Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 21.

Calvin, Jean - Der Prophet Jesaja - Kapitel 21.

V. 1. Das ist die Last über die Wüste am Meer. Nachdem der Prophet erklärt hat, die Juden sollten nicht auf die Ägypter, sondern allein auf Gottes Barmherzigkeit hoffen, und nachdem er weiter davon geredet, dass Heimsuchungen für die Völker kommen würden, auf deren Hilfe sie ihr Vertrauen setzten, richtet er die Herzen der Frommen tröstend auf. Für die Chaldäer, deren Gefangene sie werden sollten, sei schon der Lohn bereit; das Unrecht, das sie erduldeten, sei also ein Gegenstand der Sorge Gottes. Unter der Wüste versteht er Chaldäa, nicht weil dieses Land wüste und unbewohnt gewesen wäre, sondern weil die Juden in der Richtung jenes Landes die Wüste nahe hatten. So würden wir etwas die Alpen für Italien nehmen, weil sie uns näher sind und über sie für uns der Weg nach Italien geht. Der Prophet beschreibt also nicht die Beschaffenheit jenes Landes; vielmehr weist er die Juden darauf hin, dass der Untergang der Feinde, von dem er weissagt, nahe und so gewiss ist, als ob sie denselben schon so vor Augen hätten, wie jene Wüste.

Wie ein Wetter vom Mittag. Der Mittagswind war besonders heftig und erregte Stürme und Wirbelwinde.

So kommt' s aus der Wüste. Das dient zur Verstärkung des Ausdrucks. Wenn nämlich an einem stark bewohnten Ort ein Sturm sich erhebt, so ist das weniger schrecklich, als wenn in einer Wüste Stürme erregt werden. Um also das Grausige jener Heimsuchung zum Ausdruck zu bringen, vergleicht der Prophet sie mit Stürmen, die von der Wüste ausgehen, die freier dahinstürmen und mit größerer Wucht daherstürzen. Allerdings scheint der Prophet dabei noch anderes im Sinne zu haben. Wie nämlich aus jener Richtung die Feinde wie eine Windsbraut dahergestürmt kamen, um Judäa zu verwüsten, so werde bald ein in entgegen gesetzter Richtung dahinstürmender Wirbelwind sich erheben, der die Feinde zu Boden wirft. Daher sagt er auch: diese Last wird kommen aus einem schrecklichen Lande. Hiermit bezeichnet er Judäa. So lege ich es wenigstens aus. Denn es genügte nicht, über Babylons Untergang zu reden. Die Juden sollten zugleich erkennen, dass derselbe von Gott ausgehe, der in Judäa seine Wohnstätte hatte. Der Prophet nennt das Land deshalb ein schreckliches, weil dasselbe nach so vielen Erfahrungen göttlichen Zorns eine so jammervolle Gestalt zeigte, dass es jedermann Schrecken einjagen musste. Diese Bezeichnung „schrecklich“ etwa auf die wunderbare Macht Gottes zu beziehen, von der das Land beschützt wurde, geht nicht an in Anbetracht der Zeitverhältnisse. Obgleich also Babylon von den Persern und Medern erobert und ausgeraubt wurde, so kündigt Jesaja doch an, sein Untergang werde von Judäa ausgehen. Auf diese Weise wird Gott Widervergeltung für die Unbill üben, die seinem Volke, dessen Beschützer zu sein er versprochen hatte, zugefügt war.

V.2. Denn mir ist ein hart Gesicht angezeigt. Da der Prophet die Absicht hat, der Traurigkeit seines Volkes aufzuhelfen, so scheint es damit nicht zu stimmen, dass er von einem harten Gesicht redet, während es doch Grund zur Freude gab. Doch bezieht sich das auf die Chaldäer, welche, auf ihr Glück pochend, kein Unglück fürchteten. Denn üppige Macht pflegt Stolz und Sicherheit zu erzeugen. Der Prophet will sagen: Umsonst werden die Chaldäer ihre Reichtümer und ihre Macht aufbieten; für den harten Stein ist ein harter Hammer bereit.

Der Räuber raubt. Babylon hatte sich die Herrschaft dadurch angeeignet, dass es die andern Nationen brandschatzte und ausräuberte. Selbst schien es gegen jede Gewalttat gefeit zu sein. Wie sehr sie also auch andern Völkern furchtbar gewesen und wilde Grausamkeit aller Art verübt hatten, so mussten sie nun selbst andern zur Beute werden und ähnliche Gewalttaten erdulden, wie sie solche gegen andere ausgeführt hatten. Um nun seinen Aussprüchen Glauben zu verschaffen, zeigt der Prophet, wie gerecht dieser Wechsel sein wird; der Gewalt muss Gewalt entsprechen.

Zeuch herauf, Elam, belagere sie, Madai. Elam ist ein Teil von Persien. Gemeint ist aber damit das ganze Perserland. Die Perser werden ja auch Elamiter genannt. Dabei ist zu beachten, dass damals, als der Prophet dies vorhersagte, noch kein Gedanke an Krieg aufgetaucht war. Der Prophet war schon hundert Jahre tot, bevor irgendeine Ahnung dieses Niederganges Babylons aufging. Es steht also genügend fest, dass er dies nur durch den Geist Gottes hat wissen können. Das trägt nicht wenig dazu bei, die Gewissheit und Vollgültigkeit dieser Weissagung zu bekräftigen. Dass der Prophet hier aber Elam und Madai, den Persern und Medern Befehle erteilt, weist darauf hin, dass Babylon seinen Untergang nicht durch ein zufälliges Geschick finden wird, sondern infolge eines bestimmten Ratschlusses Gottes. Jesaja kann also an Gottes Stelle, wie ein Feldherr oder sonst ein Führer, den Soldaten Befehl erteilen, sich zum Kriege zu sammeln. Wie aber der Herr sich der Räuber und Gottlosen bedient, wurde oben zum 10. Kapitel auseinandergesetzt.

Ich will alles Seufzen über sie ein Ende machen. Einige Ausleger verstehen darunter das Seufzen, zu dem die Babylonier Anlass gegeben hatten. Das habe aufgehört, nachdem sie von den Persern und Medern überwältigt wurden. Babylons Tyrannei hatte ja so vielen Leuten Grund zum Seufzen gegeben. Allen gottlosen, frevelhaften Menschen, die eine Gewaltherrschaft ausüben, muss es so gehen, wie es Babylon erging. Möglich und vielleicht richtiger ist aber auch die Übersetzung: „All ihr Seufzen bringe ich zum Schweigen.“ Dann wäre von dem Seufzen der Babylonier die Rede. Dies Seufzen soll aufhören, weil sie bei ihren Feinden kein Erbarmen finden, wie sie selbst zuvor kein Erbarmen geübt hatten. Der Herr hat ihrem Seufzen gegenüber sich taub gestellt; ihr Seufzen und Wehklagen wird bei ihm keinen Widerhall finden. Denn da sie selbst unmenschlich und grausam gewesen waren, war es billig, dass ihnen mit demselben Maß gemessen wurde, mit dem sie gemessen hatten.

V. 3. Derhalben sind meine Lenden voll Schmerzen. Hier führt der Prophet sein Volk mitten in die zukünftige Lage Babylons hinein. Denn es genügte nicht, einfach zu sagen, Babylon wird untergehen. Er musste vielmehr diesen Untergang so schildern, dass die Frommen glaubten, ihn mit Augen zu schauen. Diese bilderreiche Darstellung war also notwendig. Der Prophet gibt aber hier nicht seinen persönlichen Gefühlen Ausdruck, als ob er etwa den Babyloniern sein Mitleid bezeugte. Vielmehr übernimmt er für den Augenblick die Rolle eines Babyloniers. Gewiss muss uns das genügen, dass uns die verborgenen Gerichte Gottes gleichsam von einer hohen Warte aus gezeigt werden, damit unserm trägen Glauben aufgeholfen werde. Was also das Fassungsvermögen unseres Verstandes übersteigt, beschreiben die Propheten in besonders glänzenden, kräftigen Schilderungen und malen dasselbe in lebhaften Farben aus. Dadurch dass der Prophet also seinen Schmerz zum Ausdruck bringt, zeigt er den Gläubigen, welch furchtbare göttliche Rache die Chaldäer erwartet und wie grausig Babylon bestraft werden soll. So werden ja auch wir wohl, wenn wir eine traurige Nachricht empfangen haben, plötzlich von Schmerz und Angst überwältigt.

Wie eine Gebärerin. Noch nachdrücklicher schildert der Prophet diesen Schmerz, indem er ihn mit den Schmerzen einer Gebärerin vergleicht. Es ist gerade so, wie wenn jemand in furchtbarer Qual sich hierhin und dorthin wälzt und sich vor Schmerz zusammenkrümmt. Mit solcher Ausdrucksweise passen sich die Propheten unserer trägen Stumpfheit an. Wir erkennen Gottes Gerichte nicht, wenn sie uns nicht gleichsam mit den Fingern gewiesen werden und so unsere Sinne treffen. Wir werden aber dabei ermahnt, bevor sie eintreten, für uns selbst Sorge zu tragen.

V. 4. Mein Herz zittert. Einige Ausleger übersetzen nicht übel: Mein Herz ist hin und her geirrt. Durch übergroße Angst wird nämlich der menschliche Geist gleichsam von seinem Sitz fortgetrieben. Der Prophet zeigt, wie unvermutet und plötzlich das Unheil über Babylon eintreten wird. Die Angst und das Zittern ist ja bei einem plötzlich hereinbrechenden Unglück größer, wie bei einem, das lange vorhergesehen und erwartet wurde. Der Prophet Daniel (5, 1 ff.) erzählt uns, dass das, was Jesaja hier vorausgesagt, eingetroffen ist und dass er dies gesehen hat. Der König Belsazar hielt in der Nacht des Untergangs ein üppiges Gelage, als plötzlich die Perser hereinbrachen. Jeder erwartete da sein Ende. Damals wurde die jauchzende Lust plötzlich in Schrecken verwandelt.

V. 5. Ja, richte einen Tisch zu usw. Der Prophet will hier sagen: Während sie die Tische zurichten, Wachen aufstellen und dann essen und trinken, entsteht plötzlich eine Panik; man ruft zu den Waffen mit den Worten: Machet euch auf, ihr Fürsten. In lebensvoller Schilderung entrollt Jesaja gleichsam den Hergang jenes Ereignisses vor ihren Augen. Es ist klar, dass er nicht auf Grund natürlicher Ahnungen, sondern durch göttliche Eingebung belehrt, unbekannte Dinge so malerisch zu schildern vermochte. Man muss nur die Zeit beachten, in der diese Weissagung stattfand. Damals war die Lage des babylonischen Reiches noch eine überaus blühende; seine Macht schien unbesiegbar; es scheute vor keiner Gefahr zurück. Diese Sicherheit verlacht der Prophet und zeigt, dass jene Macht leicht zu Boden stürzen wird. Dass er einen Wächter, der auf der Warte steht, redend einführt, darf nicht als ungereimt erscheinen. Denn obgleich die Belagerung der Stadt die Sorglosigkeit des stolzen wahnwitzigen Tyrannen nicht erschüttert hatte, sodass er üppigen Gelagen sich hingab, so wurden doch ohne Zweifel Wachen aufgestellt, die den Wachdienst verrichteten. Es ist Sitte bei Fürsten, sich mit Wachen zu umgeben, damit sie umso freier und ungestörter sich in alle Vergnügungen hineinstürzen können. Mit vollem Bedacht bringt der Prophet hier mit den Freuden der Tafel die Wächter in Beziehung; umso klarer sollte es hervortreten, dass der gottlose Tyrann von einem Schwindelgeist erfasst war, bevor er sich der Trunkenheit hingab. Es zechte also der König von Babylon und belustigte sich mit den Seinen, als er plötzlich und unvermutet vernichtet wurde. So erging' s ihm, weil er in seiner Sicherheit gleichsam aus Spott seinen Feind verachtete. Bevor das nun geschah, konnte es allerdings unglaublich erscheinen. Denn die Verschwörung des Gobryas und seiner Partei, von der er verraten wurde, war noch nicht entdeckt. Als Jesaja das aber weissagte, hätte niemand etwas so Ungeheuerliches je für möglich gehalten.

V. 6. Denn der Herr sagte zu mir also usw. Der Prophet bekommt den Auftrag, auf eine Warte einen Wachtposten aufzustellen, der bis in weiter Ferne vor sich sah. Von aller Augen konnte es noch nicht gesehen, auch nicht vermutet werden. Damit alle wüssten, er habe nicht ohne Grund gesprochen, bezeugt er, dass er verkündigt, was Gott ihm gesagt. Was den Menschen noch unbekannt und unglaublich war, hat er mit prophetischem Geist klar und deutlich erkannt; über menschliches Urteilsvermögen war er hoch hinausgehoben. Das ist wohl zu beachten. Denn man darf nicht glauben, die Propheten hätten das, was sie verkündigten, von Menschen erfahren oder vermöge ihres Scharfsinnes vorausgesehen. Vielmehr wurden sie über ihr menschliches Begriffsvermögen hinausgehoben, sodass sie dies alles in weiter Ferne, wie von einer hohen Warte aus, schauten. Sie werden darum auch mit Recht Seher genannt. Zwar sind wir auch sehende Leute, aber unser Blick ist stumpf, und wir erkennen kaum, was vor unsern Füßen liegt. Auch die scharfsinnigsten Menschen sind zuweilen blind. Denn sie sehen nur das, was sie mit ihrer Vernunft zu fassen vermögen. Die Propheten aber reden durch den Geist Gottes, gleichsam wie vom Himmel. Jedenfalls handeln diejenigen töricht, welche solche Weissagung, die doch von Gott ausgegangen ist, nach ihrer eigenen Vernunft messen wollen. Sie überragt unser Fassungsvermögen um ein Bedeutendes. Dass Jesaja die Wachtposten im Namen und Auftrage Gottes aufstellt, dient noch mehr zur Bekräftigung der Weissagung. Wenn also jemand einwürfe: Du erzählst ja unglaubliche Dinge und tust, als ob sie schon eingetreten wären, - dann antwortet er: Ich verkündige nichts, ohne Grund dazu zu haben; denn ein Wachtposten, der von einem Fürsten aufgestellt ist, sieht in der Ferne Dinge, die andern noch unbekannt sind. So schaut Jesaja dies, was andern noch verborgen war, durch Offenbarung des Geistes.

V. 7. Er siehet aber Reiter reiten. Dieser Vers enthält eine lebhafte Schilderung jenes Untergangs Babylons. Manche meinen, dies würde von einem Boten des Königs gemeldet. Das ist aber falsch. Der Prophet verkündigt vielmehr, was er von dem von Gott befohlenen und aufgestellten Wächter hört. Jenen Wächter führt er hier ein, wie er Ausschau hält und Meldung macht. Da er auf den ersten Blick noch nicht deutlich sieht, sagt er, es seien Reiter, dann schärfer hinsehend, es seien Reiter auf Rossen, Eseln und Kamelen. Zuerst ist seine Aussage, weil die Gegenstände ihm noch fremd und weit entfernt sind, noch zweifelhaft und ungewiss; dann aber, nachdem der Zug näher gekommen, wird dieselbe bestimmter. Es ist aber nicht ungereimt, prophetische oder göttliche Gesichte in menschlicher Art darzustellen. Denn Gott kommt, wie wir wissen, unserm mangelnden Verstand entgegen und passt sich menschlicher Art und Weise an.

V. 8. Und wie ein Löwe ruft er. Zuletzt bemerkt er einen, der ruft, wie ein Löwe. Andere übersetzen: Und er ruft – Ein Löwe! Man nimmt an, mit dem Löwen sei Darius gemeint, von dem Babylon unterworfen und ausgeraubt wurde, wie wir bei Daniel (Kap. 5) lesen.

Ich stehe auf der Warte immerdar. Diese Worte des Wächters dienen zur Bekräftigung der Weissagung. Der Prophet will sagen: Nichts ist gewisser als dieses Gesicht. Denn die auf Gottes Anordnung zum Wächteramt bestimmt sind, sind nicht schlaftrunken und träge. Die Frommen ermuntert der Prophet durch dies Beispiel zu ähnlicher Wachsamkeit und regt sie an, nachdem sie durch Gottes Wort erleuchtet sind, von Ferne Gottes Macht zu schauen.

V. 9. Und siehe, da kommt einer usw. Hier tritt klar hervor, dass nicht ein Wächter des Königs Belsazar gemeint sein kann. Diese Worte würden zu einem solchen nicht passen. Der Prophet verkündigt also auf Gottes Geheiß, was da kommen sollte. Diese Worte können nun sowohl auf Darius, wie auf Gott und auch auf den Wächter bezogen werden. Das macht keinen großen Unterschied. Denn Darius war in dieser Sache Gottes Diener und wird darum nicht unpassend als Herold des göttlichen Gerichts eingeführt. Wahrscheinlicher ist aber, was der Prophet schreibt, auf Gott zu beziehen. Denn Darius beabsichtigte nichts derartiges, wenn er auch die Götzenbilder der Babylonier umstürzte. Am besten aber passt dieser Vers auf den Wächter. Als Bote gibt er gleichsam die Erklärung zu dieser Weissagung.

Alle Bilder ihrer Götter. Bemerkenswert ist, dass von „Bildern“ ihrer Götter geredet wird. Denn die Babylonier wussten, dass ihre Götzenbilder keine Götter waren, woraus auch alle Götzendiener kein Hehl machen. Sie legten ihnen jedoch göttliche Macht bei. So wird die Wahrheit Gottes in Lüge verkehrt, ja Gott selbst abgeleugnet. Aber darüber wollen wir später noch ausführlicher handeln. Hier sehen wir, dass Babylon seine Götzendienerei mit seinem Untergang gebüßt hat. Denn der Prophet gibt den Grund an, weshalb es unterging. Gott kann nicht dulden, dass man sich mit seinen Götzenbildern brüstet.

V. 10. Meine liebe Tenne usw. Da ein so mächtiges Königreich mit seinem Glanz aller Augen blendete, konnte alles, was Jesaja über seinen Untergang verkündigte, unglaublich erscheinen. Darum lenkt er die Gedanken seiner Zuhörer auf Gott. Sie sollen erkennen, dass dieser selbst es für sich übernommen hat, Babylon zu vernichten. Dass diese stolze Höhe zusammenfällt, geschieht nicht durch der Menschen Willkür, sondern durch Gottes Macht. Diese Stelle ist wohl zu beachten, damit wir nicht, wie wir von Natur gern tun, Gottes Macht nach unserm Maßstab messen. Da ferner unsere schwache Geisteskraft nicht von Ferne an Gottes Ratschluss heranreicht, so sind wir auch schlechte, unbillige Beurteiler der Werke Gottes. Nur soweit können wir dieselben fassen, als unser menschliches Vermögen und Verständnis reicht. Immer jedoch müssen wir uns Gottes unbegrenzte Macht vergegenwärtigen, zumal wo unser Fassen und Verstehen uns im Stich lässt. Wenn also die Kirche von Tyrannen so bedrängt wird, dass keine Hoffnung auf Rettung mehr da ist, dann sollen wir dennoch wissen: der Herr wird sie zunichte machen, wird ihren Stolz niedertreten, ihre Stärke brechen und dadurch zeigen, dass sie seine Tenne sind. Dies wird nun nicht über irgendeinen gewöhnlichen Menschen geweissagt, sondern über das mächtigste und blühendste aller Königreiche. Je mehr sie sich also erheben, umso schneller werden sie zu Grunde gehen, und der Herr wird unter ihnen seine Tenne herrichten. Wir sollen dabei erkennen, dass solch unglaublicher Untergang, wie hier als Exempel vom Herrn gegeben wurde, auch Völker und Staaten ähnlicher Art treffen wird.

Was ich gehört habe von dem Herrn Zebaoth, dem Gott Israels, das verkündige ich euch. Mit diesen Worten unterzeichnet der Prophet seine Weissagung gleichsam wie mit einem Siegel. Er bezeugt, dass er nicht seine eigenen Vermutungen vorgebracht, dass er vielmehr alles vom Herrn selbst empfangen hat. Diener Gottes müssen ihr Amt führen in der Zuversicht, dass sie in Gottes Namen reden. So mahnt auch Petrus (1. Petr. 4, 11): „So jemand redet, dass er' s rede als Gottes Wort.“ Wohl rühmen sich auch die Heuchler des Namens Gottes; treuen Knechten aber bezeugt das Gewissen, dass nichts von ihnen vorgetragen wird, was Gott ihnen nicht aufgetragen hat. Beachte auch, wie überaus nötig solch eine Bekräftigung der Weissagung war. Der ganze Erdkreis staunte die Macht eines so gewaltigen Reiches an. Nicht ohne Absicht nennt der Prophet hier Gott den Herrn Zebaoth und den Gott Israels. Was die erste Bezeichnung, Herr Zebaoth, Herr der Heerscharen, betrifft, so ist sie ein Name, der Gott immer zukommt. Hier aber hat der Prophet ohne Zweifel die Absicht, damit die Macht Gottes allen Machtmitteln der Babylonier gegenüberzustellen. Es gibt nicht nur ein Heer Gottes, sondern unendlich viele, mit denen er seine Feinde überwindet. „Gott Israels“ aber nennt ihn der Prophet, weil er durch die Vernichtung der Babylonier sich als den Beschützer und Wächter seines Volkes beweisen will. Denn der Sturz jenes Reiches hat den Juden die Freiheit gebracht. Am letzten Ende ist dies alles zum Besten der Gemeinde Gottes geschehen, die auch der Prophet bei seiner Weissagung im Auge hat. Denn er gibt hier nicht den Babyloniern eine Belehrung; diese würden doch zweifellos über diese Weissagung gelacht haben. Vielmehr sollen die Gläubigen, obschon sie von den Babyloniern bedrückt, niedergeworfen und zerstreut waren, Vertrauen fassen und glauben, dass sie für Gott doch ein Gegenstand der Fürsorge sind.

V. 11. Dies ist die Last über Duma. Aus 1. Mos. 25, 14 geht hervor, dass dieses Volk von Duma, einem Sohne Ismaels abstammte. Nach demselben wurden seine Nachkommen Dumäer genannt. Die Ursache des Untergangs, welcher diesen Leuten angekündigt wird, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen. Auch ist diese kurze Weissagung an sich etwas dunkel. Wir müssen uns nur immer wieder daran erinnern, worauf ich schon früher hinwies, dass die Juden gegenüber schrecklichen Ereignissen, die ihnen drohten, geschützt werden sollten. Wenn so mannigfache Veränderungen vor sich gehen, wenn der ganze Erdkreis in einer Umwälzung sich befindet und ein Wechsel dem andern folgt, geraten wir wohl in Verwirrung. Wir fangen dann an zu zweifeln, ob alles nach einem blinden Zufall sich abspielt oder durch Gottes Vorsehung regiert wird. Der Herr zeigt nun, dass diese Umwälzung von ihm ausgeht, und dass die ganze Weltlage dazu verändert wird, damit wir erkennen, wie hier nichts ewig ist. Wir sollen dann von ganzem Herzen danach trachten, in Christi Reich, das allein ewig ist, zu gelangen. Da also derartige Veränderungen drohten, sollten die Juden zuvor darauf hingewiesen werden. Wenn sie dann eintreten würden, sollten sie sich daran erinnern, sollten Gottes Vorsehung anschauen und auf diese Weise ihren Glauben stärken. Zudem wurden die Juden ohne Zweifel durch mancherlei Gedanken stark beunruhigt, da sie überall den ganzen Erdkreis erschüttert sahen und irgendwelche Mittel suchten, um jenem Sturme und Wetter zu entgehen. Wir wünschen ja immer in Sicherheit und außer aller Gefahr zu sein. Sie hätten also vielleicht andere Wohnplätze aufsuchen können, wo sie besser für sich zu sorgen vermochten. Da aber von allen Seiten die Stürme heranbrausten, so wurden sie darauf hingewiesen, dass sie nirgends sicherer wohnten als in der Gemeinschaft der Frommen, und wurden so in ihren Wohnplätzen festgehalten. Dies Beispiel soll vielen eine Mahnung sein, welche aus Furcht vor Gefahr von der Gemeinde Gottes sich trennen und nicht bedenken, dass ihnen außerhalb derselben nur noch größere Gefahren drohen. Durch solche Erwägungen konnten die Juden beunruhigt werden. Und wenn sie dann ratlos hin und her schwankten und ihre Zuflucht zu anderen Völkern nahmen, konnten sie leicht zu Grunde gehen. Aus dieser Erwägung heraus kündigt, wie ich glaube, der Prophet auch den Dumäern den Untergang an. Die Juden sollten eben mit ganzer Seele zu Gott ihre Zuflucht nehmen und ihm allein das Heil seiner Gemeinde anbefehlen. Wir sollen also lernen, bei der Kirche Gottes auszuharren, auch wenn dieselbe von vielen Heimsuchungen bedrückt ist. Wir sollen lieber stille die väterlichen Züchtigungen, welche Gottes Kindern auferlegt werden, ertragen, als dass wir fortgehen und die Hefe trinken, an der die Gottlosen ersticken. Denn was wird erst den Gottlosen und Sündern geschehen, wenn Gottes Kinder so gezüchtigt werden? Möglich ist, dass auch die Dumäer das auserwählte Volk nicht wenig belästigten, als dieses von allen Seiten von seinen Nachbarn angegriffen wurde.

Seir. Seir war ein Berg im Lande der Idumäer, wie wir aus 1. Mos. 14, 6 schließen können. Unter dem Namen dieses Berges begreift aber der Prophet das ganze Land.

Hüter, ist die Nacht schier hin? Da die Idumäer hier an den Hüter, d. h. an den Propheten, Fragen stellen, so sind sie wahrscheinlich nicht weit entfernt, ja vielleicht wegen der Gefahr, die ihnen, wie den Juden drohte, in Angst gewesen. Dass sie von dem Wächter erforschen, was er in der Nacht bemerkt habe, das tun sie nicht aus Neugierde. Einer erkundigt sich, dann ein anderer, dann wieder ein anderer, welcher dasselbe erkundet. Darauf bezieht sich die Wiederholung der Frage, dass der Wächter nicht nur von einem, sondern von mehreren Leuten gefragt wird. So pflegt es wohl in zweifelhaften, angstvollen Lagen zu geschehen, dass keiner dem andern glaubt, weil ein jeder von der eignen Furcht hingenommen ist.

V. 12. Der Hüter aber sprach: Wenn der Morgen schon kommt usw. Der Prophet weist hier darauf hin, dass jene angstvolle Unruhe nicht nur einen Tag oder nur geringe Zeit dauern wird. Der Wächter will sagen: Was ich euch heute verkündige, werde ich auch morgen verkündigen; wenn ihr euch heute fürchtet, werdet ihr euch auch morgen fürchten. Das ist aber für Menschen die traurigste Lage, wenn sie so voller Angst sind, dass sie zwischen Leben und Tod schweben. Das ist der schlimmste Fluch, den der Herr den Gottlosen durch Mose androht (5. Mos. 28, 67): „Des Morgens wirst du sagen: Ach, dass es Abend wäre! – des Abends wirst du sagen: Ach, dass es Morgen wäre!“ Zwar sind auch die Frommen von vielen Gefahren umlagert, aber sie wissen sich und ihr Leben in Gottes Hand. Auch in den Schrecken des Todes sehen sie das Leben, oder sie mäßigen wenigstens ihre stürmische Angst und Furcht durch Hoffnung und Geduld. Die Gottlosen aber zittern allezeit; sie werden nicht nur von Schrecken gequält, sondern sie vergehen in ihren Schmerzen.

V. 13. Das ist die Last über Arabien. Der Prophet redet hier von den Arabern und verkündigt ihnen, dass auch sie in Gottes Gericht hineingezogen werden sollen. Keines von den den Juden bekannten Ländern nimmt er aus. Derart werden die Araber von Furcht erfasst werden, dass sie ihre Häuser verlassen und im Walde in Arabien ihre Zuflucht suchen werden. Ein arabischer Stamm wird ausdrücklich genannt: die Dedaniter.

V. 14. Bringet dem Durstigen Wasser entgegen. Der Prophet schildert noch eingehender jenes Zittern und jene Furcht, die nach Gottes Ratschluss die Araber derart erfüllen sollte, dass sie an nichts anders mehr als an Flucht denken. Nicht einmal so viel Zeit werden sie sich nehmen, um wenigstens das zur Reise Nötige zusammenzuraffen. Die Araber werden also ins Land Thema kommen, leer und von allem entblößt, ohne jede Wegzehrung. Darum fordert Jesaja die Einwohner des Landes auf, sie sollen mit Wasser und Brot ihnen entgegengehen; jene würden sonst bei ihrem großen Mangel zu Grunde gehen. Diese Stelle wird, wie ich weiß, von einigen anders ausgelegt. Sie meinen, der Prophet verhöhne die Araber, die so grausam und unmenschlich gegen die Juden gewesen waren, als wollte er sagen: Wie, ihr wollt nun den Dürstenden Wasser bringen? Doch ist diese Auslegung zu gezwungen. Ich will allerdings nicht in Abrede stellen, dass den Arabern für ihre Grausamkeit dadurch vergolten wurde, dass sie hungrig und durstig hierhin und dorthin eilten. Der eigentliche Sinn ist aber der angegebene, dass nämlich die Araber auf ihrer Flucht in solches Elend geraten sollen, dass sie nicht einmal genügend Wasser haben werden; sie werden vor Durst verschmachten, wenn man ihnen nicht eilends zu Hilfe kommt; es wird ihnen ebenso sehr an Speise, wie an Trank mangeln. Der Prophet ruft die Nachbarn auf, ihnen Hilfe zu bringen, nicht als ob er sie wirklich dazu bewegen wollte, sondern nur zu dem Zweck, um die jämmerliche Lage jener nur noch deutlicher hervorzuheben.

Bietet Brot den Flüchtigen. Der Prophet befiehlt, sie sollen ihnen Brot bringen, wiederum nicht, um das als ihre Pflicht hinzustellen, sondern um darzutun, woran es den Arabern in ihrer schlimmen Armut mangelt.

V. 15. Denn sie fliehen vor dem Schwert. Die zukünftige Niederlage wird furchtbar sein. Nicht ohne Grund werden die Araber sich auf die Flucht begeben. Sie werden es deshalb tun, weil die Feinde sie mit Waffen und Schwertern heftig verfolgen werden, sodass sie nichts anders tun können, als ihr Heil in der Flucht zu suchen. Die Juden sollten, wohin sie auch ihre Blicke richteten, Gott als den Richter aller Völker schauen. Wir wissen aus der Geschichte nichts darüber, ob die Araber den Juden feindlich gesinnt waren. Wie dem auch sei, gewiss ist dies zum Troste der Frommen gesagt. Sie sollen Gottes Gerechtigkeit schauen allen Völkern gegenüber und sollen erkennen, dass sein Richterstuhl, von dem aus er Gericht über den ganzen Erdkreis übt, zu Jerusalem steht.

V. 16. Denn also spricht der Herr zu mir usw. Der Prophet fügt hinzu, dass das Unheil, von dem er geweissagt, den Arabern ehestens bevorsteht. Das konnte die Frommen reichlich trösten. Wir sind ja von Natur ungeduldig und haben es nicht gern, wenn die Erfüllung unserer Wünsche hinausgeschoben wird. Auf diese unsere Schwachheit nimmt der Herr Rücksicht, wenn er verheißt, sein Werk zu beschleunigen. Darum weist der Prophet auch darauf hin, dass er Dinge weissagt, die nicht erst nach vielen Jahrhunderten, sondern ehestens eintreten werden. Die Juden sollen nur umso ruhiger die Heimsuchungen ertragen, denen sie, wie sie wissen, in kurzem entnommen werden sollen.

Noch in einem Jahr, wie des Tagelöhners Jahre sind. Dies Bild haben wir schon früher (zu 16, 14) besprochen. Der Prophet zeigt mit demselben an, dass der Termin des Gerichts nicht im Geringsten hinausgeschoben wird. Dasselbe Bild gebrauchen auch weltliche Schriftsteller, wenn sie von einem bestimmten Termin reden, den man herbeiwünscht. Dahin gehört das Wort des Dichters Horaz: „Zu lang erscheint der Tag den Tagelöhnern.“

V. 17. Und der übrigen Schützen usw. Der Prophet kündet an, dass diese Heimsuchung noch nicht das Ende des Unglücks sein wird. Wird nämlich ein Rest in Arabien übrig bleiben, so wird derselbe allmählich zu Grunde gehen. Der Herr wird die Macht der Araber nicht in einem Ansturm niederwerfen, sondern sie fortgesetzt bis zum äußersten verfolgen, bis sie ohne alle Hoffnung auf Rettung untergehen. Solcher Art ist die Rache, die der Herr an den Gottlosen übt, während er mit einer gewissen Mäßigung die Frommen bestraft, damit sie nicht gänzlich aufgerieben werden.

Der Helden zu Kedar. Der Prophet hat hier kriegerische, im Waffenhandwerk erfahrene Leute im Auge. Aber auch an diese – mögen sie nun jenem ersten Schlage entgehen – wird nichtsdestoweniger die Reihe kommen; auch sie werden zu Grunde gehen. Ähnliche Züchtigungen hat er freilich vorher auch den Juden angedroht, aber es wurde doch immer eine Verheißung hinzugefügt, die ihre Traurigkeit linderte oder doch wenigstens ihre Herzen aus der Verzweiflung aufrichtete. Es trifft die Kinder Gottes zuweilen ebenso, wie die Gottlosen, ja sie werden noch härter als diese getroffen, aber die Hoffnung auf Gnade, die ihnen dabei gegeben wird, macht den Unterschied aus zwischen ihnen und der ganzen Welt. Wenn wir ferner hören, dass die Strafen, die Gott über die Gottlosen verhängt, Tod bringende sind, so brauchen wir auch bei den schwersten Züchtigungen nicht über die Maßen in Angst und Verwirrung zu geraten. Wir dürfen dann nur umso mehr den Trost festhalten, dass er uns wohl züchtigt, aber nicht dem Tode preisgibt.

Denn der Herr, der Gott Israels, hat's gesagt. Wie sonst schon oft, zeigt der Prophet auch hier, dass jene Ereignisse nicht nur auf göttliche Anordnung hin geschehen, sondern von dem Gott beschlossen sind, den Israel verehrt. Je und dann sehen sich alle Menschen gezwungen, zu Gott ihre Gedanken zu erheben, auch wenn sie nur an ein blindes Schicksal glauben. Auch wider Willen kommen ihnen im Glück wie im Unglück solche Gedanken, dass es im Himmel doch wohl irgendeinen Gott gibt. Dann aber machen sie sich nach ihrer Willkür ein göttliches Wesen, sei' s im Himmel oder auf Erden, zurecht. Während also die Heiden nach ihrem Gutdünken sich einen Gott bilden, was doch töricht und wertlos ist, ruft der Prophet die Juden zu dem Gott, den sie verehren. Sie sollen klar erkennen, dass sie es mit ihm zu tun haben, da sie von ihm in seine treue Vaterschaft aufgenommen worden sind. Es ist nicht genug, wenn wir irgendeinen Gott als Regierer der Welt verehren, wir müssen vielmehr den wahren Gott erkennen, der sich den Vätern kundgegeben und in Christo geoffenbart hat. Das muss festgehalten werden gegenüber dem Unglauben vieler Leute, die zwar nicht offen Gott zu leugnen wagen, aber mit demselben, ich weiß nicht was für ein dunkles göttliches Wesen zusammenbringen.

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