Ahlfeld, Johann Friedrich - Ein lieber Alter, der Heimweh hat.

Ahlfeld, Johann Friedrich - Ein lieber Alter, der Heimweh hat.

(Fest der Erscheinung Christi oder Epiphanienfest.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Lucas 2, 25 - 32.
Und siehe, ein Mensch war zu Jerusalem, mit Namen Simeon; und derselbige Mensch war fromm und gottesfürchtig, und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war in ihm; und ihm war eine Antwort geworden von dem heiligen Geist, er sollte den Tod nicht sehen, er hätte denn zuvor den Christ des Herrn gesehen. Und kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und da die Eltern das Kind Jesum in den Tempel brachten, dass sie für ihn täten, wie man pflegt nach dem Gesetz; da nahm er ihn auf seine Arme, und lobte Gott, und sprach: Herr, nun lässt du deinen Diener im Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht zu erleuchten die Heiden, und zum Preis deines Volks Israel.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Wenn im Frühjahr das Eis schmilzt und die Brunnen im Walde aufgehen, dann fängt es rings herum an zu grünen, und jede Pflanze und Blume treibet, wenn auch ihre Wurzeln in demselben Boden haften und von demselben Wasser trinken, in ihrer besonderen Art. Da gibt es denn liebliche Statten im Waldesdunkel. - Und wenn am Morgen die Sonne herauskommt, beleuchtet sie alle Wolken in der Ostgegend; aber je nachdem die einen leicht und die andern schwer sind, glänzen sie, wenn auch unter denselben Strahlen, doch in verschiedenen Farben. - So ist es auch gleich in den ersten Tagen der Christgeschichte. Der Brunnen, der Born gegen alle Sünde und Unreinigkeit ist aufgetan im Waldesdunkel, in einem von der großen Heerstraße der Weltgeschichte entfernten Erdwinkelchen. Die Sonne ist aufgegangen. Nun schauet, wohin ihre Strahlen gleich am Morgen, wohin die Herrlichkeit des Christlichtes gleich in den ersten Wochen der neuen Geschichte leuchtet.

Diese Strahlen fallen zunächst auf Israel. Die Weissagungen der Propheten sind erfüllt. Die da geharret haben von einer Morgenwache zur andern, sie sehen den Herrn kommen; und der Hüter, den man lange fragte: „Hüter, ist die Nacht schier hin?“ kann jetzt antworten: „Die Nacht ist vergangen, der Tag aber ist herbeigekommen.“ In Israel fallen die ersten Strahlen auf Maria und Joseph, auf die Hirten zu Bethlehem und auf die beiden Alten, Hanna und Simeon. Indem sie aber den Simeon anscheinen, erkennt und bekennt dieser zugleich, dass das Reich Juda für den neugeborenen König zu klein ist. Er ist ein Licht auch die Heiden zu erleuchten, zum Preis seines Volkes Israel. Und bald kommen auch die ersten Heiden, die Weisen aus dem Morgenlande, um sich auch ihres Heilandes zu freuen. So fallen die Strahlen gleich auf alle Völker, und das Epiphanienfest bleibet ein Missionsfest so lange es noch Unbekehrte auf der Erde gibt.

Wiederum aber leuchtet der Stern aus Jacob auch in alle Lebensalter. Die Kinder zu Bethlehem sind die Ersten, welche um des Herrn willen sterben müssen, die ersten Märtyrer Christi. Ein gottloser König, welcher mit dem jungen Blute die Krone auf seinem Haupte und bei seinem Geschlechte fest machen will, lässt sie erwürgen. Aber auch auf dies Blut scheint die Morgensonne der Gnade. Mit dem eigenen Blute sind sie auf ihn getauft worden. Und wie ein Kindlein von seiner Taufe Nichts weiß und doch in dieser Taufe, in dieser ersten und größten Gnadentat Gottes selig wird, so sind sie auch unbewusst in ihrer Bluttaufe selig geworden. -

Die Hirten stehen in der vollen Mannskraft und in der vollen Mühe und Arbeit des Lebens. Für sie ward die alte Verheißung wahr, welche zwei Jahrtausende vorbildlich auf Noah geruhet hatte: „Der wird uns trösten in unserer Mühe und Arbeit auf Erden, die der Herr verflucht hat.“ - Und endlich fiel das Christlicht in die blöden Augen zweier lieben Alten, der Hanna und des Simeon und verklärte ihnen den Abend des Lebens. - Unter diesen Allen, die Mutter des Herrn ausgenommen, steht Simeon am Klarsten vor uns. Die Kinder zu Bethlehem konnten noch kein Bekenntnis ablegen. Weinend sind sie gestorben. Die Hirten sehen, hören, gehen und finden das Kindlein. Sie breiten die Botschaft auch aus unter ihren Nachbarn, aber kein Wort von ihnen ist uns übrig geblieben. Die Weisen aus dem Morgenlande kommen, fragen, suchen, finden, beten das Kindlein an, tun ihre Schätze auf und ziehen wieder heim. Selbst Joseph, der Pflegevater des Kindes, ist eine stille, schweigende Gestalt neben der Krippe und neben der großen Gottestat. Nur in unverbrüchlichem Gehorsam gegen Gottes Wort und Wink gibt sich sein treues Herz kund.

Simeon ist der erste Mensch, der ein christlich Lied singt. Die Engel haben das erste gesungen, er singt das zweite. Er ist nach der Maria der Erste, der ein christlich Bekenntnis ablegt. Maria freuet sich nach der Verkündigung Gottes ihres Heilandes; Simeons Augen haben den Heiland aller Völker und also auch seinen eigenen gesehen. Und er ist der Erste, der mit klarem Bewusstsein in festem Glauben auf diesen Heiland sterben will. Der Himmel ist ihm aufgetan seit der Heiland herniedergekommen ist. Auf dieser Straße will er hinaus und heimgehen. Bei ihm wollen wir heute stehen bleiben, in ihm stellen wir uns vor die Seele

Einen lieben Alten, der Heimweh hat.

Wir betrachten mit einander: die Heimat, das Heimweh und den Heimgang.

Herr Jesu, du bist aus deiner Heimat von dem Throne deines himmlischen Vaters gekommen. In dir haben wir gesehen, wie lieblich es dort oben ist, welche Liebe uns dort entgegenschlägt, und wie an dem Herzen deines Vaters Naum ist für uns Alle. Du hast uns dort oben die Stätte bereitet, du hast uns angenehm gemacht vor deinem Vater, dessen Zorn wir durch unsere Schuld verdienet hatten. Du hast uns auch den Weg da hinaus gebahnt, indem du zu uns hernieder kamst. Wer an dich glaubet, der soll selig werden. Und damit wir hineingezogen werden in den Glauben, hast du uns dein teures Wort und deine heiligen Sakramente gegeben. O Herr, welche Liebe ist das, die Nichts versäumt hat von Allem, was zu unserm Heile dienen kann! - Nun bitten wir dich, reize und ziehe uns durch solche Liebe, dass wir da hinaus und hinein wollen. Hat dich unsere Armut und unser Tod getrieben zu uns zu kommen, wie sollte uns deine Herrlichkeit und Liebe nicht treiben, zu dir kommen zu wollen! Herr, scheine so hell mit deinem Herzen und deinem Himmel in die arme Erde, dass die Bande reißen, die uns an uns selbst und an die Welt binden und wir in unsern Seelen ein Heimweh erfahren, das nicht still sein kann, bis wir heim gekommen sind. Erhöre uns um deiner Liebe willen und segne uns dazu auch heute dein teures Wort. Amen.

l. Die Heimat.

In dem Herrn geliebte Gemeinde. Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Wir sind wie ein Gras, das da frühe blühet und bald welk wird, und des Abends abgehauen wird und verdorret. Unsere Hütte ist gebaut auf das Ufer eines Stromes. Täglich rauschen die Wasser unter derselben hin; täglich reißen sie ein Stück von dem Grunde weg, auf dem sie steht: endlich stürzt sie an einem Tage ganz zusammen. - Unter Allem, was wir tun, verläuft unsere Frist. Unter Sünde oder Gottseligkeit, unter Trägheit oder Fleiß, unter Schlafen oder Wachen, unter Schmerz oder Freude, unter Angst und Grauen vor dem Tode oder unter Hoffnung auf den Tod werden die Tage unserer Pilgerschaft in gleicher Weise verzehrt. Der Junge kann sterben, der Alte muss sterben. - Damit aber, dass wir sterben können oder müssen, haben wir droben und drüben im Reiche der Herrlichkeit noch keine Heimat. Der Tod führt nicht in die Heimat, sondern die Gnade. O es gibt auf der Erde viele Heimatlose. Als Israel in seiner Verbannung an den Wassern Babels wohnte und dort seine Harfen an die Weiden hängte, war es eigentlich auch heimatlos. Babylonien wollte es nicht als seine Heimat ansehen, dort wollte es nicht heimisch werden; und nach seinem Kanaan durfte es nicht, bis die Jahre der Züchtigung abgelaufen waren. Auch jetzt wird oft um das Heimatrecht einzelner Leute Jahre lang hin und her gestritten; Jahre lang wissen sie nicht, welches denn eigentlich ihr Heimatland sei. Aber viel mehr Heimatlose gibt es im geistlichen Sinne. Sie wissen, dass sie hier auf der Erde nicht bleiben können; sie wissen, dass ihnen die Pilgerherberge hier über Nacht gekündigt werden kann; sie wissen, dass mit dem großen Hausherrn nicht zu rechten ist wie mit dem irdischen Hausbesitzer, und dass sich bei ihm kein Verzug erklagen oder ertrotzen lässt. Und doch denken sie nie ernstlich daran, sich oben in der Heimat einzubürgern. Sie hängen und schweben zwischen dem Diesseits und Jenseits und sind nirgends heimisch. - Durch wen nun, lieber Christ, hast du eine Heimat droben im Reiche der Herrlichkeit? - Nicht durch dich, denn du bist nicht droben gewesen; nicht durch dich, denn du hast dir durch kein Verdienst droben Recht und Grund und Boden erworben; allein durch das Kindlein, das in der Christnacht geboren und dessen Stern am Epiphanientage allen Völkern aufgegangen ist. Darum ist Christus in die Welt gekommen, darum hat er die Erde zu seiner Heimat genommen, dass wir droben eine Heimat haben sollen. Dazu hat er sich hier als unser Bruder eingebürgert, dass wir uns droben als seine Brüder einbürgern sollen. Das spricht er aus in seinem hohenpriesterlichen Gebete, wo es heißt: „Vater, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, dass sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast: denn du hast mich geliebt, ehe denn die Welt gegründet ward.“ Das spricht er aus in dem andern Worte: „Ich, wenn ich erhöhet werde von der Erde, will ich sie Alle zu mir ziehen. In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen, Wenn es nicht so wäre, so wollte ich zu euch sagen: .“Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten.“ Und ob ich hinginge, euch die Stätte zu bereiten, so will ich doch wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass Ihr seid wo ich bin. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; es kommt Niemand zum Vater, denn durch mich.“ - Ja. liebe Gemeinde, Jeder hat eine Stätte droben, Jedem ist sie von Ewigkeit her gebaut und bereitet; aber Jeder muss sie auch, dieweil er auf Erden wallet, in Besitz nehmen. Ach, liebe Christen, hier fehlt es oft an Wohnungen für die Leute, dort fehlt es oft an den Leuten für die Wohnungen. Wer nicht mit Christo Eins geworden ist, wer an ihn nicht glaubet, kann auch in seine Wohnung nicht einziehen. Denn nur in ihm haben wir sie, und nur im Glauben haben wir ihn; also nehmen wir auch diese Wohnung nur im Glauben in Besitz. Das Weib hat hier auf der Erde Heimatrecht im Vaterlande und Heimatorte des Mannes; aber nur das angetraute Weib. Christus ist unserer Seelen Bräutigam und Mann. Die Seele hat bei ihm ihr Vaterland und Heimatrecht; aber nur die mit ihm im Glauben vertraute Seele; die, mit der er sich verlobet und vertrauet hat in seiner Menschwerdung und in der heiligen Taufe, und die sich wieder mit ihm vertrauet hat in lebendigem Glauben. So ist das himmlische Heimatrecht von beiden Seiten geordnet. - Und so hast du denn auch die herrlichste Heimat. Du hast deine Stätte in dem Jerusalem das droben ist, in der Stadt mit den Perlentoren, deren Sonne die Barmherzigkeit des Herrn und deren Leuchte das Lamm ist. Aus dieser Heimat stößt dich Niemand wieder aus. Du sitzest an der ewigen Gnadentafel, du hast das Brot des Lebens in deinem Herrn selbst; du gehörst zu denen, von welchen unsre Kirche rühmt:

Kein Durst noch Hunger wird sie schwächen.
Denn die Erquickungszeit ist da;
Die Sonne wird sie nicht mehr stechen.
Das Lamm ist seinem Volke nah.
Es will selbst unter ihnen wohnen
Und ihre Treue wohl belohnen
Mit Licht und Trost, mit Ehr und Preis.
Da werden die Gebeine grünen.
Der große Sabbat ist erschienen,
Da man von keiner Arbeit weiß.

An diese Heimat hatte der alte Simeon viel gedacht. Er war fromm und gottesfürchtig, und das heißt ja: er war mit dem Herzen droben in der Heimat, er wandelte im Himmel. Der heilige Geist war in ihm, und der trägt ja den Himmel hernieder auf die Erde und hebt überall empor von der Erde. Ist es in dir auch so mein lieber Christ? Ist dir jene Heimat gewiss? Hast du sie im Glauben ergriffen? - Hast du es nicht getan, so tue es bald, damit du nicht mehr als ein Heimatloser umherirrest. Hast du diese ewige Wohnung im Glauben in Besitz genommen, so fällt das erste Licht des Sternes aus Jacob in deine Seele, in deine Jugend oder in dein Alter. Du jubelst: „Ich habe droben eine Heimat!“ Dein Leben bekommt die rechte Gestalt. Du singest:

Mein Leben ist ein Pilgrimstand,
Ich reise nach dem Vaterland,
Nach dem Jerusalem, das droben
Gott selbst als eine feste Stadt
Auf Bundesblut gegründet hat:
Da werd' ich Jacobs Hirten loben. \ \Mein Leben ist ein Pilgrimstand, \ \Ich reise nach dem Vaterland, \

In dieser Gewissheit von der seligen Heimat erfährst du dann auch:

II. Etwas von Simeons Heimweh.

Es ist bekannt, geliebte Christen, dass alle Bergvölker mit der innigsten Liebe an ihren Bergen und Tälern hängen. Wenn sie ausgewandert sind in Land und Ebenen, haben sie dort keine Ruhe. Ob es ihnen in der Heimat auch viel dürftiger und kümmerlicher ergehe, es zieht sie wieder dahin zurück. Das ist ihr Heimweh. Christen, geliebte Gemeinde, sind ein Volk aus der Höhe, sie stammen ihrem bessern Teile nach aus dem schönsten und reinsten Höhenlande her. Sie sind in der Fremde in dem armen Flachlande dieser Welt, sie wohnen hier in Mesechs Hütten. Rechte Christen müssen täglich in der Sehnsucht nach der Heimat stehen, täglich das Heimweh fühlen. - Nun, lieber Christ, fühlst du es? Freuest du dich auf die Stunde, wo dein himmlischer Vater dich heim ruft? Tausende, wenn sie die Wahrheit sagen wollen, antworten: „Nein, ich habe von solchem Heimweh noch Nichts erfahren; ich befinde mich hier so wohl, ich bliebe am liebsten immer hier; mir graut vor der Stunde, wo ich dieses Freudenleben lassen soll. Das Wort von der Heimat droben hat für mich keine Wahrheit, meine Heimat ist hier, ich mag nicht fort.“ Da ist also gar kein Heimweh, die Seele ist an die Erde gebunden, auch die ganze Liebe Gottes, wie sie uns in der Christnacht, am Karfreitage und am Ostermorgen erschienen ist, hat das Band nicht lockern, hat keinen Hauch der Sehnsucht nach dem Himmel hineinbringen können. Es fehlt das Beste, der Glaube an die Heimat, ihren König und ihre Herrlichkeit. Armer Mensch, der du hier bleiben möchtest und doch nicht kannst, der du fort musst und doch nicht fort willst! -

Andere reden zuweilen von Sterbelust, Lasst uns sehen, ob es die rechte, ob es ein Heimweh ist. Wenn der Mühe des Lebens viel, wenn die zu tragende Bürde schwer wird, dann hört man Manchen sagen - „Ach ich wollte, der Tod käme und spannte mich auf, ich sehne mich fort aus diesem Jammerleben.“ Wie ist es mit Solchen, haben sie wirklich ein Heimweh? Nein es ist keine Sehnsucht nach dem Herrn, sondern nur eine Sehnsucht ihrer Last ledig zu werden. Es ist auch selten tieferer Ernst in solchem Seufzer. Unwillkürlich denkt man dabei an die Fabel von jenem Alten, der unter einer Bürde Holz, die er sich nach Hause tragen wollte, dahinwankte, sich auf einen Stein am Wege setzte, seine Last neben sich legte, die Hände zusammenschlug und dabei seufzte: „Ich wollte, der Tod käme!“ Und in dem Augenblicke kommt der Tod und fragt ihn- „Da hier bin ich, was willst du von mir?“ Und der Alte antwortete: „Weiter Nichts, du solltest mir nur mein Bündel wieder aufheben und auf die Schultern legen.“ Ja wenn es Ernst wird mit dem Kommen des Todes, wollen jene Alle lieber ihre Last weiter tragen. -

Mehr als eine Witwe habe ich am Sarge des Mannes sagen hören: „Ach ich wollte, sie begrüben mich gleich mit!“ Es war ihnen in dem Augenblicke viel mehr Ernst als Jenen unter ihrer Last. Ihr künftiges Leben lag vor ihnen wie ein hoher Berg, über den sie noch keinen Steg finden konnten. Dazu kam die Sehnsucht nach dem heimgegangenen Gatten, mit dem sie in Liebe und Frieden gelebt hatten. Es war aber doch nicht das rechte Heimweh. Dort macht nicht der Gatte die Heimat sondern der Herr. Es ruhet in solchem Seufzer allemal ein Stück Unglauben, als ob der Herr eine arme Witwe mit ihrem Kinderhäuflein nicht mehr erhalten und durchbringen könnte. Und dazu kommt noch ein Stück Menschenvergötterung. Der Herr war lange droben gewesen, nach ihm hatte die Seele weder verlangt noch geseufzt; nun aber der Mann dort war, wollte sie ihm am Liebsten gleich nach. -

Wiederum hört man manchen treuen Christen, wenn er sein Herz mit dem täglichen Straucheln und Fallen ansieht, den Wunsch aussprechen - „Ach wenn ich nur erst dort wäre, wo es keinen alten Menschen, keine Versuchung, kein Straucheln und kein Fallen mehr gibt!“ In diesem Seufzer ist wohl noch mehr Ernst als in dem vorigen. Aber Jeder, der ihn je ausgesprochen hat, soll bedenken, dass der Herr auch hier ist. Er ist in dem Schwachen mächtig; er hält uns, wenn wir nur seine Hand ergreifen, wie der sinkende Petrus auf dem Meer. In diesem Seufzer liegt allemal etwas von Verzagtheit, von Kampfesscheu und Kampfesflucht. -

Siehe doch die Männer des wahren Heimwehs an. Zuerst haben wir in unserm Texte den alten lieben Simeon. Er bricht aus in die Worte: „Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Er hat sein Ziel auf der Erde erreicht. Christum mit den Glaubensaugen gesehen, ihn in die Glaubensarme genommen zu haben, das ist genug. Wer das hat, der hat den Himmel auf Erden, der will nun auch gern den Himmel im Himmel haben. Er will diesen Christus, den er hier im Glauben, im gebrochenen Lichte geschaut hat, nun auch in seiner ganzen Liebe und Herrlichkeit sehen. Das Glied will zu seinem Haupte, die Braut zum Bräutigam. Simeons Wort klingt uns wie der Ruf eines Schiffers im Frühjahr - „Das Meer ist offen, der Wind wehet günstig, spannet die Segel, windet die Anker auf; wir wollen hinüber nach der andern Küste, nach der Heimat!“ -

Nehmet zum Simeon den Paulus. Er möchte auch gern fort von der Erde, aber weshalb? Etwa weil ihm das Apostelamt mit seinen Mühen und Verfolgungen zu schwer war? Davon sagt er kein Wort. Ihn zieht allein sein Herr. „Wir haben viel mehr Lust außer dem Leibe zu wallen und daheim zu sein bei dem Herrn. Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christo zu sein, welches auch viel besser wäre; aber um euretwillen ist es nötiger, im Fleisch bleiben.“ In diesen Worten des großen Zeugen Christi ist nun auch die rechte Art des Heimwehs gezeichnet. Er will gern heim, aber der Herr hat die Zeit zu bestimmen. In seinem Wunsche ist nichts Stürmisches und nichts Eigenwilliges. Im Hierbleiben und im Heimgehen ist er ein Diener seines Herrn. -

Suchen wir uns nun noch einen Mann aus den späteren Jahrhunderten, einen Mann aus unserer Kirche, in dem uns die Sehnsucht nach der Heimat in recht gesunder Gestalt entgegen tritt. Viele von euch haben Ernst den Frommen von Gotha nennen hören. Er war 1601 geboren und starb 1675. In seiner Jugend hatte er unter den Fahnen Gustav Adolphs gefochten, in seinen Mannesjahren und in seinem Alter war es seine Ausgabe, das Reich Gottes in seinem Ländchen zu bauen und die von dem schweren Kriege geschlagenen Wunden zu heilen. Als seine letzte Krankheit kam, stand er menschlich geredet im höchsten Glücke. Er saß auf seinem Fürstenstuhle und seine Untertanen ehrten und liebten ihn wie einen Vater. Sein Weib saß an seinem Krankenbette, seine Kinder, denen er getrost das Szepter in die Hand geben konnte, standen um ihn. Nichts fehlte ihm, und doch sehnte er sich heim. Morgens und Abends ließ er sich Sterbelieder singen und mit Instrumentalmusik begleiten, damit er sich seines Todes erinnerte und ihm das Himmlische und Ewige vor die Seele gestellt würde. 'Namentlich hatte er seine große Freude an unserem vorhin gesungenen Liede. „Herzlich lieb habe ich dich, o Herre.“ Oft ließ er es sich von seiner Gemahlin vorsagen, und dann knüpfte er Gespräche daran von der süßen Freude des ewigen Lebens und von der allersüßesten Liebe Jesu Christi. Einstmals fragte er die Umstehenden, ob ihnen denn das Wort vom ewigen Leben auch so süß schmecke wie ihm. An dem Spruche: „Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingebornen Sohn gab, auf dass Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben,“ hatte er eine solche Lust, dass er ihn für die ganze Welt, ja um tausend Welten nicht hingeben wollte, weil der stärkste Teufel den Glaubensgrund, der darinnen sei, nicht umstoßen könnte. - Das war ein Heimweh auf gutem Grund und Boden und von rechter Art. Gott helfen, dass es sich in uns Allen entzünde. Wer es hat, der spricht mit Freuden: „Mich verlanget nach meiner Heimat.“ dem fallen die Strahlen des Sternes aus Jacob auch:

III. In den Heimgang.

In dem Herrn geliebte Gemeinde, ein Weggang ist jeder Tod, ein Weggang aus dem Leben, ein Gang vor Gottes Thron und ins Grab. Bei wem ist er aber ein Heimgang? Nur bei dem, dem das Wörtlein: „Nun“ aus unserem Texte in der Seele steht. „Nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Haben ihn denn deine Augen gesehen in seiner Herrlichkeit, in seiner Liebe zu dir und in seinem Opfer für dich? O dass wir doch Alle Ja sagen könnten, oder es, wenn wir es noch nicht können, doch bald lernten! Es ist doch etwas zu Köstliches um das Abgelöst-Werden, um das Heimfahren in Frieden. Das Kind der Welt fährt, von sich und Andern bis in die letzte Stunde belogen, dahin mit Schrecken. Es fährt, und weiß wohl von wannen; es fährt, und weiß nicht wohin. In Frieden kann's nicht fahren, denn die Gottlosen haben keinen Frieden. Der gläubige Christ hat Frieden. Ist er denn gerecht geworden durch den Glauben an Jesum Christum, so hat er Frieden mit Gott durch seinen Herrn Jesum Christum. Seine Sünden sind ihm vergeben; was zwischen Gott und ihm lag, hat der Versöhner weggeräumt, das Kind darf heimkommen. Aber auch von der Erde geht er in Frieden. Keine Bitterkeit ist im Herzen übrig geblieben, alle Dornen sind herausgezogen. Als unser Herr am Kreuze hing, als er seinen Heimgang hielt, als ihm die Dornen im Haupte und die Nägel in Händen und Füßen steckten, da war dennoch kein Zorn in seinem Herzen. Von seinen letzten sieben Worten richtet keins den Caiphas oder Judas oder Pilatus. Sie alle sind mit befasst unter die große Bitte: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun.“ Es ist Friede. Ein Vater oder eine Mutter segnet die zurückbleibenden Kinder, sie bringen ihnen noch einmal mit den letzten Worten den Friedefürsten recht nahe, damit er in und unter ihnen wohnen bleibe, und so schlafen sie ein. Es ist Friede.

Und wo gehen sie hin? In Frieden in den Frieden. Jesus ist unser Friede. Bei ihm haben wir erst den vollen Frieden mit Gott, bei ihm ein ganzes, versöhntes Herz, und bei ihm finden wir die Gemeine des vollen Friedens und werden selbst Glieder derselben.

Habe ich euch vorhin in einem deutschen Fürsten das Bild des rechten Heimwehs vorgestellt, so schauet nun in einem Bürger das des rechten Heimgangs. Ein Kaufmann in Lübeck, den die Ärzte bereits aufgegeben, verlangte von den Seinen, sie sollten die Stadtmusikanten kommen und noch einmal vor seinem Lager spielen lassen, damit er nun erführe, wie David rühmet: „Du hast meine Klage verwandelt in einen Reigen.“ (Psalm 30,12). Die Frau wollte es ihm ausreden, weil sie fürchtete, es möchte ihm einen üblen Nachruf vor der Welt geben. Er aber bestand darauf, sie wurden gerufen und kamen. Auf die Frage, was sie spielen sollten, befahl er, man solle unser Lied: „Herzlich lieb hab ich dich, o Herr“ rc. vorsingen und dasselbe begleiten. Indem sie begannen, kehrte der Sterbende sein Angesicht gegen die Wand. Als sie das Lied geendet hatten, fragte ihn seine Frau, ob er noch eins begehrte. Er aber war unter diesem Siegesliede entschlafen. Und der feiert eine schöne Sterbestunde, der einschläft in dem Verse:

Ach Herr, lass dein lieb Engelein
An meinem End die Seele mein
In Abrahams Schoß tragen;
Den Leib in seim Schlafkämmerlein
Gar sanft ohn einig Qual und Pein
Ruhn bis zum jüngsten Tage.
Alsdann vom Tod erwecke mich,
Dass meine Augen sehen dich
In aller Freud, o Gottessohn,
Mein Heiland und mein Gnadenthron!
Herr Jesu Christ,
Erhöre mich, Erhöre mich,
Ich will dich preisen ewiglich.

Da scheint das Epiphanienlicht in die Todesnacht. Da ist Heimat, Heimweh und Heimgang. Dreieiniger Gott, schenke auch uns aus Gnaden diese drei. Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/a/ahlfeld_friedrich/ahlfeld_epiphanias.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain