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Calvin, Jean – Hiob 4, 12-19

Calvin, Jean – Hiob 4, 12-19

12) Aber es ist etwas im Verborgenen zu mir gekommen, davon hat mein Ohr ein wenig vernommen. 13) Beim Nachsinnen über die Nachtgesichte, wenn der Schlaf sich auf die Leute senkt, 14) kam über mich Furcht und Zittern und setzte mein Gebein in Schrecken. 15) Der Wind ging hin und her, dass mir die Haare zu Berge stunden an meinem Leibe. 16) Da stand es, sein Angesicht erkannte ich nicht; ein Bild stellte sich meinen Augen dar, und ich hörte ein leises Raunen: 17) „Ob wohl der Mensch gerechter ist als Gott? Ob er wohl reiner ist als sein Schöpfer? Siehe, er findet keine Festigkeit an seinen Dienern, selbst in seine Engel legt er Eitelkeit hinein. 19) Geschweige denn bei denen, die in tönernen Häusern wohnen, die auf Staub gegründet sind! Durch die Motte werden sie verzehrt und vernichtet.“

Jetzt beruft sich Eliphas auf die Autorität Gottes, um zu beweisen, das Hiob dem nicht im Geringsten widersprechen kann und darf, dass er mit Recht von Gott verdammt sei. Einige meinen, Eliphas rühme sich bloß einer Offenbarung, die er gar nicht gehabt habe; aber bei näherem Nachdenken besteht kein Zweifel, dass seine Angabe durchaus wahr ist: Gott hat ihm diese Offenbarung geschenkt. Denn daran müssen wir durchaus festhalten: Die allgemeinen Sätze, die er vorbringt, sind ganz gut, er macht nur eine üble Anwendung davon. Dass ihm aber Gott dies eingegeben hat, darf uns nicht befremden; denn Gott gibt uns heute eine andersartige Unterweisung als den Vätern jener Zeit. Wie redet Gott mit uns? Die Propheten sind Werkzeuge des Heiligen Geistes, wir aber haben das Evangelium, worin sich Gott in vertrauter Weise ausspricht. Das ist die Art, wie Gott heute in seiner Kirche redet: er hat uns seinen ganzen Willen in der Heiligen Schrift kundgetan. Vorzeiten hat Gott sich an denen, denen er diese Gnade erzeigen wollte, durch Gesichte offenbart, wovon die Heilige Schrift uns Zeugnis gibt. Eliphas muss also ein trefflicher Mann gewesen sein; wir dürfen nichts Befremdliches darin erblicken, dass Gott ihm in einem Nachtgesicht erschien und dass Eliphas dieselbe Erkenntnis gewann, die uns heute die Schrift vermittelt. Es ist also kein fälschlich erdichteter Ruhm, aber darin besteht kein Fehler, dass er das, was ihm zu einem ganz anderen Zweck und Gebrauch offenbart war, in verkehrter Weise auf die Person Hiob anwendet. Gott gibt ihm die Lehre, dass die Menschen in Demut wandeln sollen. Das Gesicht, das ihm zuteil wurde, hatte also den Sinn, dass die Menschen sich nicht selbst gefallen dürfen und dass sie sich nicht aufblähen sollen in der Meinung, sie seien gerecht und ständen hoch im Wert; sie sollen vielmehr wissen, dass nichts als Sünde in ihnen ist, wenn sie vor Gott erscheinen müssen, dass sie sich schämen, auf ihre verderbte Natur schauen und sich deshalb selbst missfallen müssen. Diese gute Lehre hat Eliphas empfangen, aber er wälzt die ganze Last auf Hiob ab und denkt, er habe gewonnen, wenn er den niederdrücke, der doch Gott treu gedient hatte. Er hat also aus der Unterweisung Gottes einen üblen Vorteil gezogen; denn er blickt nicht auf sich selbst, sondern will den Hiob ins Unrecht setzen, was doch mit der Wahrheit nicht stimmt.

Eliphas erzählt, er habe ein leises Raunen gehört, es sei auch ein Bild da gewesen, aber er habe es nicht erkannt, sondern sei so erschrocken gewesen, dass er am ganzen Leib gezittert habe; die Haare an seinem Leibe hätten zu Berge gestanden vor Schreck und Bestürzung, und er sei wie von Sinnen gewesen. Das Ganze sollte ihm den Beweis liefern, dass es sich hier nicht um einen Traum handelte, sondern dass sein Zeugnis ein Gotteszeugnis sei, dass mit aller Ehrerbietung entgegengenommen sein will. Alle Gesichte der alten Väter begleitete Gott mit solchen Kennzeichen, die ihnen Schrecken und Angst einjagen sollten. Das diente dazu, seinem Worte Autorität zu verschaffen und ihm eine bessere Aufnahme zu sichern. Auch können die Menschen die Rede Gottes nur dann gebührend anhören, wenn er sie seine Majestät merken lässt. Endlich sind wir gar nicht fähig, seine Rede anzunehmen, wenn nicht zuvor unser Fleisch gebändigt ist; denn in uns steckt die Hoffart, die uns aufbläht, so dass wir nicht erkennen, was uns gut und heilsam ist, bis Gott uns niedergeschlagen hat.

Im Verborgenen, sagt Eliphas, sei etwas zu ihm gekommen, davon habe sein Ohr nur wenig vernommen. Auf den ersten Blick könnte es lächerlich erscheinen, dass er es etwas Verborgenes nennt, dass Gott zum mindesten ebenso gerecht sei wie die Menschen oder dass die Menschen noch lange nicht so gerecht seien wie Gott. Das weiß doch jedermann, und selbst die Heiden haben dem nicht widersprochen! Was liegt denn in diesem Satz für ein verborgenes Geheimnis? Nun, jedenfalls ein sehr notwendiges Geheimnis! Aber wenn die Menschen auch darin völlig übereinstimmen, dass Gott allein gerecht ist und dass wir im Vergleich zu ihm voller Schwachheit sind, soviel ist doch sicher: Wir erkennen das längst nicht klar genug, und es ist uns viel zuwenig eingeprägt. Denn wären wir mit voller Gewissheit von Gottes Gerechtigkeit und unseren Fehlern überzeugt, es würde uns kein Zweifel daran kommen, wie es für gewöhnlich der Fall ist. Man würde kein Murren in unserem Munde hören, es gäbe keinen Widerspruch in unserm Herzen, wir wären ganz stille. Gefiele es Gott, uns schamrot zu machen, wir würden bekennen: Das geschieht mit gutem Recht! Nun sieht man aber: Wenn Gott die Menschen antastet, so reißen sie das Maul gegen ihn auf, ja sogar, wenn er, um sie zu schonen, ihnen ihre Sünden nur erst aufdeckt, wollen sie sich zu keinem wahren Geständnis bequemen. Da kann man ganz deutlich sehen: Alle Menschen sind aufgeblasen vom Eigendünkel; sie wissen nichts von Gottes Gerechtigkeit und wollen sich ihr nicht unterwerfen, vor ihr demütigen. Es hat also Grund, wenn es Eliphas ein Geheimnis nennt, dass Gott allein gerecht ist und dass die Menschen sich ihrer Armut schämen und ihr Elend erkennen müssen. So meint es auch Paulus, wenn er zu den Römern sagt (3, 21): „Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart und bezeugt“, damit sich alle Welt vor Gott schuldig bekenne. Gewiss, man kann nicht sagen, dass hierin eine besondere Schwierigkeit liege, aber soviel ist sicher: Die Menschen schreiben sich immer ich weiß nicht was zu, sie können ihren eitlen Stolz nicht ablegen, ja, sie lassen sich dünken, sie könnten durch ihren vermeintlichen „freien Willen“ wunders was ausrichten. Dazu lügen sie sich vor, sie könnten sich vor Gott Verdienste erwerben. Nein, im Gegenteil, Gott will als der einzig Gerechte erkannt sein, und in den Menschen ist nichts als Ungerechtigkeit zu finden!

Mit dem Geständnis, er habe nur wenig davon verstanden, gibt Eliphas zu erkennen, dass er sich nicht übers Maß erheben will. Denn er nimmt keine vollkommene Weisheit für sich in Anspruch, als wäre ihm nichts entgangen, als habe er alles vollkommen bis auf den letzten Rest verstanden; er hat von der Lehre Gottes nur einen Geschmack bekommen und nur ein Stück davon verstanden. Darin liegt eine Warnung für uns. Wenn Gott uns vertraute Kundgebungen schenkt, so ist es schon viel, wenn wir einen Teil davon begreifen, und wir dürfen ja nicht meinen, wir hätten davon ein so vollkommenes Verständnis, dass nichts daran fehlte. Wer sich so etwas zuschreibt, der betrügt sich und schließt sich selbst die Tür zu, die ihm sonst offen stände, um weiter zu kommen. Es ist also schon viel, wenn wir nur einen geringen Geschmack von der Wahrheit Gottes und überhaupt einen Zugang dazu zu haben. Und wenn das von den Propheten und Lehrern gilt, die Gott erwählt und eingesetzt und denen er ganz besondere Gnade erzeigt hat, wie steht es dann mit uns? Dafür haben wir ein Exempel an Eliphas: nicht als ein gewöhnlicher Mann aus dem Volke steht er vor uns, sondern als einer, dem Gott erschienen ist, und nichtsdestoweniger erklärt er, er habe nur wenig verstanden. Wären wir davon fest überzeugt, würden wir nicht so vermessene Worte machen; denn jeder meint, er wisse alles, und je weniger einer mit der Heiligen Schrift bekannt ist, je mehr will er als besonders scharfsinnig und spitzfindig gelten. Alles, was sie sagen, soll gut und recht sein, als steckte der Heilige Geist in ihrem Ärmel. Wer noch am ABC buchstabiert, meint, er habe schon alles gelernt. Damit verbindet sich denn eine große Nachlässigkeit, weil die meisten sich gar keine Mühe geben, in der Erkenntnis zuzunehmen. Sie tun, als hätten sie schon alle Weisheit ausgelernt; haben sie nur drei Worte vom Evangelium gehört, so sind sie schon so voll, dass nichts mehr hineingeht. Es ist gar keine Rede davon, dass sie eigentlich gar nichts wissen, nein, sie wollen andere belehren, ja, sie wollen mehr als Lehrer sein. Über eine solche Vermessenheit macht Gott sich lustig; denn das wenige, was sie empfangen haben können, muss ihnen wieder genommen werden, und so bleiben sie leer, wie es im Gesang der Jungfrau Maria heißt: „Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässet die Reichen leer“ (Luk 1, 53). Nur Christus allein hat die Weisheit in vollkommenem Maß; er kann jedem geben, wie viel er will.

Noch eins: Als Gott sein Gesetz bekannt gab, begleitete er es mit deutliche Zeichen, um die zu erschrecken, die er damals unterweisen wollte, und das Volk sprach: „Lasst Gott nicht mit uns reden, wir möchten sonst sterben“ (Ex 20, 19). Gott umkleidet sein Gesetz mit einem so gewaltigen Ansehen, dass das Volk beim Anblick so vieler Wunderwerke ganz bestürzt wurde. Mit noch viel größeren Erweisungen ist das Evangelium bekräftigt. Darum darf und soll uns nichts daran hindern, das Wort Gottes mit aller Demut anzunehmen, es sei denn, dass Undank und Bosheit uns die Augen blenden. Können wir nicht alle die großen Taten Gottes anschauen, die er uns gezeigt hat, so wollen wir uns begnügen mit dem, was er uns in seinem Wort zeigt, ohne dass wir neue Gesichte und Offenbarungen begehren. Es gibt noch viel Flattergeister, die am liebsten möchten, die Engel kämen vom Himmel und brächten ihnen eine Offenbarung. Das ist ein großes Unrecht gegen Gott, sich nicht genügen zu lassen daran, dass er sich so freundlich und vertraut geoffenbart hat. Haben wir die Heilige Schrift, so kann es uns an nichts fehlen, besonders in dieser Klarheit des Evangeliums haben wir eine vollkommene Weisheit. Wer noch durch den eitlen Wunsch gekitzelt wird, besondere Gesichte zu haben, der gibt damit zu erkennen, dass er von der Heiligen Schrift überhaupt nichts weiß. Es sei uns genug, was Gott uns durch seine Propheten, und erst recht durch unsern Herrn Jesus Christus, seinen Sohn, hat offenbaren wollen; damit hat er uns eine endgültige und abschließende Grenze gesetzt; weiter geht er nicht. Wir sehen ja, wohin die gekommen sind, die sich auf den Abweg begeben haben, ihre Schranken zu überschreiten. Daher ist eben die ganze Verwirrung im Papsttum gekommen, gründet doch der Papst seine ganze Lehre auf die Meinung: die Apostel hätten sich nicht über alles ausgesprochen, was der Kirche nützlich wäre, und deshalb sei der Heilige Geist gekommen, damit man neue Glaubensartikel aufbauen und sich an die heiligen Konzilien halten könne. Weil nun der Papst und seine Genossen sich nicht an die Reinheit der Heiligen Schrift gehalten haben, musste Gott sie mit wahnsinnigen Träumen blenden, so dass sie am Ende bis zur Anbetung von Holz und Stein herabsanken und eine derartige Verwirrung eingetreten ist, dass schon die kleinen Kinder sich dessen schämen müssten. Auch Mahomet hat gesagt, er sei berufen, das Evangelium durch eine vollkommene Offenbarung zu ergänzen; darum haben die Türken auch zum Tier herabsinken müssen. Auch heute halten sie sich noch mit so abscheulichen und groben Dingen auf, dass es schon gar nicht mehr zu überbieten ist; aber das ist eine gerechte Strafe Gottes: er hat sie hingegeben in einen ganz verwerflichen Sinn. Ebenso war es mit anderen Schwärmern auch in unserer Zeit, die die Kirche mit ihren angeblichen Gesichten und Offenbarungen in Verwirrung gebracht haben. Das ist auch einer der Artikel des unglücklichen Mannes, der hier verbrannt worden ist: der Heilige Geist habe bis jetzt noch nicht regiert, sondern er müsse noch kommen; damit tut der Bösewicht Gott eine Schmach an, als hätten die alten Väter nur einen Schatten des Heiligen Geistes gehabt, und nach seiner einmaligen, sichtbaren Ausgießung über die Apostel habe er sich sofort wieder zurückgezogen und sei der Kirche verloren gegangen. Solche Dinge bringt er vor; soviel an ihm ist, will er sich zu einem Mahomet machen und den Heiligen Geist zu seinem Knecht. Aber da sieht man, wie weit der Teufel ihn gebracht hat, und Gott muss solche Leute dahin kommen lassen, damit wir einen umso größeren Abscheu davor bekommen.

Ob wohl der Mensch gerechter ist als Gott? Ob er wohl reiner ist als sein Schöpfer? Es ist ein Wahnsinn, dass die Menschen sich groß machen wollen auf Kosten ihres Schöpfers. Aber weil die Menschen ihr Ansehen nicht leicht fahren lassen, um sich unter das Verdammungsurteil zu beugen, fügt Eliphas zur Bekräftigung seiner Lehre den Gedanken hinzu: Siehe, Gott findet keine Festigkeit an seinen Dienern, selbst in seine Engel legt er Eitelkeit hinein. Etlichen kommt es ungereimt vor, dass Gott seine Engel nicht völlig gerecht finden soll, und sie meinen deshalb, hier seien nicht die Engel gemeint, die im Gehorsam Gottes beharrten, sondern die gefallen und von Gott abtrünnig geworden sind. Aber es wird einfach von den Dienern Gottes geredet, und das ist ein Ehrentitel. Gott findet an seinen Engeln nichts Beständiges, sondern Torheit oder Eitelkeit; er sagt nicht: Widerspenstigkeit oder Abfall, sondern er drückt sich gelinder aus: Eitelkeit. Wenn der hl. Paulus sagt: „Der Herr aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat“ (1. Tim 6, 16), so schließt er damit ohne Zweifel alle Kreaturen aus. Gleichwohl wissen wir, dass die Engel unsterbliche Geister sind; denn Gott hat sie so geschaffen, dass sie niemals der Vernichtung verfallen sollen, wie ja auch die menschliche Seele niemals vergehen soll. Wie kann man denn diese beiden Aussagen in Einklang bringen, dass die Engel zu immerwährendem Leben geschaffen sind und dass doch Gott allein unsterblich ist? Das ist ganz leicht. Gott ist unsterblich von Natur; „in ihm ist die Quelle des Lebens“ (Ps 36, 10), die Engel aber sind nur insofern unsterblich, als sie durch die Kraft von oben am Leben erhalten werden. Es ist also kein Leben, außer in Gott allein, und doch steht dem nicht im Wege, dass das Leben über alle Kreaturen ausgegossen wird – es kommt eben aus seiner Gnade. Solcher Art ist auch die Unsterblichkeit der Engel, und gleichwohl haben sie in sich keine Beständigkeit, sondern Gott muss sie durch seine lautere Güte stärken. Sonst würde geschehen, wovon Ps 104, 29 spricht: „Du nimmst weg ihren Odem, so vergehen sie und werden wieder zu Staub.“ Wer gibt denn den Engeln des Paradieses Kraft und Stärke, wenn es nicht der Geist Gottes tut? Was sie haben, haben sie nicht von sich selber, sondern Gott hat es ihnen gegeben, und sie könnte sich dessen nicht dauernd erfreuen, wenn Gott diese Gnade, die er in sie gelegt, nicht fortwährend erneuerte. Was aber von ihrem Leben gilt, das gilt auch von ihrer Gerechtigkeit. Die Engel sind auch nur insoweit beständig, als Gott sie an seiner Hand hält. Wohl heißen sie „Fürstentümer und Gewalten“ (Kol 1, 16), aber nur weil Gott seine Macht durch sie ausübt und sie regiert. Kurz: die Engel haben in sich selber nichts, dessen sie sich rühmen könnten; denn alles, was sie an Macht und Beständigkeit haben, haben sie von Gott, und umso mehr sind sie ihm zu Dank verpflichtet.

Dass aber Gott in seine Engel Eitelkeit hineingelegt, soll nicht heißen, diese Eitelkeit sei von Gott, sondern es beruht auf einem Gerichtsurteil, dass er sie in sie hineingelegt: als Richter spricht er das Urteil, es solle Torheit und Eitelkeit in den Engeln sein, sie sollten Mängel und Gebrechen an sich tragen und nicht vor ihm bestehen können, wenn er sie nach seiner Strenge behandelte. Wer freilich nicht in der Schrift bewandert ist, dem mag es befremdlich vorkommen, aber wenn wir etwas von Gottes Gerechtigkeit wissen, so verwundern wir uns nicht mehr so sehr darüber, dass auch die Engel vor Gott schuldig erfunden werden, wenn er sie mit sich selbst vergleicht. Daran müssen wir allezeit festhalten: Das Gute in den Kreaturen ist nur gering im Vergleich mit dem, was in Gott ist – unendlich ist nur Gott. Wir müssen also diese zwei Dinge unterscheiden: Die Engel besitzen wunderbare Kraft und Stärke im Vergleich mit uns – Gottes Kreaturen bleiben sie ja immer, deshalb mögen wir sie wohl rühmen -, vergleichen wir sie jedoch mit Gott, so muss Gottes Größe alles verschlingen, wie die Sonne alle Himmelssterne verdunkelt. Was ist denn die Sonne? Ein Planet wie die andern. Aber Gott hat ihr mehr Klarheit gegeben als den andern, und deshalb muss alles gleichsam von ihr verschlungen werden, und wenn die Sonne ihr Regiment führt, sieht man keine Sterne mehr. Und wenn erst Gott kommt? Dann „wird der Mond sich schämen und die Sonne mit Schanden bestehen, wenn der Herr Zebaoth König sein wird in der Herrlichkeit“ (Jes 24, 23). Danach ist auch unsere Stelle zu verstehen: Gott findet Mängel an seinen Engeln, wenn sie gleich seine Diener sind. Damit ist aber nicht gesagt, dass der Dienst, den sie Gott leisten, etwa nicht vollkommen sei – natürlich soweit man bei geschaffenen Wesen von Vollkommenheit reden kann. Wenn wir in unserm Gebet begehren, dass sein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel, so bezeugen wir damit, dass die Engel Gott ohne Widerspruch gehorchen, ja, dass sie unter seiner Friedensherrschaft völlig mit seinem Willen in Einklang sind.

Weiter aber müssen wir wohl beachten: Christus ist gekommen, damit „alles durch ihn versöhnt würde zu ihm selbst, es sei auf Erden oder im Himmel“ (Kol 1, 20). Also haben auch die Engel ihre Beständigkeit nur in dieser Gnade unseres Herrn Jesus Christus; denn er ist der Mittler zwischen Gott und den Kreaturen. Allerdings ist Christus nicht der Erlöser der Engel gewesen; denn sie brauchten nicht vom Tode erkauft zu werden, dem sie ja nie verfallen waren, aber wohl war er ihr Mittler. Er sollte sie vollkommen mit Gott verbinden; er musste sie auch durch seine Gnade aufrechterhalten und bewahren vor dem Fall.

Findet aber Gott einen Mangel an seinen Engeln, ist keinerlei Festigkeit in ihnen, wenn sie nicht von oben festgehalten werden, wie wird es dann uns ergehen? Haben die Menschen eine solche Herrlichkeit und Kraft, wie die Engel des Paradieses? Ach, wie sind wir denn geschaffen? In tönernen Häusern wohnen wir, die auf Staub gegründet sind, in vergänglichen und baufälligen Hütten. Wir mögen uns rühmen, soviel wir wollen: es ist nichts in uns als Eitelkeit, unsere Leiber sind nichts als Staub und Asche, und alles verfällt der Verwesung. Und wenn wir nun in Lehmhäusern wohnen, da wollen wir herrlicher sein als die, die in der Herrlichkeit Gottes wohnen und schon jetzt sein Angesicht schauen? Die Engel sind keiner Veränderung dieser Welt unterworfen, sie wohnen schon jetzt in himmlischer Unsterblichkeit, wir aber erfahren täglich, dass unser Leben nur ein Hauch ist und dass eine einzige Minute genügt, um es von dieser Welt wegzuraffen. Und da wollen wir noch stolz auf uns sein? Siehe, da ist Gott! Wohl können wir seine Macht nicht so begreifen, wie sich´s gebührt, aber auch die Engel, die ihm doch viel näher stehen und sein Angesicht schauen, sind noch nicht so vollkommen, dass er an ihnen keinen Mangel mehr fände, wenn er sie an seinem strengen Maßstab misst. Was aber soll aus uns werden, wenn wir auf unsere Schwachheit blicken? Denn was ist unser Leib? Wie in Gräbern wohnen wir, wenn man´s richtig ausdrücken will; unser Leib ist wie ein finsteres Gefängnis, das uns am Schauen Gottes hindert – es ist, als lägen wir schon unter der Erde. Was ist unser Fundament? Staub! Dabei achten wir gar nicht darauf, dass wir uns in stetem Niedergang befinden; dass uns allerorten der Tod droht, daran denken wir nicht. Darum braucht man sich gar nicht zu wundern, dass das Los der Menschen so armselig ist, wenn doch selbst die Engel, die Gott ja so nahe stehen, nicht so vollkommen sind, dass Gott sie nicht verdammen müsste, wenn er mit ihnen ins Gericht geht.

Weniger als nichts sind wir, dabei dem Tode so völlig unterworfen, dass wir ihm wider Willen in die Arme laufen müssen. Aber auch in dieser großen Schwachheit hält uns Gott an seiner Hand; wir dürfen uns stützen auf seine Kraft und uns stärken durch seine Gnade. Das soll unsere Freude sein; aber die Hauptsache ist, dass wir auf das Gut und das Glück blicken, das Gott uns über die Ordnung der Natur hinaus schenkt, wenn er uns erneuert durch sein Wort, wie es bei Jesaja heißt: „Alles Fleisch ist Gras“ – es ist wahr, eine Zeitlang grünt und blüht der Mensch, aber nur um bald zu welken – „aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich“ (40, 6.8). Das soll aber nicht allein im Himmel ewiglich bleiben, sondern in ihm sollen wir ein Leben haben, das unser eigen bleibt; wir sollen aus der allgemeinen Verderbnis dieses irdischen Lebens erlöst werden, und Gott soll in uns wohnen, damit wir seiner Ewigkeit teilhaftig werden. Sehen wir aber unsere Kräfte also abnehmen, so müssen wir die Zeit, die Gott uns gibt, umso besser verwenden, je kürzer sie ist, und uns üben in seinem Dienst.

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