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Calvin, Jean – Hiob 9, 16-22.

Calvin, Jean – Hiob 9, 16-22.

16) Rufe ich ihn an und antwortet er mir, so meine ich doch nicht, er habe mich erhört. 17) Im Wirbel hat er mich niedergeschlagen und ohne Ursach mich verwundet. 18) Er lässt mich nicht zu Atem kommen, er sättigt mich mit lauter Bitterkeit. 19) Geht man vor mit Gewalt, siehe, so ist er stark; will man Gerechtigkeit, wer kann sich mit ihm einlassen? 20) Stelle ich mich hin wie ein Gerechter, so verdammet mich mein eigener Mund; bringe ich meine Unschuld vor, so hält er mich doch für verkehrt. 21) Nenne ich mich fromm, so kenne ich meine eigene Seele nicht, und mein Leben verflucht mich. 22) Siehe, über das eine bin ich mir klar: beide, den Frommen wie den Gottlosen, bringt Gott um.

Hiob beginnt mit einem befremdlichen Wort: Rufe ich ihn an und antwortet er mir, so meine ich doch nicht, er habe mich erhört. Denn wenn uns Gott auch dem Anschein nach nicht erhört, so lässt er uns doch seine Güte fühlen, und zwar so, dass er uns nicht gänzlich ohne Hilfe lässt. Hiob meint, auch wenn ihm seine Bitten erfüllt seien und Gott ihm gnädig geantwortet habe, so würde er doch glauben, von ihm verdammt zu sein; auch dann hätten seine Gebete keine Erhörung gefunden. Wie sollen wir das verstehen? Ohne Zweifel will Hiob zum Ausdruck bringen, in was für Anfechtungen ein Mensch kommen kann, wenn Gott sich ihm feindlich entgegen stellt – er hat ja wiederholt schon so geredet. Dabei steht Hiob allerdings nicht still, aber er hat doch eine solche Anfechtung erlitten, und so geht es jedem, wenn Gott ihn vor sich fordert und ihn sein Gericht erfahren lässt: dann ist´s ihm, als wäre er verloren. Nicht sofort sinken wir in diese Tiefe, aber wenn Gott uns so angreift, dass wir merken, er ist unser Feind und Widersacher, dann fällt ein so vernichtender Schrecken auf uns, dass nichts die Angst lindern kann, die uns überfällt und verwirrt. Und selbst wenn uns Gott geantwortet hätte, wir empfinden doch nichts davon; wir meinen vielmehr von ihm verfolgt zu sein, und was er uns auch für Hoffnung gegeben, so meinen wir doch, er schlüge uns immer mehr. Das ist das schreckliche Los aller derer, die schon überzeugt sind, dass Gott ihr Widersacher sei. Das ist eine furchtbare Anfechtung, deshalb müssen wir uns stark machen, ihr zu widerstehen. Aber wie sollen wir das machen? Vor allem müssen wir uns erst einmal in Hiobs Lage versetzen. Aber daran denken die wenigsten; denn wir sind sinnliche Menschen, und deshalb meinen wir, kein Übel, keine Widerwärtigkeit sei so schlimm wie das, was wir an unserm Leibe und im gegenwärtigen Leben fühlen. Deshalb wissen wir auch nichts von den geistlichen Kämpfen, durch die Gott uns prüfen will, indem er unser Gewissen derart zusammenschnürt, dass wir nichts zu sagen wissen als: Gott hat sich wider uns erhoben, er lässt seinen Donner über uns rollen, er hat uns zu einer Zielscheibe für jedermann gemacht. Darum lasst uns unsern Gott bitten, wenn er uns in solche Anfechtung führen will, so wolle er uns auch Kraft und Stärke zum Widerstande geben! Und wie werden wir stark? Durch die Erinnerung an seine Verheißungen. Gewiss, Gottes Zorn ist ein verzehrendes Feuer, und sobald er uns nur ein kleines Zeichen davon gibt, ist es aus mit uns. Aber es ist auch nicht so gemeint, dass die Menschen in sich selber die Kraft suchen, um solche Kämpfe zu bestehen, sondern sie müssen sie sich von Gott leihen. Ebenso nun, wie Gott uns in Not bringt, wenn er uns Zeichen seiner Rache gibt, so erhebt er uns auch wieder aus dem Grabe, ja aus dem Abgrund der Hölle; ja, bis über die Wolken des Himmels erhöht er uns, wenn er uns in seinen Verheißungen seine Güte zu schmecken gibt.

Soviel nun ist gewiss: Hiob zeigt uns hier, dass auch die Gläubigsten und Geduldigsten, denen Gott von seinem Geiste mehr als den andern mitgeteilt hat, gleichwohl von dieser Anfechtung nicht ausgenommen sind: Gottes Hand lastet auf ihnen, so dass sie mitten in ihren Ängsten nicht wissen, wo aus noch ein. Auch wenn er sie erhört, meinen sie doch, sie seien von ihm verworfen und er wolle kein Erbarmen mit ihnen haben. Würden diese Anfechtungen immerwährend andauern, müssten wir notwendig zur Gotteslästerung kommen, der Glaube würde erlöschen, wir würden ganz in die Irre geraten, wir würden uns wie in der Hölle fühlen. Wenn aber Gott seine Gläubigen also verwundet, so lindert er alsbald ihre Wunden und gibt heilsame Arznei dazu! Ja noch mehr: Es würde ein Augenblick genügen, um uns in die Hölle zu verstoßen, wenn Gott nicht mitten in unsern Ängsten uns einen Tropfen seiner Güte schmecken ließe. Wäre Hiob fest überzeugt gewesen, Gott wolle ihn nicht erhören, er wäre verloren gewesen und nichts hätte ihn mehr gerettet.

Hiob war also gar nicht von einer solchen Hoffnungslosigkeit erdrückt, wie er sie an den Tag legt; es ist nicht so, dass Gott ihn nichts mehr von seiner Güte hätte fühlen lassen. Das erkennen wir noch besser an der Person unseres Herrn Jesus Christus. Der spricht: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Da ist es mit ihm zum Äußersten gekommen, trägt er doch die Bürde der Sünden aller Welt. Darum musste er sich eine Weile von seinem Vater verlassen fühlen. Gleichwohl aber hat er doch einen Trost dagegen gehabt; er beweist es ja mit seinem Wort: „Mein Gott, mein Gott.“ Solange wir Gott noch anrufen und ihn als unsern Heiland kennen und Zugang zu ihm haben, hat der Glaube noch die Überhand, und wir sind überzeugt, dass er uns keineswegs verlassen hat. Dabei aber fühlen wir nach wie vor die maßlose Not, dass unser Fleisch wie in einem Abgrund schmachtet, wo es für unser natürliches Empfinden kein Licht gibt. Bei allem Nachdenken können wir keinen andern Schluss ziehen, als dass Gott unser Widersacher und unser Feind sei, zum mindesten habe er uns dem Satan zur Beute gegeben, wo es denn keine Hoffnung und kein Mittel zur Rettung mehr gebe. Aber dabei gibt uns Gott etwas wie ein Fünklein von Licht, er lässt uns noch etwas wie Glauben empfinden, ja, wenn wir es auch nicht erkennen oder zu unterscheiden vermögen. Darum spricht auch der hl. Paulus: „Der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichen Seufzen“ (Röm 8, 26): solche Seufzer können mit Worten nicht ausgesprochen werden. Er meint: Siehe, da ist ein Gläubiger, der Gott anruft, seufzt und fleht; wenn solch ein Gläubiger zum Herrn fleht, so versteht er nicht, was er tut; es übersteigt seinen Geist und alle seine Gedanken. Nicht dass wir beim Beten unvernünftige Tiere ohne Einsicht wären – das meint Paulus nicht, sondern er will sagen: Gott wirkt in uns auf eine ganz seltsame Weise, wenn wir so in Not sind und nicht wissen, was wir sagen sollen, auch kein Anzeichen dafür vorhanden ist, dass er uns wolle günstig und gnädig sein.

Ist aber Hiob dieser Versuchung gleichsam erlegen, ach, wie wird es dann uns ergehen? Wenn selbst er, den der Heilige Geist uns als Spiegel der Geduld hinstellt, in einen so tiefen Abgrund des Schreckens versank, müsste dann nicht vielmehr uns diese Tiefe verschlingen, wenn uns Gott auf Leben und Tod angreift? Kommen wir aber bisweilen in solche Anfechtung, so ist das keine Zeichen, dass Gott uns verworfen habe, noch viel weniger, dass wir den Heiligen Geist verloren hätten. Denn er versteht die Seinen auf wunderbare Weise zu regieren und zu erlösen. Nach ihrer Natur leiden sie unter Gedanken, die sie verwirren und bis in den Abgrund der Hölle stürzen, so dass sie nur noch sagen können: Der Teufel hält uns da gefangen. Eine Zeitlang ist ihr Auge getrübt, so dass sie Gott nicht mehr schauen können, sie sind wie geblendet; dennoch lässt er ihnen noch eine Empfindung von seiner Majestät, um sie stets im Zaum zu halten, damit sie nicht in Verzweiflung fallen.

Hiob fährt fort: Im Wirbelsturm hat er mich niedergeschlagen und ohne Ursach mich verwundet. Gottes Zorn und die Empfindung desselben hat ihm allen Grund zur Freude genommen, er macht ihn auch taub für jeden Zuspruch, der ihm hätte Trost spenden können. Aber Gott erzeigt sich gegen die Seinen nie so zornig, dass er sie nicht irgendwie auch seine Güte fühlen ließe, freilich nicht so, dass sie es immer merken. Das ist nicht leicht zu verstehen. Gewiss, wollen wir Kinder Gottes sein, so müssen wir´s verstehen, aber schwerlich gelangen wir anders zum Verständnis als durch die Erfahrung. Da ist ein armer Mensch mit solchen Anfechtungen belastet: Wie steht´s um mich? Sieht Gott mich an? Nein! Ich bin in Not; ich rufe ihn an, aber ich empfinde keine Erquickung; das ist doch ein Zeichen, dass er mich verworfen hat! Dazu treten die Sünden wieder hervor; der Teufel bringt so viel vor, dass es zum Erschrecken ist. Und der arme Mensch kommt sich wie vernichtet vor. Ist das aber vorbei, so kommt Gott und bringt alles wieder zurecht; das zuvor so bange Gewissen kommt wieder zum Frieden; wo nichts als Finsternis war, lässt Gott es wieder helle werden und zeigt ein liebliches und freundliches Gesicht wie ein heiterer Himmel. Hätte aber Gott in den schweren Anfechtungen dem armen Menschen seinen Glauben zugrunde gehen lassen – doch nein, das ist unmöglich. Denn der Glaube ist ein unvergänglicher Same in unserer Seele. Aber unser natürlicher Verstand bleibt blind, bis uns Gott seine Gnade erzeigt.

Aber wir müssen auf den Ausdruck achten: Gott habe Hiob im Wirbelsturm niedergeschlagen. Das ist schlimmer, als schlüge er ihn mit einem Stecken oder einem Schwert; denn solche Streiche sind nicht immer tödlich. Wenn aber der Blitz vom Himmel fährt, so sind wir verloren. Damit will uns der Teufel zur Verzweiflung bringen, als behandle uns Gott mit ungewöhnlicher Strenge; denn der Satan hält uns vor: Gewiss, Gott züchtigt die Sünder, aber darnach erbarmt er sich auch wieder; er sucht die Seinen heim, die er lieb hat, aber wie ein Vater, und er hält seine Strenge in Schranken; aber dich, hat er dich auch so behandelt? Wetter und Blitz schleudert er gegen dich, und du meinst immer noch, er werde dich noch einmal wieder zu Gnaden annehmen? Das ist völlig ausgeschlossen! Hat aber Hiob durch ein solches Wetter hindurch gemusst, und Gott hat ihn gleichwohl errettet, so dürfen wir ähnliches auch für uns erwarten. Zudem: Hiob redet unter dem Druck seiner Anfechtung, er ist keineswegs gefühllos gewesen. Gott hat sich also nicht darauf beschränkt, seine Wetter über ihn zu entladen, nein, er hat ihm auch die Erkenntnis geschenkt, dass er selbst es ist, der ihn schlägt. Gerade diese Erkenntnis hätte ihn völlig in den Abgrund versenken können, wenn er nicht eine verborgene Arznei gehabt hätte. So lasst uns denn für uns das gleiche hoffen!

Wenn er aber nun fortfährt: Gott hat mich verwundet ohne Ursach, so klingt das allerdings recht grob. Denn wenn Gott wirklich ohne Ursach die Leute plagt, so ist das einfach ungerecht. so ist das eine solche Grausamkeit, dass man ihn nicht mehr für den Weltrichter, sondern für einen Tyrannen halten müsste. Scheinbar klingt Hiobs Wort wie eine Gotteslästerung; aber wir wissen doch, wie er´s meint. Denn der Heilige Geist hat ihn auch bei diesem Wort geleitet, und es ist für uns ein sehr heilsames Wort. Einmal redet Hiob hier nach seinem natürlichen Empfinden, und das Wort „ohne Ursach“ bezieht sich auf das, was Menschen sehen. Bisweilen straft Gott allgemein bekannte Sünden. Gottes Gerechtigkeit ist aber auch in seinen heimlichen Gerichten erkennbar, wenn wir Leute sehen, an denen keinerlei Laster, ja sogar gewisse Tugenden in die Erscheinung treten, und Gott schlägt und plagt sie doch. Es kommt bisweilen über eine Stadt oder ein Land eine Plünderung, da alles bis auf die kleinen unschuldigen Kinder mit Feuer und Schwert vertilgt wird. Das kommt uns befremdlich vor, aber wir müssen Gott auch da die Ehre geben, wenn auch die Ursache uns nicht bekannt ist. Nicht sogleich am ersten Tag zeigt Gott uns an, warum er das geschehen lässt und anordnet, und nach unserem Verständnis kann man nur sagen: Gott schlägt ohne Ursache. So lehrt uns das Wort, dass wir die Gerechtigkeit Gottes anbeten müssen, ob wir gleich nichts als dunkle Wolken sehen; wir müssen glauben, dass doch lauter Gerechtigkeit und Billigkeit darin walten. Erscheint uns seine Gerechtigkeit auch als in Ungerechtigkeit verwandelt, so müssen wir ihn doch gleichwohl ehren.

Hiob meint: Wenn man mich fragt: Erkennst du an die eine deutliche Ursache, warum Gott dich schlägt? – so muss ich sagen: Ich sehe keine. Und das meinte er ehrlich, und Gott straft ihn ja auch nicht deswegen; er sagt nicht: Er ist ein Bösewicht, er muss mehr Strafe haben als die andern. Nein, nur der Teufel klagt ihn an, dass keine Redlichkeit oder Aufrichtigkeit bei ihm zu finden sei; Gott will ihn auf die Probe stellen, damit man sehe, was er für ein Mensch ist. Gottes Absicht ist nicht, Hiobs Sünden in dem Maße zu strafen, wie er ihn beleidigt hat; denn gleichzeitig verschont er viele Bösewichter, die von ihm nicht so hart behandelt werden. Nein, es ist keine Lästerung, wenn Hiob sagt, Gott habe ihn ohne Ursach verwundet, man muss die Worte nur einfach so verstehen, wie sie lauten: Hiob sieht eben keinen besonderen Grund, weshalb er von Gott so geplagt werde – und es war ja auch in Wahrheit keiner vorhanden. Ja, wenn Gott an einem Menschen, der den Engeln im Himmel gleich wäre und in aller Aufrichtigkeit und Vollkommenheit wandelte, alle nur mögliche Strenge übte, so wäre er dennoch gerecht. Und dann könnte man doch sagen: ohne Ursach! Gehen wir mit unserer Vernunft zu Rate, reden wir nach unserem fleischlichen Empfinden, dann sagen wir: ohne Ursach! Aber ohne nähere Untersuchung und ohne uns zu übereilen, müssen wir den Schluss ziehen: Weil Gott gerecht ist, darum weiß er, warum er das tut. Wir sehen freilich keine Ursache, aber gleichwohl müssen wir ihn preisen. So meint es auch Hiob.

Noch deutlicher spricht er jetzt seine Meinung aus: Geht man vor mit Gewalt, siehe, so ist er stark; will man Gerechtigkeit, wer kann sich mit ihm einlassen? Er meint: Wer kann irgendeinen Grund finden, um mit Gott zu prozessieren, als hätte er gleiches Recht mit ihm? Das kann niemand! Wenn uns jemand unser Recht geraubt hat, so gibt es zwei Mittel, um wieder zu unserm Recht zu kommen: Gewalt oder Recht. Die Fürsten führen ihren Streit mit Waffengewalt; das täten die kleinen Leute auch gern, wenn sie dürften, sie gingen gern auch mit Tätlichkeiten vor, und obwohl sie sich dadurch Strafe zuziehen, wollen sie doch nicht davon lassen. Daneben aber gibt es auch ein geordnetes Mittel: das des Rechts. Hiob erwähnt beide Mittel. Er meint: Ja, ich bin aufs äußerste gequält, wie soll ich aber meinem Gott entgegentreten? Gehe ich mit Gewalt vor, was kann ich dabei gewinnen? Ich bin ihm doch nicht gleich! Will ich aber auf dem Prozesswege mein Recht gegen ihn suchen, wird er sich darauf einlassen? Wer soll Richter oder Schiedsmann zwischen uns sein? Wie soll ich denn meinen Prozess anfangen?

Also keiner ist an Kraft mit Gott zu vergleichen, und keiner kann mit ihm rechten vor Gericht; denn Gott stellt sich ihm nicht. Damit will Hiob jedoch Gott keine „absolute Gewalt“ beilegen, als ob Gott täte, was ihm gut scheint, und als ob er ungerecht handle. Es ist wahr: Wir dürfen bei Gott keinen andern Grund seines Handelns suchen als seinen guten Willen; dabei müssen wir aber überzeugt sein, dass sein Wille nicht anders als gerecht und billig ist, auch wenn wir nur das Gegenteil davon sehen. Hiob beruft sich also darauf, dass Gottes Gerechtigkeit nicht in dem besteht, was wir davon erkennen. Worin besteht sie denn? Sie besteht in sich selber! Man muss sagen: Hat Gott so getan, so ist es wohlgetan. Hat es Gott so gewollt, so ist sein Wille gerecht und billig und es ist nichts daran zu tadeln! Wie kann das sein? Wenn wir Gottes Tun einer Prüfung unterziehen, so finden wir, dass sein Tun keinen Grund hat und dass es ganz und gar anders ist, als es sein sollte; und dabei sollten wir ihn noch gerecht nennen? Wie ist das möglich? Gottes Gerechtigkeit besteht in sich selbst, und sie braucht nicht anderswoher ihre Anerkennung zu entlehnen! Und es darf uns nicht befremden, wenn Gott dies Bekenntnis von uns fordert, dass wir ihn gerecht nennen, auch wenn er uns ungerecht erscheint. Warum? Ach, was ist unser Verstand? Dürfen auch die sterblichen Menschen sagen, sie könnten die Gerechtigkeit Gottes messen? Was wäre das für eine Torheit! Unser Auge ist trübe, und nur mit Mühe können wir einen Fußbreit sehen, darum müssen wir unser Maß und unsere Grenze anerkennen. Wenn unser Blick sich auf die Welt richtet, so ist er doch eng begrenzt, aber unsere Gedanken schweifen leicht und schnell über alles hin. Jedoch wenn wir auch über alle Himmel hinaufstiegen, so würden wir doch nicht an die hohe Majestät in Gott heranreichen. Und wenn wir schon das helle Sonnenlicht nicht ertragen können, ohne dass unser Auge davon geblendet wird, ach, wie sollten wir dann die Höhe erreichen, die Gerechtigkeit Gottes zu ergründen, so dass uns nichts verborgen bleiben könnte und alles durch unsere Kanzlei hindurchgehen müsste? So hat es auch Hiob nicht gemeint, wenn er von Gottes Macht und Gerechtigkeit redet, obgleich es ungebührlich und maßlos klingt, wenn er spricht: „Wer will mit Gott rechten? Er wird ihn nicht anhören wollen.“ Daraus folgt: Gott will gerecht sein auf guten Glauben; wir sollen uns an ihn halten und an das, was er in eigener Sache redet.

Es war ja auch zu abgeschmackt und widernatürlich, wenn Gott wäre wie einer von uns und wenn man von seiner Gerechtigkeit nur reden könnte, wenn er sie uns bewiese. Dann machte er sich ja zu unsersgleichen, er müsste sich selbst vergessen, ja, er müsste sich seiner eigenen Gottheit entkleiden. Gottes Gerechtigkeit hat mit gutem Grund eine Sonderstellung: wenn er uns sein Tun nicht vorrechnen, wenn er von seinem Tun uns nicht Rechenschaft geben will, ja, wenn er in allem unserm Verstand und unserer Vernunft entgegen handeln will, so sollen wir dennoch gewiss sein: Seine Gerechtigkeit bleibt unangetastet. Warum? Weil sie in sich selbst besteht.

Hiob schließt mit den Worten: Siehe, über das eine bin ich mir klar: beide, den Frommen wie den Gottlosen, bringt Gott um. Ist das so gemeint, die überragende Gerechtigkeit Gottes menge Gut und Böse unterschiedslos durcheinander und setze sie zusammen in ein einziges Schiff? Kommt denn nicht von ihm her die Güte? Warum er sie denn nicht an? Warum lässt er sie sich so gar nicht wohl gefallen? Wenn Gott den Frommen mit den Gottlosen dahinrafft, so sieht es doch aus, als gäbe es keine Gerechtigkeit in ihm. Darum zieht auch Abraham den Schluss: „Herr, willst du denn den Gerechten mit dem Gottlosen umbringen? Das sei ferne von dir, der du aller Welt Richter bist! Du wirst so nicht richten!“ (Gen 18, 23.25). Wie kann Hiob denn so sprechen? Nun, wir müssen immer daran festhalten: Unter „Frommen“ und „Gottlosen“ versteht Hiob nicht die, die vor Gott als solche angesehen werden. Kommen wir vor Gott, wo ist da ein Frommer? Hiob meint unter „Frommen“ und „Gottlosen“ die, die wir nach unserm Urteil als solche bezeichnen. Wenn es deshalb auch uns so vorkommt, als würden Fromme und Gottlose zusammen umkommen und als schlüge Gott sie beide, so dass sie Strafen gleichsam ohne Unterschied sind, - sollen wir darum Gott lästern? Nein, sondern wir müssen immer festhalten: Wenn Gottes Gerechtigkeit uns darin erkennbar wird, dass er die Bösen straft und die Frommen erlöst – gut, dann haben wir ihn deshalb zu preisen; ist sie uns aber nicht erkennbar, sondern meinen wir, er mache alles verkehrt und strafe ohne Unterschied Fromme und Gottlose, dann sollen wir deshalb nicht unterlassen zu bekennen, dass er in sich selber gerecht ist und dass wir ihn in allen Dingen zu preisen haben. Wenn wir so verfahren, obschon uns alles verkehrt zu gehen scheint, so wird uns Gott Weisheit genug geben, um zu erkennen, dass er nichts ohne Ursach getan hat; und selbst was wir heute als eine Widerwärtigkeit empfinden, wird uns zum Heil gewandt. Darin haben wir uns als Christen zu üben, und darum müssen wir uns mit allem Eifer bemühen, bis uns Gott aus allen Kämpfen zu sich ruft. Den stärksten Angriff aber macht er auf uns, wenn er uns darin üben will, ihm die Ehre zu geben, wenn es gar den Anschein hat, als wollte mit lauter Sturm und Wetter über uns dreinfahren.

Bisweilen ist Gottes Gerechtigkeit deutlich erkennbar, und es gibt sichere Kennzeichen, um sie wahrzunehmen. Wenn Gott einen Bösewicht bestraft, so wird jedermann urteilen, Gott wolle uns durch dies Exempel warnen und wir seien genötigt, ihn zu preisen. So heißt es auch Psalm 107, 42: „Solches werden die Frommen sehen und sich freuen.“ Wenn Gott einen, der ihn anruft, erlöst, so sagen wir: Gott ist gerecht. Er handelt aber nicht immer so gleichmäßig. Denn er hat seine heimlichen Gerichte, die uns unbegreiflich sind, so dass wir nichts können als uns verwundern und entsetzen, wenn Gott Dinge tut, die uns gänzlich unvernünftig scheinen. Darum ist auch Hiob ganz außer sich, weil sich Gott nicht nach seinem Urteil und seiner Meinung richtet, sondern eine ganz andere Weise zu handeln hat, die uns völlig unbekannt ist.

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