Calvin, Jean - Der Brief an die Epheser - Kapitel 5.

Calvin, Jean - Der Brief an die Epheser - Kapitel 5.

V. 1. So seid nun Gottes Nachfolger. Die ungeschickte Kapiteleinteilung reißt auseinander, was dem Gedanken nach zusammengehört. Denn der Apostel gibt jetzt den Grund an, weshalb wir uns so halten müssen, wie er in den vorigen Sätzen von uns forderte: wir sind Gottes Kinder, müssen also unserem Vater gleichen und, so viel an uns ist, sein Bild zur Darstellung bringen, indem wir Gutes tun. So hat auch Christus gesagt, dass wir nur Kinder unseres Vaters im Himmel sein können, wenn wir uns wohltätig erweisen, auch wo man es nicht wert ist (Mt. 5, 45). Vom Vorbilde Gottes führt uns nun der Apostel zu Christo, der ja unser eigentliches Vorbild ist.

V. 2. Wandelt in der Liebe, gleichwie Christus uns hat geliebt. Was wir von Christo erfahren, wird somit zum Triebe unseres eigenen Lebens. Den höchsten Beweis seiner Liebe hat nun der Herr Christus gegeben, als er, sich selbst vergessend, sein Leben dahingab, um uns vom Tode zu erlösen: er hat sich selbst dargegeben für uns zur Gabe und Opfer. Wollen wir an dieser Wohltat Anteil gewinnen, so muss ein gleicher Sinn gegen den Nächsten uns beseelen. Nicht als ob jemand von uns schon eine solche Vollkommenheit erreicht hätte, aber wir müssen nach unserem Vermögen darnach streben und ringen. Setzt nun der Apostel hinzu, dass Christus sich geopfert habe Gott zu einem süßen Geruch, so will er damit nicht nur im allgemeinen Christi Gnade rühmen, sondern auch dem besonderen Zusammenhange des Gedankens dienen. An sich lässt sich Frucht und Kraft des Todes Christi gar nicht hinreichend mit Worten beschreiben. Aber je tiefer uns eingeprägt wird, welch teuren Preis Christus zu unserer Erlösung zahlte, desto mehr werden wir auch uns ihm verpflichtet fühlen. So schließen wir denn aus den Worten des Apostels, dass all unsere Pflichterfüllung vor Gott nur angenehm wird, wenn wir einander lieben. Denn war die Versöhnung der Menschheit durch Christus vor Gott ein wohlriechendes Opfer, so wird doch von uns ein guter Geruch nur dann zu Gott aufsteigen, wenn der heilige Duft dieses Opfers in unserem ganzen Tun und Treiben sich spüren lässt. Das meint auch Christi Wort (Mt. 5, 24): „Lass allda vor dem Altar deine Gabe, und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder.“

V. 3. Hurerei usw. Dieses Kapitel und das dritte Kapitel des Kolosserbriefs haben viel Gemeinsames, was ein verständiger Leser ohne meine Hilfe leicht finden wird. Paulus zählt zunächst drei Stücke auf, die den Christen so fremd sein wollen, dass sie nicht einmal unter ihnen genannt werden, - wie man eben für Dinge, die man nicht kennt, auch kein Wort hat. Als Unreinigkeit haben alle schmutzigen und unreinen Begierden zu gelten. Hurerei ist davon nur eine besondere Form. An dritter Stelle steht der Geiz: gemeint ist die unmäßige Gier nach Besitz. Besonderen Nachdruck empfängt die ganze Mahnung durch den Hinweis darauf, dass der Apostel nichts anderes fordert, als was den Heiligen zusteht oder ziemt. Damit erscheint jeder geizige, hurerische oder unsaubere Mensch aus dem Kreise der Gemeinschaft der Heiligen ausgeschlossen.

V. 4. Zu diesen ersten drei Stücken kommen andere drei: schandbare Dinge d. h. alles, was einem Menschen Schande zu machen geeignet ist und mit stiller, bescheidener Frömmigkeit nicht zusammenstimmt. Ferner alberne Reden d. h. alles törichte, läppische, nutzlose, auch frivole und durch seine Gehaltlosigkeit schädliche Geschwätz. Und weil solche Albernheiten sich oft in der Form von Witz und Scherz geben, so untersagt der Apostel endlich den Christen auch jenes scheinbar gewandte, und als solches viel beliebte und überall gelobte witzige Gebaren, welches doch nur eine besondere Erscheinungsform des albernen Redens ist. Das betreffende Wort, welches wir nur sehr ungefähr mit „Scherz“ wiedergeben, heißt buchstäblich „Wohlgewandtheit“ und bezeichnet bei den heidnischen Schriftstellern in anerkennendem Sinne ein witziges und pikantes, weltgewandtes Wesen, wie man es bei einem gebildeten und geistreichen Menschen gern sieht. Da es aber nun außerordentlich schwer fällt, unterhaltend zu sein, ohne je in lieblosen und bissigen Witz zu verfallen, da überhaupt die fortwährenden Scherzreden eine Stimmung voraussetzen, mit welcher ein frommer Sinn sich schwerlich verträgt, so warnt uns Paulus mit Recht vor diesem ganzen Wesen. Er sagt kurzweg, dass solche Dinge Christen nicht ziemen, also mit der eigentlichen Christenpflicht streiten.

Sondern vielmehr, was lieblich lautet. Sprachlich kann das betreffende Wort auch heißen „Danksagung“. Sachlich aber liegt ein allgemeiner Gegensatz gegen die Untugenden des gesellschaftlichen Redens näher. Der Gedanke wäre viel zu eingeschränkt, wenn man den Apostel etwa sagen ließe: statt euch in zweifelhaften Späßen und flachen Witzen zu ergehen, danksaget lieber Gott! Der Sinn ist vielmehr: lasst eure Reden lieblich und wahrhaft anmutig sein! Dem werden wir nachkommen, wenn wir in die Anmut mischen, was wirklich nützlich ist.

V. 5. Denn das sollt ihr wissen usw. Um die Leser gegen jeden ködernden Reiz der genannten Sünden zu stärken und ihre Aufmerksamkeit völlig wach zu halten, fügt der Apostel eine scharfe, eindringliche Drohung hinzu: kein Sünder dieser Art hat Erbe in dem Reich Christi und Gottes. Diese Wahrheit steht so unbedingt fest, dass sie mit aller Schärfe unserem Gewissen vorgehalten werden kann. Sollte es aber zu hart und mit Gottes Güte unvereinbar scheinen, dass jedem Menschen, der sich der Hurerei oder der Habsucht schuldig machte, der Eingang zum Himmelreich verschlossen sein soll, so hebt sich dies durch den einfachen Hinweis, dass der Apostel bußfertigen Sündern keineswegs die Verzeihung versagen, sondern über die Sünde selbst ein Urteil sprechen will. Als er einmal ähnlich an die Korinther schrieb (1. Kor. 6, 11), fügte er sofort hinzu: „solche sind euer etliche gewesen, aber ihr seid abgewaschen“ usw. Denn wenn ein Mensch in bußfertiger Umkehr sich mit Gott aussöhnt, ist er eben nicht mehr, was er war. Solange aber jemand ein Hurer oder Unreiner oder Geiziger ist und bleibt, soll er sich nicht einbilden, dass er an Gott teilhabe: ihm ist jede Hoffnung auf Seligkeit abzuschneiden. – Vom Reiche „Christi und Gottes“ spricht der Apostel, weil Gott sein Reich dem Sohne übergeben hat, damit wir es durch ihn gewinnen.

Ein Geiziger, welcher ist ein Götzendiener. Habsucht ist Abgötterei, - nicht in dem geläufigen, von der Schrift verdammten Sinne, sondern ein Götzendienst anderer Art. Ein habsüchtiger Mensch sagt seinem Gott ab, indem er an seine Stelle den Reichtum setzt: das kann bei der blinden Wut der Begier gar nicht anders sein. Ähnlich steht es freilich bei jeder Leidenschaft, wie z. B. beim Ehrgeiz oder der eitlen Selbstüberhebung. Die Habsucht aber brandmarkt der Apostel ganz besonders, weil sie eine so verbreitete Untugend ist, welche nur zu viele Seelen ansteckt. Zudem hält man sie womöglich noch für eine Tugend. Diese falsche Stimmung möchte Paulus uns austreiben, wenn er grade nur die Habsucht als einen Götzendienst bezeichnet.

V. 6. Lasset euch niemand verführen. Es hat immer gottlose Hunde gegeben, welche die Drohung der Propheten bespöttelten und belachten, ebenso wie heutzutage. Denn zu allen Zeiten erweckt Satan solche Giftmischer, die mit gottlosem Gerede Gottes Gerichte verhöhnen, und damit solche Gewissen, die noch nicht fest in der Gottesfurcht gegründet sind, wie mit einem Zaubertranke einschläfert. Sie sagen: das ist ein leichtes Vergehen, die Hurerei ist vor Gott nur ein Scherz, Gott ist unter dem Gesetz der Gnade nicht so grausam, er hat uns nicht erschaffen, um an uns zum Henker zu werden, die Schwachheit der Natur entschuldigt uns, und Ähnliches. Paulus dagegen warnt uns mit dem größten Nachdruck von solcher Täuscherei, welche den Gewissen einen Strick zum Verderben dreht.

Denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes. Die Gegenwartsform könnte auf ein mit unbedingter Sicherheit eintretendes künftiges Ereignis, also auf das jüngste Gericht deuten. Lieber verstehe ich jedoch den Ausdruck allgemein: der Zorn pflegt zu kommen. So würde der Apostel an die offensichtlichen Gottesgerichte denken, welche schon jetzt über solche Sünden ergehen. Wer nicht ganz blind und stumpf ist, kann ja spüren, wie Gott sich durch seine Strafexempel als den gerechten Rächer alles Bösen erweist, der ebenso die einzelnen züchtigt, als auch über ganze Städte, Reiche und Völker seinen Zorn ausschüttet. Beachtenswert erscheint die Wendung, dass der Zorn über die Kinder des Unglaubens d. h. über solche Leute kommt, die sich wider Gott auflehnen. Der Apostel, der ja zu Gläubigen redet, will dieselben weniger durch Hinweis auf gerade ihnen drohenden Gefahren schrecken, als vielmehr wach erhalten, damit sie Gottes schreckliche Gerichte wie in einem Spiegel an den Gottlosen schauen lernen. Denn gegen seine Kinder stellt Gott sich nicht schrecklich, dass sie vor ihm fliehen, sondern er sucht sie wie ein Vater möglichst an sich zu locken. So zieht denn der Apostel lediglich den Schluss (V. 7), dass es für die Gläubigen gilt, sich nicht zu Mitgenossen der Bösen machen zu lassen, da sie ja deren traurigen Ausgang voraussehen.

V. 8. Denn ihr ward weiland Finsternis. Seine Vorschriften stützt der Apostel je und dann zur Erhöhung des Gewichts mit kräftigen Gründen. Hatte er soeben die Epheser gewarnt, sich nicht in die Laster und damit in den Untergang der Ungläubigen hineinziehen zu lassen, so enthüllt er ihnen jetzt den Grund, weshalb hier in Leben und Taten ein großer Abstand sein muss. Dabei fällt zugleich ein Blick auf das frühere Leben der Epheser, welcher daran erinnern soll, wie viel Dank sie Gott schuldig sind. Paulus will sagen: ihr müsst euch jetzt ganz anders halten als früher, denn Gott hat euch aus Finsternis in Licht verwandelt. Als „Finsternis“ bezeichnet er die ganze Natur des Menschen vor der Wiedergeburt: denn wo Gottes Klarheit nicht leuchtet, da ist nur schauerliche Blindheit. Licht heißen dagegen die Menschen, welche Gottes Geist erleuchtet hat. Diese Bezeichnung will besagen, dass sie vom Lichte erfüllt sind, wie sie denn auch sofort (V. 9) Kinder des Lichts genannt werden. Als solche müssen sie gleichsam im Lichte wandeln: denn Gottes Gnade hat sie aus der Finsternis gerissen. Nicht übersehen wollen wir endlich, dass der Apostel uns ein Licht in dem Herrn nennt: denn außerhalb der Gemeinschaft Christi herrscht überall Satan, der Fürst der Finsternis.

V. 9. Die Frucht des Lichts. So nämlich lautet der richtige Text, nicht etwa „des Geistes“. Diese Zwischenbemerkung will den Weg zeigen, den die Kinder des Lichts wandeln müssen. Wir empfangen damit aber keine vollständige Beschreibung des christlichen Lebens, sondern nur einzelne beispielartige Hinweise. Die ganze Summe des christlichen Lebens fasst Paulus zusammen, wenn er (V. 10), zu prüfen und zu tun empfiehlt, was dem Herrn wohlgefällig ist. Wer auf rechtem Wege wandeln und gefährliche Irrwege meiden will, muss sich eben nach Gottes Winken halten und Gottes Willen zur Richtschnur nehmen. Denn, wie Paulus Röm. 12, 1 lehrt, der allein vernünftige Gottesdienst besteht darin, dass man allein nach Gottes Ordnungen lebt, - nach dem Worte (1. Sam. 15, 22): „Gehorsam ist besser denn Opfer.“ Der Wandel im Licht, wie er Kindern des Lichts ziemt, kommt zustande, wenn man nicht nach eigenem Gutdünken lebt, sondern sich ganz von Gott führen lässt und nichts ohne seinen Wink angreift. Solcher Gehorsam muss sich dann an seinen Früchten erkennen lassen, als da sind Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit.

V. 11. Und habt nicht Gemeinschaft mit den unfruchtbaren Werken der Finsternis. Die Gläubigen müssen in der Finsternis d. h. inmitten eines verderbten und verkehrten Geschlechts ihre Straße ziehen. So ist auch für sie die Erinnerung nicht überflüssig, dass sie in finstere Werke sich nicht dürfen hineinziehen lassen. Es genügt also nicht, von sich aus zwar nichts Böses zu beginnen, wobei man sich aber irgendwie zum Gehilfen fremder Sünden macht, es sei durch stillschweigende Zustimmung, Beirat oder sonstige Winke. Durch alles dies tritt man ja in Gemeinschaft mit der Sünde. Damit aber niemand meine, er habe schon seine Pflicht getan, wenn er sich überhaupt nicht rührt, fährt der Apostel ausdrücklich fort: strafet sie aber vielmehr. Das ist das genaue Gegenteil von bloßem Stillschweigen. Wer ist dann aber ohne Schuld? Denn wie wenige Christen hüten sich auch bei offenbaren Schmähungen Gottes vor einem Schweigen, welches als Billigung gedeutet werden muss! Tut nicht vielmehr jedermann, als sähe und hörte er nichts? Und doch werden eher hundert Welten untergehen, als dass Gottes unerschütterliche Wahrheit dahinfiele. Strafen, genauer „überführen“ sollen wir die Sünden, also ans Licht ziehen, was unerkannt in der Finsternis lag. Denn gottlose Menschen breiten über ihre Sünden meist eine schmeichelnde Decke, wollen sie entweder verbergen oder als Tugenden deuten: so sollen wir strafend aufdecken, was sich verhüllen möchte. „Unfruchtbar“ heißen die Werke der Finsternis, weil sie nicht nur keinen Nutzen bringen, sondern ihrem Wesen nach zum Schaden wirken.

V. 12. Denn was heimlich von ihnen geschieht. Der Satz will zeigen, wie viel Gutes die Gläubigen ausrichten können, wenn sie gottloses Treiben aufdecken. Denn was unter der Decke verborgen liegt, sind oft die schmählichsten Laster. Ein verbreitetes Sprichwort sagt: die Nacht kennt keine Scham. Dass es in der Tat so ist, kommt doch nur daher, dass man in der Finsternis seiner Unwissenheit seine Hässlichkeit selbst nicht sieht und auch vor Gott und seinen Engeln verborgen wähnt. Aber das Wort Gottes ist wie eine Fackel, bei welcher die Augen sich öffnen. So fängt dann der Sünder an, sich zu schämen und an und an seinem Treiben Ekel zu empfinden. In dieser Weise können die Gläubigen den blinden Ungläubigen durch ihre Zusprache Licht bringen und Leute, die in Finsternis versunken sind, aus ihren Schlupfwinkeln ins Licht ziehen. Den Augen des Apostels schwebt das Bild vor, dass die Ungläubigen gleichsam in einem verschlossenen Hause sich bergen, welches sie menschlichen Blicken entzieht: wie gemein und frech sie darin hausen, das ist auch zu sagen schändlich. Oder würden sie wirklich so schamlos alle Zügel schießen lassen, wenn ihnen die Finsternis nicht Mut machte und den Gedanken eingäbe, dass straflos bleiben wird, was im Verborgenen geschieht? Erst die überführende Strafe wird ihnen Licht und Scham, und somit den ersten Schritt zur Besserung bringen. In demselben Sinne lesen wir 1. Kor. 14, 24 f.: wenn ein Ungläubiger in eure Versammlung käme, der würde von allen „gestraft“ werden; das Verborgene seines Herzens wird offenbar werden, und er wird auf sein Angesicht fallen und Gott anbeten. Alles in allem sollen wir wissen, dass es nicht ohne Frucht bleiben wird, die Werke der Ungläubigen zu strafen.

V. 13. Das, was alles offenbar macht, ist das Licht. Möglich wäre auch die Übersetzung: alles, was offenbar wird, das ist Licht d. h. klar und durchsichtig. Unsere Übersetzung entspricht jedoch dem Zusammenhange besser: Paulus hatte die Epheser ermahnt, die bösen Werke der Ungläubigen zu strafen und dadurch aus der Finsternis zu rücken. Jetzt fährt er fort, dass es eben Art und Aufgabe des Lichts ist, zu tun, was nach dieser Vorschrift geschehen soll: das Licht macht alles offenbar. Daraus ergibt sich dann aber, dass die Christen nicht mehr ein Licht heißen dürfen, wenn sie sich dieser Aufgabe entziehen.1)

V. 14. Darum heißt es usw. Es könnte scheinen, als wollte Paulus damit ein Wort aus dem alten Testament anführen. Aber alle Mühe der Ausleger, ein solches zu bezeichnen, ist vergeblich. Ich glaube darum vielmehr, dass Paulus mit den zitierten Worten den Inhalt der Predigt beschreiben will, welche Christi Diener im Namen ihres Herrn erschallen lassen, und welche ja tatsächlich ein Weckruf ist, der Tote zum Leben erwecken möchte. In diese Richtung weist auch das Wort des Herrn (Joh. 5, 25): „Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, dass die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören; und die sie hören werden, die werden leben.“ Nebenher wird eine Anspielung etwa an Jes. 60, 1 und ähnliche Prophetenworte vorliegen: „Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt“ usw. Ist aber dies der Hauptinhalt der christlichen Predigt, so müssen wir, so viel an uns ist, allen Eifer aufwenden, um die Schlafenden und Toten dem Lichte Christi entgegenzuführen. Denn wenn der Satz schließt: und Christus wird dich erleuchten, so will dies nicht etwa sagen (als ob dastünde: so wird dich Christus erleuchten), dass Christi Licht uns dann erst treffen könne, wenn wir unsererseits aufwachen und damit seiner Gnade zuvorkommen. Vielmehr will Paulus einfach darauf hinweisen, dass wir vom Tode zum Leben auferstehen werden, wenn Christus uns erleuchtet: wache auf, - und dafür wird dich Christus erleuchten! So dient der Satz als Stütze für die vorausgehende Mahnung, dass wir die Ungläubigen von ihrer Blindheit befreien sollen, um sie zu retten.

V. 15. So seht nun zu usw. Wenn die Gläubigen mit ihrem Lichte die Finsternis anderer zerstreuen wollen, so dürfen sie selbst nicht blind sein in ihrem Lebenswandel. Wie sollten auch die sich in Finsternis hüllen, denen Christus, die Sonne der Gerechtigkeit, leuchtet? Sie müssen immer so leben, als stünden sie auf der Bühne vor zahlreicher Versammlung: denn die Augen Gottes und seiner Engel sind auf sie gerichtet. Eine heilige Scheu vor diesen Zeugen soll sie erfüllen, auch wenn kein sterbliches Auge sie sieht. Übrigens schwebt dem Apostel jetzt nicht mehr das Bild von Licht und Finsternis vor, sondern er denkt an die Schule Gottes, in welcher allein wir wahre Weisheit lernen können. So empfangen wir die Mahnung, vorsichtig und regelrecht zu wandeln als die Weisen. Darin wird unsere Weisheit bestehen, dass wir Gott zu unserem Führer und Lehrer nehmen, um von ihm zu lernen, was sein Wille ist.

V. 16. Und kauft die Zeit aus, wörtlich: kauft sie zurück. Auch die ganze Zeitlage muss der apostolischen Mahnung zur Stütze dienen. Paulus sagt: es ist böse Zeit, d. h. das Zeitalter ist in einem solchen Maße mit Anstößen und Verderbnis erfüllt, dass es auch für die Frommen äußerst schwierig ist, unter so vielen Dornen unverletzt zu bleiben. Diese Verderbnis des Zeitalters kann man sich nicht anders erklären, als dass der Satan die Herrschaft über dasselbe an sich gerissen hat. So scheint die Zeit Gott dem Herrn nicht anders geweiht werden zu können, als indem man sie für ihn zurückkauft. Der Preis dafür aber ist, dass wir den zahllosen Lockungen, die uns leicht umstricken könnten, aus dem Wege gehen, - dass wir uns von den Sorgen und Vergnügungen der Welt freimachen, und allem absagen, was unseren Weg hindern könnte. Kurz, wir sollen in jeder Weise darauf bedacht sein, unserem Gott die Gelegenheit wiederzugewinnen. Ja, was viele zur Entschuldigung ihrer Feigheit gebrauchen, dass es viele Ärgernisse gebe, und dass die Arbeit so schwer sei, das muss uns vielmehr zur Wachsamkeit antreiben.

V. 17. Darum werdet nicht unverständig. Wer Tag und Nacht in Gottes Gesetz nachdenkend sich übt, wird leicht alle Schwierigkeiten, die Satan ihm macht, überwinden. Denn wie kommt es, dass einige irre gehen, andere fallen, andere anstoßen, noch andere zurückweichen? Kommt es nicht daher, dass wir uns von Satan verfinstern lassen und so Gottes Willen, an den wir doch immer denken müssten, aus den Augen verlieren? So wollen wir uns denn noch einmal einprägen, dass Paulus es für Weisheit erklärt, zu verstehen, was da sei des Herrn Wille. Auch David sagt (Ps. 119, 9): „Wie wird ein Jüngling seinen Weg unsträflich gehen? Wenn er sich hält nach deinen Worten.“ Das gilt aber nicht bloß von jungen Leuten, sondern ist auch die Klugheit der Greise.

V. 18. Und sauft euch nicht voll Weins, d. h. seid nicht unmäßig im Trinken. Der Apostel will dem Übermaß hierin wehren, indem er weiter die bösen Folgen der Trunksucht uns vor Augen stellt: daraus ein unordentlich Wesen folgt. Gemeint ist nicht nur ein üppiges Treiben, was viel zu wenig besagen würde, sondern eine zügellose, sich selbst verlierende, heillose und unmäßige Auflösung des ganzen Lebens. Wo der Wein regiert, lösen sich alle Bande der Scham, und ausschweifende Frechheit gewinnt die Oberhand. Wer also noch etwas auf Anstand und Ehre gibt, soll die Trunkenheit fliehen und verabscheuen. Da aber die Kinder dieser Welt reichliches Trinken als ein Mittel ansehen, die Stimmung zu heben, so setzt der Apostel wider diese fleischliche „Freude“ eine andere, heilige Freude, welche Gottes Geist in unsere Herzen gibt. Und auch die Früchte derselben werden im Gegensatz zu den soeben genannten Auswüchsen aufgezählt. Was anderes erzeugt die Trunkenheit, als zügellose Frechheit und in deren Gefolge allerlei schamloses Treiben? Was dagegen erzeugt eine geistliche Freude, die unser Gemüt erfüllt? Psalmen, Lobgesänge, geistliche Lieder und Danksagung, das sind wahrhaft angenehme und ergötzliche Früchte. Der Geist, der uns erfüllen soll, ist ja die Freude im heiligen Geiste. Davon sollen wir voll werden, wie von einem reichlichen Trunk. Das wird dann den rechten Gegensatz ergeben.

V. 19. Die Christen sollen untereinander reden und singen, also nicht bloß ein jeder für sich im Herzen. Denn wenn es alsbald heißt spielt dem Herrn in euren Herzen, so will dies lediglich erinnern, dass wir nicht nur heuchlerisch mit der Zunge, sondern aus dem Herzen singen sollen. Über den schwer zu bestimmenden Unterschied von Psalmen, Lobgesängen und Liedern will ich zu Kol. 3, 16 einiges sagen. Geistlich sollen endlich die Lieder der Christen sein, im Unterschied von den gewöhnlichen Gesängen, die man auf allen Gassen hört, mit ihrem nur zu oft frivolen und gar unzüchtigen Inhalt.

V. 20. Und sagt Dank allezeit. Gewährt doch solches Danken eine Freude, deren man nie satt und überdrüssig wird: so kann man es unablässig üben. Gott gibt uns auch mit immer neuen Wohltaten immer neuen Grund zur Freude und Danksagung. Zugleich empfangen wir hier die Erinnerung, welch gottloser, hässlicher und leichtfertiger Vergesslichkeit sich die Gläubigen schuldig machen würden, wollten sie nicht ihr ganzes Leben mit allem Eifer dem Lobe Gottes weihen.

V. 21. Und seid untereinander untertan. Gott hat uns so aneinander gebunden, dass niemand sich der Unterordnung entziehen darf: denn überall wo die Liebe herrscht, da ist auch gegenseitiges Dienen. Ich nehme auch die Könige hiervon nicht aus, da sie nur regieren, um zu dienen. Darum gibt der Apostel nicht ohne Grund die ganz allgemeine Weisung aus, dass einer dem anderen diene. Da aber dem menschlichen Geiste nichts mehr widerstrebt, als sich anderen unterzuordnen, so weist er uns hier auf die Furcht Christi. Die Lesart „Furcht Gottes“ ist nämlich ohne Zweifel minderwertig. Christus allein kann unsere Wildheit zähmen, dass wir das Joch nicht abwerfen, und unseren Hochmut dämpfen, dass wir uns nicht schämen, anderen zu dienen.

V. 22. Ihr Weiber usw. Damit wendet sich die Rede zu einzelnen Gruppen. Denn die allgemeine Unterordnung, welche von jedermann gefordert wird, nimmt je nach Beruf und Stellung ihre besonderen Formen an. Im Hauswesen gibt es nun wesentlich drei Grundverhältnisse gegenseitiger Verpflichtung: zuerst zwischen Mann und Weib, sodann zwischen Eltern und Kindern, endlich zwischen Herren und Dienern. So ergeben sich sechs Personengruppen, deren jeder der Apostel ihre Pflichten vorhält. Mit den Weibern hebt er an: sie sollen ihren Männern untertan sein als dem Herrn, d. h. wie dem Herrn Christus selbst, - nicht als ob die Männer die gleiche Autorität besäßen: aber die Weiber treten aus dem Gehorsam Christi heraus, wenn sie dem Manne die Untertänigkeit verweigern. Denn, so fügt Paulus (V. 23) begründend hinzu, Christus hat zwischen Mann und Weib die gleiche Ordnung geschaffen, wie sie zwischen ihm und seiner Gemeinde besteht. Dieser Vergleich ist viel eindrücklicher, als wenn von einer Ordnung Gottes im Allgemeinen die Rede wäre. Er prägt uns nicht bloß ein, dass Gott den Mann dem Weibe übergeordnet hat, sondern weiter auch, dass das Vorbild für diese Überordnung in Christo vor uns steht, welcher das Haupt der Gemeinde ist, wie der Mann das Haupt des Weibes.

V. 23. Und er ist seines Leibes Heiland. Einige beziehen dieses auf den Mann, andere auf Christus. Nach meiner Ansicht passt die Aussage am besten auf Christus, jedoch so, dass sie zugleich Anwendung auf den vorliegenden Fall findet. Der Vergleich wird auch in diesem Stücke durchgeführt: wie Christi Herrschaft über seine Gemeinde nur deren Heile dient, so ist es auch für das Weib am nützlichsten und heilsamsten, wenn es dem Manne sich unterordnet. Eine Frau, welche dieser heilsamen Ordnung sich entzieht, rennt also mutwillig in ihr Verderben.

V. 25. Ihr Männer, liebt eure Weiber. Von den Männer fordert der Apostel als Gegengabe die Liebe, aber nicht bloß im gemeinen Sinne, sondern nach dem Vorbilde Christi. Steht der Mann an Christi Ehrenstelle, so soll er auch Christi Pflichten auf sich nehmen.

Und hat sich selbst für sie gegeben. Welches Vorbild brennender Liebe, welches dem Manne im Verhältnis zu seinem Weibe gilt! Darin soll ein christlicher Ehemann seinem Herrn nachfolgen, der sich nicht bedacht hat, für die Gemeinde zu sterben. Doch darüber hinaus treibt es den Apostel, Christi Gnade auch in solchen Stücken zu rühmen, welche menschliche Nachfolge nicht erreichen kann: dazu gehört die Erlösung durch Christi Tod.

V. 26. Auf dass er sie heiligte, d. h. zu seinem Eigentum machte; denn nichts anderes bedeutet das Wort „heiligen“. Dies geschieht nun durch die Sündenvergebung und durch die Wiedergeburt des Geistes.

Und hat sie gereinigt durch das Wasserbad. Neben der inneren und verborgenen Heiligung nennt der Apostel deren äußerlich greifbares Bestätigungszeichen. Damit will er sagen: das Unterpfand für diese Heiligung ward in der Taufe gegeben. Doch ist hier eine besonnene Auslegung nötig, damit die Menschen nicht, wie es oft geschieht, in schlechtem Aberglauben aus dem Sakrament sich einen Götzen machen. Wenn Paulus sagt, dass wir durch die Taufe abgewaschen werden, so meint er, dass Gott uns darin ein Bild unserer Abwaschung vorstellt, zugleich aber innerlich wirkt, was er äußerlich abbildet. Denn wenn die bezeichnete Sache selbst nicht mit dem Bilde verbunden wäre, so könnte die Taufe nicht ein Bad der Seele heißen. Indessen muss man sich hüten, dass man nicht das, was Gott allein zukommt, auf das Zeichen oder auf den Diener übertrage, indem man den Diener für den Urheber der Reinigung hält oder das Wasser für das Mittel, welches die Unreinigkeit der Seele fortnimmt. Dieses kommt allein dem Blute Christi zu. Endlich muss man sich hüten, dass der Glaube in keiner Weise an dem Element oder an dem Menschen haften bleibe, denn der eigentliche Zweck des Sakraments ist, uns geradewegs zu Christo zu führen und uns auf ihn zu stellen. Andere versehen sich, wenn sie bemüht sind, diese Empfehlung der Taufe abzuschwächen, damit dem Zeichen nicht zu viel zugeschrieben werde, wenn es das Bad der Seele genannt wird. Erstens lehrt Paulus nicht, dass das Zeichen es ist, das da reinigt, sondern er versichert, dass dieses allein Gottes Werk ist. Es ist also Gott, der da reinigt, und es ist nicht recht, diese Ehre auf das Zeichen zu übertragen oder mit dem Zeichen zu vereinigen. Doch ist es nicht widersinnig, dass Gott das Zeichen gleichsam als Werkzeug benutzt. Nicht als ob die Kraft Gottes im Zeichen eingeschlossen wäre: aber sie wird uns, wegen der Schwäche unseres Verständnisses, durch ein solches Hilfsmittel mitgeteilt. Manche nehmen daran zwar Anstoß, weil sie meinen, dass hierdurch dem heiligen Geiste etwas genommen werde, was ihm eigentümlich ist, und was die heilige Schrift ihm an verschiedenen Stellen zuschreibt. Aber sie irren sich, denn Gott wirkt durch die Zeichen in einer solchen Weise, dass trotzdem die ganze Kraft des Zeichens vom heiligen Geist abhängt. Es wird dem Zeichen nichts weiter zugeschrieben, als dass es ein untergeordnetes Werkzeug ist, da es, an und für sich wertlos, seine Kraft anderswoher bekommt. Auch der Einwand, dass Gottes Freiheit nicht gebunden werden dürfe, ist oberflächlich, denn freilich hat sich Gottes Gnade nicht so an das Zeichen gebunden, dass sie sich nicht auch über den Bereich dieses Hilfsmittels hinaus vollkommen frei mitteilen könnte. Dann empfangen auch viele das Zeichen, ohne an der Gnade Anteil zu erlangen, da das Zeichen allen gemein ist, d. h. den Guten und Bösen ohne Unterschied, während der Geist nur den Erwählten erteilt wird. Das Zeichen ist aber ohne den Geist wirkungslos.

Im, d. h. durch das Wort. Dieser Zusatz ist wichtig: denn wenn das Wort wegfällt, so geht die ganze Kraft der Sakramente verloren, da die Sakramente nur die Siegel des Wortes sind. Wenn man diesen Umstand recht bedenkt, wird jeder Aberglaube schwinden. Wie kommt es, dass die Abergläubischen dem Zeichen Wunderkraft zuschreiben? Kommt es nicht daher, dass sie das Wort, das sie auf Gott hinweist, außeracht lassen? Sehen wir auf etwas anderes als auf das Wort, so bleibt nichts Gesundes und Reines, sondern Irrtum folgt auf Irrtum, so dass zuletzt die Zeichen, die von Gott selbst zum Heil der Menschen geheiligt sind, wertlos werden, ja in grobe Abgötterei ausarten. Durch das Wort unterscheiden sich die Sakramente der Frommen von allen Erdichtungen der Ungläubigen. Das „Wort“ ist nämlich die Gnadenverheißung, durch welche die Kraft und der Zweck des Zeichens erklärt wird. Die Weise, wie die Römischen bei den Sakramenten das Wort gebrauchen, widerstreitet freilich dem Wesen der Sache: sie murmeln eine Zauberformel in unbekannter Sprache und wenden sich dabei mehr an das tote Element, als an die anwesenden Menschen. Und doch wäre die Hauptsache die belehrende Ansprache an die Gemeinde, durch welche allein das tote Element zum Sakrament wird.

V. 27. Auf dass er sie ihm selbst darstellte usw. Paulus nennt als Zweck der Taufe und Abwaschung, dass wir heilig und unsträflich vor Gott leben sollen. Denn Christus reinigt uns nicht, damit wir uns alsbald wieder in unserem Schmutze wälzen, sondern damit wir unser ganzes Leben hindurch die Reinheit, wie wir einmal von ihm empfangen haben, bewahren. Diese Wahrheit wird durch ein Bild erläutert, welches sich trefflich in den Zusammenhang fügt. Wir hören, dass die Gemeinde herrlich sein soll, die nicht habe einen Flecken oder Runzel. Wie die Schönheit des Weibes etwa die Liebe des Mannes erregt, so will Christus seine Brautgemeinde mit Heiligkeit schmücken, die als ein Zeichen und Unterpfand seiner Liebe gelten soll. So enthalten unsere Worte eine Anspielung an den Ehestand, sagen aber alsbald ohne Bild, dass die Gemeinde heilig und unsträflich sein soll. Darin steht ihr wahrer Schmuck und die wahre Schamhaftigkeit des Ehegemahls. Es war Christi Absicht, dass er seine Gemeinde in solcher Verfassung ihm selbst darstellte. Also in den Augen des Herrn, nicht nach Menschenmeinung, soll sie heilig sein. Denn für sich will sie Christus so haben, - nicht will er sie anderen vorstellen. Immerhin wird die Frucht dieser verborgenen Reinigkeit nachher auch in äußeren Werken zur Erscheinung kommen. Übrigens missbraucht man des Apostels Aussage, wenn man sie zum Beweise einer vollkommenen Heiligkeit schon in diesem Leben verwertet: Paulus beschreibt ja nicht, was schon erreicht ward, sondern was am letzten Ende durch Christi Reinigungskraft werden soll. Angefangen ist die Heiligung: aber von einer Vollkommenheit, welche den täglichen Fortschritt ausschlösse, kann doch keine Rede sein.

V. 28. Wer sein Weib liebt, der liebt sich selbst. Seine Naturanlage muss dem Manne den entscheidenden Antrieb liefern, sein Weib zu lieben. Darum sagt der Apostel: jedem Menschen ist die Selbstliebe eingeboren. Nun kann aber niemand sich selbst lieben, wenn er nicht sein Weib liebt. Mithin ist es eine ganz widernatürliche Erscheinung, wenn jemand sein Weib nicht liebt. Der Untersatz dieser Schlussfolge empfängt dann im Folgenden (V. 30 ff.) eine genauere Begründung: die Ehe ward von Gott eingesetzt, um aus zweien eins zu machen. Diese Vereinigung muss uns aber umso heiliger dünken, weil sie in Christo und seiner Gemeinde ihr Vorbild hat. Dies in kurzen Zügen der Hauptinhalt. Was der Apostel sagt, trifft freilich auf jedes menschliche Gemeinschaftsverhältnis zu. Wenn also Jesaja einprägen will, was ein Mensch dem anderen schuldet, kann er sagen (Jes. 58, 7): „Entziehe dich nicht von deinem Fleisch.“ Weit über dies allgemeine Naturverhältnis geht aber die Gemeinschaft zwischen Mann und Weib: sie verbindet nicht bloß die gleiche Natur, sondern das eheliche Band vereinigt sie zu einem Menschen. Wer so das Wesen der Ehe treulich erwägt, bei dem kann es nicht ausbleiben, dass er sein Weib liebt.

V. 29. Gleichwie auch der Herr die Gemeinde. Paulus fährt fort in der Nachweisung, dass die Rechte der Ehe in dem Verhältnis Christi zu der Gemeinde begründet sind, weil dieser Beweis besondere Kraft hat. Zunächst zeigt er, dass Christus selbst das geleistet hat, was er als Vorschrift für die Liebe eines jeden Mannes zu seinem Weibe gab. Dann prägt er uns ein, dass wir für diese Art der Vereinigung, die in der Ehe zur Darstellung kommen soll, ein Vorbild an dem Verhältnis Christi zu seiner Gemeinde besitzen. Unsere Stelle ist für die Erkenntnis unserer mystischen Gemeinschaft mit Christo besonders wichtig. Wenn es heißt (V. 30): wir sind Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und von seinem Gebeine, so ist dies erstens keine übertreibende Redewendung, sondern beschreibt nur den einfachen Tatbestand. Weiter deuten diese Ausdrücke nicht bloß darauf, dass Christus unsere Natur angenommen hat, sondern besagen etwas viel tieferes und bedeutenderes. Der Sinn ergibt sich daraus, dass ein Zitat aus 1. Mo. 2, 24 sich unmittelbar anschließt. Wie Eva aus dem Wesen ihres Mannes Adam gebildet ward, und so gewissermaßen einen Teil von ihm darstellte, so müssen auch wir, wenn wir wahre Glieder Christi sein wollen, an seinem Wesen Anteil haben und dadurch mit ihm zu einem Leibe zusammenwachsen. Die Gemeinschaft mit Christo, von welcher das heilige Abendmahl Zeichen und Unterpfand ist, wird hier beschrieben, wobei natürlich vom heiligen Abendmahl selbst gar keine Rede ist.

V. 31. Um deswillen usw. Was Paulus bisher von der geistlichen Vereinigung Christi mit seiner Gemeinde ausführte, wendet er jetzt auf die Ehe an. Der Spruch aus Moses (1. Mo. 2, 24), von welchem man nicht weiß, ob er als ein Wort Adams oder Gottes gelten soll, ist jedenfalls eine göttliche Autorität, welche dem Manne seine Pflicht gegen das Weib einschärft: „er wird verlassen Vater und Mutter und seinem Weibe anhangen.“ Das heißt doch: er wird lieber seinen Vater verlassen, als dass er seinem Weibe nicht anhinge. Freilich will es nicht so verstanden sein, als beseitigte Ehebund alle anderen Verwandtschaftspflichten: könnte niemand zugleich ein guter Ehemann und ein guter Sohn sein, so würden ja Gottes Ordnungen übel wider einander streiten. Nur den Grad der Zusammengehörigkeit will das Wort beschreiben, wobei die heilige Verbindung eines Mannes mit seinem Weibe als die denkbar innigste erscheint.

Und werden die zwei Ein Fleisch sein, d. h. sie werden ein Mensch sein oder, wie man gewöhnlich sagt, eine Person bilden. Solches bewirkt keine andere Verbindung. Das kommt aber alles daher, dass das Weib aus dem Fleisch und Bein des Mannes gebildet ward. Ganz derselbe Grund liegt auch für unsere Vereinigung mit Christus vor. Denn wir sind nicht nur deswegen Fleisch von seinem Fleisch, weil er Mensch ist wie wir, sondern vor allem, weil er durch die Kraft seines Geistes uns sich einverleibt, damit wir aus ihm das Leben schöpfen.

V. 32. Das Geheimnis ist groß. Paulus schließt diese Abhandlung über die geistliche Verbindung Christi mit seiner Gemeinde mit einem Ausruf der Verwunderung. Welch erhabenes Geheimnis, an dessen Herrlichkeit keine Sprache heranreicht! Sicherlich wird es eine verlorene Mühe bleiben, wenn Menschen mit ihrem fleischlichen Sinn die Art und Weise dieser Vereinigung erfassen wollen: denn hier offenbart Gott die unermessliche Macht seines Geistes. Daher ist es verkehrt, wenn einige bei dieser Sache nichts mehr gelten lassen wollen, als sie mit ihrem beschränkten Geiste erfassen können. Wenn sie leugnen, dass uns Christi Fleisch und Blut im heiligen Abendmahle gegeben werden, so stützen sie sich darauf, dass sie sagen: wenn ihr uns nicht zeigt, wie dieses geschieht, so könnte ihr uns nicht überzeugen. Aber ich stehe staunend still vor diesem Geheimnis und schäme mich nicht, bewundernd mit Paulus meine Unwissenheit einzugestehen; denn das ist viel besser, als zu entleeren und unserem fleischlichen Sinn anzupassen, was Paulus ein tiefes Geheimnis nennt. Was übernatürlich ist, muss doch notwendig das Fassungsvermögen unseres Geistes übersteigen, und es ist besser, wenn wir uns bemühen, dass wir den lebendigen Christus in uns fühlen, als dass wir die Art und Weise dieser Vereinigung erkennen.

Ich sage aber von Christo und der Gemeinde. Diese Zwischenbemerkung soll lediglich verhindern, dass man die letzten Sätze, die auf die Verbindung Christi mit seiner Gemeinde gingen, nicht auf die Ehe beziehen möchte.

V. 33. Doch auch ihr, ja ein jeglicher usw. Hatte sich die Rede eine kleine Abschweifung gestattet, die freilich noch immer ihrem eigentlichen Ziele diente, so kehrt sie nun zu ihrem Hauptthema in kurzer, zusammenfassender Schlussvorschrift zurück: der Mann habe lieb sein Weib; das Weib aber fürchte den Mann, d. h. zolle ihm jene ehrfürchtige Anerkennung, ohne die eine willige Unterordnung sich nicht denken lässt.

1)
Tatsächlich ist Luthers Übersetzung allein möglich, diejenige Calvins durch die Stellung und Bedeutung der Worte im griechischen Texte ausgeschlossen. Calvins Hinweis darauf, dass die apostolische Sprache kein elegantes Griechisch sei und dergleichen nicht so genau nehme, schlägt nicht durch.
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