. Die Mahnung war sehr zeitgemäß. Die Juden sollten geduldig und still das Kreuz tragen und ihr Herz dem dargebotenen Troste öffnen. Denn so oft Gott uns warten lässt, empört sich unser Fleisch. Warum tut er nicht rascher, was er doch tun wird? Was hat er davon, uns so hinzuhalten und zu quälen? Um diese Ungeduld zu strafen, sagt der Prophet: Hadert etwa die Scherbe mit dem Töpfer, oder streiten Söhne mit ihren Vätern? Steht es nicht dem Herrn zu, nach seinem Gutdünken mit uns zu verfahren? Was soll es denn werden, wenn wir nicht mit ruhigem, gelassenem Sinn die Strafen tragen, die er uns auflegt? Man muss also dem Herrn lassen, was ihm zukommt, und ihm nicht seine Macht und sein Ansehen abhandeln.

Eine Scherbe, wie andere irdene Scherben. Gleiches soll sich zu Gleichem gesellen, eine Scherbe zu Scherben und ein Mensch zu Menschen. Darum beweist ihnen der Prophet ihre Kühnheit und Unbesonnenheit, dass sie nicht daran denken, dass ein Kampf mit Gott nur ihren Untergang im Gefolge haben muss. Er will sagen: Wisset ihr denn nicht, mit wem ihr es zu tun habt? Ihr seid doch dem Herrn nicht ebenbürtig und werdet schließlich den Kürzeren ziehen. Wenn ihr eure Schwachheit vergesset und jenen Riesen gleich den Himmel stürmt, so werdet ihr es doch erfahren, dass ihr eurem Schöpfer nicht gewachsen seid, der seine Geschöpfe mühelos vernichten und zu Staub zermalmen kann.

Spricht auch der Ton zu seinem Töpfer usw. Steht es schon dem Töpfer frei, ein Gefäß zu formen, wie er will, und einem Vater, seinen Söhnen zu gebieten, wie viel mehr hat Gott das Recht, nach seinem Willen zu handeln! So tadelt denn der Prophet die, welche im Unglück mit Gott rechten und die Trübsal nicht geduldig ertragen können. Höre, wie Petrus mahnt (1. Petr. 5, 6): wir sollten lernen, Gott untertan sein und uns unter seine gewaltige Hand demütigen, damit sein Reich erben, aber nicht mit ihm hadern, wenn er uns durch Trübsal übt. Denn mit Fug und Recht regiert er uns nach seinem Gutdünken. Wenn es aber einmal zur Verhandlung kommen soll, so wird Gott so triftige, unwiderlegbare Gründe ins Feld führen, dass alle schweigen müssen. Die Dreistigkeit der Menschen wird er freilich nicht niederzwingen, weil sie für Gründe jeder Art unzugänglich sind. Aber billig und recht wäre es, wenn wir uns ihm zur Leitung übergeben würden. Mit Recht wahrt sich Gott die Macht, um nicht von seinen Geschöpfen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Gäbe es denn eine größere Schmach für Gott, als wenn sein Ratschluss keine Anerkennung fände, wenn er den Menschen nicht gefiele? Paulus wendet die dieselbe Beweisführung an, freilich bei einem gewichtigeren Gegenstande (Röm. 9, 21). Er spricht dort über die ewige Vorherbestimmung Gottes und weist die törichten Gedanken derer zurück, die mit Gott hadern, weil er die einen erwähle und die anderen verwerfe und verdamme. Über dieses „warum“, sagt er, hat Gott allein zu entscheiden, wie der Künstler über sein Werk. Darum ruft er aus: „Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich also?“ Wer wäre so kühn, dass er dem Herrn widerstrebte und Streit mit ihm anzufangen wagte? Paulus äußert also den gleichen Gedanken wie der Prophet, wenn auch der Anlass ein anderer ist. Aber beide sind darin einig: Gott hat volle Gewalt über die Menschen. Darum sollen sie sich von ihm leiten und führen lassen und alles Unglück still erdulden. Nur in einem Stück unterscheiden sie sich: Jesaja redet von dem zeitlichen Leben, Paulus schaut auf das ewige im Himmel.

Du beweisest deine Hände nicht. Wir würden sagen: Du legst ja nicht die letzte Hand an dein Werk. So oft die Menschen wider Gott murren, weil er auf ihre Wünsche nicht eingeht, werfen sie ihm Mangel an Tatkraft oder Unwissenheit vor.

V. 11. So spricht der Herr usw. Gott klagt darüber, dass ihm sein Vaterrecht genommen sei. Die Menschen, aller Bescheidenheit bar, scheuen sich nicht, Gott gleichsam zu binden und auszufragen und von ihm Auskunft über die Gründe zu erpressen, warum er so und nicht anders gehandelt habe. Das Folgende macht es noch deutlicher: Eure Aufgabe wird es natürlich sein, mir vorzuschreiben, welche Form ich meinem Werke zu geben habe! Die Absicht des Propheten ist, die Menschen zur Nüchternheit und Duldsamkeit zu ermahnen. Denn sobald sie mit Gott zu streiten anfangen, suchen sie ihn vom Himmelsthrone zu stürzen. Nicht nur die Juden redet er an. Auch da und dort unter den Ungläubigen wurden Lästerungen laut, die zurückgewiesen werden mussten. Gott betont sein gutes Recht gegenüber seinen Widersachern in aller Welt: Wohin wollt ihr denn eigentlich noch in eurer Anmaßung, dass ihr mich nicht mehr in meinem eigenen Hause schalten und meine Hausgenossen leiten lasset, wie es mir gutdünkt?

V. 12. Ich habe die Erde gemacht usw. Mich, dessen unermessliche, unbegreifliche Weisheit und Kraft im Himmel und auf der Erde widerstrahlt, mich will man in menschliche Ordnungen einzwängen und mich gar, wie die Menschen es von sich glauben, einem blinden Verhängnis unterwerfen? Über meine Gerechtigkeit streitet man: Ich, der ich alles durch meine Hand lenke und ordne, soll nicht für meine Kinder sorgen? Ich soll nicht wachen für ihr Heil? Das ist der Sinn dieses Verses, der ganz schriftgemäß ist. Wir wissen ja, dassdas die Bedeutung unserer Kindschaft ist, dass Gott uns schützt, und dass niemand uns gegen seinen Willen aus seiner Hand reißen kann. Denn wenn kein Sperling, wie Christus sagt, ohne sein Geheiß zu Boden fällt, wie sollten wir, die er doch weit höher schätzt, der Wut und Grausamkeit der Feinde schutzlos preisgegeben sein? Wenn also Gott alle Geschöpfe mit seiner Vorsehung umschließt, kann er seine Gemeinde nicht unbeachtet bei Seite lassen, die er doch der ganzen Welt vorzieht. Lasst uns zu dieser Vorsehung auch in den verzweifelten Lagen fliehen und nimmermehr von ihr weichen, wenn der Satan uns bald so, bald anders mit seinen Versuchungen zu Leibe geht!

V. 13. Ich habe ihn erweckt. Der Prophet nimmt jetzt wieder den Faden auf, den er am Anfang des Kapitels gesponnen hatte. Der tiefen Niedergeschlagenheit der Juden will er in der Hoffnung auf Befreiung ein Heilmittel geben. Sie halten sich für verloren, der Herr rettet sie aber vom Untergang. Der eingeschobene Tadel hatte den Zweck, die Juden vor Verzweiflung zu bewahren, in die sie ihre glühende Ungeduld gestürzt hätte.

„In Gerechtigkeit“ ist so viel wie recht und wahrhaft. Es bezeichnet den Grund, der den Herrn zur Erweckung des Kyrus veranlasste: er ist ja ein treuer Wächter seiner Gemeinde und lässt seine Diener nicht stecken. Öfter nennt die Schrift die Treue Gerechtigkeit; denn der Herr tut seine Treue darin kund, dass er zu seinen Verheißungen steht und seine Knechte beschirmt. Seine höchste Gerechtigkeit zeigt sich in dem Schutz der Seinen. Wenn auch allen Dingen der Stempel seiner Gerechtigkeit aufgeprägt ist, so stellt doch das Heil seiner Gemeinde das herrlichste Zeugnis dafür dar. Gott hat also den Kyrus erweckt, um an ihm, den er zur Führung seines Volks nach der Heimat bestimmte, seine Gerechtigkeit darzustellen.

Er soll meine Stadt bauen. Das ist Jerusalem. Die seine nennt er sie, weil er dort das Gedächtnis seines Namens stiften wollte und sie besonders auserkoren hatte. Darum redet Psalm 46, 5 auch von der Stadt Gottes, da die heiligen Wohnungen des Höchsten sind. Denn Gott ist bei ihr drinnen. Und in Psalm 132, 14 lesen wir: „Dies ist meine Ruhe ewiglich, hier will ich wohnen.“ Kyrus hat diese Stadt aber nicht selbst gebaut. Er verbot nur durch königliche Erlasse, den Bau irgendwie zu hindern, und gab dem Volk Wegzehrung und sonstige Mittel. Nicht um Geld, d. h. umsonst. Wenn sonst der Sieger Gefangene entlässt, so fordert er ein Lösegeld oder legt ihnen andere schwere Bedingungen auf. Kyrus nicht so. Daran ist ersichtlich, dass diese Befreiung nicht auf menschlichen, sondern auf göttlichen Willen zurückzuführen ist.

V. 14. So spricht der Herr: Der Ägypter Handel usw. Dieser Vers redet zunächst von Kyrus und seinem Tun. Aber diese Verheißung erstreckt sich, wie wir schon öfters bemerkt haben, noch auf fernere Zeiten, nämlich bis zum Kommen Christi. Der Prophet spielt auf die Mittel an, die Kyrus zur Erbauung und Ausschmückung des Tempels spendete. Mit diesem Hinweis war erst sein Wort erfüllt, der Ägypter Handel und der Mohren Gewerbe werde sich den Juden ergeben. Ägypten und Äthiopien, d. i. Mohrenland, waren nämlich dem Perserkönig unterworfen und steuerpflichtig. Aus deren Abgaben wurden die Kosten des Neubaus des Tempels zu Jerusalem bestritten. Aber wie jene Wiederaufrichtung nur ein Vorspiel derjenigen war, die Christus brachte, so war auch der Gehorsam der fremden Völkerschaften, die dem Volk Gottes dienten, nur ein Hinweis auf den Gehorsam, den die verschiedenen Völkerschaften nach der Offenbarung Christi der Gemeinde Gottes beweisen sollten. Die drei Namen stehen übrigens nur als Vertreter der übrigen Welt, als sollte es heißen: Ihr steht jetzt unter dem Druck fremder Völker, aber die Zeit wird kommen, da ihr über sie herrscht. Die Erfüllung kam, als Christus in die Welt eintrat und sich die eiskalten, ungebändigten Herzen untertan machte, um ihnen sein Joch aufzulegen. Der Herr führt aber darum sein Volk aus Babylon heim, um sich bis zum Kommen Christi, vor dem alle Völker sich beugen sollten, eine Gemeinde aufzusparen. So ist es denn nicht auffallend, wenn der Prophet auf den Endzweck des Ratschlusses Gottes hinweist und die Errettung einzigartig nennt. Wenn er jedoch den Israeliten den Sieg über alle Heiden in Aussicht stellt, so vertauscht er da Haupt und Glieder. Denn der eingeborene Sohn Gottes verbündet sich so mit seinen Gläubigen, dass sie eins sind. Öfter wird das, was ihm gebührt, der Gemeinde zugeschrieben, die sein Leib ist. In diesem Sinn führt auch die Gemeinde die Herrschaft, nicht um in stolzer Herrschsucht den Ruhm des Hauptes zu verdunkeln oder sich die Macht anzueignen, die ihm gebührt, sondern weil ihr die Predigt des Evangeliums anvertraut ist. Und diese ist in geistlichem Sinne der Herrscherstab Christi.

Denn bei dir ist Gott. So werden sie sprechen, welche um der Ehre willen, die ihr zu teil geworden ist, sich der Gemeinde anschließen. Die fremden Völker unterwerfen sich den Juden, weil sie erkennen, dass der Gott, dem die Juden dienen, der einzige ist. Auf den Einwurf, das beziehe sich nicht auf die Juden, die ja nicht mehr zu der Gemeinde gehörten, antworte ich: Nichtsdestoweniger ist von ihnen das Evangelium ausgegangen und hat seinen Siegeslauf durch die ganze Welt gemacht; so ist Jerusalem die Quelle, von der die reine Lehre gekommen ist. Nur die Juden haben einst erkannt, wer Gott sei, und haben allein den rechten Gottesdienst geübt. Die anderen haben in ihrer Selbsttäuschung ihre eigenen Gebilde angebetet. Darum sagt auch Christus in dem Gespräch mit der Samariterin (Joh. 4, 22): „Wir wissen, was wir anbeten.“ Mit Recht heißt es also hier: „Gott ist bei dir.“ Denn die anderen Völker kannten Gott nicht. Aber sie, die zuvor in ihrem Übermut die Gemeinde verachteten, werden sich ihr unterwerfen, nachdem sie in ihrer Mitte die heilige Wohnung des wahren Gottes erkannt haben. Das ist ein Zeichen wahrer Buße, dass wir nicht das als Gott verehren, was wir gemacht, sondern den, der in seiner Gemeinde lebendig ist. Beachte auch das Lob, das in den Worten: „Gott ist bei dir“ für die Gemeinde liegt. Wenn wir Gottes Volk sind und uns seiner heilsamen Lehre unterwerfen, so muss er notwendigerweise bei uns sein. Will er doch die Seinen nicht verlassen. Diese Verheißung gilt nicht bloß zeitweilig, sie gilt ewig.

V. 15. Fürwahr, du bist ein verborgener Gott. Wir brauchen viel Geduld, will Jesaja sagen, um uns an Gottes Verheißungen zu erfreuen. Das Volk war ja am Verzweifeln, da den Gottlosen alles nach Wunsch ging, ihnen selbst aber alles zum Unheil ausschlug. Da setzen nun verschiedene Erklärungen ein. Die jüdischen Ausleger deuten den Ausdruck dahin: der Herr verberge sich vor den Heiden, offenbare sich aber seinem Volk. Die christlichen Forscher deuten ganz anders, aber sehr gekünstelt. Es ist zwar geistreich, wenn sie sagen: Christus sei ein verborgener Gott, weil seine Gottheit in der Niedrigkeit des Fleisches verborgen sei. Aber der Gedanke liegt dem Propheten doch ferne. Er nennt Gott verborgen, weil er sich gleichsam zu verstecken scheint, wenn er es nicht hindert, dass die Seinen geschlagen und bedrängt werden. Darum müssen sich unsere Herzen an der Hoffnung aufrichten. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist, wie Paulus (Röm. 8, 24) sagt, nicht Hoffnung. In dem Sinn redet also Jesaja von einem verborgenen Gott, dass seine Verheißungen nicht alsbald klar und deutlich uns vor Augen stehen. Vom Anschauen der Gegenwart wollte er uns abziehen und unsere Augen gen Himmel richten, vom Verlangen nach Hilfe getragen. Geduld ist also not. Zögert die Erfüllung der Verheißung, so müssen wir unsere Wünsche zum Schweigen bringen. Erst kurz vorher hat es von den Ungläubigen geheißen, trotz ihrer jetzigen Torheit und Blindheit würden sie einst Gottes Gegenwart spüren. Aber weil die Zeit der Offenbarung noch nicht da war, wird dies Wort absichtlich eingeschoben, da Gott, ehe er seine Herrlichkeit offenbart, seine Macht verbirgt, um den Glauben zu prüfen. Der Prophet redet nicht vom Wesen Gottes, sondern von seiner hilfreichen Hand. Das geht aus dem Beinamen „Heiland“ deutlich hervor. Der Prophet will sagen: Gott verbirgt die Art und Weise, wie er seine Gemeinde bewahrt, so dass es den Anschein haben könnte, er verlasse sie ganz und gar. Unser Heil will er nämlich gleichsam im Dunkeln lassen, damit wir, wenn wir es genießen wollen, wissen: es gilt aus der Welt herauszugehen. Nicht plötzlich gibt er es uns. Auch stellt er es uns nicht klar vor Augen. Wir müssen also um unerschütterliche Beständigkeit bitten. Denn Gott hält es für gut, unseren Glauben zu üben und zu prüfen, damit wir unter dem Druck der mannigfachsten Nöte dennoch in ihm und seiner Verheißung Ruhe finden.

V. 16 – 17. Aber die Götzenmacher usw. Der Prophet stellt den Juden die Heiden gegenüber, um den schweren Anstoß zu beseitigen, der für sie in dem Glück der Heiden lag. Dies konnte sie an Gott irremachen. Es konnte sie der Meinung in die Arme treiben, Gott kümmere sich nicht mehr um sein Volk. Ein blindes Schicksal walte über ihnen. Da ruft ihnen der Prophet zu: die Heiden müssen zugrunde gehen, wenn sie auch zurzeit blühen und sich schon wie im Himmel fühlen. Gottes Macht darf nicht an der augenblicklichen Lage gemessen werden. Die Augen dürfen nicht haften bleiben an dem zeitweiligen Glück: denkt an das ewige Heil und tragt in aller Geduld euer Los, das Gott euch schickt! Beneidet nicht die Gottlosen! Denn ihr Glück wird sich bald wenden (vgl. Ps. 37). Wer Gott als den verborgenen kennt, der auch der Heiland ist, wird sich darüber nicht wundern, dass den Gottlosen das Glück lächelt, die Frommen aber verworfen, elend und von mancherlei Trübsal angefochten sind. Das ist die Bewährung, die Gott unserem Glauben und unserer Geduld auflegt, ohne uns indes das ewige Heil zu entziehen. Das Gute, das jene jetzt genießen, wird ihnen übel bekommen. Denn sie missbrauchen die Wohltaten Gottes und fallen wie Räuber über fremdes Gut her. So oft also der Gedanke uns beunruhigen will: die Gottlosen haben Glück, also ist ihnen Gott geneigt, und seine Verheißungen, auf die wir uns berufen, sind eitel – lasst uns zu dem Wort des Propheten fliehen als einem sicheren Anker und es festhalten: der Herr wird unsere Hoffnung nicht zuschanden machen. Lasst sie schelten und wüten, lasst sie uns beleidigen und verhöhnen; es kommt doch endlich die Freiheit!

V. 18. Denn so spricht der Herr usw. Dadurch wird das Vorhergehende bestätigt. Die Juden sollen darüber gewiss werden, dass sie endlich vom Herrn aus ihrer jammervollen Knechtschaft befreit werden. Wenn Gott die ganze Erde zum Wohnsitz für die Menschen geschaffen hat, so wird er noch vielmehr für seine Gemeinde eine Stätte bereiten. Denn seine Gemeinde liegt ihm mehr am Herzen als alles andere. Eben durch die Gründung der Erde und ihre Befruchtung zum Besten der Menschen hat er seinen Kindern den höchsten Ehrenplatz eingeräumt. Das ist uns freilich nicht immer klar. Darum muss unser Herz durch die Hoffnung aufgerichtet werden, um in allen Versuchungen stand zu halten. Doch solange die Erde steht, wird es eine Gemeinde Gottes geben. Solange Sonne und Mond ihr Licht leuchten lassen, wird es ihr nie an etwas fehlen. Ist schon der Bund unantastbar, den Gott mit Noah in betreff der unumstößlichen Ordnung dieser Welt schloss, wie viel unumstößlicher wird alles sein, wozu er sich für seine Gemeinde verpflichtet hat. Die Welt ist ja vergänglich; aber die Gemeinde, d. i. das Reich Christi, ist ewig. So müssen auch die Verheißungen, die ihr gelten, sicherer und gewisser sein als alles sonst. Die Hauptzierde der Erde ist, dass sie bewohnt ist. Darum sagt der Prophet, sie sei nicht geschaffen, um leer und deshalb hässlich dazustehen. Wenn es heißt, die Erde sei geschaffen, dass man darauf wohnen solle, so gilt das freilich nicht bloß für Gottes Gemeinde, sondern für alle Menschen. Denn als Wohnung für alle ist die Erde bestimmt. Wie wäre es sonst zu verstehen, dass nicht bloß die Gläubigen, sondern auch die Gottlosen Nahrung und alle Notdurft von dem Herrn empfangen? Es wäre sonst auch zu verwundern, dass er so viele Verbrechen und Schandtaten duldet und nicht das ganze Menschengeschlecht einfach vernichtet. Aber er hat dabei seinen Ratschluss und nicht unsere Würdigkeit im Auge. So bestehen also Königreiche und Fürstentümer. So wird auch unter Barbaren und Ungläubigen Ordnung und Verwaltung aufrechterhalten. Denn obwohl Gott wegen der Sünde der Menschen manchmal ein Land der Verwüstung preisgibt und es unfruchtbar macht, dass die Einwohner keine Nahrung mehr finden, so lässt er doch nie seinen Ratschluss außer Acht, dass die Erde bewohnt sein soll: derselbe ist unverletzlich. Bei alledem ist aber festzuhalten, was ich schon sagte: solange die Erde bewohnbar ist, hegt und pflegt Gott naturgemäß vor allem seine Verehrer. Er will Leute haben, die ihn anrufen. Und darin liegt für alle Frommen ein großer Trost: verachtet von der Welt, wenig und gering, verabscheut als der Auswurf der Welt, sind sie dennoch dem Herrn teuer. Er betrachtet sie als seine Söhne und lässt sie nie untergehen. – Die Wiederholung: „Ich bin der Herr“ bestärkt die Juden im reinen Glauben. Auch die Abergläubischen geben es zu, dass ein Gott sei; aber sie malen ihn nach ihrem Gutdünken. Man muss also Gott erkennen, wie er sich den Vätern geoffenbart und durch Mose geredet hat. Es handelt sich ja hier nicht bloß um das Wesen Gottes von Ewigkeit her, sondern um all die Pflichten, die wir ihm allein schulden und die wir keinem Geschöpf gegenüber haben.

V. 19. Ich habe nicht im Verborgenen geredet. Dies ist ein Hinweis auf die Lehre, die im Gesetz enthalten ist. Menschenverstand kann Gott nicht fassen. Aber was der Verstand des Fleisches nicht ergründet, das hat er reichlich in seinem Wort geoffenbart, uns zum Heil. Was uns fehlte, das reicht er im Worte dar, dass wir nichts mehr wünschen können. Ohne dieses Wort hätten wir keine Hoffnung. Wir müssten in unserem Nichts versinken. Gottes Einladung ist nicht vergeblich, auch wenn seine Hilfe verzieht. Denn was er verheißt, ist gewiss. Wie er uns in seinem Wort offen kundgetan hat, wo unsere Zuflucht, wo unsere Ruhe ist, so beweist er auch mit der Tat, dass die, welche sich auf sein Wort verließen, nicht umsonst gehofft haben. Darum welche Gottlosigkeit, zu sagen, aus dem Wort könne man nichts Gewisses entnehmen, und andere vom Lesen desselben abzuhalten! Die Papisten wissen ja freilich, dass vor diesem Wort ihre Irrtümer nicht bestehen können. Aber wir antworten darauf mit dem Psalm (119, 105): „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Wege.“ Wir antworten mit Jesaja und den andern Propheten: nichts Dunkles, nichts Trügerisches noch Zweideutiges hat der Herr uns überliefern lassen. Wir antworten auch mit Petrus (2. Petr. 1, 19): „Wir haben desto fester das prophetische Wort, und ihr tut wohl, dass ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche, und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen.“ Das gilt vom Gesetz und den Propheten. Was sollen wir da erst vom Evangelium sagen, in dem uns das hellste Licht geoffenbart ist? Müssen wir nicht mit Paulus sagen (2. Kor. 4, 3): „Ist nun unser Evangelium verdeckt, so ist es in denen, die verloren werden, verdeckt, welche der Fürst dieser Welt verblendet hat.“ Die blinden und blöden Menschen klagen sich also selbst an, wenn sie den Glanz des Wortes nicht aushalten zu können meinen. Wir aber wollen in allen Versuchungen und Dunkelheiten in diesem Himmelslicht festen Fuß fassen und behalten. Der Prophet scheint mit diesem Wort auch eine Anspielung auf jene Weissagungen machen zu wollen, die in Höhlen und von Dreifüßen aus gegeben wurden. Sie waren ungewiss und trügerisch. Bei Gottes Antworten ist es anders: Er redet offen. Bei ihm ist nichts trügerisch oder zweideutig. Aber die Erfahrung lehrt doch, dass die Schrift schwer zu verstehen und dunkel ist? Das ist wahr. Aber nicht sie ist daran schuld, sondern die Trägheit und Stumpfsinnigkeit der Menschen. Klagen doch auch die Blinden nicht die Sonne an, weil sie dieselbe nicht sehen können! Das ist indes gewiss: wer sich dem Herrn gelehrig und gehorsam hingibt, der vergeudet seine Mühe nicht. Denn Gott ist der treueste und beste Lehrer für kleine und demütige Leute. Wenn auch jetzt nicht alle die höchste Stufe erreichen, so werden doch die, welche Gott von Herzen suchen, in ihrer Erkenntnis nicht stille stehen. Die Menschen zu Gott führen, ist der Hauptzweck des Gesetzes, sagt Jesaja. Die Verbindung mit Gott ist auch in der Tat die Grundlage aller Glückseligkeit. Das heilige Band aber, das den Menschen mit Gott verknüpft, ist Glaube und ernste Frömmigkeit.

In der zweiten Vershälfte wird nicht allein darauf klar und offen hingewiesen, dass Gott ohne jede Zweideutigkeit geredet habe; es wird auch die Sicherheit und Beständigkeit seines Wortes hervorgehoben. Seine Verheißungen gibt er nicht, um zu trügen. Die Verhungerten hält er nicht mit seinen Worten zum Besten. Nein, mit der Tat beweist er seine Verheißungen. Wer Gottes Rufe nicht folgt, zeigt dadurch seine Undankbarkeit. Denn Gott hat keine andere Absicht als die, uns aller seiner Güter teilhaftig zu machen, die wir sonst entbehren müssten.

Der Herr, der von Gerechtigkeit redet. Dieser Ausdruck will besagen: ganz fleckenlos ist die Predigt, mit der er sich seine Erwählten gewinnt. Sie ist ganz rein und aufrichtig. Die Rede des Herrn, sagt David (Ps. 12, 7), ist lauter, wie durchläutert Silber im irdenen Tiegel, bewährt siebenmal. Wir haben also im Wort Gottes eine leuchtende Gerechtigkeit, die alle Finsternis vertreibt und zugleich unsere Herzen erhellt.

V. 20. Lass sich versammeln usw. Der Herr ruft alle Abergläubischen zum Gerichtstag. Sie sollen ihr Urteil empfangen. Er sagt ihnen, wie er es wiederholt getan hat: Ihr könnt nichts zuwege bringen, was nicht sofort dem Umsturz verfällt! Jetzt gefallen sie sich zwar in ihrem Aberglauben. Wenn es aber zur Verhandlung kommt, wird seine ganze Dürftigkeit an den Tag kommen. Ohne jede Mühe werden sie überführt werden. Mögen sie sich also haufenweise zusammenscharen und Ränke schmieden, mögen sie ihre Festungswerke mit Trug, Drohungen und Schrecken stützen: die Wahrheit pflanzt schließlich doch ihr Siegesbanner auf. Dieser Stärkung bedurften die Juden sehr, da sie überall sahen, wie die Heiden mit ihren gottlosen Irrlehren und ihren Verehrungsstätten den wahren Gottesdienst befleckten. Auch heute müssen wir unsere Zuflucht zu dieser Wehr nehmen, wenn wir auf unsere Schwachheit und kleine Zahl blicken. Doch die Wahrheit wird siegen, und alle Höhen müssen fallen, an denen jetzt die Augen staunend hängen.

Und tragen sich mit den Klötzen ihrer Götzen. Wie töricht sind doch die Götzendiener, die Bilder anbeten, die sie auf ihren Schultern tragen und auf ihren Prunkwagen herumfahren! Diese Bilder nehmen also einen hervorragenden Platz ein. Es war ein Lieblingsgeschäft des Teufels, Statuen auf Säulen und erhöhten Plätzen aufzustellen, um die Menschen zur Bewunderung hinzureißen und sie zur Anbetung zu bringen. Wir können aber auch einfach an den Götzendienst vor Bildern denken, der sich in sich selbst als eitel und töricht erweist. Die Leute wissen ja ganz gut, dass ihre Götzen sich viel mehr auf menschliche Arbeit und Hilfe stützen müssen, als sich die Menschen auf die Götzenbilder stützen können; ohne menschliches Wirken wären sie ja gar nicht vorhanden.

Das sagt auch der Versschluss: und flehen dem Gott, der nicht helfen kann. Gibt es etwas Törichteres, als Holz und Stein anzuflehen? Und doch suchen die Ungläubigen ihr Heil bei toten Bildern.

V. 21. Verkündiget usw. Hier ruft der Prophet noch einmal alle Widersacher auf, die durch ihren Spott den Glauben der Juden zu Fall bringen konnten. Er verliert ja nie den Ausblick auf seinen eigentlichen Zweck: den Glauben seines Volkes gegen allen Hohn der Völker zu schirmen. Unter den schweren Versuchungen hätten die Juden erlahmen müssen, hätte er sie nicht im Vertrauen zu dem wahren Gott und in seinem Dienst gestärkt. Er will also alle Gegner zusammenrufen und ihre Gründe und Beweise anhören: Ratschlagt miteinander. Wenn sie auch miteinander Ränke schmieden und beraten, es wird nichts nützen. All ihren glänzenden Schaustücken gegenüber weiß der Prophet Gottes Wort doch stark genug, den Glauben der Frommen zu stützen. Er fordert sie aber auf, in ernster Prüfung alles, was ihre Götzen vorausverkündigt hätten, mit dem zu vergleichen, was im Gesetz und in den Verheißungen enthalten ist. Ich teile gern die Ansicht derer, die den Propheten hier von der Befreiung des Volkes reden lassen. Aber weil zugleich der Sturz Babels damit verknüpft war, möchte ich auch das mit einbegreifen. Von alters her und vorlängst ist dasselbe. Diese Weissagung war ja lange vor ihrer Erfüllung ergangen. Daraus konnten die Gläubigen den Schluss ziehen, dass sie von Gott stammte. Zu der Fähigkeit des Vorherwissens Gottes fügt der Prophet noch wie früher die der machtvollen Erfüllung. Seine Macht bestätigt Gott aber zur Bewahrung seines Volkes.

Bisher hat der Prophet die Juden allein angeredet, als gälte ihnen allein das Heil. Jetzt (V. 22) zieht er den Kreis weiter: Wendet euch zu mir, aller Welt Enden. Dem ganzen Weltkreis bietet Gott die Heilshoffnung an. Zugleich zeiht er alle Völker der Undankbarkeit, die, in ihrem Wahn befangen, sich alle Mühe geben, das Licht zu meiden. Kann man eine größere Torheit begehen als die, sein Heil zu verachten? Alle sollen auf den Herrn schauen. Und alsbald folgt dem Gebot die Verheißung, die mehr lockt als jenes allein. Wir haben hier also ein herrliches Zeugnis für die Berufung der Heiden. Die Mauer, die Juden und Heiden trennt, ist gefallen, und alle ohne Unterschied sind von dem Herrn geladen. Übrigens lernen wir hier auch, worin die rechte Art, das Heil zu erlangen, besteht, nämlich im Aufschauen zu Gott und in der Hinkehr zu ihm von ganzem Herzen. Das Glaubensauge aber ist es, mit dem wir sehen müssen, auf dass wir das in Christo aller Welt angebotene Heil ergreifen können; denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren gehen. Wenn der Herr aber aller Welt Enden aufruft, so zeigt er damit, dass bisher alle Sterblichen ihr Dasein ohne wahre Gottesfurcht gefristet haben. Denn wo Unglaube herrscht, da kann Gottesfurcht, die einen Unterschied zwischen Gott und eitlen Bildern macht, nicht bestehen. Kurz, die Ursache ihres Verderbens ist nichts anderes, als dass die Menschen in ihren schlimmen Wahngebilden herumtummeln und so von dem wahren Gott abweichen, aus dessen Erkenntnis allein gewisses, ewiges Heil fließt. Der Herr reckt also seine Hand aus, um alle zu fassen und ihnen den Weg zum Heil zu zeigen. Daraus folgt, dass das Evangelium nicht aufs Geratewohl allen Völkern gepredigt wurde, sondern nach dem Ratschluss Gottes, der es einst so bestimmt hatte. Gleichwohl klagt er, wie wir oben sehen, über die Unreinigkeit der Heiden, dass sie ihre Sinne bald dahin bald dorthin schweifen lassen, wohin nur ihre Lust sie zieht. Denn wenn sie auch von Natur nicht zu Gott kommen konnten, da sie mit der Muttermilch schon den Aberglauben eingesogen hatten, der sie geblendet, so konnte Gott ihnen doch gottlose Verachtung seiner Gnade zum Vorwurf machen. Mit Unwissenheit ist ja immer Heuchelei verknüpft, indem die Menschen lieber in eitlem Selbstbetrug schwelgen, als graden Wegs zu Gott gehen.

V. 23. Ich schwöre bei mir selbst. Damit wird das letzte Wort gar deutlich bekräftigt. Diese Aufforderung war zu ungewohnt und ungeheuerlich für ein jüdisches Ohr, und darum musste sie eidlich versiegelt werden. Die Juden hielten sich allein für das erwählte Volk. Aber dieser Eid macht allem Streit ein Ende. Bei der Wiederaufrichtung der Gemeinde wird die Ehre Gottes so klar zu Tage treten, dass sie die ganze Welt vom Osten bis zum Wesen zu seiner Bewunderung fortreißt, oder, um es kurz zu sagen: die Erscheinung der göttlichen Macht wird so herrlich und prächtig sein, dass alle Völker Furcht erfüllen wird. Indes liest man mit Recht aus diesen Worten, dass die Heiden neben die Juden gestellt werden müssen, damit Gott der Vater aller sei und er überall verehrt werde. Gott schwört aber bei sich selbst, weil er keinen anderen geeigneten Zeugen für seine Wahrhaftigkeit zu finden vermag. Er ist ja allein die Wahrheit. Die Menschen, heißt es (Hebr. 6, 16), schwören bei einem Größeren, denn sie sind. Gott aber, da er bei keinem Größeren zu schwören hatte, schwur bei sich selbst. Und warum schwört er? Um der Schwachheit der Seinen aufzuhelfen, damit sie nicht vom Zweifel verzehrt würden. Wunderbare Milde! Um unser Misstrauen zu heilen, gibt Gott seinen Namen als Pfand! Demgegenüber erscheint unser Unglaube, der nicht einmal mit einem Eid zufrieden ist, noch schändlicher und verabscheuungswürdiger. Wenn Gott ferner alle Wahrheit und ihre Bekräftigung in sich legt, so muss man sorgfältig darauf achten, dass man nicht in den Eid, den man bei seinem Namen ablegt, andere Namen von Göttern und Kreaturen hineinmengt. Man muss seinem Namen die schuldige Ehrfurcht beweisen und seine Ehre rein und unangetastet lassen.

Ein Wort der Gerechtigkeit geht aus meinem Munde. Das heißt: was Gottes Propheten auf sein Geheiß ausgesprochen haben, das ist und bleibt wahr. Es ist nicht unbedacht oder unüberlegt aus seinem Munde geflossen. „Gerechtigkeit“ wird häufig in der Schrift gesagt, wo es sich um ein wahrhaftiges Wort handelt, das allen Glauben verdient. Darum heißt es auch: da soll es beibleiben oder wörtlich: und es, d. h. das Wort, soll nicht zurückkommen. Zurückkommt einer, wenn er durch irgendeine Schwierigkeit gehemmt wird, vorzudringen. Weil aber nichts dem Herrn den Weg versperren kann, seinen Ratschluss auszuführen, so sagt der Prophet mit Recht: nichts kann den Lauf dieses Wortes hindern noch verzögern. Das Wort: Mir sollen sich alle Knie beugen sieht alle Heiden vor Gott anbeten, weil die wundersame Befreiung seiner Gemeinde alle mit Furcht erfüllt hat. Daraus folgt aber auch, dass sein Name zu allen Heiden gebracht werden muss. Man kann doch seine Knie nicht vor Gott beugen, wenn man ihn gar nicht kennt. Die Menschen können zwar auch einem unbekannten Gott dienen. Aber das ist Lug und Trug. Hier ist dagegen die Rede von dem wahrhaften Bekennen, das durch die Kenntnis Gottes, die tief im Herzen wurzelt, geweckt wird. Denn wo kein Glaube herrscht, da kann auch kein Gottesdienst sein. Der Glaube ist aber nichts Ungewisses und Dunkles. – Übrigens wollen wir dem Hinweis auf die Kniebeugung entnehmen, dass Gott auch äußere Verehrung fordert: es wird damit das Zeichen statt der Sache selbst genannt. Denn der Prophet denkt das äußere Bekenntnis der Frömmigkeit untrennbar mit der innerlichen Stimmung des Herzens zusammen. Es ist also ein eitles Vorgeben, wenn die Schwärmer behaupten, sie beteten Gott an und dienten ihm, während sie sich vor den Götzen in den Staub legen. Ein eitles Vorgeben ist es, sage ich, dass sie ihren Geist zu Gott erheben. Denn innerlicher Gottesdienst ist nicht zu trennen vom äußerlichen Bekennen. Man kann nicht die Seele Gott weihen und zu gleicher Zeit den Leib dem Teufel. Beide müssen Gott ehren. Der Dienst der Seele und des Leibes Bekennen müssen eins sein. Denn mit dem Herzen glaubt man zur Gerechtigkeit, und des Mundes Bekenntnis gereicht zum Heil (vgl. Röm. 10, 10). Darum sagt auch der Herr, wenn er die Frömmigkeit und Lauterkeit der Seinen anerkennt, sie hätten ihre Knie nicht gebeugt vor Baal (1. Kön. 19, 18). Paulus (Röm. 14, 11) wendet unsere Jesajastelle auf das Endgericht an, während doch hier von der Erlösung des Volkes, der Ausbreitung des Evangeliums und der Gründung des Reiches Christi die Rede ist. Aber er setzt als sicher voraus, was ja auch niemand bestreiten sollte: was mit Christi Reich im Zusammenhang steht, ist an keinen bestimmten Zeitabschnitt gebunden, sondern währt, solange dies Reich besteht, bis die Zeit der höchsten Vollendung angebrochen sein wird. Die Knie beugt man vor Christo, wenn man seiner Lehre gehorcht und der Predigt des Evangeliums Gehör schenkt. Aber viele widerstreben noch und verachten sie. Am meisten müht sich der Teufel ab und führt beständig Krieg. Wir sind also noch ferne von der Zeit der Erfüllung der Weissagung. Wahrhaft werden sich erst dann alle Knie vor Christo beugen, wenn die Feinde besiegt und ihre Festungen von Grund aus zerstört sind, und er allen triumphierend seine Hoheit zeigt, die jetzt noch vom Teufel und seinen Kindern angefochten wird. Daher lehrt Paulus: wenn Christus den Richterstuhl besteigt, den Weltkreis zu richten, dann wird erfüllt, was mit der Predigt des Evangeliums begonnen ist und was wir täglich im Werden sehen. – Dass dem Herrn alle Zungen schwören sollen, ist ein Ausdruck für seine Verehrung überhaupt. Denn das Schwören bei ihm ist ein Stück der Ehre, die Gott gebührt. Wir erkennen und bekennen damit, dass er der Vater und Beschützer der Wahrheit, der rechte Richter ist und alles klar und offen vor ihm liegt. Wenn man nun diese Ehre den Götzen erweist, so verletzt man damit die Hoheit Gottes.

V. 24. Und sagen: Im Herrn habe ich usw. Der wahre Glaube und der wahre Gottesdienst bestehen nicht allein darin, das Dasein Gottes zu erkennen und zu begreifen, sondern auch darin, seine Gesinnung gegen uns zu empfinden. Denn wer mit der bloßen Kenntnis zufrieden ist, irrt weit ab von dem Glauben, der uns so mit Gott verbinden muss, dass wir ihn in uns empfinden. So soll Christus, wie Paulus sagt (Eph. 3, 17), in den Herzen der Frommen durch den Glauben wohnen. Denn wer denkt, Gott sitze ruhig droben im Himmel, wird sich nicht wahrhaft vor ihm beugen noch ihn mit Ernst erkennen.

Weil Gerechtigkeit und Stärke die beiden Hauptstücke unsres Heils sind – die Gläubigen bekennen, beides von Gott zu empfangen – loben sie den Herrn wegen dieser Grundpfeiler eines seligen Lebens. Mit der Anerkennung seiner Gnade gestehen sie aber auch zu, dass es ihnen selbst daran fehle. Sie haben weder Gerechtigkeit noch Stärke aus sich selbst; sie suchen sie allein in Gott, um ihm sein Reicht nicht zu rauben.

Solche werden auch zu ihm kommen. Damit sind die Gläubigen gemeint, die sich Gott unterwerfen. Zwischen ihnen und den Widerspenstigen, die sich in ihrer Hartnäckigkeit auch weiterhin gegen Gott auflehnen, besteht also eine Kluft. Wer somit seine Gerechtigkeit in Gott sucht, der kommt zu ihm. Der Zugang zu Gott steht im Glauben offen, so dass jeder seine Gegenwart spürt, der seine Gerechtigkeit in ihm beschlossen weiß. Und sicherlich kommt nur der gerne zu ihm, welcher mit Gott versöhnt ist. Wem aber seine Hoheit furchtbar ist, der flieht so weit, als möglich. Der Mensch, der zuvor in seiner Gottlosigkeit vor Gott floh, hält sich an ihn: dass ist also nach dem Zeugnis des Propheten die herrliche Frucht der Gnade. Damit stimmt auch das Wort des 65. Psalms überein: „Du erhörest Gebet, darum kommt alles Fleisch zu dir.“

Nachdem davon die Rede gewesen war, dass Gott die Zerstreuten sammeln wolle, um sie für sein Haus zu gewinnen, kündet er den Verächtern seine Rache an, die ohne Gott dahinleben, ihn verspotten und in den Lüsten der Welt dahintreiben. Denn wie wir allein im Glauben Gott gehorchen, so sagt Jesaja von ihnen, allein ihr Unglaube rufe Gottes Zorn herab. Obwohl sie jetzt noch triumphieren, müssen sie doch zu Schanden werden.

V. 25. Im Herrn wird gerecht aller Same Israels. Jetzt begegnet der Prophet kurz einem Vorwurf, der erhoben werden konnte. Es mochte ungeheuerlich scheinen, dass die Heiden, die doch immer ferne standen, von dem Herrn berufen würden. Hätte der Herr den Samen Abrahams umsonst erwählt? oder ist seine Verheißung nichtig, die er so oft wiederholt hat? Diesen Zweifeln gegenüber sagt er: der Herr werde trotzdem zu seinen Verheißungen stehen; obwohl er die Heiden erwähle, werde der mit den Vätern geschlossene Bund nicht hinfallen, weil er seinem auserwählten Volk den Vortritt lassen werde. Hier ist ja nicht die Rede von der Verwerfung des Volkes, sondern der Prophet will einfach auf die Gnade Gottes hinweisen, die sich über die ganze Welt erstreckt, aber bei den Juden ihren Anfang nahm. Wenn Gott die größte Hälfte enterbt, so macht er doch seinen Bund nicht zunichte. Denn das wahre, echte Israel hat immer die Kindschaft behalten, und trotz ihrer geringen Zahl waren sie doch die Erstlinge in der Gemeinde. Wer fernerhin aus den Heidenvölkern in jenen Leib hineinverpflanzt wurde, wurde auch zu Abrahams Samen gerechnet, wie wir schon hörten (44, 5): „jener wird genannt werden mit dem Namen Jakob“ -, obwohl er ihn nicht von Geburt an trug. Der Prophet erwähnt dies ausdrücklich, um den Juden den Glauben zu nehmen, des Herrn Bund sei hinfällig; auch will er es ihnen austreiben, sich ihrer Abstammung zu rühmen und die Heiden zu verachten. Wenn von „allem Samen Israels“ die Rede ist, so erstreckt sich dieser Ausdruck über das Geschlecht Abrahams hinaus. Der Herr sammelt sein Volk nicht bloß aus den Juden, sondern auch aus den Heiden. So ist hier ganz allgemein vom gesamten Menschengeschlecht die Rede. Beachtenswert ist auch, was der Prophet davon sagt, dass wir im Herrn gerecht werden und uns seiner rühmen. Denn nirgends anders ist Gerechtigkeit und Ruhm zu finden. Der letztere wird mit der ersteren verbunden, weil er von der Gerechtigkeit abhängt und in ihrem Gefolge ist. Darum sagt auch Paulus (Röm. 3, 27): „Wo bleibt nun der Ruhm? Er ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch der Werke Gesetz? Nicht also, sondern durch des Glaubens Gesetz.“ Und abermals (Röm. 4, 2): „Ist Abraham durch die Werke gerecht, so hat er wohl Ruhm, aber nicht vor Gott.“ Also haben die allein ein Recht, sich zu rühmen, die in Gott ihre Gerechtigkeit suchen und in sich kein Fünklein finden können, dessen sie sich zu rühmen vermöchten.

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