Calvin, Jean - An Farel in Neuchatel (61).

Nr. 61 (C. R. – 268)

Calvin, Jean - An Farel in Neuchatel (61).

Der Brief wurde zwar an Farel geschrieben, aber nicht abgesandt, da dieser selbst nach Worms kam am 22. Dezember.

Vom Wormser Religionsgespräch.

Dass ich dir so selten schreibe, geschieht, weil wir zu wenig Muße haben. Die Entschuldigung wird dir lächerlich vorkommen, weil sie so ungewöhnlich ist. Aber ich rede wahr. Denn wenn auch nur zum Schein irgendeine Verhandlung hier abgehalten würde, böte sie mir doch Stoff zum Schreiben. Jetzt aber soll ich einen Brief fassen, was mich ekelt und reut, mit soviel Gedankentätigkeit erkennen zu müssen: nämlich, dass wir, schon in den zweiten Monat hinein umsonst wartend, hier müßig sitzen. Zwanzig Tage waren seit unsrer Ankunft verstrichen, bevor uns die Schiedsrichter einmal herbei riefen. Denn da Granvella aufgehalten wurde bei der Erklärung und Anordnung der Reichsfreiheit der Stadt Besancon, hatte er sich entschuldigen lassen und einen andern gewählt, der an seiner Statt [als Schiedsrichter] walten sollte. Sie aber unterschlugen seinen Brief und warteten, bis es hieß, er komme heran und sei nicht weiter als zwei Tagesreisen entfernt. Da endlich rief man uns und unsere Gegner zusammen. Zuerst ließen sie Granvellas Brief vorlesen; dann versprachen sie bei dieser Verhandlung alle Treue und Fleiß anzuwenden und forderten dagegen von uns, wir sollten allen Zank und alle Schärfe lassen und uns um Frieden und Eintracht bemühen. Wir gaben zur Antwort, man sei von beiden Seiten in keiner andern Absicht erschienen, als für die Ruhe der Kirche zu sorgen. Die Unsern aber fügten stets bei, so weit ein Friede möglich sei nach dem Wort Gottes. Dann wurde verhandelt über Art und Ordnung des Gesprächs. Beide Parteien übertrugen es den Schiedsrichtern, die nach ihrer Meinung beste Ordnung vorzuschreiben, unter Vorbehalt ihres Einspruchsrechtes. Diese gestanden nach ihrer Gerechtigkeit gleich unsern Gegnern soviel zu, wie sie kaum offen zu fordern gewagt hätten. Die Unsern aber, um nicht von Anfang an in Dingen von geringerm Gewicht eigensinnig zu scheinen, ließen es mit wenigen Ausnahmen gelten. Du wirst denken, das sei alles in einer halben Stunde fertig gewesen. Aber die Zeremonien sind so umständlich, dass wir mehrmals zusammen kommen mussten, ehe irgendetwas zu Ende kam. Das ist nämlich die Form und Anordnung des Verhandelns. Jeder Partei ist ein Saal angewiesen, in dem sie für sich berät. In einem dritten sitzen die Schiedsrichter und kommen wir von beiden Seiten zusammen, wenn etwas öffentlich zu verhandeln ist. Unsere Feinde freilich gehen da nur zu vertraulich ein und aus, um den Schiedsrichtern ihre Pläne mitzuteilen. Und das tun sie nicht etwa heimlich und scheu; sondern vor unsern Augen, wenn wir dabei stehen, tragen sie kein Bedenken, die Köpfe zusammen zu stecken. Was sollen sie auch anderes tun? Der Mainzer, der Bayer und der Straßburger [Bischof] haben ihre Leute geschickt, mit uns zu disputieren und die Disputation zu leiten. Die wählen nun je einen aus ihrer Schar zum Präsidenten, aber so, dass er zwar Verhandlungsleiter heißt, tatsächlich aber die Rolle unsres Gegners übernimmt. Unterdessen war Granvella gekommen; am 25. November zog er in der Stadt ein; am dritten Tage darauf hielt er eine Rede, die uns nicht ganz gerecht wurde, weil es schien, er wälze die Schuld an allem Unglück auf uns. Ich schicke dir ein Exemplar dieser Rede, soweit sie beim Sprechen von den Schreibern aufgezeichnet werden konnte. Jedenfalls ist der Hauptinhalt ganz darin enthalten, und es fehlt kein Wörtlein, das irgendwie von Gewicht war. Tags darauf antwortete man gemeinsam in aller Namen, obwohl das den Unsern sehr missfiel. Aber da es nicht anders erlaubt wurde, was sollten sie tun? Granvella selbst hatte schon vorher gehört, oder schöpfte sicher aus der Sache selbst den Verdacht, dass die Unsern murrten und entrüstet sagten, es sei ein zu großes Unrecht, dass sie schon vor dem Eintreten in die Verhandlung ohne Grund gescholten würden. So entschuldigte er sich bei ihnen, er habe nichts weniger im Sinn gehabt, als sie nur im Geringsten zu verletzen. Von da an wurde dann ein paar Tage über Formsachen verhandelt, wobei die Gegner tausend Ausflüchte suchten. Wir, um sie ins offene Feld zu locken, weigerten uns keiner Unbilligkeit, wenn uns nur die Verteidigung unserer Sache möglich bliebe. Dann kam eine Zeit, in der sie, ohne uns bei zu ziehen, unter sich berieten. Die Unsern zeigten nicht bloß, dass von ihrer Seite nichts im Wege stehe, sondern drängten sogar und tadelten die neue Verzögerung deutlich. Schließlich nötigte sie die Scham, und sie gaben vor, anfangen zu wollen. Sie sangen also ihre Messe des heiligen Geistes wegen, um unter günstigen Wahrzeichen anzugreifen. Auch wir hatten einen feierlichen Bittgottesdienst in unserer Kirche. Jedermann glaubte, bald werde man sich zum Kampfe gürten müssen. An diesem Tag aber und am folgenden hatten wir nochmals Ferien. Mittwochs wurden wir gerufen als zu einer hochernsten Sache. Nachdem man zum Präsidentensaal gekommen, zeigte man es Granvella an; kurz nach uns kam er. Dann wurde der apostolische Nuntius herbeigeholt, der uns im Namen des hochheiligen Paulus ermahnte, nach Eintracht und Aussöhnung mit der Kirche zu trachten. Es war für ihn ein Sessel hingestellt, gegenüber von Granvella, der aber mit den Gesandten der Kurfürsten auf einer erhöhten Estrade saß. Granvella ging jedoch dem Nuntius vier bis fünf Schritte entgegen, damit es nicht scheine, er verachte den heiligen apostolischen Stuhl gänzlich. Der Nuntius hielt darauf eine Rede, zusammengesetzt aus Lobreden auf die Liebe, einem Klagelied über die gegenwärtigen Zeiten und einer Ermahnung, von der Zwietracht zu lassen. Ich schicke dir ein Exemplar davon. Als er geendet, traten der Sitte gemäß die Gesandten der Kurfürsten ab, zur Beratung. Denn hier galt das Zeremoniell einer kaiserlichen Tagung. Die Gegner wollten eine gemeinsame Antwort. Der Sachse, der allein dem Bekenntnis nach zu unserer Partei gehört, widersprach und legte mit guten Gründen dar, wir müssten besonders antworten. Denn wir seien indirekt getadelt worden, deshalb müssten wir für uns allein Rechenschaft geben auf die Vorwürfe, da alle Schuld uns zugeschoben werde. Dann könnten wir auch nicht dulden, dass der Papst in dieser Versammlung einen Teil der Ehre für sich in Anspruch nehme. Deshalb müssten wir dagegen protestieren, damit es nicht schiene, wir geständen ihm etwas zu. Ja, es könnten in keiner Weise die Reden der beiden Parteien zusammenstimmen, da ihm die Einen den Titel allerheiligster Vater gäben, während die Andern ihn Gottes Feind und Bedrücker der Kirche nennten, die Einen ihm Gehorsam in allen Dingen versprächen, die Anderen vorhätten, seine Herrschaft zu bekämpfen. Als die Reihe an Granvella kam, bat er und drang darauf, es sollten doch alle Stände sich auf irgendeine Antwort vereinigen. Man lief hin und her, etwa achtmal, bevor die Unsern nachgaben. Sie verlangten schließlich, man solle ihnen erlauben, dem Nuntius zu danken, ohne den Papst selbst zu erwähnen. Das ließ die Gegenpartei von sich aus zu, um nicht alles abzuschlagen. Das geschah alles vor seinen Augen und in solcher Nähe, dass er manchmal die Stimmen verstehen konnte. Man gab darauf die Antwort, deren Wortlaut du hier auch beiliegend hast und ging auseinander; obwohl es die Unsern sehr ärgerte, dass ihnen die Möglichkeit, auch zu reden, entrissen worden war. Die Mutigern aber meinen, trotz unseres Schweigens sei doch nicht wenig erreicht worden an diesem Tag. Denn der [päpstliche Nuntius], der einst, noch vor wenigen Jahren, an der Seite des Kaisers über allen Kurfürsten seinen Sitz erhielt, musste jetzt von der gewöhnlichen Bank aus reden. Als er Papst Paul seinen Herrn nannte und ehrenhalber sein Haupt entblößte, folgte ihm niemand, selbst von unsern Gegnern nicht; als er aber den Kaiser erwähnte, zogen alle den Hut. Konnte unter gegenwärtigen Umständen dem Papst ein größerer Schimpf angetan werden, als dass Kaiser und Stände des Reichs seinem Gesandten antworteten, ohne seinen Namen zu nennen! Das ist sicher nicht weit von handgreiflichem Spott. Denn man antwortete dem Gesandten wie einem Privatmann, und das Schweigen vom Papste entbehrte deutlicher Verachtung nicht. Wenn von unserer Seite etwas recht Grobes gesagt worden wäre, so wäre das nichts Ungewohntes gewesen von so trotzigen, unbezähmbaren Köpfen. Dass aber der Kaiser und die ganze Schar seiner Söhne uns soviel zugestanden, dass man den Papst gar nicht zu erwähnen brauchte, das hat dem Ansehen des Papstes nicht wenig Abbruch getan. Nach dem Mittagessen berieten unsere Gegner unter sich, wo sie uns zuerst auf den Tod verwunden könnten. Es wurde beschlossen, das ganze Bekenntnis der Reihe nach durchzunehmen. Im ersten strittigen Artikel von der Erbsünde bekämpften sie uns zwei Tage lang, dann entzweiten sie sich. Sechs nahmen unser Bekenntnis an, fünf wiesen es ab, darunter als ihr Achilles Eck selbst. Am dritten Tag schrieben sie irgendeine Formel nieder, auf die sie sich gleicher weise geeinigt. Darin wurde aber unser Dogma nicht verdammt, sondern bloß gemäßigt und gemildert. Dann kam man zur Rechtfertigung, wobei es wunderbar war, wie lärmend sie unter sich selbst zankten. Der Grund solcher Verwirrung war, dass die Brandenburger fast ganz auf unserer Seite stehen, die Pfälzer ein klein wenig sich nähern. Die von Cleve und Köln sind nicht die schlimmsten. Andere aber, wie von bösen Gewalten gepackt, können nichts Billiges, nichts Gemäßigtes, nichts Gesundes ertragen. Der Markgraf [von Brandenburg] steht bloß deshalb auf ihrer Seite, weil er noch nicht zu uns gerechnet wird, da er sich bis jetzt kaiserlichen Beschlüssen noch nicht widersetzt hat und noch nicht in unsere Bundesgenossenschaft eingetreten ist. Als Kurfürst durfte er aber nicht übergangen werden; und so mussten ihn unsere Feinde bei sich aufnehmen. Die Unsern beschwerten sich unterdessen, sowohl bei den Präsidenten, als bei Granvella, dass man die Sache so hinziehe. Der sechste Januar, auf den der Reichstag zu Regensburg angesagt sei, stehe nahe bevor. So sei es unzweifelhaft, dass das Ausweichen nur dazu dienen solle, dass man unverrichteter Dinge auseinander gehen müsse. Durch solche Mahnung bedrängt, begann man ein neues Gewebe anzuzetteln: Sie brachten eine Eidesformel vor, mit der sie die Schreiber verpflichten wollten. Die war aber so unbillig, dass die Unsern sie nicht zulassen durften, und doch konnte man nicht erreichen, dass nur eine Kleinigkeit nachgelassen wurde; und wahrlich, die guten Leute haben Grund, sie mit den Zähnen festzuhalten. Denn es ist darin ausbedungen, dass die Akten geheim gehalten und keinem Sterblichen außer dem Kaiser mitgeteilt werden sollten. Um nichts ganz Aussichtsloses zu fordern, fügen sie eine Ausnahme dazu, dass sie bloß teilweise und unter ihrer Zensur erscheinen sollen. Wir sehen, was sie wollen, nämlich dass, wenn wir im Zorn von hier scheiden, sie dann nach ihrem Brauch alle Entrüstung [wegen des gescheiterten Gesprächs] unter irgendeinem Vorwand auf uns lenken können. Wir werden also nachgeben müssen, wenn wir ihnen die Gelegenheit dazu, die sie suchen, nicht bieten wollen. Aber, nach meinem Erachten wenigstens, legen sie sich dadurch umso mehr fürs Urteil aller Guten eine Schlinge um den Hals. Denn man wird nicht zweifeln können, aus welchem Gewissensgrund sie so sehr für Unterdrückung der Akten arbeiteten. Gewiss, wenn wir nicht unserer guten Sache trauten, wünschten wir nicht, dass alles veröffentlicht werde, und wenn sie das Licht nicht fürchteten, wichen sie dem nicht aus. Ich fürchte aber, da man uns mit solchen Vorspielen ärgert, wird man uns schließlich ohne Kampf wegschicken. Denke dir, was für ein allgemeines Gelächter das geben wird, wenn eine solche Veranstaltung in Rauch aufgeht! Wie aber, wenn der Herr, menschlicher Vorsicht spottend, sein Werk fortführen, und, ohne unsere Kunst und unsern Eifer zu brauchen, die Gegner seines Wortes niederstrecken will? So wollen wir uns mit unserm guten Gewissen begnügen und nicht mehr begehren, als dass wir, aufmerksam auf seinen Wink, so viel tun, als er will. Gewiss, was uns angeht, wir wären nicht so furcht erregend, wenn nicht der Herr selbst unsern Feinden Schrecken und Angst einjagte. Wird man handgemein, so wird Philippus zuerst reden, den ich nie mutiger gesehen habe. Er ist ein ganz anderer, als er vor vier Jahren war. Zwar seine Meinung hat er nicht geändert; aber sein Mut ist stärker geworden, weil er, wie er selbst sagt, mit seiner Mäßigung doch bei denen nichts erreicht habe, die er zu gewinnen trachtete. Wenn du ihn nur eine halbe Stunde reden hörtest, hättest du die größte Freude. Den Rest schreibe ich, wenns Gelegenheit gibt. Lebwohl, bester, trefflichster, liebster Bruder.

[Worms, Mitte Dezember 1540.]

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