Beck, Johann Tobias - Das ächte Heilsgeschäft

Beck, Johann Tobias - Das ächte Heilsgeschäft

Missionsfest.

Diese Woche, geliebte Freunde, gibt uns, wie keine wohl im Jahr, durch mannigfache Zeugnisse zu vernehmen, wie das Reich Gottes mit Macht kommt, wie das tiefe, von der Welt her verschwiegene Gottesgeheimniß immer mehr kündlich groß wird, daß auch die Heiden sollen Miterben sein, miteingeleibet der Verheißung in Christo durch das Evangelium. -

Da mögen denn wohl auch viele Herzen sich erwecken lassen, einzustimmen in Mosis Worte (5 Mos. 32, 3 f.): „gebt unserm Gott allein die Ehre - Er ist ein Fels; Seine Werke sind unsträflich, denn Alles, was Er thut, das ist recht! Treu ist Gott, und kein Böses an Ihm; gerecht und fromm ist Er!“ Es ist ja nicht etwas von uns selbst Gemachtes, meine Brüder, was in der Christenheit, unter Juden und Heiden gegenwärtig in so mächtiger Bewegung ist; das müssen die am meisten erkennen, welche die Gnade haben, an diesen mancherlei Werken des Glaubens zu arbeiten; wie oft geschieht das in fühlbarer Schwachheit und mit tiefem Seufzen! Sie und wir Alle mögen nicht sagen: unsre Macht ist das, und der HErr hat nicht solches Alles gethan! Ist's denn nicht Er allein, der uns selbst, mit Allem, was wir Gutes sind und haben, gemacht und bereitet hat? hat nicht Er uns erwählet, und gesetzt zum Erbe seines geistlichen Segens in Christo? Und wenn andere Völker in Vergleich zu ihrem eigenen Zustand mit Recht von den Christen mögen rühmen: „welche weife und verständige Leute sind das, und ein herrlich Volk! Denn wo ist so ein herrlich Volk, zu dem Götter also nahe sich thun, als der HErr unser Gott, so oft wir Ihn anrufen! und wo ist ein so herrlich Volk, das so gerechte Sitten und Gebote habe!“ - wenn das ein augenfälliger Vorzug ist, dessen wir uns erfreuen vor so manchem andern Volk: ist's denn nicht eben so gewisse Wahrheit, daß Gott nicht um unsrer eigenen Gerechtigkeit willen, oder weil wir mehr sind denn andere Völker, so frühe schon uns besucht hat mit seiner Gnade, und den Bund uns gehalten unter vielerlei Untreue unsrerseits, und hat uns geführet und behütet wie seinen Augapfel, uns herangezogen zu dem, was wir sind, wie ein Vater seinen Sohn zieht? Was aber unsre Weisheit und Verstand ist bei andern Völkern und uns gerechter macht denn sie, und womit wir Siege erfechten über den Fürsten der Welt und ihre Finsterniß - ist das nicht das wunderkräftige Wort vom Heil und Gericht in Jesu Christo, das Felsen zerschmettert und Feuer anzündet, wo es hinfällt? und haben wir dasselbe Wort gemacht oder nicht vielmehr Gott der HErr, der schon von Alters her manchmal und in mancherlei Weise geredet hat durch die Propheten und zuletzt durch den Sohn? Und die von uns ausgehen als Boten dieses Wortes und ein heiliges Feuer anschüren an allen Enden der Welt: hat nicht auch sie wiederum der HErr gerufen und erwählet von der Welt, sie gepflanzet und gezogen, daß sie Frucht können bringen, und stärket den Geist ihnen, daß sie auch ihr Leben nicht theuer halten, zu bezeugen das Evangelium von der Gnade Gottes? Ist's nicht Er, der Gott in der Nähe und in der Ferne, der sie ausführt wie ein Adler seine Jungen, und über ihnen schwebt, und trägt sie über Land und Meer hin auf seinen Flügeln, leitet sie alleine und ist kein fremder Gott mit ihnen, nähret sie, daß sie müssen erkennen, der Mensch lebe nicht vom Brot allein, sondern von Allem, das aus dem Munde des HErrn geht, und schaffet ihnen süße Frucht ihrer Arbeit auf dem Felsboden arger Menschenherzen, und Heilsernte aus den harten Steinen des Götzenwesens? Ist's nicht unser Gott und Heiland, Geliebte, der das Alles allein thut, und wir sollten gering achten den Fels unsers Heils, der uns gezeuget hat, und sollten nicht danken dem Gott, der uns gemacht hat mit Allem, was wir um und um sind, mit Allem, was wir dieser Tage Großes und Herrliches dürfen verkündigen und hören! Ja, Gott, unser Vater und Heiland - wir danken Dir für Deine heiligen Gaben, Deine wundervollen Führungen und Deine Thaten voll Gnade und Wahrheit; wir danken Dir für Deine Demüthigungen und Erquickungen, für Deine Verheißungen und Erfüllungen; für Alles, was Du uns schenkst und nimmst, in der Nähe wirkst und in der Ferne, gestern und heute uns bist und in alle Ewigkeit bleiben willst, Du geduldiger, treuer, barmherziger, unaussprechlich herrlicher Gott - für Alles sey Ehre Deinem heiligen Namen.

Jedoch, Geliebte, da fallen mir nun zwei Sprüche der heiligen Schrift auf das Herz, und ich kann nicht an ihnen vorbeikommen, heute am wenigsten, wo die Bundestreue unsers Gottes so herrlich vor uns steht, nicht damit wir nur davon reden, sondern bei uns selbst auch den Bund stärken. In einer Festzeit, da wir so vielfach zeugen, was Gott mit Seinem Wort wirkt draußen, da dürfen wir dieß Wort, das wir Andern bringen, vor unsern eigenen Worten keineswegs zu kurz kommen lassen, und wenn wir verlangen, daß Andere, an denen wir arbeiten, sich beugen unter seine Wahrheit und ihr gehorsam werden, so müssen wir selbst vor Allem gerade unser eigen Werk prüfen an dieser Wahrheit, damit wir es treiben immer mehr im Gehorsam des Wortes Gottes, nicht im eigenen Meinen, damit wir danksagen, wie es Vielen frommt, und nicht nur zu unsrer eigenen Gemüthsfreude, damit wir nicht selbst ungelehrig sind, während wir so geschäftig thun, Andere zu lehren. Denn so heißen jene Sprüche: „du danksagest wohl sein, aber der Andere wird nicht davon gebessert“ (1 Kor. 14, 17.), und auf der andern Seite: „du lehrest Andere und lehrst dich selbst nicht!“ (Röm. 2, 21.). Dieß trifft, liebe Freunde, gerade dahin, wo wir es am leichtesten fehlen lassen; es flicht ineinander, was wir so oft auseinander halten; indem wir Gott danksagen in der Inbrunst des Geistes und seinem Segen in Allem die Ehre geben, thun wir oft, als ob nun die Besserung Anderer, ihre Bekehrung und Erbauung, von selber sich müßte machen, oder durch ein Wunder Gottes herbeigeführt werden; vergessen, daß wir unsere eigenen Seelen- und Leibeskräfte, unsern Verstand und unser Wissen, unser Prüfen und Ueberlegen, kurz, was wir schon haben von Gott, mit aller Gewissenhaftigkeit müssen anwenden, um unsern Werken und Schritten auch eine solche Gestalt zu geben, daß Er uns mehr kann geben, daß der Segen Gottes ihnen voran kann gehen und nachfolgen, daß sie wahrhaft dazu eingerichtet sind, Andere zu bessern. Denn das ist die vollkommene Wahrheit: der Mensch kann nichts thun ohne Gott und seinen Segen, Gott aber will nichts thun ohne den Menschen und seinen eigenen Fleiß. Dann wieder, indem wir mit allem Eifer darauf Bedacht nehmen, Andere zu lehren und zu unterweifen zur Besserung und Seligkeit, indem wir für fremdes Seelenheil von Gottes Wort Gebrauch machen, gebrauchen wir es nicht eben so eifrig zu unsrer eigenen, immer tiefer dringenden Belehrung, Bestrafung, Besserung und Züchtigung in der Gerechtigkeit; wir vergessen leicht über den guten Werken an Andern, über der äußeren Thätigkeit für das Reich Gottes, über dem Bekehrenwollen Dieser und Jener das gewichtige Wort: „habe Acht auf dich selbst; schaffe mit Furcht und Zittern, daß Du, Du und Dein Haus, selig wirst; denn so Jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen, nicht versorget, der hat den Glauben verläugnet.“ Das sind für unsre Lage gar beherzigenswerthe Schrift-Erinnerungen, meine Freunde, und Niemand achte sie für sich überflüssig; sie beugen und demüthigen, solche göttlichen Wahrheiten, wenn man sie gewissenhaft auf sich selber anwendet; aber eben den Demüthigen gibt Gott Gnade, daß sie dürfen sagen: ich danke Dir, Gott, daß Du mich gedemüthigt hast! Und eben darin stehet die allein wahre, unverfälschte Demuth, wenn wir Gottes Wort ernstlich auf uns selber anwenden, nicht bloß zu unsrer Ergötzung und Tröstung in seinen Verheißungen, sondern in seiner züchtigenden Wahrheit zur Prüfung und Vervollkommnung dessen, was wir sind und treiben, daß wir in Allem höher es halten als unsre eigene Meinung, Gewöhnung und Neigung. In dieser Geistesdemuth lernt man das Gute und Wahre zusammen nehmen und beisammen halten, das unser stolzer, eitler Sinn so gerne zerstückelt, indem er eben auswählt, was ihm selber behagt, das Andere aber bei Seite läßt, als wäre das nicht auch von Gott gegeben, daß wir darnach leben. Darum sollen wir vor Allem betend und dankend mit Gott uns beschäftigen, aber zugleich auch bessernd mit den Menschen; und wiederum bei aller eigenen Emsigkeit und Verständigkeit, Andere zu lehren und zu bessern, sollen wir das nicht wollen ausrichten, ohne beständiges dankbares Aufsehen zu Gott und seinem Segen, und neben dem Danksagen vor Gott und dem Bessern an Andern, sollen wir ja nie dahinten lassen unsre Selbstbesserung, damit unsre Danksagung gegen Gott nicht Lippendienst sey und verrauchendes Feuer, und unser Bessern an Andern nicht selbstgefälliges Wesen und blindes Eifern.

Es sind dieß allerdings lauter einfache und nüchterne, Manchem vielleicht harte Wahrheiten; aber, liebe Freunde, lasset sie uns wohl verschließen und bewegen in unserm Herzen - denn das Zeugniß des Reiches Gottes geht einmal nicht einher in weichen Kleidern, und Nüchternheit und Wachsamkeit im einfachen Glauben an die einfachen Worte Gottes bedarf es, um dem Widersacher alles guten Werks, dem Fürsten der Welt, mit Festigkeit zu widerstehen und seinen Raub zu entreißen. Unsre hochfahrenden Gedankenflüge, unsre gefühlvollen Herzens-Ergießungen und Phantasiebilder, unsre gewaltigen Worte und schönen Redekünste, unsre Klugheit und unser seiner Takt, womit wir den Umständen und Verhältnissen uns anschmiegen - all' das schlägt und bindet ihn nicht, den Starken, der herrscht in den Kindern des Unglaubens und listige Anläufe nimmt gegen die Kinder des Glaubens: nur Ein Schwert trifft ihn, das Schwert des Geistes, und das ist das Wort Gottes, aber nicht wie es todt liegt in einer wohleingebundenen Bibel, sondern wenn es lebendig wohnet und wirkt in unserm inwendigen Menschen; nicht wenn wir es erst wollen sichten und feigen mit unsrer eigenen eingebildeten Klugheit und Frömmigkeit, oder nur in's Allgemeine und oben hin es gebrauchen, sondern wenn wir, wie Christus der HErr, dem Versucher gegenüber, ohne Ab- und Zuthun seine heiligen Gebote und Lehren anwenden auf das, was jedesmal uns vorliegt. O das, meine Brüder! ist eben der böse Schaden heutiger Zeit, daß man bei so viel Rühmen von Bibel und Christenthum und Glauben, doch nicht genau und strenge es nimmt mit dem Erforschen und Halten dessen, was geschrieben steht, während selbst der HErr, der doch Gottes Geist in sich hatte ohne Maß, immer es wiederholt: „also steht geschrieben - also muß es gehen; suchet in der Schrift; wer mich liebet, der wird und muß mein Wort festhalten, und mein Vater wird ihn wieder lieben; so meine Worte in euch bleiben, werdet ihr bitten, was ihr wollt (eben nach meinem Wort) und es wird euch widerfahren, und so ihr bleiben werdet an meiner Rede, so seyd ihr meine rechten Jünger - wer meine Worte hört und thut sie, der baut auf einen Felsen - meine Worte sind Geist und Leben - Vater Dein Wort, Dein Wort ist die Wahrheit.“

Wie viel aber, meine Freunde, muß man gegenwärtig in der Christenheit hören, lesen und sehen, das nicht in Einklang steht mit diesem festen Grunde, auf den der HErr seine Gemeinde erbaut hat! Da scheint es oft, als ob jene Hauptfache, die der HErr hervorhebt - das Forschen im Wort und Bleiben darin und Gebet nach demselben und Thun desselben - als ob dieses Alles schon so gut und fertig unter uns besorgt wäre, daß wir Zeit und Kraft hätten für zehnerlei Nebensachen und für die Legion unsrer Menschenworte. Da redet man von Wahrheit, und wie oft ist es nur Schein und Eigen-Meinung; da redet man von Geist und geistreichem Wesen, und am Wort der Wahrheit geprüft ist es bloße Fleischesherrlichkeit; da geberdet man sich in Kraft und Stärke wie ein Held Gottes, und Schaum ist es und Aufgeblasenheit; da fordert man oft fünf Mal vermessener als Petrus, Teufel und Hölle zum Kampf heraus in vermeintlicher Gottesrüstung, und - man wird an einer Magd zu Schanden; da singt und spielt man dem HErrn täglich in lieblichen Liedern (Kol. 3, 16.), und läßt dahinten, was der Apostel in jener Stelle voran setzt: „lasset das Wort Christi bei euch reichlich, reichlich wohnen in aller Weisheit, lehret und vermahnet euch selber!“

Ich will keine Person richten, theure Freunde, aber böse soll nun einmal nicht gut heißen, sauer nicht süße, Fleisch nicht Geist, und noch viel weniger will ich das Wort Gottes in Schatten stellen lassen vor dem Glänze irgend eines Menschen-Namens, es zu kurz kommen lassen vor der Geltung irgend eines Menschenwesens: das soll und darf nicht geschehen; weder im Namen der Welt, noch im Namen des Geistes, den man rühmt in sich zu haben, noch im Namen des christlichen und gläubigen Wesens, das man an sich habe, in keinem Namen, und ob selbst ein Engel vom Himmel käme, soll und darf das Wort Gottes hintangesetzt, angetastet und umgangen werden, und „prüfet die Geister, wachet, stehet fest im Glauben, im alten prophetischen und evangelischen bewährten Glauben, und nicht in einem andern“ - das zeugt die Schrift selber rechts und links, nicht nur gegen den Unglauben, sondern auch gegen den gefärbten Glauben. Aus diesem gefärbten Glauben geht jener eitle stolze Geist hervor, der bereits da und dort sich einzumischen anfängt, auch in die großen, heiligen Geschäfte des Reiches Gottes, wie die Missions- und Bibelsache sind, und dessen wollen wir unsers Orts uns erwehren mit allen Kräften, so lange wir Frist haben. Er thut sich kund, jener selbstgefällige, gefärbte Glaubensgeist neben Anderm, namentlich in dem Eifer, mit dem Manche nur ihre eigene Form der Frömmigkeit, nur ihre Kirchen-Form und Menschen-Satzungen den neugebornen Kindern Gottes wollen aufladen, gerade als hätte der HErr dieß Menschengeflechte zum Netz auserwählt, mit welchem Er seine Jünger aussendet, Menschen-Seelen zu fangen, und nicht vielmehr allein und lauter sein ewiges Evangelium, das er nicht für Juden und Heiden jener Zeit eingerichtet hat, sondern für alle Völker aller Zeiten, nicht für Weise und Starke, sondern für Kleine und Arme am Geist wie für die wahrhaft Vollkommenen. Da soll denn, allen gegentheiligen Zeugnissen des HErrn und seiner Apostel zum Trotz, das Reich Gottes mit äußerlichen Geberden so frühe als möglich anfangen und die Anbetung Gottes im Geiste und in der Wahrheit, in diese oder jene äußerliche Menschenform fest gegossen werden, als ob sie ohne solche weder Hand noch Fuß könnte bewegen; es soll der neue frische Wein, den der HErr in den Neubekehrten bereitet, in die alten Schläuche gefaßt werden, die wir nun einmal ererbt haben; es sollen die Heiden auf diese oder jene Weise dahingebracht werden, jüdisch zu leben und die Juden heidnisch, d. h., auf unsre Zeit angewandt, die aus Heiden oder Juden gewordenen Christen sollen katholisch, oder bischöflich, oder lutherisch, oder reformirt u.s.w. leben (Gal. 3, 2-6. 11-14. 18 f.; 5, 1. 8 f.), und die Freiheit in Christo, die, damit die Wahrheit des Evangeliums bestände in der That, nicht auf Papier, Menschensatzungen nicht unterthan seyn will - sie soll eine stolze Anmaßung und Eigenwilligkeit sein, und statt den einfachen Aussprüchen der heiligen Schrift demüthig die Ehre zu geben, statt das eigene Vernünfteln im Glauben und Gehorsam gegen das, was geschrieben steht, gefangen zu nehmen, statt dessen schmückt man seine angenommene Meinung vor sich selbst und Andern mit vielerlei Fündlein. Das ist wahrlich nicht die Wahrheit von oben her, liebe Brüder, sondern das ist von unten her, woraus kommt, und immer mehr kommt, Unordnung und allerlei böses Ding1). Eben so fängt das Missionswesen an, ein Zeitungsartikel, eine weltliche Ehrensache zu werden, und da drängt sich allmälig der fleischliche Ehrgeiz herbei, und sucht auch in Sachen des Reiches Gottes einen Spielraum sich zu eröffnen: die demüthige Gestalt des Himmelreichs, sein stiller, langmüthiger, arbeitsvoller Entwicklungsgang, die Treue im Kleinen, und die schlichte, einfache Geradheit und Genügsamkeit, die es erfordert, wird zu Aergerniß und Thorheit; bereits will man Grade darin austheilen, als säße man schon mitten im Himmelreich, und fragt: wer ist doch der Größte? Der HErr aber antwortet solchen Fragern: sorget nur erst, daß ihr hinein kommet - ihr kommet gar nicht hinein, wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, lernet und euch leiten lasset von meiner Lehre, statt daß ihr meistern wollt, aus eurem eigenen Kopf heraus. Nach dieser eigenen Kopf-Ansicht will man, was groß und angesehen dasteht in der Welt, auch für's Reich Gottes auswählen und herbeiziehen, statt nach der göttlichen Vorschrift, in Geist und Kraft Gottes, die keiner Welthülfe bedarf, dem nachzugehen, was in der Welt klein ist, arm und verloren, was sich selbst erniedrigen läßt aus seiner selbstgemachten Höhe, und sich demüthigt unter den Gehorsam der Wahrheit; kurz, das heilige Wesen des Himmelreichs flicht man hinein in die ärgerliche Gestalt des gewöhnlichen Welttreibens, und so kommen und müssen immer mehr kommen Aergernisse, über welche der HErr, ohne Ansehen der Person, sein Wehe ausruft. -

Das Alles, liebe Freunde, ist nicht gesagt, irgend Jemand diese Festfreude zu verderben, vielmehr eben, damit sie nicht verderbe, möchte ich ihr das heilige Salz geben, mit dem alles Opfer, welches dem Gott der Heiligkeit dargebracht wird, gesalzen soll sein, und dadurch erst wird unsre Freude wirklich zu einer Freude im heiligen Geist, der in seiner Liebe auch als die Kraft sich offenbart gegen äußere Gefahren, Aergernisse und Versuchungen, und eben so zugleich die Zucht handhabt gegen unsre eigene Vermessenheit, Leichtfertigkeit und Bequemlichkeit. Sehen wir dann den Wolf kommen in seiner alten Schafs- und Lammeskleidung, die er nur neu zugeschnitten hat, so wollen wir nicht fliehen, aber auch nicht sicher sein, sondern wachsam und gerüstet mit der rechten Wehr - denn nicht das führt in das Himmelreich hinein, daß man zum HErrn kann sagen: haben wir nicht viel Thaten gethan, und das noch in deinem Namen? sondern „in's Himmelreich kommen nur, die den Willen thun meines Vaters im Himmel! wer den thut, der ist mein Bruder, Schwester und Mutter; der bleibet in Ewigkeit! Darum seyd nicht unverständig, sondern verständig, welches da sey der Wille Gottes in allen Dingen,“ und diesen Verstand des Willens Gottes finden wir nicht in uns selbst, noch in einer menschlichen Schule, sondern allein im Wort Gottes, das uns wissen lehrt seinen Willen, und prüfen, was in allen Fällen das Beste zu thun sey. Also, Wort Gottes - da stehe ich denn wieder auf demselben Text wie vor einem Jahr in dieser Festzeit; aber so wenig als der Apostel, schäme und scheue ich mich, immer Einerlei zu sagen, an das köstliche und unerschöpfliche Alte, das uns schon Propheten, Jesus und Apostel gesagt haben, immer wieder und wieder zu erinnern; und ich will gerne nichts wissen als Christum, der für uns gekreuzigt ist, aber Th., wie Er in dem siebenfach bewährten Worte Gottes uns vor die Augen gezeichnet ist, nicht wie menschliches Schnitz- und Bildwerk Ihn gestaltet. Dort im lebendigen Wort der Wahrheit und des Geistes Ihn immer vollkommener erkennen zu lernen in seiner Herrlichkeit und Tugend, und durch diese Erkenntnis^ immer reicher von seiner göttlichen Kraft beschenkt zu werden mit Allem, was zum Leben und zur Gottseligkeit dient, und durch den treuen Gebrauch dieser ewigen Lebenskräfte in unserm Glauben auch Tugend darzureichen oder rechtschaffenes, untadelhaftes Wesen, und in der Tugend Bescheidenheit oder Einsicht, die aus dem Schatz der Wahrheit jedem Bedürfniß das Seine zu bescheiden weiß, und darin wieder Mäßigkeit in guten Tagen und geduldige Beharrlichkeit in bösen Tagen, und das in und aus Gottseligkeit, und als die Krone des Ganzen eine Bruderliebe, die das Herz hebt und auch für die Liebe solcher Menschen, welche noch nicht Brüder im HErrn sind, das Herz offen behält - an solches, m. theure Freunde, wollen wir, wie der Apostel selbst sagt, allen Fleiß wenden, und daran uns immer neu zu erinnern und erinnern zu lassen, wollen wir nie lästig und überflüssig finden.

Du aber, o HErr und Heiland, Jesus Christus! der Du gekommen bist, um die verirrte Menschheit in ihrer Wüste zu suchen, und nach Deines Vaters Willen nicht willst, daß auch nur Eines verloren gehe - Du bestärke und vollbereite uns doch unter den vielen Künsten, welche die Menschen immer wieder neu treiben, in der Einfalt, wo der verborgene Mensch des Herzens unverrückt und stillen Geistes nur auf Dich gerichtet ist und auf Dein Wort. Du hast den Grund gelegt und bist selbst der Grund alles Heiles; Du, nur Du sollst und wirst wachsen, alles Andere, und wäre es selbst das Werk eines Täufers Johannes, muß abnehmen. HErr, wecke uns auf und leite uns, daß wir nicht Heu, Stroh und Stoppeln erbauen auf Deinem Grunde, daß nicht umsonst gearbeitet sey, und wir nicht selbst erst, um noch selig zu werden, durch's Feuer Deines großen Tages müssen gehen. Amen.

1)
Zu Verhütung des Mißverstandes bittet man, wohl zu beachten, daß nicht jede Form des Christenthums in Gottesdienst, Gemeinde-Verfassung u. dgl., verworfen sein soll; vielmehr das Christenthum ist keine bloße Lehre ohne bestimmte Erscheinung; sein eigenthümlicher Geist hat seinen eigenthümlichen Leib; sein lebendiger Inhalt hat sich auch sogleich seine demselben entsprechende Lebensform geschaffen, von welcher der wahre Geist und Inhalt des Christenthums zu keiner Zeit und an keinem Ort sich losreißen darf, als wäre die Form etwas Gleichgültiges, und dem menschlichen Ermessen anheim Gegebenes, Unsre Religionsform muß treu und rein die urchristliche wiedergeben, muß eben daher in jeder Gemeinde von innen heraus aus dem Wort und Geist des Urchristenthums sich hervorbilden, und eine frei erwählte sein. Wie günstig man auch urtheile über diese oder jene Kirchenform: sie ist das Produkt einer bestimmten Nationalität, bestimmter historischer Ereignisse und Verhältnisse u.s.w., und hat ihre Bedeutung nur innerhalb dieser gegebenen Beziehungen, nicht für die ganz verschiedenen der sich neubildenden Gemeinden außerhalb der Christenheit; diese beginnen mit dem gleichen Recht der Freiheit ihre eigene Entwicklungsgeschichte, die urchristliche Grundform ist das einzige reine Samenkorn dafür, die Gestaltung von innen heraus ohne äußerliche Dressur und mit eigener Wahlfreiheit ist das unantastbare Princip, das, wie die heilige Schrift, so auch unsre Reformatoren und symbolischen Bücher geltend machen, und das gebietet die Liebe und Demuth, die über Andere nicht herrschen will, „Vor allen Dingen,“ sagt Luther in Bezug auf seine Wittenberger Kirchenordnung, „will ich gar freundlich gebeten haben, auch um Gottes Willen, alle diejenigen, so diese unsre Ordnung im Gottesdienst sehen oder nachfolgen wollen, daß sie ja kein nöthig Gesetz daraus machen, noch Jemandes Gewissen damit verstricken oder sahen, sondern der christlichen Freiheit nach ihres Gefallens brauchen, wie, wo, wenn und wie lange es die Sachen schicken und fordern.“ „Aus dem Zwanggebot,“ an einer andern Stelle, „wird allein ein Spiegelfechten, ein äußerlich Wesen, ein Affenspiel und eine menschliche Satzung, daraus denn scheinende Heiligen, Heuchler und Gleißner kommen.“ B.
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