Arndt, Friedrich - 45. Andachten zum Römerbrief

Arndt, Friedrich - 45. Andachten zum Römerbrief

Römer 1.

Herr, mein Gott, wie bist Du so groß und wunderbar! Kein Verstand kann Dich verstehen. Keine Vernunft kann Dich vernehmen. Kein Begriff kann Dich begreifen. Kein Gedanke kann Dich durchdenken. Ewiger, Unendlicher, Allgenugsamer, Du bist dem Gemächte aus Staub, Du bist dem Geschöpfe von gestern zu wunderbar und zu hoch! Du Seliger, Du Gewaltiger, Du König aller Könige, Namen nennen Dich nicht, und Lieder singen Dich nicht! Licht ist das Kleid, das Du anhast. Der Himmel ist Dein Thron, die Erde ist Dein Schemel, die Wolken sind Dein Wagen, der Donner ist Deine Stimme, der Blitz ist Deine flammende Rechte, jeder Stern ist ein Auge Deiner Allwissenheit. Herr, mein Gott, wie bist Du so groß und wunderbar! Wie redest Du aus der Schöpfung und Natur zu uns, also daß wir keine Entschuldigung haben! Und doch haben die Heiden Dich nicht erkannt, noch Dich als ihren Gott gepriesen und gedankt, und Du hast sie dahingeben müssen aus gerechtem Gerichte in ihrer Herzen schändliche Gelüste. Habe Dank, daß Du mir mehr gegeben hast als den armen Heiden, daß ich die Klarheit Deines Evangelii besitze, um Dich nicht nur als meinen Gott und Schöpfer, sondern auch als meinen Vater in Christo zu erkennen und zu lieben, und durch den Glauben an Deinen Sohn gerecht und selig zu werden. Ich bezeuge, daß ich in diesem Glauben leben und sterben will, und von ganzem Herzen umfasse ich die Gnade, welche Christus mir bereitet hat, damit alle meine Sünden in dem Verdienste seines Todes und Leidens begraben werden. Möge sie immer reicher mir zu Theil werden! Möge ich durch sie einst bestehen vor dem Richterstuhl und Christi Bild dann an mir tragen! Möge Erde und Himmel es sehen, wie abgewaschen, wie geheiligt, wie gereinigt, wie selig ich geworden bin im Blute Jesu Christi! Amen.

Römer 2.

In dem verlesenen Kapitel zählt Paulus die Vorzüge auf, welche die Juden vor den Heiden haben konnten und sich wirklich beilegten. Weil die Juden das Gesetz und im Gesetz den ausdrücklichen Willen Gottes hatten, dieses aber den Heiden fehlte, so sahen sie die Heiden als Blinde, als die in Finsterniß wandeln, die sie wie ein Licht leiten und führen, als Einfältige und Unmündige, die sie züchtigen, d.i. in Zucht nehmen und belehren konnten; und das darum, weil sie die Norm hatten, was zu wissen und recht ist im Gesetz, weil ihnen im Gesetz die Vorschrift dessen gegeben war, was man wissen und thun solle. Nachdem er diese Vorzüge aufgezählt, zeigt er ihre desto größere Schuld, indem er sie hinführt zu sehen, wie gegen so große Begünstigung in der Erkenntniß von Seiten Gottes ihr Leben so auffallend und furchtbar absteche und ihren Ruhm Lügen strafe und zu Schanden mache; denn der Knecht, der seines Herrn Willen weiß, und thut ihn nicht, wird doppelt Streiche leiden müssen. Zuletzt sagt er, wer allein ein wahrer Israelit sei und wer nicht. – Dasselbe gilt auch von den Christen noch immer. Nicht das ist ein Christ, der äußerlich ein Christ ist und den Namen eines solchen hat; und nicht das ist ein Christ, der inwendig verborgen ist, und sein Leben ist ein in Gott verborgenes Leben, dessen Lob ist nicht aus Menschen, sondern aus Gott. Herr, mache mich zu einem solchen wahren und lebendigen Christen, damit ich nicht ein todtes Glied an Deinem Leibe bin, und den Namen nur habe, daß ich lebe, aber todt bin! Sende mir alle Tage von neuem Deinen heiligen Geist, daß er mich immer mehr erneure nach Deinem Bilde und die Ueberschrift meines Lebens keine andere sei, als die: Christus lebt in mir! Amen.

Römer 3.

In diesem Kapitel wirft Paulus zuerst, wie Luther sagt, beide, Heiden und Juden in einen Haufen, und spricht, einer sei wie der andere, allzumal Sünder vor Gott, und somit ohne Gerechtigkeit. Dann zeigt er die wahre Gerechtigkeit, den rechten Weg zur Seligkeit, nämlich in Christo Jesu, ohne und außer welchem niemand gerecht noch selig werden kann. „So halten wir es nun, daß der Mensch gerecht werde, ohne des Gesetzes Werk, allein durch den Glauben.“ Das Wörtchen allein ist von großer Bedeutung. So viel ich von demselben wegnehme, so viel nehme ich auch ab von Christo und seinem Verdienst, und mache ihn bloss zu einem wünschenswerthen Aushelfer da, wo ich nicht gar selbst fort zu können meine; so viel nehme ich denn aber auch von der Gewißheit meiner Seligkeit hinweg. – Aber wie kann der Glaube so große Dinge thun? Die Kraft des Glaubens liegt nicht in dem, daß, sondern in dem, was ich glaube, in Christo und seinem Werke. Sodann darin, daß es unmöglich ist, solchen einzigen Erlöser von Sünden anders denn mit dem Glauben zu fassen und zu erlangen. endlich, wie bei der Heilung der Israeliten in der Wüste vom Biß der Schlangen durch das Hinsehen auf die eherne Schlange, darin, daß Gott sprach, es sollte heil sein, wer die Schlange anblickt. Ohne diese Verheißung und Zusage Gottes hätten die Israeliten tausend eherne Schlangen aufrichten können und Jahre lang hinschauen, sie würden nie gesund geworden sein. Wer der Verheißung Gottes trauend, gläubig auf Jesum schaut und Ihn als seinen Heiland annimmt, wird heil und selig von seinen Sünden; wer dagegen nicht glaubt, wird nicht geheilt, und wenn er verloren geht, so stirbt er nicht sowohl an der Wunde, an seinen Sünden, sondern allein seines Unglaubens wegen. Darum ist’s der Glaube allein, der gerecht macht. Herr, gib und erhalte mir allezeit diesen rechtfertigenden Glauben an Dein Verdienst. Du bist ja mein Gnadenstuhl, am Stamme des Kreuzes mir vorgestellt in Deinem Blute. Als einen solchen ergreife ich Dich in aller meiner Noth, wünsche ich Dich mir auf mein Sterbebette und habe ich Dich am allernöthigsten in der Ewigkeit. Amen.

Römer 4.

Du hast in meinem Herzen das Licht des lebendigen und seligmachenden Glaubens, wie bei Abraham, angezündet, o lebendiger und ewiger Gott; ich bitte Dich demüthig, daß Du Solches gnädiglich erhalten und mehren wollest. Ich fühle bisweilen die Schwachheit des Glaubens, ich werde oft durch Stürme der Zweifel hin und her getrieben; darum schreie ich in Demuth mit den Aposteln, daß Du mir den Glauben mehren wolltest. Mein Herz hält Dir vor Dein Wort, Du wirst das zerstoßene Roh nicht zerbrechen, und das glimmende Doch nicht auslöschen. Ich trage meinen Schatz, die Fackel des Glaubens, in irdenem, zerbrechlichem Gefäße: was bleibt mir anders übrig, als daß ich Dir die Bewahrung derselben mit ernstlichem Gebet und Seufzen befehle, und um Vermehrung derselben täglich flehe? In der Finsterniß dieses Lebens und der Welt mache mich des himmlischen Glaubenslichts theilhaftig. Dein Wort ist Licht und Leben, ein einziges Wort der Schrift ist mehr werth, als Himmel und Erde, da es fester ist, als Himmel und Erde. Wirke in mir durch Deinen heiligen Geist, daß ich Deinem Worte festiglich glaube, und Sinne und Vernunft unter den Gehorsam des Glaubens bringe. Deine Verheißungen kommen aus freier Gnade und sind nicht durch meine Würdigkeit und meine Verdienste bedingt; mit der festesten Glaubensgewißheit werde ich mich daher auf sie stützen und von ganzem Herzen Deiner Güte trauen können. Durch den Glauben wohnt und lebt Christus in meinem Herzen: erhalte daher in mir das freie Geschenk des Glaubens, daß mein Herz eine beständige Wohnung Christi sei und bleibe. Der Glaube ist der Same von allen guten Werken und der Grund eines heiligen Lebens: erhalte und befestige daher denselben in mir, daß nicht meine geistige Erndte Schaden leide. Stärke meinen Glauben, daß er die Welt und den Fürsten der Welt besiege; mehre sein Licht, daß es von Tag zu Tag hellere Strahlen nach außen werfe; erhalte ihn mitten in der Finsterniß des Todes, daß er mir zum wahren Leben vorleuchte! Regiere mich durch Deinen heiligen Geist, daß ich nicht durch Hingebung an die Sünden wider das Gewissen den Glauben verliere; sondern befestige das gute Werk, das Du in mir angefangen hast, daß ich durch beständigen Glauben das ewige Leben ererben möge. Amen.

Römer 5.

Herrliche Vergleichung Adams mit Christo! Wie bringt sie doch das Verdienst des Gottmenschen erst recht zum Bewußtsein! Von Adam kam die Sünde, die Uebertretung, der Ungehorsam, dadurch alles Unheil, das Verderben, der Tod, die Verdammniß, welches zu allen seinen Nachkommen durchgedrungen ist, so daß sie alle Sünder, Ungerechte, Verurtheilte geworden sind. Auf die Rechnung Christi setzt der Apostel den Gehorsam, Gnade, Gerechtigkeit, Leben, Rechtfertigung des Lebens, jedoch so, daß diese Rechnung ein großes Uebergewicht über die Rechnung Adams hat, wodurch gerecht wird aller Same Jacobs, und wir vollkommen, ja Geweihte Gottes werden in Ihm; weßhalb Paulus schließt: „Wo die Sünde mächtig geworden ist, da ist doch die Gnade viel mächtiger.“ An diesem gebenedeiten Haupte nun werden wir Glieder; freilich nicht durch die natürliche, sondern durch die geistliche Geburt, durch die Wiedergeburt, durch den heiligen Geist; vermittelst des Glaubens, der uns Christo einverleibt, daß wir eins werden mit Ihm. Aus diesem Haupte fließt uns sodann Alles zu, was in dem Haupte selbst ist und sich in den beiden Wörtern: Gerechtigkeit und Leben zusammenfassen läßt, oder wie Paulus sagt: eine Fülle der Gnade und Gabe zur Gerechtigkeit. An dies Haupt haben wir uns zu halten, und daran sollen wir wachsen hinan zur göttlichen Größe; indem zugleich alles, was in uns etwas ist, zunichte wird, auf daß Christus Alles in uns sei. In diesem Haupte liegt, allen Gläubigen zu gut, die wesentliche Fülle der Gottheit selbst, uns also ein unausforschlicher Reichthum. In diesem Immanuel hat uns also Gott eine Gabe gegeben, der wir uns in Ewigkeit werden zu erfreuen haben, so wir anders an seinen Namen glauben. Die Gnade führt das Regiment, sie macht der Sclaverei ein End’, besiegt Gesetz und Sünden; drum, willst du frei und fröhlich sein, laß Jesum und die Gnade ein, so kannst du überwinden. Amen.

Römer 6.

Der Apostel hat Recht, wer unter der Gnade steht und nicht mehr unter dem Gesetz, der ist frei geworden von der Sünde. Auch ich bin es, Gott sei Dank; aber doch bin ich noch oft so wankend im erkannten Guten, bin nicht fest genug, Allem zu widerstehen, was mich von strenger Befolgung meines Gewissens abhalten will. Ich schäme mich meiner Schwäche und Unstandhaftigkeit. Wie selten kann ich auf mich selber rechnen! Wie selten bin ich mir selbst gleich! Wie bald bin ich von einem vernunftlosen Triebe hingerissen! – Herr, mein Gott, mir fehlt unerschütterlicher Muth; mir fehlt unüberwindliche Beharrlichkeit in guten Entschlüssen. Ich suche Stärke bei Dir! Alles kann ich durch Dich werden, was ich werden soll. Verzagen darf ich nie um meiner Schwachheit willen; denn Du bist in den schwachen mächtig. Wie viele Deiner ersten Jünger, mein Herr und Heiland, waren wankelmüthig wie ich, und sind standhaft geworden in der Wahrheit durch die Kraft des Geistes! Auch ich kann es werden durch Deinen Geist.

Ich muß es werden, wenn ich Dir gefallen soll. Ich muß gut, zuverlässig gut werden, unverführbar zum Bösen, unabtreiblich von dem, was ich als Dein Gebot erkenne; und vor allem muß ich glauben, daß ich es durch Dich und mit Dir werden könne. So laß denn, o mein Herr und Gott, mein Gebet um die Kraft Deines Geistes nicht umsonst sein. So erwecke denn in mir den ernsten Willen, immer fester zu werden in heiliger Gesinnung, stärke mein Herz und flöße mir immer mehr Muth ein, Allem zu widerstehen, was mich niederschlagen könnte. Mein Wille sei immer redlicher und stärker! meine Demuth immer reiner von allem Stolze, aller Eitelkeit! meine Geduld sei immer gleichförmiger! meine Liebe, fern von aller Laune, widerstehend aller Trägheit, sei immer unermüdeter, wohlthätiger, immer geneigter zum Geben und Vergeben, immer wirksamer und unwandelbarer; meine Andacht sei nie kalt, sei stets feurig und innig! keine Schmeichelei, kein Lob, kein Tadel berede mich zum Laster, kein irdischer Vortheil oder Schaden mache mich meiner Pflicht und meinem Gewissen untreu! Bilde Du mich, o mein Herr, durch Deinen Geist zu einem Knechte der Gerechtigkeit, daß ich heilig werde; das Ende aber sei das ewige Leben. Amen.

Römer 7.

Was Paulus hier als eine besondere Erfahrung seines Herzens mittheilt, das ist zugleich eine allgemeine Erfahrung aller Menschen. Man hat viel darüber gestritten, ob hier der innere Kampf im bekehrten oder im unbekehrten Menschen beschrieben sei. Dieser Kampf findet sich gewiß im Herzen des unbekehrten Menschen in seiner schlimmsten Gestalt; aber im Herzen des Gläubigen wird er am deutlichsten erkannt. Dem Sündendiener ist er nicht klar geworden, obwohl sein Inneres schrecklich zerrissen ist; aber der Christ kennt ihn und seine Schmerzen genau, obwohl er durchgedrungen ist zum Siege. Der Christ erfährt eine leisere Wiederholung dieses innern, heißen Streites in jeder Anfechtung der Sünde, und darum kann es bisweilen sogar scheinen, als hätte der eitle Mensch mehr Seelenruhe als er; nämlich dann, wenn jener in der Zerstreuung sich vergißt, wenn er in den Lüsten und Sorgen dieser Welt die Stimme seines Gewissens betäubt. Aber wenn er nicht umkehrt, so sinkt er zuletzt durch die finstere Ruhe der Verstockung in die Höllenangst der Verzweiflung, während der Christ durch jeden neuen Kampf einen neuen Sieg über die zurückgebliebene Sünde in seinem Innern erringt und zu einem reicheren Frieden hindurchdringt. Durch die Sünde ist in jedem ein doppeltes Gesetz, ein doppelter Wille entstanden; jede Menschenbrust ist ein ernster Kampfplatz zwischen Selbstsucht und Gottes Geist, Eigenwillen und göttlichem Willen; jeder fühlt beim Streben nach Vollkommenheit die Fesseln der Sünde: wer aber an Christum gläubig geworden ist, der hat in ihm den Sieg über die Sünde gefunden, und Christus ist nicht nur sein Versöhner, sondern auch sein Befreier von der Macht der Sünde. Wohl uns, wenn wir zu dieser Freiheit der Kinder Gottes hindurchgedrungen sind! Ob wir denn auch noch mit Paulus klagen: wer wird mich erlösen? wir können wie er auch hinzusetzen: Ich danke Gott durch Jesum Christum, unsern Herrn. Amen.

Römer 8.

Das achte Kapitel des Briefes an die Römer ist ein wahrhaftiger Thaborgipfel. Da schauet man den Heiligen des neuen Bundes mitten in’s Haus hinein, wie in lauter Morgensonne. Freigemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes, rufen sie kindlichen Geistes: Abba, lieber Vater! sind Erben Gottes und Miterben Christi, wartend nur noch der endlichen Verklärung, nach der sich sehnet immerdar das ängstliche Harren der Creatur, und die an ihnen soll offenbart werden, obschon hienieden Welt und Sünde, Tod und Teufel die Auserwählten scheiden möchte von der Liebe ihres Gottes. O Wunderschöpfung, hinter welche die erste Schöpfung Himmels und der Erden weit zurücktritt; Gotteshütte, wie keine uns begegnet am Fuße Sinais, keine unterm Harfenschlage der Propheten! Diese Gewißheit und Ueberzeugung, die Paulus von seiner Person hegt, theilt mit ihm die ganze Gemeinde des Herrn und jeder einzelne wahrhaft begnadigte Christ. Was er von sich sagt, bekennt mit ihm die ganze Wolke von zeugen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wie mit Einem Munde, aus Einer Erfahrung und mit Einer Seele. Keine Anklage kann mehr gegen die Kinder Gottes erhoben werden, keine Verdammniß waltet mehr über ihnen, kein Feind und keine Trübsal kann sie mehr anfechten, wie groß sie auch sei. Es antwortet hier Einer aus Tausenden und gewissermaßen Einer für Alle, uns zeigend, in welcher Fülle und Macht die Liebe Gottes ausgegossen werden kann in eines jeden Menschen Herz durch den heiligen Geist, der auch uns verheißen ist. Das mag uns reizen, daß wir unser Herz mit dieser Liebe Gottes erfüllen lassen und damit auch weit überwinden in Allem, was unseres Lebens Last und Noth, Kampf und Anfechtung ist. Könnten wir dann vorerst noch nicht weiter kommen als zu dem Seufzer: Gott, sei mir Sünder gnädig, so ist und bleibt doch diese ewige Liebe Gottes uns gegenwärtig und gewiß, und dort wird das Erste sein die Lobpreisung: Hallelujah! Das Heil sei unserm Gott und dem Lamme! Amen.

Römer 9.

Ein oft mißverstandenes Kapitel! Paulus redet hier nicht von der Prädestination oder Vorherbestimmung einiger Menschen zur Seligkeit und anderer zur Verdammniß, sondern von der früheren Bevorzugung Israels vor allen Völkern der Erde und der nunmehrigen Verwerfung seines Volks um seines Unglaubens willen, und wie bei dieser Führung Alles Gnade und nichts Verdienst sei. Es konnte scheinen, als ob Gott durch Israels Verstoßung seine diesem Volke gegebene Verheißungen gebrochen hätte; darauf antwortet der Apostel: 1) nie habe Gott die Heilsverheißung an die leibliche Abstammung von Abraham geknüpft, an jüdische Volksgemeinschaft V. 6-9. 2) auch nicht an Werkverdienst und Werkgerechtigkeit, so wenig wie an Geburtsrecht V. 10-13; nicht Werke seien Bedingung von Gottes Beschluß, es sei ein freier Gnadenrathschluß. 3) daraus folge aber nicht, daß Gott willkürlich handle und ungerecht sei: es ist bei Gott Alles Gnade und bei uns nichts Rechtsanspruch. Diesen Einwurf bringt Paulus zum Schweigen zuerst durch eine göttliche Autorität, wonach im alten Testament Gott sich selbst das Recht beilegt zu begnadigen und zu verstocken oder zu verwerfen V. 14. 15. Es ist also keine Ungerechtigkeit, wenn Er von diesem Rechte Gebrauch macht. Dann durch Pharaos Beispiel V. 16-18, den ER wahrhaftig lange genug mit Langmuth getragen, ehe Er das Strafgericht an ihm vollzogen habe. Gott lasse sich nicht die Hände binden, weder im Gutesthun noch im Strafen, wenn die lange geschonten Sünder nicht aufhören wollen, vielmehr durch seine Geduld sich noch mehr verstocken. 4) Auch sei es nicht ungerecht, wenn Gott den Verstockten beschuldige; denn Gott ist unbedingt allmächtig, und es gebührt nicht der Creatur, den Schöpfer zur Rede zu stellen V. 19-24. Um so weniger, als Gott von seinem unbedingten Rechte nicht einmal unbedingten Gebrauch macht, sondern die Verworfenen lange genug in Geduld trägt, ehe Er sie seinem Zorngerichte Preis gibt, und zugleich Alles thut, um an den Erwählten den Reichthum seiner Herrlichkeit zu offenbaren. So tritt nicht nur seine Gnade in’s hellste Licht, sondern auch seine Strafgerechtigkeit selbst erscheint noch durch Langmuth gemildert. 5) Zum Schluß kehrt Paulus zum Ausgangspunkt des Kapitels zurück, nämlich zur Thatsache des Ausschlusses Israels vom Heil in Christo und Annahme der Heidenwelt an seiner Statt. Diese Thatsache widerspricht so wenig den Verheißungen des alten Testaments, daß sie im Gegentheil durch die Propheten bereits vorherverkündigt ist, V. 25-29. Darauf bezeichnet Paulus den Grund der Verwerfung Israels V. 30-33, nämlich Israels Werkgerechtigkeit und Abneigung, sich der göttlichen Forderung des Glaubens zu unterwerfen. Die Schuld liegt also auf Israels Seite allein.

Dasselbe gilt auch von uns. Sind wir erwählet, so ist der Grund nicht irgend eine Würdigkeit noch ein Verdienst von uns, das Gott angesehen hat, sondern nur in Christo hat Er uns angesehen. Gehen wir verloren, so liegt die Schuld allein, wie bei Israel, an unserm Unglauben, der das dargebotene Heil verwirft. In Gott ist keine Willkür, kein Handeln nach Gunst oder Laune, sondern eitel Licht und keine Finsterniß, kein Widerspruch; und es ist eine Keckheit der menschlichen Vernunft, wenn sie weiter in das Geheimniß der göttlichen Gnade zur menschlichen Freiheit eindringen und es sich beliebig zurecht legen will. Halte daran fest, daß in deinem Leben wie in deinem Christenthum Alles Gnade ist, und du bleibst bewahrt vor allen nachtheiligen Folgen der Lehre von der Gnadenwahl.

Römer 10.

In diesem Kapitel führt Paulus den Schlußsatz des vorigen noch weiter aus, daß nämlich im Christenthum Alles auf des Menschen Glauben oder Unglauben ankomme; der Herr fordere nur den Glauben, um uns für gerecht zu erklären V. 1-4; eine solche Rechtfertigung durch den Glauben an Christum sei ja auch für uns viel leichter, als wenn Gott sie von unsern Werken abhängig gemacht hätte V. 5-13, und Gott habe auch den Israeliten die Kunde von dieser Heilslehre nicht vorenthalten, sondern hinlänglich predigen lassen, so daß sie keine Entschuldigung haben. V. 14-21. Auch mir hast Du Dein Wort von der Gnade verkündigen lassen von meiner Jugend an; es gibt keine Zeit meines Lebens, in der nicht sein Heilsruf an mich ergangen wäre; bald lauter, bald leiser, aber immer ist sein Schall mir in Ohr und Herz gedrungen. Habe ich ihn nicht gehört, so war es meine Schuld allein, meine Zerstreutheit, meine Trägheit, meine Vergeßlichkeit, meine Herzenskälte und Gleichgültigkeit; ist Dein Wort lebendig gewesen, es war Deine Gnade, die mein Herz herumgeholt hat vom Verderben. O laß mich es allezeit hören und glauben und nie aus Deiner Gnade herausfallen. Bringe es aber auch zu denen, die es noch nicht hören und glauben: Du willst ja, daß allen Menschen geholfen werde und alle zur Erkenntniß der Wahrheit kommen, und bist ein Herr, reich über alle, die Dich anrufen. Möge es nie von uns heißen: „Den ganzen Tag habe ich meine Hand ausgestreckt zu einem Volk, das sich nicht sagen läßt und wiederspricht!“ Möge in immer weiteren Kreisen das Gebet und Bekenntniß eine Wahrheit sein und Erhörung finden:

Du wirst nie müd’ vom Geben,
Man bittet nie zu viel;
Du gibst ein ewig Leben,
Wer ewig leben will. Amen.

Römer 11.

Mit diesem Kapitel schließt der Apostel die im 9. Kapitel angefangene Gedankenreihe, indem er an die demüthigende Strafrede wegen der gegenwärtigen Verstoßung Israels ein erhebendes Trostwort über seine Zukunft knüpft. Er sagt V. 1-10, Gott habe sein Volk nicht verstoßen, sondern nach gnädiger Auswahl einen Theil desselben zum Heil in Christo gelangen lassen, der, wie durch Gnade erwählt, so auch seinerseits die Gnade statt der Werke erwählt, während Er die Uebrigen freilich der Verhärtung Preis gegeben hat. Doch (V. 11-15) die Verhärtung Israels ist nicht göttlicher Endzweck, sondern nur Mittelzweck der göttlichen Liebe, zunächst in Beziehung auf die Heidenwelt, dann aber auch in Beziehung auf Israel selbst. Hieran schließt Paulus (V. 16-24) eine Warnung an die Heiden, sich nicht zu überheben und Israel hochmüthig zu verachten. Zumal (V. 25-32) nach Eingang der Heidenmassen Israel sich bekehren wird, welche Thatsache theils in der Schrift vorherverkündigt ist, theils in Gottes Treue, Mannigfaltigkeit und Allgemeinheit der göttlichen Barmherzigkeit liegt. Hiernach bricht er aus in einen Preis der göttlichen Weisheit und Majestät (V. 33-36), und mit Recht. Denn wenn irgendwo, so erkennen wir in der Leitung der Völker und der einzelnen Menschen den lebendigen, persönlichen Gott, der Alles macht nach dem Rath seines Willens und Alles schafft, was wir vor- oder nachher thun. Gott sind alle seine Werke bewußt von der Welt her, sind geschrieben in sein Buch. Alles dient nur dem Einen Rathschlusse, dem Einen Mann, dem Willen deß, der Baumeister und Schöpfer des Jerusalems da droben ist, der den Bauriß in seiner Hand hat und Alles, auch das Widerstreben der Feinde, das Toben der Hölle, die Lüge und den Mord Satans sich also zu unterwerfen weiß, daß Alles Ihn verherrlichen muß. Wie ruhig kann man da den Ereignissen zusehen, ob’s auch stürmt und Alles drunter und drüber zu gehen scheint: es geht zuletzt doch nur wie der Herr will! Hallelujah! Amen.

Römer 12.

O Herr Jesu Christe, des lebendigen Gottes Sohn, Du Spiegel der göttlichen Majestät und ewigen Klarheit, der Du uns geliebt hast bis an’s Ende, und aus brünstiger Liebe am Kreuz für uns arme Sünder gestorben bist, und uns damit vom ewigen Tode erlöset und ein Vorbild der rechten inbrünstigen Liebe gelassen hast, nach welchem wir Dich über alle Dinge und von ganzem Herzen lieb haben, Dein Wort halten und uns nach Deinem neuen Gebot und Beispiel unter einander herzlich lieben, uns damit als Deine rechtschaffenen Jünger und wahre Christen beweisen sollen: verleihe, daß solches nun auch unter uns wirklich also geschehe, wie Du es von uns haben willst. Gib, daß sich ein jeder Christ des andern, als Glied Eines Leibes, mit brüderlicher Liebe und herzlicher Treue annehme; dazu, daß solche Liebe nicht falsch oder erdichtet, sondern rechtschaffen und ungefärbt sei; daß wir uns unter einander nicht nur mit Worten und mit der Zunge, sondern mit der That und der Wahrheit lieb haben.

Entzünde durch Deinen heiligen Geist unsere Herzen, daß wir nach Deinem Vorbild auch unsere Feinde lieben, und Gutes thun denen, die uns hassen und verfolgen, und Dir die Rache in allen Dingen mit Geduld übergeben. O Du Sohn Gottes, nimm von uns weg allen Haß, Neid, Feindschaft; alle Bitterkeit sammt aller Bosheit laß ferne von uns sein, auf daß wir nicht das Band der Vollkommenheit trennen und auflösen. Hilf, daß wir einander von Herzensgrund verzeihen, gleich wie Du uns vergeben hast, und daß wir die Sonne nicht lassen untergehen über unsern Zorn, auch nicht Raum geben dem Lästerer.

Ja, Herr, gib Gnade, daß wir Dir dienen in rechtschaffenem Glauben, der durch die Liebe kräftig und thätig ist, auf daß wir in Dir ewiglich bleiben und Du in uns, also, daß uns weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstenthum noch Gewalt, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes, noch keine andere Kreatur von Deiner ewigwährenden Liebe abscheiden könne, der Du lebest und regierest mit dem Vater und heiligen Geist in Ewigkeit. Amen.

Römer 13.

Ewiger und barmherziger Gott, der Du selbst die Liebe bist, verleihe mir den Reichthum der wahren und reinen geistigen Liebe. Mein Herz ist kalt und irden: o Feuer, o Liebe, entzünde mich! Mein Herz ist hart und steinern; o Fels, o Liebe, erweiche mich! Mein Herz ist mit den Dorngesträuchen des Zorns und Hasses erfüllt: o gütigster Vater, o Liebe, reinige mich! Ich will Dich lieben, Gott, meine Stärke, mein Fels und meine Burg, mein Erretter, mein Schild und Horn meines Heils! Was ich an den Kreaturen Gutes und Vorzügliches sehe, das finde ich Alles noch reichlicher und vortrefflicher in Dir, der Du das höchste Gut bist; Dich will ich daher von ganzem Herzen über alles lieben. Je mehr ich in Dich eingehen werde, desto besser werde ich’s haben, da es nichts Besseres gibt, als Dich. Wenn ich nach Schönheit verlange: Du bist der Schönste unter Allen; wenn ich Weisheit begehre: Du bist der Weiseste unter Allen; wenn ich mir Reichthum wünsche: Du bist der Reichste unter Allen; wenn ich Macht liebe: Du bist der Mächtigste unter Allen; wenn ich Ehre liebe: Du bist der Glorreichste unter Allen. Du hast mich von Ewigkeit geliebt: ich will Dich wieder lieben in Ewigkeit. Du hast mich geliebt, indem Du Dich selbst mir gabst: ich will Dich lieben, indem ich mich ganz durch die Liebe Dir wieder gebe. Mein Herz entbrenne in mir; alle Kreatur werde mir nichts; Du allein sollst meiner Seele süß werden. Ich würde Dir und mir ein großes Unrecht thun, wenn ich das Irdische, Verächtliche und Mittelmäßige liebte, da Du mich so werth gehalten und mir so reiche Versprechungen gegeben hast, daß ich Dich lieben dürfe. Aus dieser Liebe zu Dir erwachse auch in meinem Herzen die aufrichtige Liebe zum Nächsten. Wer Dich liebt, der hält auch Deine Gebote; wenn Du daher den Nächsten zu lieben befohlen hast, so liebt Dich eben deßhalb Niemand aufrichtig, der dem Nächsten nicht die schuldige Liebe erweist. Wer nun auch mein Nächster sei: Du hast ihn so werth gehalten, daß Du ihn wunderbar schufst, erbarmungsvoll erlösetest, und mit großer Gnade zur Gemeinschaft Deines Reiches beriefest. In Dir und um Deinetwillen soll ich daher meinen Nächsten lieben, den ich von Deiner Güte zum Schmuck einer solchen Herrlichkeit erhoben sehe. Diese wahre und aufrichtige Liebe wollest Du in mir kräftigen und mehren, der Du bist die ewige und unveränderliche Liebe. Amen.

Römer 13.

Herr, ich neig' mein Ohr zu Dir,
Laß mich Dich im Geiste hören;
Ich will kommen, zeuch' mich nur,
Ganz in Dich hinein zu kehren.

Röm. 13,12

Die Nacht ist vergangen, der Tag aber herbeigekommen.

So ruft uns die Epistel am ersten Adventsonntage zu, und verkündigt uns damit die Adventszeit als eine Morgenzeit, den Adventsruf als einen Morgenruf. So ziemt es uns denn auch, sie als eine Morgenzeit zu feiern und zu benutzen; denn Morgenstunde hat Gold im Munde, und ist der Anbruch heilig, so ist der ganze Tag heilig; ist der Anfang des Kirchenjahres ein gesegneter, so wird auch das ganze Jahr ein gesegnetes sein. Was tut der Mensch aber am Morgen? Er wacht auf und steht auf. So wollen auch wir, wir morgen bis jetzt in Sicherheit und Sorglosigkeit, in Selbsttäuschung und Selbstverblendung geschlafen haben, oder nach der ersten Erweckung wieder schläfrig, nach der ersten Liebe wieder lau und matt geworden sein, aus unserm geistlichen Schlafe aufwachen, uns den Schlaf aus den Augen reiben, uns neu aufraffen und ermannen und aufstehen. Wenn Einer noch so schlaftrunken wäre und seine Augen noch so sehr mit Müdigkeit kämpften, sollte er nicht munter werden, wenn man ihm zuriefe: „Wache auf, stehe auf! Der Sohn des Königs, der Erbe seines Thrones ist gekommen; er steht vor deiner Tür! Er will bei dir einkehren! Er hat dir viel Geschenke mitgebracht! Er will dich aus aller deiner Not herausreißen! Er will alle deine Schulden bezahlen! Du sollst diese deine elende Hütte verlassen, er will dich mit sich nehmen in seine Stadt! Er will dich als seinen Bruder betrachten! Er will dich dereinst neben sich zu seiner Seite auf seinem Throne sitzen lassen!?“ Das aber ist es, was uns jeder Advent von neuem verkündigt. - Was tut der Mensch ferner am Morgen, wenn er aufsteht? Er zieht sich an. So wollen auch wir anziehen die Kleider des Heils, anziehen den Herrn Jesum Christum; ablegen die Nachtkleider, die Werke der Finsternis, und anlegen die Waffen des Lichts. Denn Kleider machen Leute. Durch das Kleid Jesu Christi werden wir erst etwas zum Lobe seiner Herrlichkeit. Durch das Kleid Jesu Christi gewinnt Er erst in uns eine Gestalt, so daß Gott uns nicht mehr ansieht, wie wir sind, in unsern Sünden, sondern Christum in uns ansieht in der Fülle seiner Tugenden und Verdienste. - Was tut endlich der Mensch am Morgen, wenn er sich angezogen hat? Er geht an seine Arbeit und beginnt sein Tagewerk. So wollen auch wir ehrbarlich wandeln als am Tage, das Ehrenkleid Jesu Christi nicht wieder beflecken durch neue Sünden und Missetaten, und in unserm Reden, Thun und Lassen, in unserm Verhalten gegen Freund und Feind, unter Freuden und Leiden, im häuslichen und im öffentlichen Leben beweisen, daß wir Jünger Jesu sind. Die Nacht ist vergangen, der Tag ist herbeigekommen. So laßt uns wirken die Werke des Herrn, so lange es Tag ist!

Morgenglanz der Ewigkeit,
Licht vom unerschaffnen Lichte!
Schick' uns diese Morgenzeit
Deine Strahlen zu Gesichte,
und vertreib durch Deine Macht
unsre Nacht.

Deiner Güte Morgentau
fall' auf unser matt Gewissen,
laß die dürre Lebensau'
lauter süßen Trost genießen,
und erquick uns, Deine Schar,
immerdar.

Gib, daß Deiner Liebe Glut
unsre kalten Werke töte,
und erweck' uns Herz und Mut
bei erstandner Morgenröte,
daß wir, eh' wir gar vergehn,
recht aufstehn.

Laß uns ja das Sündenkleid
durch des Bundes Blut vermeiden,
daß uns die Gerechtigkeit
möge wie ein Rock bekleiden
und wir so vor aller Pein
sicher sein.

Leucht' uns selbst in jene Welt,
Du verklärte Gnadensonne!
Führ' uns durch das Tränenfeld
in das Land der süßen Wonne,
da die Lust, die uns erhöht,
nie vergeht.

Römer 14.

Das ist nur zu wahr, daß das Reich Gottes nicht Essen und Trinken ist, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geiste. Wenn die damaligen Christen aus den Juden noch ängstlich an der Beobachtung der alttestamentlichen Speisegesetze festhielten und dadurch über die Heidenchristen erhaben zu sein glaubten, und wenn dagegen die Christen aus den Heiden sich gar keine Bedenklichkeiten machten über die Speisen und mitleidig, vornehmstolz auf die befangenen Judenchristen herabblickten, und beide Theile darüber in Zwistigkeiten gerathen waren: so erhoben sie unwesentliche Dinge zur Hauptsache und vergaßen diese über lauter Nebensachen. Ihr stellt euch zwar an, will Paulus sagen, als kämpftet ihr über das Reich Gottes; aber am Ende streitet ihr über Essen und Trinken, und vergeßt darüber, nach dem Reiche Gottes selber zu trachten. Das Reich Gottes ist Gerechtigkeit, Gerechtigkeit des Glaubens und des Lebens, jene die Wurzel, diese die Frucht, - und Friede im Glauben an den Heiland, Friede mit Gott und Friedfertigkeit mit dem Nächsten, - und Freude über die empfangene Begnadigung, heiterer Sinn, kindliche Genügsamkeit mit Wenigem, nützliche Thätigkeit fürs allgemeine Beste, vor allem Freude an dem Herrn, an den Geheimnissen der Erlösung, an den fruchtbaren Auen des göttlichen Wortes, den Tröstungen des Gebets, das selige Warten auf den seligen Himmel. Wer nach diesen Gütern trachtet und sie bei Christo sucht, ist ein seliger Mensch, und wird dann auch das rechte Verfahren zu beobachten wissen in Beziehung auf jene und andere unwesentliche Außendinge, und frei bleiben eben so sehr vom hochmüthigen Verachten wie vom lieblosen Richten anderer. Es sind nicht alle Christen nach einer Form zugeschnitten; auch im Reiche der Gnade findet eine große Mannigfaltigkeit Statt, und es werden allerlei Kinder in Zion geboren. Wenn’s nur Kinder sind! wenn sie nur aufs neue geboren werden! wenn sie nur in Zion wohnen, in der Stadt und Gemeinde des lebendigen Gottes! Amen.

Römer 15.

In diesem Kapitel ermahnt Paulus weiter die Christen zu Rom zur geduldigen, demüthig tragenden, einigenden Liebe in Nachahmung des Hauptexempels Christi, der sich aller zusammen, Juden wie Heiden, in tiefster Selbsterniedrigung angenommen hat. V. 1-13. Dann verantwortet er sich, daß er als Heidenapostel auch an die Römer geschrieben habe, und drückt abermals seine Wünsche und Hoffnungen aus, daß er nun selbst bald persönlich zu ihnen kommen werde V. 14-24. Endlich meldet er, daß er den Weg über Jerusalem nehme, empfiehlt ihrer Liebessorge gar zart die dürftigen Judenchristen daselbst und ihrem Gebet empfiehlt er sich selbst V. 25-33. Dies der Hauptinhalt dieses Kapitels. Ich nehme mir insbesondere aus demselben aber den 13ten Vers heraus: Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Friede im Glauben, daß ihr völlige Hoffnung habet durch die Kraft des h. Geistes. Ohne Glauben gibt es allerdings für das Herz weder wahre noch bleibende Freude noch Frieden. Der Ungläubige hat auch seinen Frieden, seine Freuden aber sie sind nur Schein und von kurzer Dauer. Durch den Glauben hingegen kann Gott Alles zur Freude und zum Frieden machen, Tod und Leben, gute und böse Tage, Einsamkeit und Gemeinschaft. Ist die Freude und der Friede aber so ergriffen worden, dann haben wir auch völlige Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes. Die Hoffnung, die aus der Welt geschöpft wird, ist nie eine völlige und täuscht zuletzt immer, sie behält allezeit einen gewissen Grad von Aengstlichkeit und Ungewißheit. Nur was Gott gibt, ist etwas Völliges; solche Hoffnung ist dann auch eine Kraft, die auffahren läßt mit Flügeln wie Adler. In dieser Hoffnung ist der lebendige Tröster verborgen, der heilige Geist, der, wie er unsere Gegenwart mit aller Freude und Friede erfüllt durch den Glauben, auch unsere Zukunft uns so öffnet und nahe stellt, daß, was wir vor uns sehen, uns eben so erfüllt und eben so unser wird auf ewige Zeit, als die kurze Gegenwart. Wie viele Wahrheiten in wenigen Worten! Laß sie auch bei mir Kraft und Leben werde. Amen.

Römer 16.

Es haben sich Manche über dieses und die gleichen Gruß-Kapitel in den paulinischen Briefen verwundert und sie für überflüssig und unnöthig, ja für unerbaulich gehalten. Aber mit nichten! In der heiligen Schrift ist nicht der kleinste Punkt unnöthig und überflüssig; auch der einfachste Gruß, der ganz unnöthig zu sein scheint, eröffnet ein Meer von Gedanken. Wer so viele Menschen so innig grüßen konnte, wie Paulus, mußte viele Freunde haben, und wer so viele Freunde besaß und auf dem Herzen betend vor Gott trug, mußte eine ganz besondere Innigkeit und Zärtlichkeit besitzen, um sie zu gewinnen. Dadurch widerlegt der Apostel zwei oft auftretende Vorurtheile, das eine, wonach das Evangelium die Vorliebe der Freundschaft ausschlösse, das andere, wonach es die menschlichen Zuneigungen überhaupt lockere und die Gefühle abstumpfe. Bei Paulus hat das Evangelium jene Vorliebe für Einige erhalten, und diese natürlichen Empfinden gestärkt und befestigt; ja, durch die Wärme und Lebendigkeit seiner Zuneigungen selbst eine gewisse Einfachheit und Natürlichkeit erhalten, welche mächtig dazu beitrug, sich die Herzen zu erobern. Das Evangelium ist eben so menschlich wie göttliche. Es macht einen Bund mit der gesunden Menschheit gegen die gefallene, mit dem Menschen, wie er sein sollte gegen den Menschen wie er ist, und ist darum in vollkommener Uebereinstimmung mit den wahren und bleibenden Bedürfnissen der menschlichen Natur. Das Christenthum Pauli ist ein wesentlich menschliches Christenthum: es hat weder den allgemeinen Charakter des Geschlechts, noch das Temperament des Einzelnen verändert. Das Evangelium wirkt bei ihm zugleich in die Tiefe und in die Breite. Nichts daran ist nur aufgetragen, Alles ist gediegen. Paulus ist ist ein christlicher, und darum um so besserer Freund. Er ist das Vorbild des Christen im Menschen, aber darum nicht minder das des Menschen im Christen. Unser Christenthum ist viel oberflächlicher; es ist in uns, aber es ist nicht wir selbst. Herr, hilf, daß es anders werde!

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