Calvin, Jean - An die Berner Pfarrer.

Nr. 448 (C. R. – 2200)

Calvin, Jean - An die Berner Pfarrer.

Über die tadelnswerte Neutralität der Berner Pfarrer.

Obwohl das Schreiben Eures Rates, beste, verehrte Brüder, mit der letzten Antwort, die uns der Schultheiß gab, durchaus nicht übereinstimmt, so ist doch nichts geschehen, was man nicht schon vorher hatte befürchten müssen. Ich hatte gewünscht, die Sache könne so geordnet werden, dass es mir und meinen Kollegen möglich werde, zu schweigen, und wir hätten sicher kein Wort gesagt, wenn nur am dem Allerschlimmsten ein klein wenig abgeholfen worden wäre. Da aber die Wunde, die die früheren Edikte geschlagen hatten, durch das Ratsschreiben, das besänftigend hätte wirken sollen, neu aufgebrochen ist, so müssen wir wenigstens mit Worten bezeugen, wie herb uns diese Schmach trifft, die zugleich den evangelischen Glauben ins Wanken bringt und die Existenz der Kirchen bedroht. Wenn wir nur mit diesem Vorgehen etwas erreichen! Aber auch wenn unsere Mühe erfolglos bleibt, so ists doch notwendig, die Stimme zu erheben, selbst ohne alle Hoffnung. Denn müßig sitzen zu bleiben und dieser Tragödie zuzusehen, wäre mehr als schändliche Untreue. Da übrigens der Ausgang in Gottes Hand liegt, so hoffen wir, er werde unsere Bemühungen nicht wirkungslos lassen. Weil wir aber Euch in dieser Sache, die uns alle angeht, zu Helfern haben möchten, so müssen wir dafür sorgen, dass Ihr unsern Plan billigt. Ich weiß und erinnere mich, dass Ihr, als der Rat uns, ohne sich für eine der Parteien auszusprechen, nach Hause sandte, wohl über den Widersinn des Beschlusses empört wart, aber doch meintet, man müsse sich fügen, damit nicht unser Beharren auf unserm Standpunkt einige Übelgesinnte zu noch Schlimmerem reize. Ich brachte aber damals schon Gründe dagegen vor, die durchaus genügend waren, unser Handeln zu entschuldigen. Denn da wir von Staatswegen abgeordnet waren, durften wir nach dem Auftrag unseres Rates gar nicht abreisen, und es wäre sklavische Feigheit gewesen, einen so handgreiflichen Hohn einfach stillschweigend hinzunehmen. Da Euer Rat mündlich und schriftlich versprochen hatte, er wolle nach genauer Untersuchung über Tatsachen und Personen so urteilen, dass das Ärgernis aufgehoben und Friede zwischen den Kirchen ermöglicht würde, so musste er wenigstens ersucht werden, Wort zu halten. Das konnte gar nicht bescheidener und mit ruhigerer und gefälligerer Zurückstellung unseres Rechtes geschehen, als wir es taten; denn wir ließen [in unserem Proteste] manches weg, was auch nach der Meinung des Rats eine ungerechte Beleidigung gegen uns war; wir schickten auch voraus, dass wir gar nicht gekommen wären, wenn uns nicht die uns übertragene Gesandtschaft dazu genötigt hätte, woraus jedermann ersehen sollte, dass wir gar nicht so ernstlich darauf drängten und pochten, sondern diese Rolle nur nebensächlich spielten. Ich habe auch für mich persönlich bezeugt, ich wolle die ganze Verhandlung aufgeben, wenn sie nur den bösen Tadel über meine Lehre und mein Amt streichen wollten.

Es ging nicht nach unserm Wunsch. Doch wird das nicht die Wirkung haben, dass ich je dieses ebenso maßvolle als notwendige Vorgehen bereute und damit Christi Sache verriete. Ich konnte bei den Gesandten nicht erreichen, dass sie sich der Schmach und Gefahr aussetzten, ja ich durfte sie gar nicht, da nun die ganze Last aller auf meine Schultern fiel, dazu überreden, oder sie durch mein Beispiel mit mir in handgreifliche Gefahr bringen. Aber ohne nach weiteren Gründen dafür zu suchen: wenn ich nicht frei heraus bekannt hätte, es sei mir nicht genug getan, so hätte man allgemein gesagt, ich scheue das Licht, weil ich ein schlechtes Gewissen habe. Dass Ihr gar nicht zu schreiben wagtet ohne Erlaubnis, hat mir stets missfallen. Doch weil sich Geschehenes nicht ändern lässt, so seht nun zu, was zu tun ist. Ich persönlich möchte wohl, meine Amtspflicht und mein Gewissen ließen mich schweigen, da ich abgehärtet genug bin, alles zu ertragen. Aber wenn ich die himmlische Lehre Christi, zu deren Diener er mich haben will, überall schmachvoll heruntergerissen sehe, wäre es da nicht schändlich, wenn ich meine Zunge fesselte und stumm bliebe? Soll ich sie um die Verteidigung durch mein Wort bringen, da doch die heiligen Märtyrer für sie ohne Zögern ihr Blut hingeben? Erwidert jemand, das sei nicht die wahre, richtige Art, die christliche Lehre zu verteidigen, dass man eine irdische Obrigkeit um ihre Bestätigung ersuche, so fällt mir die Antwort leicht: um menschliche Zustimmung kümmere ich mich nicht und schenkte es ihnen gerne, ihre Autorität für diese Lehre einzusetzen; nur will ich dafür nicht durch indirektes, voreiliges Urteil zu Schanden gemacht werden. Aber da Edikte, die Ihr kennt, im Land herumfliegen, um mich mit falscher Bosheit zu beschuldigen, wer würde mir da nicht Gleichgültigkeit vorwerfen, wenn ich dem nicht entgegentrete? Und auch davon abgesehen, - darf ich die Vorwürfe stillschweigend hinnehmen, die Verkünder desselben Evangeliums, [das ich predige], gegen mich schleudern? Neulich haben Corbeil und Jerome, ein Pfarrer aus der Klasse Thonon, öffentlich verbreitet, ich sei von Bern geflohen, als man mich der Ketzerei überführt habe. Und auf deren Gerede hin sagen es nicht drei oder vier, sondern tausend Leute im ganzen Gebiet herum, es sei über mich als Ketzer geurteilt worden. Wäre es nicht zehnmal besser, tot zu sein, als bei lebendigem Leibe so schmählich in die Acht getan zu werden? Wie soll ich jeden Tag auf die Kanzel steigen, wenn ich schweige gegen so gottlose Verleumdungen, von denen das ganze Land widerhallt? Wenn man mich hieße, mich meines Lehramts zu enthalten, dann wäre mein Schweigen wenigstens etwas zu entschuldigen, aber Ihr wisst, was uns der heilige Geist befiehlt, nämlich den Gegner das Maul zu stopfen [Tit. 1, 11]. Deshalb wäre es für mich unsinnig, ja mit Recht beschämend, ein Diener am Evangelium zu sein, wenn ich nicht wenigstens auch sein treuer Beschützer bin, wo es offen und feindselig von den eignen Glaubensgenossen angefochten wird. Ja, da der Rat jedem schwere Strafe androht, der vorzutragen wagt, was er von mir gelernt hat, soll ich da warten, bis die Verfolgung unter meinen Brüdern wütet und mir die Schuld daran gegeben wird? Wenn ich dabei auch noch sanfter und weniger mutig vorgehe, als ich sollte, so brauche ich mich bei Euch wohl nicht sorgfältig zu entschuldigen, [dass ichs überhaupt tue], denn in Eurer Klugheit seht Ihr wohl, dass mich die Notwendigkeit dazu zwingt, ich mag wollen oder nicht. Ein milderes Mittel habe ich wirklich nicht gefunden, als dass ich meine Klagen nochmals vor Euern Rat bringe. Wenn ich mir dafür Euer Eintreten erbitte, so glaube ich, nichts zu verlangen, was nicht unserer gemeinsamen Pflicht zukäme.

Ihr aber, beste Brüder, müsst noch weiter schauen; mit Eurem Willen wird von Euren Hörern und Schülern einer der Hauptpunkte unseres Glaubens einfach unterdrückt. Unter Drohungen verbieten sie jedermann, überhaupt davon zu reden. Nachdem sie diesen Teil der Lehre bereits für die Kirchen verboten haben, rotten sie ihn aus ihrem ganzen Gebiete aus und wappnen ihre Pfarrer, die so wie so schon allzu geneigt sind, Unruhe zu stiften, ganz allgemein gegen alle rechten, schlichten Leute, von denen man erfahren hat, dass sie je einmal ein Wort von dem heiligen Geheimnis Gottes gesprochen haben. Und zwar ist nicht nur der Strafe unterworfen, wer etwas Gottloses, Falsches und Verkehrtes vorgebracht hat, sondern ausnahmslos jeder, der die Prädestination Gottes auch nur berührt hat. Seht zu, ob das für Euch erträglich ist. Ich wollte mir lieber die Zunge ausreißen lassen, als schweigend dulden, dass ein solches Beispiel in der meiner Fürsorge und meinem Glauben anvertrauten Kirche gegeben würde. Ich zweifle auch nicht, dass Ihr ebenso gesonnen seid, aber ich glaubte Euch doch vertraulich daran erinnern zu müssen, dass in dieser Sache nichts unpassender ist, als wenn furchtsam gehandelt wird. In andern Dingen will ich zugeben, dass man vermeiden muss, Anstoß zu geben, hier aber ist kein Raum für Rücksichten. Auch darf Euch die andere Befürchtung nicht hindern, dass erfolglose Arbeit von Euch verlangt werde. Denn wenn Euch heute nur noch ganz wenig Freiheit geblieben ist, Einfluss fast gar keiner mehr, so dürft Ihr nicht erwarten, es werde Euch beides freiwillig zurückgegeben werden von den Machthabern, die schon das Wort Pfarrer brennt und juckt, die unsern Anblick fast nicht ertragen können, die schließlich die Erinnerung an uns am liebsten aufheben möchten. Wenn Ihr auch fast keinen Einfluss mehr habt, so müsst Ihr doch nachträglich Eure Freiheit wiedergewinnen, so dass die Leute, die bisher allzu sicher in ihren Sünden sich gefielen, doch wieder anfangen, zu merken, dass Christi Diener dazu ihre Zunge haben, sie strafend zu mahnen.

Obwohl jetzt nur ich persönlich angegriffen werde, so ists doch offenbar genug, dass in mir auch Ihr alle verletzt werdet, und es ist klar, wohin diese frevelhafte Verschwörung zielt; deshalb bitte und beschwöre ich Euch, beste, verehrte Brüder, kämpft mit nicht geringerem Eifer zum Schutz unseres gemeinsamen Amtes, als Ihr diese Hunde mit wütender Frechheit sich auflehnen seht zu seinem Sturze. Denn möchte es uns auch freistehen, es zu lassen, so wäre es doch verwunderlich, wenn ihr Übermut uns nicht aus unserem Schlummer weckte. Ich verzweifle auch gar nicht daran, dass nicht noch durch eine zwar spät kommende Mahnung die Aufmerksamkeit des Rates wachgerufen wird, so dass er ein erträgliches Vorgehen zur Dämpfung der Unruhen findet.

Lebt nun wohl, treffliche Männer und sehr verehrte Brüder. Meine Kollegen lassen Euch ehrerbietig grüßen. Der Herr leite Euch mit dem Geist der Klugheit, des Eifers und der Beharrlichkeit und segne, was Ihr unternehmt.

Genf, 5. Mai 1555. 

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