Bussemer, Konrad - Das Mahl des Herrn in der Gemeinde

Bussemer, Konrad - Das Mahl des Herrn in der Gemeinde

Unter den mannigfachen Betätigungen des Gemeindelebens beansprucht die Feier des Herrnmahls eine besondere Wichtigkeit. Während die Taufe nicht notwendigerweise vor oder von der Gemeinde vorgenommen werden muß, wie die Vorbilder derselben in der Apostelgeschichte teilweise deutlich bezeugen, ist das Herrnmahl stets Gemeindesache oder doch Sache eines die Gemeinde vertretenden, wenn auch kleinen, gemeinsamen Kreises. Daß es sich dabei um eine wichtige Sache handelt, geht aus allem hervor, was die Schrift in den freilich nicht zahlreichen Stellen über das Mahl des Herrn sagt. Es ist das Mahl des Gedächtnisses an Jesu Tod, vom Herrn den Seinen gegeben und durch die Apostel befohlen, und es ist das Mahl der Gemeinschaft der Gläubigen mit ihrem Herrn und untereinander; sie haben in ihm die innigste Gemeinschaft mit dem Herrn, dessen Fleisch und Blut sie glaubend genießen, und werden durch die Speise auch untereinander verbunden: „So sind wir nun, die vielen, ein Leib, dieweil wir alle eines Brotes teilhaftig sind.“ (1. Korinther 10,17)

Taufe und Herrnmahl werden von den großen Kirchen in der Regel „Sakramente“ genannt, ein Name, den die Schrift nicht kennt, obwohl wir ihn deshalb doch gebrauchen können. Das Wort Sakrament hängt mit dem lateinischen Wort sacer (d.h. heilig, geweiht) zusammen; aber es muß gesagt werden, daß im allgemeinen nichts so entweiht worden ist und fortgesetzt entweiht wird, wie diese als besondere „Heiligtümer“ bezeichneten Handlungen. Die Taufe ist für viele nur ein gleichsam magisch wirkendes Mittel, um ohne Bekehrung und Erneuerung Menschen als Christen hinzustellen, und das Herrnmahl ist vielfach nur ein ähnlich der Taufe wirksames Mittel, um eine vermeintliche Vergebung der Sünden und eine Gewißheit des ewigen Heils (besonders bei Sterbenden) zu bewirken, während dabei in vielen Fällen von einem persönlichen Heilsglauben keine Rede ist. Durch diesen Mißbrauch von Taufe und Herrnmahl erklärt es sich, daß gerade sie vielfach der Anlaß zur Bildung von „separierten“ Gemeinden werden. Man kann sagen, daß beide ihre besonderen Vertreter gefunden haben: die Taufe im Baptismus, das Herrnmahl in der sogenannten „Versammlung“ (Darbysmus). Gemeinden aber, die nur eine Wahrheit stark betonen, haben leicht ihre Schwäche da, wo sie ihre Stärke haben; sie betonen die betreffende Wahrheit eben zu stark und kommen dadurch wieder in Extreme hinein. Es gilt darum vielfach, nicht nur mit dem Mißbrauch sich auseinanderzusetzen, der in der Namenschristenheit mit diesen Wahrheiten getrieben wird, sondern es gilt auch, die Extreme abzuwehren, die als Reaktion gegen jene Mißbräuche entstanden sind.

Bezüglich des Herrnmahles sei folgendes bemerkt:

  • Das „Mahl des Herrn“, das „Brotbrechen“ ist vom Herrn der Gemeinde gegeben (1. Kor. 11,23). Es sollte darum jede gläubige Gemeinde dasselbe als Gabe des Herrn betrachten und bewerten und es annehmen. Eine christliche Gemeinde oder Gemeinschaft ohne Herrnmahl ist ebenso anormal, wie es anormal ist, wenn ein einzelner Gläubiger es nicht genießt, wenn es auch Fälle geben mag, wo das erklärlich ist. Wir verstehen, daß Tersteegen zu seiner Zeit keine Freudigkeit oder Möglichkeit hatte, irgendwo das Herrnmahl zu genießen; wir verstehen auch, daß die kirchlichen Gemeinschaften unserer Zeit aus Rücksicht auf die Zugehörigkeit zur Kirche, wie andere Gemeinschaften infolge ihrer besonderen Verhältnisse, das Herrnmahl wenig pflegen. Der Normalität entspricht es nicht, besonders, wo es sich um ein Gebot des Herrn handelt.
  • Das Mahl des Herrn ist nicht, wie es vielfach aufgefaßt wird, ein Mahl, das Sündenvergebung bewirkt, sondern ein Mahl der Gläubigen, die im Glauben an Jesu Opfertod Vergebung ihrer Sünden empfangen haben. Sie genießen es zum Gedächtnis an die Hingabe ihres Erlösers, sie „verkündigen in ihm des Herrn Tod“ (1. Kor. 11,26) und werden dadurch geistlich gestärkt und erbaut auf ihrem „allerheiligsten Glauben“ (Jud. 20) Das Mahl des Herrn ist ihnen in erster Linie „Gedächtnismahl“ an den Kern und Zentralpunkt ihres Glaubens, nämlich Jesu Opfertod; es ist ihnen aber auch Gemeinschafts- und Liebesmahl, indem sie durch dasselbe inniger mit dem Herrn und untereinander verbunden werden; sie empfangen im Glauben Ihn selbst, Sein Fleisch und Blut, als wahres himmlisches Manna (Joh. 6, 32,33) zur stärkenden Speise, wodurch sie dann auch untereinander um so inniger und realer in den Besitz eines Lebens verbunden werden (1. Kor. 10,16.17). Auch als ein Hoffnungsmahl kann das Mahl des Herrn bezeichnet werden; es wird gefeiert, bis er wiederkommt (1. Kor. 11,26) und den Wein neu trinken wird mit den Seinen in Seines Vaters Reich (Mk. 14,25).
  • Der hohen Wichtigkeit des Herrnmahles, seiner Würde und Kraft soll die innere Stellung sowohl der Gemeinde wie des einzelnen Gläubigen entsprechen. Schwere Züchtigungsgerichte, Krankheit und Tod waren über die Gemeinde in Korinth gekommen nach 1. Kor. 11,27-32, weil die innere Stellung der Gemeindeglieder zueinander eine der Sache unwürdige war (V. 27). In Korinth war nämlich das Herrnmahl in Verbindung mit Liebesmahlen (Agapen) gefeiert worden, zu denen die Teilnehmer Speise und Trank mitbrachten. Dabei nahm man aber nicht Rücksicht aufeinander (V. 33); der eine hatte viel, der andere wenig, der eine war hungrig, der andere trunken (V. 21). Die Spaltungen, die in dieser Gemeinde ohnedies waren, wurden dadurch noch vermehrt, es herrschte Neid und Erbitterung gegeneinander, und so genoß man das Herrnmahl in ganz unwürdiger Weise (V. 27) und kam zusammen sich zum Gericht (V. 34). - Aber auch der einzelne Gläubige wird ermahnt, darauf zu achten, daß er in rechter innerer Verfassung am Tisch des Herrn teilnehme. Darauf bezieht sich die Mahnung in 1. Kor. 5,7: „Lasset uns Ostern halten (das Osterlamm Christus genießen) nicht im alten Sauerteig der Bosheit und Schlechtigkeit, sondern im Süßteig der Lauterkeit und Wahrheit.“ Auch das Wort Jesu von der Notwendigkeit der Versöhnung, bevor man die Gabe auf dem Altar opfert (Mat. 5,23.24) gehört hierher.
  • Wer am Herrnmahl überhaupt teilnehmen könne, das geht aus dem ganzen Charakter desselben hervor Es ist den Jüngern gegeben (Mat. 26,26), es ist die Gabe des Herrn an die Gemeinde (1. Kor. 11,23). Kein Ungläubiger hat daher das Recht, an Seinem Tische zu sitzen, auch keiner, der gläubig zu sein bekennt, wenn er nicht innerlich wahr und lauter, mit dem Herrn und den Geschwistern in Ordnung ist. Das Herrnmahl soll weder in unwürdiger Weise wie in Korinth (1. Kor. 11,27) noch von unwürdigen Menschen gefeiert werden. - Gegen diese Grundsätze werden vielfach, besonders aus kirchlichen Kreisen, die nämlichen Einwendungen erhoben wie in betreff der Zugehörigkeit zur Gemeinde überhaupt (…). Man beruft sich ferner öfters darauf, daß Judas doch am Herrnmahl teilgenommen habe; aber das würde doch gar nichts beweisen, selbst wenn es wirklich der Fall gewesen wäre. Es scheint aber, daß Judas wohl am Passahmahl teilgenommen hat (Luk. 22,21), aber doch schon vor der Einsetzung des Herrnmahles hinausging (Mat. 26,25; Joh. 13,21-30). - Neuerdings wird vielfach nach dem Vorgang Tersteegens auf Grund von 1. Kor. 11,28 behauptet, es genüge, wenn man beim Brotbrechen sich selbst prüfe; die anderen Teilnehmer zu prüfen bestehe kein Recht und keine Pflicht. Dieser Einwand wird hinfällig sowohl durch das Ganze der Schriftlehre wie durch eine sorgfältige Textauslegung; das Wort in 1. Kor. 11,28 heißt: „es prüfe der Mensch sich selbst“; der Ton liegt auf „prüfen“, nicht auf dem „sich selbst“; das Wort wendet sich also gegen jede gedankenlose und leichtsinnige Teilnahme am Herrnmahl, hat aber mit der Frage des Teilnehmens im allgemeinen nichts zu tun.
  • Das Mahl des Herrn ist ohne Zweifel ein Höhepunkt im Gemeindeleben, und es ist ein großer Segen, wenn es gebührend gewürdigt und mit derjenigen heiligen Ehrfurcht und Gewissenhaftigkeit behandelt wird, die ihm gebührt. Dennoch muß aber auch gesagt werden, daß das Herrnmahl nicht der, sondern nur ein Hauptpunkt des Gemeindelebens ist; schon in Apostelgeschichte 2,42 steht es nicht allein, sondern neben Wortverkündigung, Gemeinschaftspflege, Gebet. Jedes eine von diesen ist so wichtig, bedeutsam und unerläßlich wie das andere. Das ist besonders gegen die Anschauungen der sogenannten „Versammlung“ (des Darbysmus) und der ihr verwandten Kreise zu sagen. Bei diesen ist nämlich das Herrnmahl der Mittelpunkt des Gemeindelebens. In ihm stellt sich nach ihrer Meinung die Einheit des Leibes hauptsächlich dar. Die „Versammlung“ „richtet den Tisch des Herrn auf“; an jedem Ort kann es nur ein Tisch sein; an diesem Tisch hat der Gläubige die Verpflichtung, „seinen Platz einzunehmen“. So soll dann die „Einheit des Leibes“ bewiesen werden. Es soll auch biblisch sein, daß jeden Sonntag das Brot gebrochen werde, und zwar zieme sich am Tisch des Herrn nur „Anbetung“; Wortbetrachtung sei auszuschließen; nur der Herr selbst dürfe der Tischherr sein („den Tisch verwalten“) bzw. derjenige, der durch Seinen Geist beauftragt werde.
  • Es müssen diese Anschauungen der genannten Kreise teilweise aus der Lebensführung des Mannes erklärt werden, dem sie ihre dogmatischen Begründungen verdanken. John Nelson Darby war „Geistlicher“ der anglikanischen Hochkirche gewesen und ist später ausgetreten. Wie nun in der katholischen und anglikanischen Kirche die Messe, das heißt die durch den Priester bewirkte Opferung des Leibes Christi den Mittelpunkt und die Höhe des Gottesdienstes bildet, so forderte Darby den „Tisch des Herrn“ als den Mittelpunkt des Lebens der gläubigen Gemeinde. Ein Blick auf die paulinischen Gemeinden dürfte aber zeigen, daß dort das Herrnmahl eine solch überragende Stellung nicht einnahm. Abgesehen vom Korintherbrief wird es in den paulinischen Briefen überhaupt nicht erwähnt, und schon das ist bedeutsam. Ausdrücke, wie sie bei der „Versammlung“ zu häufigen Redewendungen geworden sind, z.B. „den Tisch aufrichten“, „den Platz einnehmen“ kommen im Neuen Testament nicht vor. Ein Gebot, wie oft das Mahl des Herrn gefeiert werden müsse, gibt es nicht. Daß am Tisch des Herrn sich nur „Anbetung“ gezieme, ist nirgends gesagt, noch weniger, daß das Mahl sogar selbst „Anbetung“ sei. Anbetung gehört zum Herrnmahl wie zu aller geistlichen Betätigung der Gemeinde, und Paulus hat bei jener Versammlung in Troas (Apg. 20) das Wort ausgiebig verkündigt, bevor er das Brot brach. Er hat dort auch „den Tisch des Herrn verwaltet“ und weder an dieser noch an einer anderen Stelle ist hinsichtlich der „Verwaltung des Tisches“ irgendein Gebot gegeben. - Es muß darum gesagt werden, daß jene Anschauungen vom „Tisch des Herrn“ über das biblische Maß hinausgehen, Extreme sind. Es muß ferner darauf hingewiesen werden, daß dieselben sich mehr um die Form als um das Wesen der Sache bewegen; der Formalismus, der überhaupt eine Gefahr ist, kommt gerade in diesem Hauptpunkt der Lehre sehr stark zum Vorschein. Über das Wesen des Herrnmahles, über seine geistliche Bedeutung, über seine ethische Kraft hat jener Kreis uns wenig hören lassen. Wo man viel von der Form redet, wird das Wesen einer Sache leicht verkannt.
  • Die verhältnismäßig wenig Stellen der Schrift, die vom Herrnmahl handeln, geben in mancher Beziehung kein einheitliches Bild über die äußere Form, wie es in den ersten Gemeinden gehandhabt wurde, vor allem keine Gebote darüber. In Jerusalem war das Brotbrechen ein Element des Gemeindelebens (Apg. 2,42), man brach das Brot hin und her in den Häusern (V. 46). Es scheint das täglich geschehen zu sein, was bei der geistlichen Jugendfrische jener Gemeinden sehr wohl möglich war. Jedenfalls ist von „einem“ Tisch der Zahl nach keine Rede, wohl aber von vielen Tischen bei höchster innerer Einheit und Liebe. So dürfen auch wir das Herrnmahl feiern in der Gemeinde, wie „hin und her in den Häusern“, wenn es rechter Weise geschieht, vor allem nicht im Gegensatz zu anderen Gläubigen, sondern in innerer geistlicher Übereinstimmung und Liebe zu ihnen. - In Korinth wurde das Herrnmahl in Verbindung mit Liebesmahlen gefeiert. Diesem Umstand entsprangen aber auch die Unzuträglichkeiten, die es dort gab. Es steht nicht fest, ob überall Liebesmahl und Herrnmahl verbunden war; aber aus der Kirchengeschichte wissen wir, daß diese Liebesmahle etwa im Jahr 112 da aufhörten, wo sie bestanden, indem der Kaiser Trajan ein Verbot erließ, das sie traf. Wir haben auch heute noch Freiheit, Liebesmahl und Herrnmahl miteinander zu verbinden, ein Gebot aber ist es nicht. - In Troas wurde am ersten Tage der Woche das Brot gebrochen (genauer: In der Nacht zum Montag), und Paulus verkündigte vorher das Wort. Ein Gebot, das Herrnmahl jeden Sonntag zu feiern, läßt sich daraus nicht folgern, noch weniger die Anschauung, daß die Wortverkündigung zum Tisch des Herrn nicht passe. - Alles in allem ist zu sagen: Die einzelne Gemeinde soll das Herrnmahl in der Art und Weise feiern, daß es seiner Würde, Heiligkeit und Herrlichkeit entspricht, daß es zugleich aber auch ein freier und wahrer, ungemachter und ungekünstelter Ausdruck ihres inneren Lebens ist. Sie soll Freiheit haben darüber, wie oft, wann und wie sie es feiert. Es läßt sich heute beobachten, daß nicht da das meiste geistliche Leben ist, wo man am häufigsten das Brot bricht. Vielfach steht man in der Gefahr, äußerlich einen anderen Gemeinschaftskreis nachzumachen, ohne daß das innere Leben dem entspricht. Auch muß vielfach bezweifelt werden, daß das Herrnmahl wirklich immer in geistlichem Verlangen genossen werde; es kann leider alles eine tote Gewohnheit werden. Darum handle jede einzelne Gemeinde in Sachen des Herrnmahls nach ihrem wahren inneren Bedürfnis und nach der Gewissenserkenntnis, die ihr geschenkt ist.
  • In manchen Kreisen und Gemeinden der Gegenwart ist es eine vielfach erörterte Frage, ob am Tisch des Herrn auch solche Gläubige teilnehmen dürfen, die nicht Glieder der betreffenden Gemeinde sind. Auch bezüglich dieser Abendmahlsgäste“ ist ein von Fall zu Fall entscheidendes Verfahren wohl das einzig berechtigte. Jede Gemeinde sollte hierin frei bestimmen können, da ja die Verhältnisse sowohl der Gemeinde wie der betreffenden Gäste in jedem Fall anders liegen können. Das Normale aber ist gewiß, daß kein Glied am Leibe des Herrn draußen stehe, wenn die Gemeinde Sein Mahl feiert.

Quelle: Bussemer, Konrad - Die Gemeinde Jesu Christi

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