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Calvin, Jean - Gerechtigkeit

Calvin, Jean - Gerechtigkeit

Aus dem Calvin. Aus dem Französischen übersetzt.

Schon lange hat man eine ganz verkehrte Lehre aufgebracht. Man hat sich eingebildet, es sey in dem Menschen, noch ehe und bevor er Jesu Christo einverleibet worden, eine Fähigkeit, gute sittliche Handlungen auszuüben, wodurch er sich das Wohlgefallen Gottes zuwegebringen könne. Gerade als wenn die Schrift löge, welche sagt, daß diejenigen, die den Sohn Gottes nicht haben, auch das Leben nicht haben.

Der Apostel sagt ja klar, Gott habe die Weisheit dieser Welt zur Thorheit gemacht; können wir nun noch dieser angeblichen Weisheit einige Feinigkeit oder Stärke beylegen, durch welche man sich, bis zu Gott erheben, und in die Geheimnisse seines Reiches eindringen könne? Weit entfernt sey eine solche Thorheit von uns! Unsre Vernunft wird von so verschiednen Gestalten von Täuschungen betrogen, die sie irre führen, sie verwickelt sich in so viele Schwierigkeiten, aus denen sie sich nicht herauszufinden weiß, sie stößt auf so viele Ungewisheiten, die ihre Entschlüsse aufhalten, die sie völlig muthlos machen, daß sie ganz unfähig ist, die rechte Bahn uns vorzuzeichnen, die wir wandeln sollen.

Man fehlt sehr oft, wenn man sich selbst recht gut zu kennen glaubt. Nach unsrer fleischlichen Vernunft glauben wir uns sehr gut zu kennen, wenn wir uns auf die Einsichten unsers Verstandes, und auf die Redlichkeit unsers Herzens verlassen, wenn wir den festen Entschluß fassen, uns fleißig in der Tugend zu üben, und, indem wir allen Lastern den Krieg ankündigen, uns aus allen Kräften bestreben, das zu thun, was wir für gut erkennen. Aber, wer sich selbst nach dem Urtheile Gottes betrachtet, der findet nichts in sich, was ihm ein gutes Zutrauen zu sich einflössen könnte, und je genauer und gründlicher er sich untersucht, desto niedergeschlagener und gebeugter wird er, bis er endlich, nachdem er alle Hoffnung aufgegeben hat, erkennet, daß in seiner Natur nichts vorhanden, das ihn auf den rechten und sichern Weg bringen könnte.

Die Menschen haben von Natur eine ungeordnete und blinde Liebe zu sich selbst, und können sich nicht bereden, daß in ihnen etwas vorhanden sey, das verachtet zu werden verdiene; diese irrige Meynung bemächtigt sich der meisten Menschen; ein jeder glaubt in sich selbst Kraft genug zu haben, sein Leben heilig und glücklich zu führen. Wenn jemand auch bescheidnere und demüthige Gesinnungen hat, so theilet er doch gleichsam zwischen Gott und sich, und den vornehmsten Theil des Ruhms behält er für sich selbst. Der Hochmuth ist uns so eigen, daß, sobald wir an unsre Seeligkeit denken, so denken wir auch an unsre Verdienste. Wir glauben, Gott sey uns gnädig, weil wir es verdient haben, und weil ER etwas Gutes an uns gefunden, das Ihn bewogen, ein gnädiges Auge auf uns zu werfen. Das Unglück, in welches wir uns gestürzt haben, betrachten wir niemals genug. Und wenn man es auch erkennet, daß man verloren ist, so wendet man sich nicht zu Jesu Christo, sondern lieber zu eiteln und verkehrten Mitteln.

Quelle: Wöchentliche Beyträge zur Beförderung der ächten Gottseligkeit.

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