Calvin, Jean – Hiob 28, 20 – 28.

Calvin, Jean – Hiob 28, 20 – 28.

20) Woher kommt denn die Weisheit, und wo ist die Stätte des Verstandes? 21) Sie ist verborgen vor den Augen aller Lebendigen und auch verhehlt den Vögeln des Himmels. 22) Das Verderben und der Tod sprechen: Wir haben mit unsern Ohren ein Gerücht von ihr vernommen. 23) Gott kennet den Weg der Weisheit, er weiß ihren Ort. 24) Er beschauet die Enden der Welt und siehet alles, was unter dem Himmel ist. 25) Er ist es, der den Winden ihre Schwere gegeben hat und den Wassern ihr Maß, 26) der eine Bestimmung getroffen über den Regen und dem rauschenden Wetter den Weg geordnet. 27) Dort hat er sie gesehen und erkannt, er hat sie zugerichtet und geordnet. 28) Und er hat zum Menschen gesprochen: Die Furcht des Herrn ist Weisheit, und meiden das Böse, das ist Verstand.

Hiob will sagen: Die Menschen sind gar zu vermessen, wenn sie alle Geheimnisse Gottes begreifen und über nichts in Unwissenheit bleiben wollen. Unter „Weisheit“ aber versteht er das Wissen um alle Dinge und besonders um das, was Gott uns verborgen hält, bis er uns eine volle Offenbarung der Dinge schenkt, die er uns jetzt nur teilweise zumisst, in dem Maße, als er es für uns nützlich befindet. Nun gibt es in der Natur viel heimliche und verborgene Dinge; gleichwohl gelangt der Mensch zu ihrer Erkenntnis, und wir sehen auch ihre Ursachen ein, soweit Gott uns das Verständnis schenkt. Aber das geschieht nur bis zu einem gewissen Grade, und dabei müssen wir einsehen, dass unsere Vernunft und Einsicht nicht weiter reicht als zu den Dingen hier auf Erden, die das gegenwärtige Leben angehen. Wollen wir aber hinaufsteigen bis ins Himmelreich und die Dinge erforschen, die zum ewigen Leben gehören, da sind wir ohnmächtig und gänzlich blind.

Deshalb stellt Hiob die Frage: Woher kommt denn die Weisheit und wo ist die Stätte des Verstandes? Sie ist verborgen vor den Augen aller Lebendigen. Es ist wahr: Viele vermessen sich weise zu sein, und rühmen sich, sie trügen alle Weisheit in ihrem Ärmel; aber soviel ist sicher, Gott hält sie verborgen, und selbst die Verstorbenen, mögen sie auch nicht mehr in diesem sterblichen Leib eingehüllt und nicht mehr hienieden im Schlaf befangen sein, so verstehen sie doch den heimlichen Rat Gottes nicht. Wir mögen wohl umherlaufen hierhin und dorthin, wir mögen wohl versuchen, wo wir wollen, oben oder unten, niemals wird der Mensch in seiner Betriebsamkeit zur Weisheit gelangen; denn Gott hält sie in seiner Hand. Hiob will uns also demütig machen, damit wir uns nicht für so geschickt halten, die Geheimnisse Gottes zu begreifen, sondern gern auf das Wissen verzichten, das über unser Begreifen hinausgeht. Wollen wir aber das wissen, was uns zusteht, so lasst uns Gott bitten, dass er uns durch seine Heiligen Geist enthülle; denn das ist der einzige Weg. Gott befasst in sich alle Weisheit. Das würde genugsam allein die Erschaffung der Welt beweisen, da er den Winden ihre Schwere gab und den Wassern ihr Maß. Wie nun also Gott allein alle Weisheit in sich hat und ihr Brunnquell ist, so hat er auch verordnet, dass die Menschen nur weise sein können, indem sie ihn fürchten und ihm dienen. Der Menschen Weisheit besteht also nicht darin, dass sie in törichtem Vorwitz alles wissen wollen, sondern dass sie sich in ihren Schranken halten und erkennen: Gott dienen und sich ihm unterwerfen, das ist die wahre Weisheit. So fest muss sich der Mensch im Zügel haben, dass er vor dieser Schranke innehält. Soviel vom Wortlaut des Textes. Lasst uns nun sehen, wie wir ihn uns zunutze machen!

Die Weisheit ist verborgen vor den Augen aller Lebendigen. Darin liegt die Warnung, uns ja nicht auf unsern eigenen Verstand zu verlassen und uns nicht einen so scharfsinnigen Geist zuzuschreiben, dass wir die Ursachen der Werke Gottes verstehen könnten. In Anbetracht des Hochmuts, den wir in uns tragen, ist diese Warnung nötig genug; denn sind wir schon in den natürlichen Dingen so stolz und vermessen, so sind wir in dem, was darüber hinausgeht, noch viel maßloser. Jeder will so klug sein, dass ihm nichts verborgen sei, und dabei handelt sich´s nicht einmal darum, dass einer über den andern den Sieg gewinnt, sondern wir streiten wider Gott, und das ist ein schreckliches Ding, aber wir tun es doch – so vermessen sind wir in unserm Größenwahn. Wenn sich die Menschen nicht so sehr auf ihren eigenen Verstand verließen, so brauchten wir uns nicht so viel Mühe damit zu geben, die Welt in Ordnung zu halten. Aber die Weisheit findet sich nicht bei den Menschen. Von den irdischen Dingen hier unten können wir wohl einen gewissen Begriff bekommen; an sich sind sie auch dunkel, aber Gott offenbart sie uns; das nennen wir die natürliche Erkenntnis, weil sie allen gemein ist, wenn auch nicht allen in demselben Maße. Aber handelt es sich um Erkenntnis Gottes oder seiner Gerichte, da müssen alle menschlichen Sinne blind werden, und je höher sich die Menschen erheben wollen, umso tiefer müssen sie fallen und zu Schanden werden.

Nun aber sagt Hiob: Gott hat die Weisheit gesehen und erkannt; er hat sie zugerichtet. Er stellt also einen Vergleich an zwischen Gott und uns, weil unser Stolz nicht anders als mit Gewalt niedergeschlagen und gebändigt werden kann; das kann nur geschehen, wenn wir vor Gott gestellt werden. Denn man kann uns die Schwachheit und Stumpfheit unseres Geistes noch so überzeugend nachweisen, wir geben es doch nicht zu; wir weichen immer aus und behalten im geheimen immer einen gewissen Stolz zurück. Stellt man uns aber vor Gott, dann müssen wir einsehen, dass es nichts mit uns ist und dass wir uns mit unseren Gedanken nicht selbst betrügen dürfen. Seine Weisheit aber lässt uns Gott an der Schöpfung der Welt erkennen: Haben denn die Menschen einen so scharfen Verstand, dass sie alle Geheimnisse Gottes verstehen, etwa wie er die Ordnung der Natur eingerichtet, wie er Wind und Wasser abgewogen hat und dergleichen mehr? Dinge, die man heute sieht, können freilich auch die Philosophen erklären; aber die Weltschöpfung ist etwas so Wunderbares, dass die Menschen aufs höchste darüber staunen und die grenzenlose Weisheit Gottes anbeten müssen, weil sie ihnen unbegreiflich ist. Hiob meint, dass Gott allein seine Geheimnisse kennt und keinen Ratgeber hat, wie es an andern Stellen der Schrift heißt (Jes 40, 13; Röm 11, 34), und dass wir uns deshalb nicht unterfangen dürfen, in seinen verborgenen Rat einzudringen oder mehr wissen zu wollen, als was uns von ihm erlaubt ist, sondern in seiner Schule nur das lernen, was er uns lehren will; darin besteht unsere ganze Weisheit.

Zwei Fehler haben die Menschen, die schwer zu bessern sind: Vermessenheit und törichte Eitelkeit.

Die Vermessenheit besteht darin, dass die Menschen immer mehr wissen wollen, als Gott ihnen verordnet hat; sie wollen ihre Weisheit Gott zum Trotz behalten, und dabei ist doch Gott der Brunnen aller Weisheit. Aber Gott lässt es nicht zu, er richtet dir einen Schlagbaum auf, die Tür ist dir verschlossen, wo willst du hineinkommen? Der zweite Fehler aber besteht in der haltlosen Eitelkeit; was den Leuten nützlich ist, das lassen sie fahren, worum sie sich alle Mühe geben sollten, darnach fragen sie nichts, und so gehen sie hin und quälen sich mit eitlen Dingen, die ihnen keinen Nutzen bringen. Es treibt uns das törichte Verlangen, solche Dinge wissen zu wollen, die uns nichts nütze sind und die uns weder im Glauben noch in der Furcht Gottes erbauen können. Wenn uns Gott also manche Dinge nicht offenbart, so geschieht das, weil er uns vor allen Dingen demütigen will. Denn er kennt unsere Anmaßung; er weiß, es würde uns unerträglich sein, wenn wir alles wüssten, und so unwissend wir auch sind, wir wollen doch den Schein wahren, als wüssten wir alles. Gott demütigt uns, und wenn wir uns vollkommene Weisheit wünschen, so machen wir uns so lächerlich, dass wir zum Spott der Kinder werden. Ist es etwa Neid, dass Gott uns das Wissen um die verborgenen Dinge nicht gönnt? Keineswegs, sondern er will uns dadurch Demut lehren, und darin besteht das vornehmste Stück unserer Weisheit, dass wir bescheiden und nüchtern sind, ja, dass wir unsere Schwachheit fühlen und uns nicht überheben. Gott erklärt uns nur das, wovon er weiß, dass es uns gut ist. Wenn aber die Menschen alles erforschen wollen, so brechen sie den Hals, wenn sie so hoch fliegen, das heißt, wie man zu sagen pflegt, ohne Flügel fliegen wollen. Ein Wissen gibt es, darum soll sich jeder mühen: das, was uns erbauen kann in seiner Furcht. Nach Gottes Willen sollen wir aber nicht weise sein, um zu spekulieren oder in der Luft herumzuflattern, sondern um zu wissen, wie wir zu leben haben: unsere Weisheit soll verbunden sein mit dem Wissen um die richtige Gestaltung unseres Lebens. Wissen wir, dass Gott uns leiten will, so brauchen wir nicht zu befürchten, wir könnten unter seinem Geleit in die Irre geraten; aber wenn wir nach unserer Willkür vorgehen und über das, was uns Gott verborgen hat, nachgrübeln, so geraten wir in den Abgrund und werden mit Recht zu Schanden.

Um uns von diesen beiden Fehlern zu heilen, erklärt Hiob: Gott hat zum Menschen gesprochen. Das ist ein gewichtiges Wort. Gott will uns zu verstehen geben, dass die Lehre, die wir in seiner Schule erlernen sollen, dazu nütze ist, uns in einem heiligen Leben zu erbauen, damit die Menschen sich dem unterwerfen, der sie geschaffen und gebildet hat, und in seinem Gehorsam wandeln. Die Furcht Gottes ist unsere ganze Weisheit; darum hält uns der Herr zurück von dem, wonach uns immer am meisten verlangt, dem eitlen Grübeln, das uns doch zu nichts nützen kann, nur dass es uns mit einem törichten Ehrgeiz erfüllt und dem Verlangen nach einem windigen Wissen, das uns nur vermessen und uns doch nicht wirklich klüger macht.

Wir müssen nicht weise sein wollen, wie Gott weise ist. Gott hat alle Weisheit in vollkommenem Maß; je näher wir ihm kommen, desto mehr packt uns die Verwirrung. Es geht gar nicht darum, dass er uns ihm selbst an Weisheit wollte ähnlich machen, sondern dass wir uns ihm unterwerfen. Wir wissen doch, was unserm Vater Adam und unserer Mutter Eva widerfahren ist. Gott war nicht so knauserig, ihnen eine Weisheit vorenthalten zu wollen, von der er wusste, das sie ihnen gut wäre. Adam war nach dem Ebenbilde Gottes geschaffen: alles, was ihm vonnöten war, sollte er wissen, so dass er bei bescheidenem und maßvollem Verlangen nichts weiter zu wünschen brauchte. Satan aber flüsterte ihm ins Ohr, er werde sein wie Gott und alle Dinge wissen. Adam schlägt über die Stränge wie ein wildes Pferd: ich muss alles wissen, meint er, es darf nichts mehr geben, was ich nicht wüsste. Wir sehen ja, wie fein er alles gelernt hat: denn woher der Unverstand, den wir heute in uns tragen? Es mag uns lieb oder leid sein: spricht man heute von Gott, so sind wir wie das arme unvernünftige Vieh, und all die Klarheit, die wir zu haben meinen, ist nichts als Finsternis, wie auch die Schrift sagt. Woher kommt es, dass „der natürliche Mensch nichts vernimmt vom Geiste Gottes“ (1. Kor 2, 14)? Ruft uns Gott hierhin, so laufen wir dorthin, und wir sind so träge, dass wir gar nicht zu ihm kommen mögen. Woher kommt das? Das ist der Lohn für Adams Stolz, weil es ihm nicht genug war, sich vom Geiste Gottes erleuchten zu lassen über das, was zu seinem Heile nützlich war, sondern weil er Gott gleich sein wollte. In seiner Überhebung musste er gegen die gewaltige Hand Gottes anrennen, die ihn in den schrecklichen Abgrund der Schande stürzte, in dem wir heute stecken.

Darum sagt Hiob: Gott hat zu den Menschen gesprochen. Er meint: Achtet wohl auf den Weg, der euch zur Weisheit führt: nicht über die Wolken steigen und all die Dinge erforschen wollen, die uns unbekannt bleiben sollen! So fragt man z. B.: Warum hat Gott mit der Erschaffung der Welt so lange gewartet? Warum hat er alles also geordnet? Was hat ihn bewogen, dies und das zu tun? Warum lässt er die Dinge gehen, wie sie gehen? Darin besteht eure Weisheit nicht, und wenn ihr auf diese Art weise sein wollt, werdet ihr bloß in die Irre geraten und aus diesem Irrgarten nie herauskommen, ihr werdet von Gott weg geraten und in Schmach und Schande bleiben. Seid zufrieden mit dem, was ich euch zeige und lehre! Ich allein weiß, was euch nützlich ist: mich fürchten und ehren! In diesem Kreise haltet euch und strebet nicht darüber hinaus!

Was bedeutet es aber, dass Gott zum Menschen gesprochen hat: Die Furcht des Herrn ist Weisheit? Das hat er gesagt und mit der Tat bewiesen, als er sein Gesetz bekannt gab, als er es durch seine Propheten und endlich durch das Evangelium auslegte. Aber wie groß ist Gottes Güte, indem er uns zu unserm Heil diese Weisheit mitteilt, wie sehr wir ihrer auch von Natur beraubt sind! Nun erweist uns Gott die Ehre und Gnade, dass er uns seine Weisheit, einen verborgenen, unermesslichen Schatz darbietet. Wir haben keinen Zugang dazu, aber Gott bietet sie uns an, so dass wir gar nicht weit umherzulaufen brauchen, um sie zu suchen. Wir müssen uns nur von unserm Gott belehren lassen, so tut der Schatz sich uns auf.

So lasst uns denn zusehen, dass wir in der gottgewollten Unwissenheit bleiben; denn er allein weiß, was uns dienlich und nützlich ist. Es muss uns genügen, in seiner Schule zu lernen, was er uns lehren will. Endlich aber müssen wir seinen Willen so begreifen, wie er in der Heiligen Schrift enthalten ist. Dabei dürfen wir nicht so undankbar sein, die Wohltat, die Gott uns erzeigen will und anbietet, zu verwerfen, sondern müssen uns Mühe geben, uns von allen schlechten Begehrungen zu reinigen und uns so von unserm Gott unterweisen zu lassen, dass uns seine Unterweisung zur Erbauung dient, dass wir mehr und mehr Gewinn davon haben und begehren, die ganze Lebenszeit darin gestärkt zu werden.

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