Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 43.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 43.

V. 1. Und nun spricht der Herr usw. Es herrscht Streit darüber, ob diese Predigt eine Fortsetzung der vorigen sei, oder nicht; die Propheten pflegten ihre Reden nicht in Kapitel abzuteilen. Die größere Wahrscheinlichkeit spricht allerdings für die Verbindung mit dem Früheren. Der Prophet, der bisher so harte Reden gegen die Juden insgemein geschleudert hat, hält nun um der Frommen willen zurück. So sehr darf nimmermehr die Gottlosigkeit das Feld behalten, dass Gott nicht inzwischen die Seinigen bewahren und für ihre Rettung sorgen sollte. Und wäre sein Zorn noch so heftig entbrannt, und hätte sich alle Welt zu unserem Untergang verschworen, sind auch nur zwei oder drei Fromme übrig, so brauchen wir nimmer zu verzweifeln; fürchte dich nicht, spricht Gott! – „Und nun!“ Die Zeiten gegenwärtiger und künftiger Drangsal fasst hier Jesaja zusammen: ja, wo alles in grausamer Zerstörung am Boden liegt, will Gott nicht ablassen, die Seinigen zu trösten, ihre Schmerzen zu lindern, und ihnen Ursache getroster Hoffnung zu geben. Darauf zielen auch die Worte: der dich geschaffen und gemacht hat. Gott redet hier nicht von der Schöpfung im Allgemeinen, durch die wir gleich anderen Kreaturen sterblich geboren sind, sondern von der Wiedergeburt zur Hoffnung des ewigen Lebens, durch die wir neue Kreaturen heißen. In diesem Sinne nennt uns auch Paulus (Eph. 2, 10) das Werk Gottes. Der Herr hat seine Kirche, den Abglanz seiner Herrlichkeit, nicht geschaffen, um sie wieder zu zerstören. Werk Gottes! Ja, was wir haben, was uns hochhebt vor anderen, das stammt nicht aus uns selbst, sondern ist ein Geschenk seiner Güte.

Denn ich habe dich erlöst. Das bezieht sich wiederum auf Vergangenes und Künftiges. Denn die erste Erlösung aus Ägypten ist der Grund der Hoffnung für die nachfolgende aus der babylonischen Gefangenschaft. Und ob letztere auch noch bevorsteht, so kann Gott doch sagen: Ich habe dich erlöst; denn die Erlösung hat bereits stattgefunden in seinem Rat, ehe sie sich an uns verwirklicht. – Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Bei Namen rufen heißt hier in das Verhältnis der Freundschaft und Verwandtschaft aufnehmen: Gott nimmt uns zu seinen Kindern an. Und während er die Gottlosen verwirft, und die Schrift es bezeugt, dass sie von ihm nicht erkannt werden (Mt. 7, 23; 25, 41), so würdigt er uns der besonderen Ehre vor anderen, dass er uns aus Fremdlingen zu seinen Hausgenossen macht, uns Schutz und Hilfe zusagt und uns und alles das Unsere mit gnädiger Hand regiert. – Du bist mein – ja, alle Gotteskindern dürfen es wissen, dass eine Gemeinschaft der Gläubigen übrig bleiben soll im auserwählten Volk, denn Gott lässt sich sein Eigentum nicht aus der Hand reißen, sondern bewahrt es in seinem Besitz als kostbares Erbe.

V. 2. Denn so du durchs Wasser gehst, will ich bei dir sein usw. Wer Gott vertraut, für den gibt es nichts, was ihn zu Boden drücken könnte in seinem Ungemach. Und davon spricht Jesaja hier ausführlicher, als vorher; es liegt ihm daran, die Tapferkeit im Dulden zu beleben; weiß er doch, dass Gott seine Kirche nicht zu träger Muße erlöst, sondern zur Bereitschaft, jegliches Übel zu tragen. Feuer und Wasser – wie mannigfach und verschieden das Elend, mit dem wir hier auf Erden zu ringen haben! Bald geht es durch Feuer, bald durch Wasser. So mahnt auch Jakobus (1, 2), nicht träge zu werden in mancherlei Anfechtungen; ja, vielfältiger Prüfung bedarf unser Glaube und leicht geschieht es, dass wir hier Sieger bleiben, aber dort zu Boden sinken. Doch endlich werden wir befreit, dass uns die Woge wohl umbraust, aber nicht fortreißt, das Feuer wohl brennt, aber nicht umbringt. Und ob wir gleich die Empfindung des Schmerzes mit andern teilen, so hält die Gnade Gottes uns doch aufrecht und der Geist der Geduld stützt uns, dass wir nicht nachlassen, bis uns die ausgereckte Hand wieder aufwärts zieht.

V. 3. Denn ich bin der Herr, dein Gott. Die früher erfahrene Hilfe Gottes soll die Zuversicht stärken, dass wir sicher in seiner Gnade ruhen. Und die Worte: „Ich bin der Herr, dein Gott!“ – klingen zusammen mit den Worten des ersten Verses: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst!“ Denn weil der Herr unser Gott ist, darum ist er auch mit uns und wir dürfen die Fürsorge unseres Erhalters schmecken und fühlen. Dass wir nur auch anstelle des rechten Israel treten möchten, das sich nicht nur mit diesem Titel schmückt, sondern die wahren Erweise der Gottseligkeit auf Schritt und Tritt sehen lässt! Der Gottlosen Teil ist Angst und Zittern; und ihr gelegentlicher Übermut gegen Gott, ihre stolze Sicherheit ist nichts, als ein trunkener Wahn, der sich umso mehr kopfüber in den Abgrund stürzt. Den Heiligen in Israel nennt Gott sich im Hinblick darauf, dass er aus der Schar der Völker, die von Natur ihm fremd gegenüberstehen, ein Volk sich zum Eigentum erwählt hat; immerhin würde das nicht viel zu bedeuten haben, wenn Gott nicht durch die Kraft seines Geistes seine Auserwählten heiligte. Im Übrigen bleibt seine Bundestreue trotz aller Befleckung des Volkes fest bestehen. So muss uns auch heute noch, wenn wir der Liebe Gottes gewiss sein wollen, das innere Zeugnis, dass wir seine Kinder sind, als feste Bürgschaft zur Seite gehen; ja, das lasst uns mit allem Eifer von ihm erflehen!

Ich habe Ägypten für dich als Lösegeld gegeben, Mohren und Seba an deiner statt. Der Prophet will sagen: Ihr habt Gottes Fürsorge damals erfahren, als Sanherib seine Heere gegen Ägypten und Äthiopien wendete; da wollte der Herr euch schonen und lenkte den Angriff eures Widersachers von euch ab. Hat er nun also für euch gesorgt, solltet ihr in Zukunft selber sorgen müssen? So wollen denn auch wir, wenn der Zweifel an Gott und seinen Zusagen uns beschleicht, seine vormalige Wohltat bedenken, denn es ist das Zeichen eines undankbaren Herzens, wenn man, von Gott mit Freundlichkeit überschüttet, dennoch an ihm irre werden wollte. Aber wie kann Gott Ägypten und Äthiopien als Lösegeld für Israel bezeichnen? Sind denn die Menschen von dieser Welt ebenso viel wert wie die Kinder Gottes? Der Prophet nimmt eine allgemein übliche Redeweise an, um auszudrücken: die Ägypter, Äthiopier und Sabäer mussten anstelle des jüdischen Volkes das Unheil, das diesem drohte, über sich ergehen lassen. Sehen wir nicht heute noch dieselbe Fürsorge Gottes für uns? Die Tyrannen, die sich anschicken uns zu verschlingen, müssen hintereinander geraten, und der uns zugedachte Grimm bricht sich nach anderer Seite hin Bahn. Das fügt der Herr, um uns zu erhalten: er gibt andere als Lösegeld für uns. Denn er achtet seine Heiligen höher als alle Welt, und sind wir auch für uns selbst betrachtet keines Lobes wert, dessen wollen und dürfen wir uns rühmen, dass Gott uns so hoch schätzt, uns den Vorzug gibt vor der Welt, aus unseren Gefahren uns herausreißt und mitten im Tode erhält. Wären wir es gewesen, die alles so gefügt und eingerichtet, dann wir seine Gnade nicht erkennen; dürfen wir aber auch in hoffnungsloser Lage, wo tausendfältig der Tod uns droht, es schauen, dass unsere Tyrannen rückwärtsgehen oder nach anderer Seite hin abgelenkt werden, so erfahren wir die Wahrheit der Worte des Propheten, die überschwängliche Freundlichkeit Gottes gegen uns.

V. 4. Weil du so wert bist in meinen Augen geachtet usw. Hier schließt der Prophet besonders nachdrücklich Verdienst und Würdigkeit des Volkes aus: Grund aller Errettung und Wohltat ist Gottes freie Liebe; um ihretwillen allein haben wir einen Vorzug, keines Haares wert würden wir sonst vor ihm geachtet sein. Hinweg also mit allem Aberglauben von eigenem Verdienst! Geben wir ihm die Ehre, dessen Liebe so hoch gegen uns entbrennt, dass sie uns wertvoll und köstlich nennt, ja als Freunde und Erstgeborene anredet! – Darum gebe ich Menschen an deiner statt. Ja, da ist kein Mensch, den Gott nicht preisgeben würde, um die Seinigen zu erhalten. Denn die Seele auch nur eines Frommen ist mehr wert, als diese ganze Welt.

V. 5. So fürchte dich nun nicht. Die Wiederholung derselben Ermahnung (vgl. V. 1) darf uns nicht wundernehmen. Wir wissen nur zu gut, wie sehr unsere Natur zum Misstrauen neigt! Fangen wir aber erst an, die Zusagen Gottes in Zweifel zu ziehen, dann geraten wir ins Schwanken, fürchten die Größe der mancherlei Gefahren, die uns drohen, und das Ende ist die Stumpfheit, die keine Empfindung von Gottes Gnade mehr hat. Zu diesem Äußersten will es Jesaja nicht kommen lassen, darum schärft er im Namen Gottes immer wieder ein: Ich bin mit dir. Die Furcht soll aufgehoben oder wenigstens gemindert werden, die, solange sie herrscht, keine Gesundung des Herzens zulässt. Wir mögen daraus lernen, dass unsere Sicherheit nirgends anders als in Gottes Gegenwart gegründet ist. Ist er uns fern, dann sind wir der Furcht, der Erstarrung, dem jähen Absturz ausgesetzt. Und doch ist es nicht sein Wille, dass wir träger Stumpfheit uns ergeben; dem fröhlich hurtigen Glauben reicht er die Krone, der darf mitten in den Ängsten seiner Gegenwart und seines Beistandes sich freuen.

Ich will vom Morgen deinen Samen bringen. Hier übernimmt der Prophet die schon von Mose ausgesprochene Weissagung (5. Mose 30, 3 f.): „So wird der Herr, dein Gott, dein Gefängnis wenden und sich deiner erbarmen und wird dich wieder versammeln aus allen Völkern, dahin dich der Herr, dein Gott verstreut hat. Wenn du bis an der Himmel Ende verstoßen wärest, so wird dich doch der Herr, dein Gott, von dannen sammeln und dich von dannen holen.“ Diese von Mose ganz im Allgemeinen gesprochenen Worte bestätigt Jesaja hier im Besonderen für seine Zeit. – Scheint es auch unmöglich, das in alle Welt wie Aschenstaub hinausgewirbelte Volk zu sammeln, Gottes wunderbare Kraft wird es versehen; ja sie wird es fügen, dass die zerrissenen Glieder wieder zu einem Leib zusammenwachsen.

V. 6. Und will sagen gegen Mitternacht: Gib her! usw. Die vier Richtungen Nord, Süd, Ost und West bezeichnen zusammenfassend den ganzen Kreis der Erde. Jesaja redet erhabener als Mose. Um dem Volk das, was er zu sagen hat, recht eindrücklich vor die Augen zu führen, braucht er kräftige, anschauliche Bilder: Gott den Herrn malt er vor die Augen, der sein hohes Gebot an alle Kreaturen und alle Gegenden der Welt ausgehen lässt, sein Volk frei zu geben. – Bringe meine Söhne her. Das wahre Israel ist hier gemeint; denn „es sind nicht alle Israeliten, die von Abraham stammen“ (Röm. 9, 6). Und schon im 10. Kapitel hatte Jesaja von dem heiligen Rest gesprochen, der gerettet werden sollte. Nur wenige im Vergleich mit der ungeheuren Menge des Volkes, das in die Gefangenschaft ging, kehrten aus ihr zurück, der heilige Same, den Gott nicht dem Untergang preisgeben wollte, bei welchem der mit den Vätern geschlossene Bund wirkliche Gültigkeit erlangte. Wie unglaublich musste dies alles den Juden vorkommen, die von aller Welt gehasst, verflucht, kaum noch als Menschen galten! So sollten denn Gottes Zusagen der alleinige Grund ihres Hoffens sein. Wohl wussten sie, dass Kyrus kommen werde, aber wer und was für ein Mensch er sein würde, konnten sie nicht ergründen, da er noch nicht geboren war. So mussten sie sich mit starkem Glauben wappnen, um in einer Zeit, da diese Weissagungen vielfach als Fabeln galten, fest darauf zu bauen, dass Gott sie schützen und zu seiner Zeit sein Wort wahr machen werde.

V. 7. Alle, die mit meinem Namen genannt sind. Anderwärts (63, 19) heißt es, dass Gottes Name über den Seinen genannt ward. Der Prophet fährt fort, von der Sammlung des Volkes, der Zurückführung der in alle Welt Zerstreuten zu reden; das hat nichts mit dem natürlichen Verlauf der Dinge zu schaffen, sondern kommt durch Gottes Allmacht zustande. Gottes Name ist hier so viel wie seine leitende, herrschende Stellung, denn nicht durch Menschenmacht und Hilfe konnte die Befreiung der Juden geschehen; Gottes Name, seine Führung und Stärke sollten offenbar werden in diesem Werk, auf dass man es verlernen möchte, auf Fleisch und Blut und natürliche Mittel zu bauen. – In meiner Herrlichkeit. Die Herrlichkeit Gottes erheischt es, dass er sein Volk unversehrt bewahrt. Ebenso wenig, als er seinen Namen der Schande preisgeben kann, kann er die Sorge um die Seinigen versäumen. Und so wiederholt er, um Glauben und Zuversicht des Volkes zu stärken, die Zusage: Was ich angefangen, das will ich auch vollenden, und wie ich Israel geschaffen und zubereitet habe, so will ich es auch erneuern und zur vormaligen Freiheit führen; wie sollte ich es über mich bringen, mein herrlich Werk zu lassen!

V. 8. Ausführen will ich das blinde Volk, welches Augen hat, und die Tauben, die Ohren haben. Die sehr knappe Ausdrucksweise erschwert die Auffindung des rechten Sinnes. Einige übersetzen: Ich will sowohl Blinde, wie Sehende herausführen; andere reden von der Blindheit, die zwar Augen hat, aber zu stumpf ist, um die Geheimnisse der göttlichen Weisheit zu erkennen. Am wahrscheinlichsten aber ist die Deutung: Also will ich die Blinden ausführen, dass sie durch mich das Gesicht wiederfinden; also die Tauben befreien, dass sie wieder hören lernen. Und beides ist auseinander zu halten: zunächst wird das Volk befreit, dann werden seine Augen und Ohren wieder geöffnet. Und das hat der Herr wirklich getan, als er sein Volk aus Babylon führte; aber der Prophet schaut noch weiter auf das Reich Christi. Denn damals wurden nicht nur aus Chaldäa, sondern aus aller Welt die Frommen gesammelt, und das hat sich auf herrliche Weise bei der Predigt des Petrus gezeigt, wo ein großes Volk aus aller Welt Enden sich in einem Bekenntnis des Glaubens zusammen fand. Aber auch die allerferntesten Völker fügten sich zu einem Leibe, zu einer Kindschaft Abrahams in Christo, der uns aus der Knechtschaft Satans zu seiner Freiheit führt (Joh. 8, 36), der uns, die wir blind und taub sind von Natur, Augen und Ohren wieder gibt. Denn, wie schon oben bemerkt, hängt mit der Rückkehr des Volkes die Erneuerung der Kirche durch Christum eng zusammen. Was Gott damals anfing, als er Israel aus Babylon führte, hat er erst in Christo vollendet. So dürfen wir die Gnadentaten, die hier erwähnt werden, nicht auf eine geringe Zeit beschränken.

V. 9. Lasst alle Heiden zusammenkommen usw. Hier gießt der Herr Hohn und Spott aus über alle Götzen. Und wie not tat es damals insbesondere, den wahren Gott von den falschen zu unterscheiden! Den jenen gemachten Göttern gab man auf Seiten der Ungläubigen Beifall, als hätten sie, da Israel im Kampf unterlegen, den wahren Gott besiegt. So stärkt der Prophet die Gläubigen, dass sie auf den Spott ihrer Feinde Rede und Antwort geben können; und kämen sie auch in hellen Haufen, um ihre Torheit zu stützen, das kleine Häuflein soll fest stehen. Wie der Prophet schon früher durch den Hinweis auf Gottes Vorauswissen und Allmacht alle anderen Götter der Nichtigkeit überführt hatte, so wiederholt er dies hier aufs neue, weniger aber, um die Heiden ihres Irrtums willen zu strafen, als um die Juden in ihrem Glauben zu kräftigen: verabscheuen sollen sie allen götzendienerischen Wahn, wenn auch den Heiden alles und jedes nach Wunsch ginge. Und nachdem Jesaja es so als ausgemacht hingestellt, dass aller Götzendienst verlorene Mühe ist, so fügt er nun hinzu, dass auch keinerlei Zeugen für das Vorhandensein einer von den Götzen stammenden Weissagung zu finden seien. Zwar sind ja zu jeder Zeit viele Fabeln über die Götzen verbreitet worden, wie wir es ja noch heutzutage sehen; aber kommt es zur Prüfung, so wird man kein zuverlässiges Zeugnis finden, sondern eitel Possen und ungereimte Mährlein. Gott allein gebührt der Ruhm, dass er Zeugen hat. Umso siegesgewisser erhebt er sich und gebietet den Überwundenen Schweigen. Und wenn er auffordert, dass man ihn höre, so zeigt er damit an, dass die Menschen nur darum seine Wahrheit nicht erkennen, weil sie voreingenommen sind und nicht den guten Willen haben, ihn zu hören. Ist er doch jederzeit bereit, Lehrer zu sein; nur unser Hochmut ist es, der uns nicht zu ihm kommen lässt. So hat denn die Verschmähung Gottes und seiner Lehre keine Entschuldigung; und wer nur immer mit aufmerksamen Sinnen in seine Schule gehen will, der wird leicht erkennen, dass seine Wahrheit nicht auf dem Grunde schwankender und haltloser Meinung, sondern sicherer und gewisser Einsicht ruht.

V. 10. Ihr aber seid meine Zeugen usw. Nachdem Gott die Heiden und ihre Lügengötzen zunichte gemacht, stellt er seine Zeugen auf und rühmt ihre Wahrhaftigkeit; denn den Juden war hinreichend göttliche Belehrung und Weissagung zu völliger gewisser Sicherheit des Glaubens widerfahren. Und durch die Worte unseres Verses klingt der leise Vorwurf gegen die hindurch, die nicht mit lauter Stimme verkünden, was etwa in ihnen ist, was der Ehre Gottes zu dienen vermag. Wer da schweigt, wo es sich um den Ausweis der wahren Religion handelt, der übt Verrat an der heiligen Sache. Unter dem Knecht Gottes ist nicht Jesaja für sich, sondern die Gesamtheit der Propheten zu verstehen, die Gott vor anderen seine Knechte nennt und zur Bekräftigung seiner Wahrheit ausersehen hat. Doch die Einzahl „Knecht“ weist darauf hin, dass Jesaja vorzüglich an Christum denkt, in dem alle Weissagung beschlossen ist. Ist er nicht der höchste Zeuge, der am gewaltigsten Menschenherzen überwindet? Dabei bleibt aber doch bestehen, dass, wie gesagt, auch die Juden als Zeugen sich mitgetroffen und um ihrer Trägheit und ihres Undanks willen sich beschämt fühlen sollen. Endlich aber gehen die Worte des Propheten auch die von Gott erwählte Gemeinde an, die den Beruf hat, der Wahrheit Zeugnis zu geben, nicht als ob Gott dessen bedürfte, sondern damit die Menschen einen festen Grund hätten, der nicht wankt. In dieser Gemeinde stehen als Knechte Gottes die Lehrer und Diener am Wort an erster Stelle; aber auch den Gläubigen ist es aufgegeben, die Erkenntnis Gottes nicht bei sich zu verbergen, sondern sie frei und offen zu bekennen.

Auf dass ihr wisst und mir glaubt und versteht. Diese Wortfolge zeigt, dass der Glaube dem Bekennen vorausgehen muss. Ist ein Bekenntnis nur Lippenwerk, geht es nicht aus dem Herzen hervor, so ist es nichts nutz und eitel; dergleichen verlangt Gott weder, noch billigt er es. Ferner ist zu beachten, dass der Prophet Wissen und Glauben auseinander hält. Wodurch unterscheidet sich denn das „Verstehen“ oder die Einsicht, die so zu sagen dem Glauben nachfolgt, von diesem „Wissen“? Gott arbeitet schon dadurch, dass sein Wort uns Ehrfurcht abgewinnt, unserem Glauben vor. Denn das Erste muss doch die Demut sein, durch die wir Herz und Sinn Gott gefangen geben; dazu fügt dann Gott weiterhin, damit wir die uns gebotene Wahrheit umso gewisser uns zueignen, die Bestätigung durch die Erfahrung. So berichtet ja Johannes, er und Petrus seien zum Glauben an die Schrift gekommen, nachdem sie im geöffneten Grabe die Anzeichen dafür, dass der Herr auferstanden war, erblickt hätten (Joh. 20, 8), und an anderer Stelle spricht derselbe Evangelist von Menschen, die an Christus glaubten, weil sie das erfüllt sahen, was sie aus seinem Munde gehört (2, 23). Und so sollten auch hier die Juden durch die Bestätigung, die ihr Glaube im Leben und in der Wirklichkeit erfuhr, es innewerden, dass sie den wahrhaftigen Gott verehrten. So unterscheidet sich auch der rechte Glaube von jener Leichtgläubigkeit, die wie von ungefähr den Menschen hinreißt: im Gegensatz dazu schenkt Gott seinen Auserwählten Wissen und Urteil genug, um Wahres und Falsches zu scheiden. Daraus geht dann der Glaube und die sichere Gewissheit hervor, die ohne Wanken den Worten Gottes traut. Und endlich zündet dieser Glaube seinerseits wieder das Licht der Einsicht in den Herzen heller und heller an, so dass je nach dem Maß des Fortschritts immer klarer die Erkenntnis Gottes aufleuchtet. Das alles aber geschieht nicht aus unserer Vernunft und Kraft, sondern durch den heiligen Geist, der uns erleuchtet.

Dass Ich´s bin. Das gehört zum Glauben hinzu, dass wir wissen, wer unser Gott ist, und dass er der ist, den wir verehren, und kein anderer; sonst schweifen wir ab und gehen in die Irre. Das also ist nicht mehr Glauben zu nennen, wenn jemand nach eigenem Gutdünken irgendetwas erdichtet oder sich aufs Geratewohl an die Worte eines anderen hängt, oder wohl gar im Dunkeln tappt. Der rechte Glaube ist in sicherer Gewissheit gegründet und weiß sich im Gehorsam des einen, wahren Gottes gebunden; so kann er alle erträumten Götter von oben herab ansehen und das Herz frei machen von der Furcht, die im Irrwahn zu versinken meint. Hieraus mögen wir ersehen, was davon zu halten ist, wenn bei den Päpstlichen auch stumpfe und einsichtslose Menschen, die kein Wort von dem unbekannten oder ungewissen Gott auch nur zirpen können, Gläubige genannt werden, wenn sie nur bereit sind, anzunehmen, was die Kirche, die heilige Mutter, ihnen vorschreibt. Solch lästerliches Treiben hat Gott nimmermehr gut geheißen, sondern den Glauben mit der Einsicht verbunden, so dass man beide nicht voneinander trennen kann. Überdies ist kein Glaube, ohne dass man ihn bekennt, den Vater unseres Herrn Jesu Christi, der durch die Apostel und Propheten zu uns geredet hat. Und um zu bekräftigen, dass er allein Gott ist, fügt er hinzu: vor mir ist kein Gott gemacht – ein spottender Hinweis darauf, dass alle etwa vorhanden gewesenen Götter von sterblichen Menschen gebildet und hergestellt waren und darum mit dem ewigen Gott nicht verglichen werden dürfen. Unverletzt und unvermindert bleibt seine Herrschaft; er weicht nicht der Entkräftung oder dem Alter. In ihm müssen wir ruhen, wenn unser Glaube der rechte sein soll, an ihm festhalten, dem einigen Gott, der keinen anderen neben sich duldet.

V. 11. Ich, Ich bin der Herr, und ist außer mir kein Heiland. Als Sieger erhebt sich Gott, nachdem er genug gestritten, und nun bestätigt er es: Ich, Ich bin der Herr, und ist außer mir keiner. Wie gefährlich ist es, auf eigenes Gutdünken über Gott dies und jenes zurecht zu reimen; ehe man es sich versieht, hat man ein Götzenbild an seine Stelle gesetzt. Was aber in Wahrheit von ihm kommt, das lasst uns mit Eifer ergreifen und, nachdem er sich uns geoffenbart, zunehmen und wachsen in seiner Erkenntnis! Ich, Ich bin der Herr: nicht nur das ewige Wesen seiner Gottheit, sondern seine Macht und Güte hebt Gott hier hervor; den alleinigen Heiland nennt er sich. Die Welt pflegt ihm nur den leeren Namen zu lassen, aber seine Macht hierhin und dorthin zu verteilen; so geschieht es ja auch im Papsttum. Da nennt man ihn wohl Gott und rühmt sich seiner Verehrung, aber seine Herrlichkeit und das, was er ausrichtet, teilt man dem Petrus, oder Paulus, oder anderen Heiligen zu: so hat man am Ende eben so viel Götter, als Kreaturen. Aber unversehrt und unvermindert will Gott dies alles für sich selbst behalten: und man kann es keinem anderen geben, ohne ihm Schimpf und Lästerung anzutun. Er allein vermag zu schützen, zu erhalten. In ihm ruht unser Heil, und ein vornehmlicher Teil des Gottesdienstes ist der Glaube, der Anfang und Ende des Lebens in ihm geborgen weiß und ihm in allen Stücken die Ehre gibt.

V. 12. Ich habe es verkündigt und habe auch geholfen. Dieser Vers fasst das Vorhergehende zusammen. Ich habe es voraus verkündigt, das bezieht sich auf Gottes Allwissenheit; ich habe auch geholfen, auf seine Allmacht und Güte. So stellt er sich als den einigen Gott hin, der alles weiß und vermag. Und das ist nicht nur den Juden, sondern auch uns gesagt: soviel Weissagungen Gottes wir haben, soviel Denkmäler seiner Macht und seiner Allwissenheit, damit wir lernen, auf ihn zu trauen, allen Aberglauben zu verbannen und ihn allein hoch und herrlich sein lassen. Denn, nachdem er also seine Macht erwiesen und seine Gnade erzeigt, wären wir undankbar, wenn wir nicht in ihm allein uns zufrieden geben wollten.

Da war kein fremder Gott unter euch – zu jener Zeit, als ich öffentlich und im geheimen meine Macht erwies. Dies Wort soll nicht auf ein Lob der Frömmigkeit oder der Religion der Juden hinauslaufen, sondern den alleinigen Schutz Gottes ins Licht stellen: solange Israel keinem fremden Gotte diente, zeigten sich ihm die großen Wunder des Herrn in Hülle und Fülle. Da war kein Zweifel, dass außer ihm kein Gott sei. Zugleich aber deutet der Prophet an, dass unser Unglaube den vollen Erweis der Macht Gottes hindert. Wenden wir vollends unser Herz götzendienerischem Aberglauben zu, so machen wir uns selbst seiner Hilfe und Güte unwürdig. Am Schluss entbietet der Herr abermals seine Zeugen: schnöden Undanks würden sie schuldig sein, wenn sie verhehlen würden, was er ihnen offenbart.

V. 13. Auch bin ich, ehe denn nie kein Tag war usw. Hier ist von der Ewigkeit Gottes die Rede; doch Ziel und Absicht des Propheten wollen im Auge behalten sein: Wie könnte, wer einen Ursprung hat und nicht aus sich selbst ist, auf seinen Wink das leiten und regieren, was er nicht geschaffen hat? Gott aber heißt ewig, und diese Welt ist sein Bau; der Lauf der natürlichen Dinge ist nicht dem Zufall preisgegeben, sondern wird bestimmt durch seinen wunderbaren Rat. So heißt es ja auch: es ist niemand, der aus meiner Hand erretten kann. Daraus wird noch deutlicher ersichtlich, wie die Ewigkeit Gottes zugleich die Fülle seiner Macht erweist und beglaubigt. Denn nur als der Ewige vermag er alles in Händen zu halten, seinem Volk rächende Hilfe zu bringen, alle Kreaturen nach seinem Gutdünken zu brauchen. Ich wirke; wer will es abwenden? so soll der Feinde Macht und Rüstung Israel nicht schrecken!

V. 14. Um euretwillen habe ich gen Babel geschickt. Der Prophet sieht den Kyrus als einen gedungenen Kriegsmann an, der seine Arbeit im Dienste Gottes zur Befreiung seines Volkes verrichtet; er und Darius unterwarfen ja Babylon unter der Leitung Gottes, der dies längst vorausgesagt. Und Jesaja redet hier nicht zu denen, vor deren Augen sich dies alles ereignete, sondern zu den Gefangenen, die keinen Ausweg aus ihrem Gefängnis erblickten und denen diese Verheißungen lächerlich erscheinen mochten, da, menschlich geredet, keine Hoffnung mehr war. Darin aber besteht die Ehre, die dem Worte gebührt, dass wir glauben, was sonst unglaublich scheint, und hoffen, da nichts zu hoffen ist (Röm. 4, 18). Nicht bei der Betrachtung der äußeren, irdischen Verhältnisse bleibt haften, was rechter Glaube ist, sondern über die Himmel hinaus bis zum Herzen Gottes will er dringen. Und nachträglich bestätigt es der Herr, dass er um Israels willen gen Babel geschickt habe, - und was auch immer für ehrgeizige und herrschsüchtige Absichten den Kyrus beseelten, zu dem Ende musste er das Königreich stürzen und den Erdkreis erschüttern, damit das Volk der Juden, das verachtetste Volk der Welt, heimkehren und Gott seiner Kirche Hilfe und Gnade erzeigen könnte. So nennt der Herr sich den Erlöser und Heiligen in Israel, damit das Volk sich als sein erwähltes Eigentum fühle, das ihm teuer und kostbar ist. Im Übrigen stimmt die Weissagung, die an dieser Stelle den Juden gegeben wird, sehr wohl mit der Bedrohung, die Jesaja hier und da über die Babylonier ausspricht: Gott straft die Völker um seines Volkes willen, und seine Vorsehung, die sich über den ganzen Erdkreis erstreckt, kommt vornehmlich doch seiner Gemeinde zu gut; zu ihrem Besten lenkt und wendet er alle Dinge. Um der Seinigen willen hat er nach Babylon geschickt, auf seinen Befehl sollen sie heimkehren, und schon jetzt lässt er diese Weissagung ausgehen, um seine Gnade dem auserwählten Volk sicher zu bezeugen, auf dass es später in dem Hass und in der Verachtung der Menschen einen starken Trost und eine gute Hoffnung hätte. Dass Gott die Chaldäer bei der Ankunft des Kyrus zu Flüchtigen macht, ist für diesen eine Verheißung von Sieg und Erfolg. Und wie jäh diese Flucht sein wird, zeigt der Hinweis darauf, dass sie unter Wehklagen in ihre Schiffe gejagt werden sollen.

V. 15. Ich bin der Herr, euer Heiliger. Ein Siegel gleichsam auf das, was vorhergegangen, ist dieses Wort; damit die Verheißung mehr Nachdruck habe, stellt er, der sie gegeben, sich in seiner Kraft und Majestät und Liebe vor Augen. „Euer Heiliger“, weil er das Volk erwählt und sich geweiht hat zu seinem Eigentum, auf dass es ihn als Vater und Erhalter erkenne. So mögen wir Gott auch heute noch unseren Heiligen nennen, weil er uns zu Gliedern seiner Kirche erwählt hat; und das wird uns kund in unserer Berufung. – Der ich Israel erschaffen habe. Das bezieht sich, wie schon oben bemerkt wurde, nicht auf die Schöpfung im Allgemeinen, die ja auch die Ungläubigen mit einschließt, sondern auf die Erneuerung der Herzen, nun derentwillen wir insbesondere Gottes Werk genannt werden (Eph. 2, 10). – Euer König. Das musste die Juden wunderlich anmuten, da in ihrer Bedrängnis und Schmach nicht eine Spur der Herrschaft Gottes sich zeigte. So galt es umso mehr, dem Glauben Raum zu geben und auf die Herstellung des Reiches zu hoffen.

V. 16. So spricht der Herr, der im Meer Weg und in starken Wassern Bahn macht. Auch diese Worte sollen die über alles Denken und Begreifen hinausgehenden Gnadenerweise der Allmacht Gottes bekräftigen: auch in Zukunft will er nicht minder gnädig sein und seinen mächtigen Arm rüsten zur Befreiung seines Volkes. Was den Vätern widerfuhr, soll auch den Söhnen widerfahren. Und wir müssten undankbar sein, wenn nicht die gnädige Vergangenheit in uns die Hoffnung auf eine gnädige Zukunft belebte. Hatte doch Gott die Juden nur unter der Bedingung aus Ägypten geführt, dass sie der von ihm gewirkten Befreiung nimmermehr vergäßen. So will er auch an dieser Stelle sich als den offenbaren, der alle Hindernisse zunichtemacht, um seinem Volk ein Heiland zu sein; und hatte er damals den Weg durch das Meer und die rauschenden Wasser des Jordan gebahnt, so vermochte er auch jetzt die Rückkehr nach Juda, die man für versperrt hielt, wieder zu erschließen.

V. 17. Der ausziehen lässt Wagen und Ross usw. Keine Macht, keine Heerschar kann dem Herrn wehren, sein Volk zu befreien, sobald er es will. Auch das Meer durfte einst die Rückkehr Israels nicht aufhalten, Gott teilte die Wasserwogen mitten inne und versenkte die nachfolgenden Feinde samt ihrem Tross. So spricht Gott auch hier: Und wenn die ganze Welt sich verbündet hätte, euch den Garaus zu machen und die Befreiung meiner Kirche zu hemmen, sie soll nichts ausrichten! Durch tiefe Abgründe wird der Herr den Weg finden, zu Boden schlagen wird er die Widersacher und sie so zerscheitern, dass ihnen alles Wiederaufstehen vergeht. Dauernden Sieg, gänzliche Vernichtung der Feinde verheißt der Herr; darum vergleicht er sie dem Docht , der zwar leuchtet und brennt, aber zu gleicher Zeit sich verzehrt.

V. 18. Gedenkt nicht an das Alte und achtet nicht auf das Vorige. Alle Wunder, die Gott früher bei der ersten Erlösung des Volkes schauen ließ, sollen zurücktreten vor herrlicheren, die bald geschehen sollten; ja der Ruhm der zweiten Befreiung sollte den der ersten überstrahlen. Die Meinung des Jesaja ist nicht die, als sollten die Juden der vormaligen Wohltaten vergessen; nein, für alle Zeiten sollten sie Gegenstand rühmenden Preises und immerwährenden Gedenkens sein. Das lehren ja schon die ersten Worte des Gesetzes: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus dem Diensthause geführt habe“ (2. Mose 20, 2). Und die Väter sollten es den Kindern, die Kinder den Enkeln einschärfen. Vielmehr redet der Prophet vergleichsweise, wie in demselben Sinn auch Jeremia (23, 7 f.) spricht: „Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der Herr, dass man nicht mehr sagen wird: So wahr der Herr lebt, der die Kinder Israel aus Ägyptenland geführt hat, sondern: So wahr der Herr lebt, der den Samen des Hauses Israel hat herausgeführt und gebracht aus dem Lande der Mitternacht und aus allen Landen, dahin ich sie verstoßen hatte, dass sie in ihrem Lande wohnen sollen.“ So ist denn auch der Kern unserer Stelle: die Herrlichkeit der zweiten Erlösung soll größer sein, als die der ersten. Hieraus folgt aber, dass diese Weissagung nicht auf wenige Jahre zu beschränken ist; der Prophet dehnt den Segen der Rückführung aus der Gefangenschaft bis auf Christus aus, der durch sein Kommen erst Priestertum und Königreich wahrhaft aufgerichtet hat.

V. 19. Denn siehe, ich will ein Neues machen. Die zwischen Judäa und Babylon gelegene Wüste ist gemeint, die das zurückkehrende Volk durchschreiten musste. Und die Wasserströme erwähnt der Prophet, weil beim Zug durch die ausgedörrten Gefilde die Gefahr zu verschmachten drohte. Darum verspricht der Herr, dass er für die Wegzehrung sorgen und Wasser, sowie alles, was zum Unterhalt nötig ist, spenden werde. Aber Jesaja scheint hier doch zu viel zu verheißen und im Allgemeinen zu überschwänglich von dieser Befreiung zu reden. Denn wir hören doch nichts davon, dass damals in Babylon sich so staunenswerte Wunder ereignet hätten, wie bei der Ausführung aus Ägypten. Was hat also diese neue Erlösung sonderlich zu bedeuten? So haben denn alle christlichen Ausleger unseren Vers auf die Ankunft Christi gedeutet; mit Unrecht. Und ebenso irren jüdische Erklärer, die nur von der Rückkehr aus Babylon reden. Vielmehr ist, wie schon wiederholt bemerkt wurde, die ganze Zeit von der Befreiung aus der Gefangenschaft an bis zum Kommen Christi gemeint.

Die Ausführung aus Ägypten war gleichsam die Geburt der Gottesgemeinde, damals erhielt sie ihren Bestand. Und die erste Befreiung hörte nicht mit der Zeit auf, in der das Volk aus Ägypten schied, sondern hielt an bis zur Besitznahme des Landes Kanaan. Ebenso verhält es sich nun auch mit der neuen Geburt, durch die das Volk aus Babylon befreit und in die Heimat zurückgeführt ward. Diese Wiederherstellung ist nicht auf den Auszug aus Babylon zu beschränken, sondern sie reicht bis auf Christus: und in diesem ganzen Zeitraume geschahen gewaltige, staunenerregende Dinge. War es nicht wunderbar, dass ein gefangenes, allgemein verachtetes Volk von heidnischen Königen die Freiheit und die Erlaubnis zur Rückkehr erhielt? dass ihm Lebensunterhalt für die Reise und später die Mittel für den Aufbau und die Einrichtung des Tempels gereicht wurden? Aber noch Gewaltigeres geschah später: den wenigen Juden, die wirklich zurückgekehrt waren, traten die größten Hindernisse in den Weg, und doch wurden sie auf wunderbare Art mitten im Blutbad und in den Flammen erhalten. Wenn man alle Anfechtungen bedenkt, denen sie ausgesetzt waren, darf man billig darüber staunen, dass auch nur einer von ihnen übrig blieb. So ist diese Errettung vor jener ägyptischen ausgezeichnet, und am Ende fügte Christus zu der bisherigen Wohltat noch überströmende Fülle von Gnade hinzu. Diese Auslegung hat nichts Gezwungenes und ist der besonderen Darstellung der Propheten angemessen; denn das Ziel, dem ihre Rede zustrebt, ist beständig der Heiland, der da kommen sollte. So dehnt auch Haggai (2, 6 ff.) in der bekannten Weissagung die Wiederherstellung des Tempels bis auf Christus aus; in ihm ist die Herrlichkeit des Hauses vollendet.

V. 20. Dass mich das Tier auf dem Felde preise usw. Jesaja schmückt die gegebene Weissagung aus und preist die Macht des Herrn; so herrlich soll sie ans Licht treten, dass selbst die wilden Tiere sie erkennen und ihm die Ehre geben sollen. So singt ähnlich auch der Psalmist (114, 3 f.): „Das Meer sah und floh, der Jordan wandte sich zurück; die Berge hüpften wie die Lämmer, die Hügel wie die jungen Schafe.“

Mein Volk, meine Auserwählten. Der Herr erinnert Israel an seine Kindschaft, damit es auch in der trostlosen Zerstreuung, in der es sich befindet, die Hoffnung himmlischer Gnade und Hilfe festhalte und an den Rat Gottes glaube, der unverrückt derselbe bleibt über die einmal von ihm Erwählten. So lehre auch uns die Berufung, mit der Gott uns berufen, gutes Mutes und froher Hoffnung zu sein. Und sind wir auch unwürdig, so sei uns das Eine genug, dass Gott uns so hoher Ehre gewürdigt hat!

V. 21. Dies Volk habe ich mir zugerichtet; es soll meinen Ruhm erzählen. Zur Tröstung des Volkes ist dies geredet: Meint ihr, mein Ruhm könne hinfällig werden? spricht der Herr. Er steht und fällt mit eurer Errettung. So sollt ihr bleiben, denn ihr müsst meine Ehre beständig verkünden! Dies Volk habe ich mir zugerichtet – das ist nicht auf das natürliche, allen Menschen gemeinsame Wesen zu beziehen, sondern auf die übernatürliche Gnade, die geistliche Erneuerung, die Erwählung der Kirche. „Es soll meinen Ruhm verkünden.“ Das bleibt auch das Ziel unserer Erwählung, dass wir die Ehre Gottes überall leuchten lassen. Und wenngleich selbst die Ungläubigen seine Werkzeuge sind, wie ganz anders, wie viel mehr wir! Denn uns hat er erwählt, sagt Paulus, dass wir sollten sein heilig und unsträflich in der Liebe; und hat uns verordnet zur Kindschaft gegen ihn selbst durch Jesum Christum, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zu Lob seiner herrlichen Gnade, durch welche er uns hat angenehm gemacht in dem Geliebten (Eph. 1, 4 ff.). Darauf zielen auch die Worte des Petrus 1. Petr. 2, 9 und des Zacharias Luk. 1, 74 f.

V. 22. Nicht, dass du mich hättest gerufen, Jakob. Diese Worte verbergen einen versteckten Tadel. Gott bekräftigt, was er soeben aussprach, dass keine Verdienste des Volkes ihn bestimmt haben, so freundlich zu handeln. Die Erlösung lässt sich auf keinen anderen Grund zurückführen als auf Gottes Güte. Um dies zu beweisen, spricht der Herr: „Du hast mich nicht angerufen.“ Unter dieser Anrufung ist die gesamte Verehrung Gottes zu verstehen, deren Hauptstück sie ist. Dies entspricht einem geläufigen Sprachgebrauch der Schrift. Schließt sich doch auch im Psalm (50, 15) an eine Zurückschiebung der Opfer und äußeren Zeremonien der Satz: „Rufe mich an.“ Und wenn Mose berichten will, dass die Verehrung Gottes aufgerichtet ward, schreibt er (1. Mos. 4, 26): „Zu derselbigen Zeit fing man an, den

Namen des Herrn anzurufen.“ Die nun folgenden Worte des Verses sind zu deuten: Ja, vielmehr von Widerwillen gegen mich warst du erfüllt. Andere übersetzen: denn mühsam hast du um mich gearbeitet, als wollte der Herr hier den Mangel an Freudigkeit und Willigkeit im Gottesdienst des Volkes strafen. Auch diese Erklärung ist annehmbar, aber die erste drückt die Meinung des Propheten wohl noch treffender aus.

V. 23. Mir hast du nicht gebracht Schafe deines Brandopfers usw. Warum tadelt hier Jesaja die Juden, da sie doch allezeit eifrig nach der Vorschrift des Gesetzes ihre Opfer gebracht? Einige meinen, die Worte bezögen sich nur auf die Zeit der Gefangenschaft, wo das Volk, auch wenn es gewollt hätte, keine Opfer bringen konnte. Aber der Prophet spricht hier einen allgemein geltenden Vorwurf aus: den Opfern fehlte das Beste, was allein Gott wohlgefällig sein kann, Glaube und Gehorsam. So sagt der Herr mit Recht, dass ihm nichts dargebracht sei. Wie hätte er jene Opfer annehmen sollten, die mit seiner Wahrheit nichts gemein hatten! Er verschmäht allen knechtischen, oder sonstwie gebrechlichen Gottesdienst.

V. 24. Mir hast du nicht um Geld Kalmus gekauft usw. Aus Kalmus bereitete man eine köstliche Salbe. Wir lesen (2. Mose 30, 25), dass man damit die Hohenpriester, die Hütte des Stifts und die Arche des Bundes zu salben pflegte. Hier ist die Meinung des Herrn: Auch den Kalmus, den ihr kaufen mochtet, dürft ihr nicht in Anrechnung bringen, so dass ich es zufrieden wäre. Man trieb mit allen jenen Gebräuchen ein leeres Spiel; man übte sie nicht, wofür sie bestimmt waren, dass sie den Glauben fördern möchten, und so vermochte man auch dem Herrn nicht mit reinem Gewissen zu dienen.

Mich hast du mit dem Fett deiner Opfer nicht gesättigt. Eine vielfach übliche Redewendung, um auszudrücken, dass das Opfer Gott ein angenehm erquickendes Mahl ist, nicht weil er am Schlachten der Tiere ein Wohlgefallen hätte, sondern weil er durch solche Bräuche das Volk zum wahren Gehorsam führen wollte. Hier also tadelt der Herr, dass man das Opfer nicht ordnungsgemäß darbringe, sondern durch Gottlosigkeit alles beflecke; so muss er gleichsam hungern und dürsten, weil alles, was das Volk darbringt, verdorben und unschmackhaft ist. – Mir hast du Arbeit gemacht. Hier hebt Jesaja die Verkehrtheit des Volkes noch mehr hervor: nicht nur, dass man sich Gott dem Herrn nicht so unterwarf, wie es die Pflicht geboten hätte, nein, man versuchte es gar, ihn sich zu unterwerfen, dass er aller Willkür und Leidenschaft zu Gebote wäre! Denn stehen wir gegen Gott auf, so machen wir ihn gleichsam zum Knecht unseres Mutwillens und unserer Leichtfertigkeit.

V. 25. Ich, Ich tilge deine Übertretungen um meinetwillen. Mit Recht kann sich Gott dessen rühmen, dass er die Sünde des Volkes vergebe und ihm die Freiheit wiederschenke, während es doch eitel Strafe, ja den Untergang selbst verdient hat. Und das hebt er wiederholt hervor, um der Undankbarkeit zu wehren, die ihm seine Ehre raubt oder sie zu verdunkeln strebt. Dürftig ist die Auslegung derer, die hier von der Vollmacht Gottes, Sünden zu vergeben, reden, da er vielmehr seine Barmherzigkeit, seine freie Gnade als den einzigen Grund solcher Vergebung aufweisen will; das Volk darf auf Freiheit hoffen, weil Gott ihm von sich aus in verzeihender Freundlichkeit die väterliche Hand reicht. Von der Vergebung aber ist zuerst zu reden, sie muss der Befreiung vorausgehen. Denn ehe man eine Krankheit heilen kann, muss man alles, wodurch sie verursacht ist, abstellen. Die Streiche aus der Hand Gottes werden solange auf unseren Rücken niederfallen, als sein Zorn über uns währt. Wie töricht, an der Vergebung Gottes festhalten und auf der anderen Seite behaupten: für die Strafen habe man Genugtuung zu leisten! Daraus sind die Büßungen, die Ablässe, das Fegefeuer und die anderen Märchen entstanden. Der Prophet aber redet nicht allein von der Schuld, die vergeben, sondern auch von der Strafe, die zugleich erlassen wird. – „Um meinetwillen.“ Bei der Vergebung übt Gott nicht Rücksicht auf uns oder auf irgendetwas, was in und an uns ist, sonst wäre er schuldig zu tun, was er tut, und für seine Gnade wäre kein Raum.

Und gedenke deiner Sünden nicht. Ob wir schon unwürdig sind, will Gott uns dennoch vergeben und uns frei machen. Seine Güte allein ist Stütze und Halt. Wer auf sein eigenes Werk schaut, der kommt ins Wanken und endet in der Verzweiflung; denn, wo nicht gerade die plumpste Heuchelei zu Hause ist, wird immer aufs Neue das Gefühl der Unwürdigkeit den Zweifel an Gottes Liebe erwecken. Die Vollmacht, Sünden zu vergeben, die (Joh. 20, 23) den Dienern des Evangeliums verliehen wird, ist unserer Stelle nicht zuwider. Denn jene sind Zeugen und Verkündiger der geschenkten Vergebung, und sie tun auf dienende Weise dar, was Gott der Herr in göttlicher Kraft tut.

V. 26. Erinnere mich; lass uns miteinander rechten. Mit großem Nachdruck geht der Herr gegen den eingefleischten Hochmut des Volkes an. Er gibt ihm die Freiheit, was ihm beliebt, vorzubringen, um seine Sache zu verfechten: Rede, ich will schweigen; erinnere mich, wenn du mich für vergesslich hältst, an das Gute, das du für dich geltend machen kannst! Diese Art zu reden kommt der bittersten Verspottung gleich und beweist ausbündig die jämmerliche Torheit aller Selbstüberhebung. Sage an, wie du gerecht willst sein, d. h. wie du dein Recht behaupten und zum Siege führen willst. Kann dem Hochmut kräftiger und wirksamer der Mund gestopft werden? Unbarmherzig reißt der Prophet dem Volk die Maske eigenen Wertes ab, damit sie demütigen und gelassenen Herzens der Gnade Gottes sich zuwenden möchten.

V. 27. Deine Voreltern haben gesündigt usw. Hier ist nicht von einzelnen, bestimmten Menschen, sondern von einer Mehrzahl die Rede, und der hier ausgesprochene Tadel findet sich auch sonst häufig bei den Propheten und Psalmisten. Denn die Juden schrieben die Ehre ihrer Erwählung zum Eigentumsvolk der Trefflichkeit und den Verdiensten ihrer Väter zu und trotzten im hochmütigen Pochen auf ihr Recht gegen Gott selbst. Darum deckt der Prophet die Sünden der einzelnen Geschlechter von Anfang an auf: wie die Väter, so die Söhne; wie der Vogel, so das Ei! Ja, ihr übertrefft eure Väter an Bosheit, spricht der Herr; hätte ich allein auf euch geschaut, so müsstet ihr schon längst vertilgt und für immer ausgerottet sein! Die Lehrer aber werden hinzugefügt, weil auch sie ihren Teil an der Schuld des Volkes haben. Denn sie alle, Priester und Propheten, haben zuerst gesündigt und Irrwege geführt, und so ist kein Stand frei von Schuld und Fehle. Mögen sie hingehen, spricht der Herr, und sich ihrer Tugenden rühmen und auch nur die kleinste Ursache aufweisen, um derentwillen ich sie zu schützen verpflichtet wäre! – Aber sollen die Söhne die Schuld der Väter tragen? Steht nicht geschrieben (Hes. 18, 20): „Der Sohn soll nicht tragen die Missetat des Vaters?“ Darum: vergilt Gott die Sünden der Väter den Kindern, weil sie den Vätern ähnlich sind, so büßen sie nicht für fremde Schuld, sondern für eigene. Und der Herr, der den ganzen Leib straft, lässt hier Väter und Söhne in einem Joch zusammengehen, um alle unter dieselbe Verurteilung zu beschließen.

V. 28. Darum werde ich die Fürsten des Heiligtums entheiligen. Die Übersetzung: „Darum habe ich entheiligt“, will nicht auf die Zeit der Gefangenschaft, die doch noch bevorsteht, passen. Doch wird nichts dagegen zu erinnern sein, wenn man die Worte unseres Verses auf die Schmach, die Gott von jeher seinem Volk hatte widerfahren lassen, ausdehnt und dann die babylonische Gefangenschaft hinzufügt. Denn das, was auch sonst schon öfter über das Volk gekommen war, konnte eine Warnung für die Zukunft sein, dass man zu keiner Zeit sich sicher fühlen möchte vor wiederkehrender, schmachvoller Strafe für allen Undank. Und solches Unheil verhängt der Herr, weil es galt, die Sünden der Väter zugleich mit denen der Kinder zu strafen, weil kein Ende des Sündigens war und man täglich Gottes Zorn aufs Neue wider sich entflammte. Der Herr will seine Kirche entweihen und entheiligen, d. h. sie als etwas Verächtliches aller Welt zur Schau stellen. Als die von ihm Erwählten und Geheiligten wandeln wir in seiner Treue und seinem Schutz; hören wir auf, heilig zu sein, dann heißen wir entweiht und werden seines Schutzes unwürdig; ja, Gott gibt wohl auch die, die er vormals seine Gesalbten nannte und nicht antasten lassen wollte, nachmals ihren Feinden zur Beute (Ps. 89, 39). Und wenn uns die Entweihung der Priester, die das Amt Christi zu führen hatten, unwürdig erscheinen möchte, so mögen wir ihre Verkehrtheit bedenken, dass sie krumme Wege gegangen sind und sollten doch anderen Lehrer und Führer sein.

Und Jakob zum Bann machen, d. h. dem Untergang und der Verfluchung preisgeben. Und Israel zum Hohn. Diese Worte entnimmt der Prophet dem Mose, dessen ganze Art sich hier deutlich zu erkennen gibt. Denn 5. Mose 28, 37 steht geschrieben: „Und du wirst ein Scheusal und ein Sprichwort und ein Spott sein unter allen Völkern, da dich der Herr hingetrieben hat.“ So will Gott es schaffen, dass das Volk allgemein verächtlich wird; ja ein Beispiel und Sprichwort soll seine Verfluchung sein, und seine Verhöhnung soll sich finden im Munde aller, die da Hohn treiben. So sehen wir es ja heute in der Tat, dass der Name der Juden, an und für sich ehrenvoll, doch mit Schmach und Verachtung bedeckt ist. Und diese furchtbare Drohung hat der Herr durch seinen Propheten ausgehen lassen, dass das Volk sich nicht beklagen möchte, wenn Gott es straft, als lege er zu schwere Lasten auf, und als hätten sie so harten Tadel aus Prophetenmunde nicht verdient.

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