Blumhardt, Christoph - Andachten zum 1. Brief des Johannes

Blumhardt, Christoph - Andachten zum 1. Brief des Johannes

1. Johannes 2,8

Die Finsternis ist vergangen, und das wahre Licht scheint jetzt.
(„Die Finsternis vergeht…“).

Wo sich der Mensch in der Ferne von Gott sieht, da ist Finsternis; und je näher seinem Herzen Gott ist, desto heller wird's in ihm. Man denke nur, in welcher Finsternis sich die Heiden fühlten, die vor stummen Götzen knieten und regellos ihren Lüsten und Begierden dienten, ganz abgekehrt von dem lebendigen Gott! In dieser Finsternis konnte es ihnen nicht wohl sein; denn sie sahen keine Zukunft vor sich - und hatten doch einen Geist, welcher sich der Sehnsucht nach einer Zukunft nicht entziehen konnte. Ein Unglücksgefühl mußte in ihnen herrschend bleiben, weil sie eine Ahnung von ihrem göttlichen Ursprung hatten - und sich doch in der ungöttlichsten Weise verderbt sahen. Oft fühlt freilich der Mensch solches nicht; und dann siecht er so hin wie die unvernünftige Kreatur, eine Weile in der Naturkraft strotzend, bis er zusammensinkt. Fühlt er's, dann wird die Finsternis drückender für ihn.

Nun kommt das Evangelium, spricht von einem Sünden vergebenden Heiland, von einem geöffneten Himmel. Dem nun, der seine Finsternis fühlt, dringt's als ein Licht ins Herz. „Ich hab's gefunden!“ ruft er freudetrunken aus. So ging's allen Heiden, denen die Apostel näherkamen; und so geht's heute noch denen, in welchen die Erkenntnis ihrer selbst und Christi durchs Evangelium aufgeht. Zu ihnen kann man sagen: „Die Finsternis ist vergangen, und das wahre Licht scheint jetzt.“

„Das wahre Licht“, sagt der Apostel. Damit will er sagen, daß es nicht wie ein Lampenlicht sei, das nur eine Zeitlang brenne und dann allmählich abnähme und erlösche. Es ist ein Licht, das fortleuchtet und immer helleren Glanz bekommt, weil sich's bis ins ewige Leben, in die Gottesherrlichkeit erstreckt, die lauter Licht ist; ja, es hat daher seinen Ursprung. Darum werden Sonne und Mond vergehen - dieses Licht nicht. Und es leuchtet für einen Menschen, solange er's festhält. Manchmal wohl will es sich im Herzen verdunkeln, wenn der Glaube matter wird, die Zuversicht abnimmt, wenn auch Anfechtungen vom Feinde dazukommen; dann meint einer, daß es kein Licht, nur Täuschung oder ein süßer Traum wäre! Aber es kann dem Getreuen nicht ausgelöscht werden; sondern „ihm geht das Licht immer wieder auf von dem Gnädigen und Barmherzigen“ (Ps. 112,4) - und auch ein nur noch glimmendes Licht darf ihm doch nicht erlöschen!

Wenn daher dieses Licht das wahre heißt, ist's auch im Gegensatz zu anderem gesagt, das sich als Licht darstellen will. Mancher meint, es werde hell in ihm, wenn er in gute Verhältnisse kommt oder wenn er zu Ehren kommt oder wenn er von Krankheiten befreit wird und anderen Nöten oder wenn ihm ein Verstandeslicht in etwas aufgeht oder wenn er in Wissenschaften hell sieht! Das mögen Dinge sein, für die man dem HErrn danken darf; aber das wahre Licht sind sie nicht, weil sie nicht zum Dauernden und Bleibenden führen und den Ewigkeitsdurst des Menschen nicht stillen. Wer sie als wahres Licht nimmt, dem können sie sogar zur Finsternis werden, insofern als er dadurch das wahre Licht, welches Christus gibt, versäumt oder verliert. Wie leicht erlöschen alle diese Lichter - oft schon auf Erden gewiß, wenn der Mensch von der Erde scheidet! Wie arm aber wird er doch dann! Glaube doch niemand, Licht zu haben, ehe er Jesus hat - und Ihn so hat, daß Er ihm wirklich Licht ist!

Am meisten wird auch das wahre Licht im Menschen verdunkelt, wenn er sich wieder mit der Finsternis einläßt, d. h. Werke tut, die niemand, auch Gott nicht, sehen sollte: böse Werke! Vor solchem will auch der Apostel warnen, wenn er sagt: „Die Finsternis ist vergangen, und das wahre Licht scheint jetzt.“ Darum fliehe die Finsternis, da dir's so übel geht, und wandle im Licht, daß es Gott und alle Kreatur sehen darf, dabei dir's wohl ist und bleibt in Ewigkeit!

1. Johannes 3,6.

Wer in Ihm bleibt, der sündigt nicht; wer da sündigt, der hat Ihn nicht gesehen noch erkannt.

Ein sehr ernstes Wort sagt uns hier Johannes. Wenn es heißt: „der sündigt nicht“, so ist wohl damit gesagt: der tut nicht Gewalt noch Unrecht, der ehrt Vater und Mutter, der stiehlt und betrügt nicht, der bleibt fern von Hurerei und Ehebruch, der lügt und afterredet nicht (verbreitet keine üble Nachrede); der ist nicht zänkisch, nicht hart und ungerecht, nicht unversöhnlich und rachsüchtig; der mißbraucht nicht den Namen Gottes zu unheimlichem Aberglauben; der schändet Seine Feiertage nicht, und dergleichen. Denn alles das heißt sündigen, und noch anderes mehr.

Wer dergleichen tut, so recht mit Willen und wider besseres Wissen und Gewissen tut - denn einen Unterschied zwischen Sünde und Sünde müssen wir uns immerhin denken -; wer auch ungescheut so fortmacht und von Buße und Bekümmernis darüber nichts weiß und wissen will: der, so sagt Johannes, „hat Ihn nicht gesehen noch erkannt“, d. h. der ist Ihm im Geiste noch nie so fühlbar nahe gestanden, daß es ihm ist, als hätte er Ihn gesehen oder erkannt, wie es bei echten Jüngern Jesu der Fall ist. Mag er sich auch noch soviel den Schein geben, als hätte er Ihn gesehen und erkannt wie ein echter Gläubiger, so ist's doch nur Lüge und Täuschung. Das will Johannes sagen.

Ein sehr ernstes Wort ist da gesagt, welches sichere Heilige - deren es heute nur zu viele gibt - wohl erschrecken dürfte! Heutzutage kann man oft recht viel Erkenntnis vorschützen, man weiß auch viel zu reden von den Dingen des Reiches Gottes; aber das Sündigen bleibt bei so vielen nicht weg! Solange aber das Sündigen dableibt, hat man bei aller Erkenntnis und klaren Einsicht ins Wort Gottes doch eigentlich noch nicht recht die Gnade des HErrn an seinem Herzen erfahren - so sehr man's oft auch denken mag! Denn wenn das wirklich so wäre, so würde die Sünde aufhören, wenigstens das freche Buhlen mit der Sünde, als brächte man diese im Neuen Bunde durch die Gnade leicht wieder weg! übel steht es schon bei vielen, die doch die Erkenntnis haben wollen: daß sie eben so hingehen, wie's kommt - sei's recht oder unrecht, gut oder nicht gut, Gott gefällig oder nicht gefällig! Solch leichtes Wesen sollte aufhören bei dem, der in Jesus, dem Versöhner unsrer Sünden, bleibt und der sich somit fort und fort von Ihm angenommen denkt aus Gnaden um Seines Blutes willen! Der, bei welchem das letztere in Wahrheit so ist, der hütet sich, nimmt sich in acht, zittert schon vor dem Gedanken, seinen Heiland mit fernerem übertreten der Gebote Gottes zu betrüben; denn er hat durch seinen Glauben den HErrn gleichsam erkannt und gesehen. Die Empfindung der Liebe Gottes durch Christus zerbricht den alten Menschen; und je stärker sie wird, desto gewisser muß das Sündigen weichen.

Ach, da helfe uns der HErr, daß nur Christus eine Gestalt in uns gewinne, damit das häßliche Sündigen aufhöre!

Zusatz zu 1. Johannes 3,6 Das Sehen und Erkennen des HErrn

Der Spruch: „Wer in Ihm bleibt, der sündigt nicht; und wer sündigt, hat Ihn nicht erkannt noch gesehen“, wäre recht geeignet, uns die Augen zu öffnen über den Stand der Christenheit in unsren Tagen.

Wir wollen nicht von denen reden, die sich Christen nennen - und der Tat nach, sofern sie sich vor keiner Sünde scheuen, sich als Heiden gebärden, die weder von einem Gott noch von einem Heiland etwas wissen. Aber wie steht's um die sogenannten Gläubigen, um die Bekehrten, die sich von der Welt absondern wollen? Bei vielen besteht alle Bekehrung nur darin, daß sie fromm tun und die Form der Frömmigkeit annehmen und das grobe offene Sündigen meiden und lassen. Das ist nur gar zu oft weitaus alles, womit sie ihr besseres Christentum an den Tag legen! Bei vielen scheint's sogar, wie wenn alles Christentum nur im Schelten über die Welt und die Ungläubigen oder im Streiten mit Andersglaubenden bestünde. Im Verborgenen aber - ach wie- vieles schleicht sich noch ein! Wie wenig Zartheit des Gewissens - wenn sich's um das Mein und Dein handelt, wenn Verleugnung der bösen Lüste gefordert wird - kann man zu seinem Schrecken noch wahrnehmen, so daß man fast mit der Anfechtung geplagt wird - fühlt ja doch jeder seine eigene Schwäche -: ob es denn auch noch Christen gäbe, die so lauter, rein, völlig und ohne Täuschung die Gnade des HErrn an sich erfahren haben, daß es ein „Sehen und Erkennen des HErrn“ genannt werden kann? Wir wollen und dürfen nicht hart und richtend sein; aber Bedenken erregt es doch, wenn wir das apostolische Wort mit dem Stand der Christenheit vergleichen wollen!

Freilich können wir auch wieder sagen, daß der HErr in unsrer Zeit um des geringen Standes willen, in dem die Christenheit sich befindet, sich ferne gestellt habe. Deshalb bekommen viele Ihn auch bei besserem Wollen und Streben doch nicht so zu fühlen, um sagen zu können, sie hätten Ihn gesehen und erkannt, wie es in der Apostel Zeiten war. Wir sind gar arm gestellt und sind mehr auf die Sehnsucht nach dem HErrn gewiesen. Es sollte aber so sein, daß wir Ihn besitzen! Es scheint daher einer neuen Gnadenzeit zu bedürfen, in der wir Ihn wieder näher und völliger haben, Ihn gleichsam „sehen und erkennen“ dürfen. Wir sehen viele unter Seufzen und Tränen und mit viel Buße des Herzens kämpfen und ringen, viele sich mit lauterem Sinn vor dem HErrn darüber anklagen, daß es mit ihnen so stehe, wie es steht - freilich dabei auch nicht immer ihr eigentlichstes (sündiges) Tun erkennend. Zwar mag sie der HErr nie ganz leer ausgehen lassen; aber sie fühlen sich doch arm am Geist, hungernd und dürstend, ohne sich ganz ihres Heilandes freuen zu können.

Den HErrn sehen und erkennen, geistlich verstanden, das wäre viel! Und wenn wir so ein Wort des Apostels lesen, kann es uns nur den Eindruck geben - ich wiederhole es! -: Es könnte überhaupt anders geworden sein, als es im Anfang war, eben weil sich der HErr den entarteten, Ihm nur halb zugetanen Christen nicht so nahe machen kann. Und somit ist es uns in unsrer Zeit schwerer geworden, Ihn zu sehen und zu erkennen, Ihn im Geiste recht zu haben.

Ist das aber wirklich so, so haben wir aus unsrer Armut heraus den HErrn um die Barmherzigkeit zu bitten, Er möge sich wieder - um das Wort beizubehalten - völliger zu sehen und zu erkennen geben! Das könnte Er tun etwa durch eine erneuerte Ausgießung Seines Heiligen Geistes, damit wir auch wieder freier werden vom Sündigen, nachdem wir von solchen Gnaden hingenommen und erquickt werden; jetzt empfinden wir sie auf eine sehr wandelbare Art mehr nur in gefühlsmäßiger als in geistlicher Weise. Denn wenn es so ist, daß unser Sündigen Ihn ferne getrieben hat, so ist's auch umgekehrt wahr - und das will auch unser Spruch sagen, wenn er vom „Bleiben in Jesus“ redet -, daß wir es schwerer haben, vom Sündigen loszuwerden, weil Er uns ferner steht, sich gleichsam von uns nicht sehen läßt.

Lernen wir daher, den Jammer erkennend, um Sein Näherkommen bitten! Und glauben wir's, daß das Not tue, daß Er uns wieder näher komme! Glauben wir's, ohne es zu übersehen oder gleichgültig zu nehmen, daß es anders ist als vormals!

Der HErr kann's nicht versagen, wenn ihrer viele unter ernstlichem Ringen nach Verleugnung aller weltlichen Lüste und Begierden „heilige Hände“ emporheben und Ihn bittend angehen wie die Witwe den ungerechten Richter! Und wenn diese Vielen nicht nachlassen - auch wenn Er „lange nicht will“ -, bis Er sich unser erbarmt, uns wieder mehr an die Hand nimmt, uns mit Seinem Heiligen Geist erfüllt, uns Sein persönliches Nahesein wieder fühlbarer macht und uns so hilft zu überwinden!

So soll's werden auf die Zeit Seines Wiederkommens hin!

1. Johannes 4,3.

Ein jeglicher Geist, der da nicht bekennt, daß Jesus Christus ist in das Fleisch gekommen, der ist nicht von Gott. Und das ist der Geist des Widerchrists, von welchem ihr habt gehört, daß er kommen werde, und ist jetzt schon in der Welt.

Der Geist des Widerchrists, der Christus nicht als von Gott ins Fleisch gekommen annimmt, war auch schon in der ersten Zeit in die Gemeine der Gläubigen eingedrungen, wie wir da hören. Es hat in ihr schon frühzeitig Vernünftler (Rationalisten) gegeben, die Christus nicht so nahmen, wie Er nach dem Evangelium und nach dem Zeugnis der Apostel genommen ist; Vernünftler, die ihn eben auch als einen Menschen von Menschen, als eine Kreatur unter den Kreaturen auffaßten, wenngleich - als müßte man ihnen für ein solches Zugeständnis Dank wissen! - als die erste, höchste, vorzüglichste Kreatur.

Dieser „Geist des Widerchrists“, der wohl 15 Jahrhunderte lang ziemlich geruht hatte - denn in diesem Glaubenspunkt ist nach und nach in aller Christenheit große Sicherheit entstanden -, dieser Geist des Widerchrists ist in unsern Zeiten wieder rege geworden: eben der Geist, der nicht bekennt, daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist. Schon wenn man nur nicht bekennt, liegt der Geist des Widerchrists zugrunde. Es tun ihrer viele so mit, wie wenn sie rechtgläubig wären. Wenn man aber aufmerkt, so schweigen sie davon, daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist, bekennen es nicht; und wo sie können, kommen sie sachte mit Widersprüchen, zuletzt greller und immer greller und unverhüllter. Da wird es denn ganz das Widerchristliche, das kommen wird, wie es heißt: „von welchem ihr habt gehört, daß es kommen werde.“ Wenn es je und je Aufregungen gibt durch öffentliche Kundgebungen über dergleichen Glaubenspunkte, so kann man zu seinem Schrecken wahrnehmen, wie lau das Bekenntnis vieler geworden ist, von denen man's nicht erwartet hätte, und wie die Meinung herrschend werden will, als ob's nicht so viel zu sagen hätte, wenn man nicht so gar bei dem überlieferten bliebe! Denn damit sei „das Evangelium“ noch nicht gefährdet! Geradeso mögen sie's in den Zeiten des Johannes gemacht haben.

Nehmen wir uns daher in acht vor einem schlaffen Bekenntnis, daß uns nicht sachte etwas Verkehrtes beschleiche! Wir lesen's, was der Geist des Widerchrists ist, was eigentlich sein Wesen ausmacht: nämlich das Aufgeben des Bekenntnisses, daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen sei, vom Himmel gekommen, wie sonst auch die Schrift es ausdrückt. Wenn dieser Geist herrschend wird und einwurzelt und zu einer Macht gelangt, so mögen wir den argen Zeiten, die uns noch bevorstehen, nicht mehr ferne sein.

Aber es im Herzen fleißig zu bewegen und es uns als groß zu denken, daß Er vom Himmel ins Fleisch gekommen ist, sollte uns auch ein Anliegen bleiben. Denn großen Segen bringt's und viel Kraft, wenn wir's recht fest so nehmen, um auch einen festen Glauben, ein felsenfestes Vertrauen zu behalten auf den endlichen Sieg unsres hochgelobten Heilandes.

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