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Krause, Cäsar Wilhelm Alexander - Der Segen stiller Einkehr in uns selbst.

Predigt am Sonntage Invocavit.

Gnade von Gott und Friede in dem Herrn Jesu Christo sei mit euch Allen! Amen.

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei! So sprach der Herr, nachdem er den ersten Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen, und in ihm der Erde und Allem, was sie hervorbringt, ihren zeitlichen Herrn gegeben hatte. Und Gott gab dem Mann das Weib und sprach den Segen über sie aus: Seid fruchtbar und mehrt euch, und füllt die Erde und macht sie euch untertan. In diesen Worten, teure Gemeinde, ist die Bestimmung des Menschen nach einer Seite hin ausgesprochen: In Vereinigung mit seinen Brüdern soll er leben, mit ihnen und für sie soll er schaffen und wirken, seine Kraft und Arbeit mit der ihrigen verbinden, und dadurch die Herrschaft über die Erde, ihre Erzeugnisse und ihre Kräfte erringen. Aber das ist auch nur durch eine solche Gemeinschaft möglich. Sie nur weckt den schlummernden Geist in dem Menschen, und in dem Wetteifer mit Andern entfalten sich seine Anlagen und erstarken. Nur die Vereinigung mit Andern gibt dem einzelnen schwachen Menschen eine unwiderstehliche Kraft, weil sie, durch die Überlegung des Geistes geleitet, jeden Widerstand toter Kraft überwindet. In dem gemeinschaftlichen Leben und Streben bildet sich nur unter den Menschen die wahre Sittlichkeit aus, die für den einzeln Stehenden ein Wort von nur geringer Bedeutung sein würde. Und es ist tief in unser Herz eingeprägt das Wort: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei; es zieht uns nicht bloß das leibliche Bedürfnis, sondern ein noch edlerer Trieb zu unsern Brüdern hin, und glücklich können wir nur dann sein, wenn wir wechselseitig ihnen Liebe gewahren und von ihnen Liebe empfangen. -

Wie sehr aber auch der Trieb, in der innigsten Vereinigung mit unsern Brüdern zu leben, in unserer eigenen Brust begründet und durch Gottes Wort geheiligt ist, wie sehr man das Leben Dessen ein unfruchtbares und verlorenes nennen kann, der sich ganz von der menschlichen Gesellschaft abschließt, und den bei seinen Bestrebungen keine Rücksicht auf sie leitet, so treten doch Zeiten im Leben eines jeden Menschen ein, in denen eine stille Einkehr in sich selbst ihm Bedürfnis, ja Pflicht wird, wo es für sein inneres Leben höchst ersprießlich ist, wenn er die Einsamkeit sucht, um einmal so recht ungestört von allen äußeren Eindrücken und von dem Geräusche des Lebens mit sich selbst zu Rate zu gehen. Dies Bedürfnis finden wir in dem Leben aller großen und edlen Menschen zuweilen ausgesprochen, und durch das Vorbild Jesu Christi ist es geheiligt. - Aber wie der Mensch zur Übertreibung so sehr geneigt ist, so ist auch dieses Vorbild gar oft missverstanden und falsch aufgefasst worden. Es gab eine Zeit, in der man sich ein besonderes Verdienst dadurch vor Gott zu erwerben glaubte, wenn man sein ganzes Leben der Einsamkeit und Beschaulichkeit widmete, in der die Meinung des Volkes in solchem Abschließen von der Welt, sei es in Wüsteneien oder hinter Klostermauern, einen besonderen Beweis von Heiligkeit fand. Dieser Wahn ist unter uns zerstört, und in solchem Beginnen erkennen wir nur den Ausdruck einer falschen Weltanschauung, einer krankhaften Frömmigkeit, oder das Suchen einer bequemen Gelegenheit zu untätigem Leben, oder, im günstigsten Fall, einen Beweis der Schwäche und der Reizbarkeit, welche von der rauen Berührung des Lebens allzu sehr verletzt, dasselbe nun ganz zu meiden sich gedrungen fühlt. Müssen wir diese Gründe schon verwerflich finden, so ist noch entschiedener der Hochmut zu verurteilen, der sich zu verunreinigen fürchtet, wenn er mit Andern zu besserer Erreichung der gemeinsamen Lebenszwecke sich verbindet; die Selbstsucht, welche nur an sich denkt und Alles zurückweist, was ihr nicht unmittelbar dient, und die Leidenschaft, welche ihre Befriedigung vollständiger zu erreichen glaubt, wenn sie sich von dem Leben der Andern abschließt. Eben so wenig vermag solche Absonderung eine wahre Heilung für das kranke Gewissen zu gewähren. Das wahre Leben des Menschen ist in der menschlichen Gesellschaft, in der Übung allgemeiner Menschenliebe, stets verbunden mit dem sittlichen Ernst, der, selbst nach der Heiligung ringend, das Reich Gottes auf Erden fördert, und je gemeinnütziger ein Leben, je erfolgreicher das Streben nach der Heiligung war, desto mehr ist es ein wahres, Gott wohlgefälliges Leben gewesen.

O, meine Geliebten, wo ist da ein Leben mit dem Leben Jesu Christi zu vergleichen? Mit dem Leben, das ohne Sünde war, das nur das Heil der Welt bezweckte, ja für dasselbe sogar als heiliges Opfer dahingegeben wurde? Stets sehen wir den Heiland lehrend und wohltuend in der Mitte seiner Jünger und der Scharen derer, die zu ihm kamen, das Wort des Lebens aus seinem Mund zu vernehmen; nie achtete er seiner, wenn es darauf ankam, seinem heiligen Beruf zu genügen; aber wir sehen ihn auch von Zeit zu Zeit sich zurückziehen und in der Einsamkeit weilen, doch immer nur, um mit neuer Kraft, mit neuem Eifer zu seinem heiligen Beruf zurückzukehren! Daran wollen wir uns ein Beispiel nehmen, Geliebte! Im Leben und für das Leben wirkend, wollen wir die stille Einkehr in uns selbst nicht versäumen. Dazu zu ermuntern und den Segen stiller Einkehr in uns selbst zu schildern, soll aber der Gegenstand unserer heutigen Betrachtungen sein.

(Gesang. Gebet.)

Evangelium Matthäi 4,1-11.

In die Wüste hatte der Heiland sich zurückgezogen, um ungestört von dem Geräusch der Welt und der Unruhe der menschlichen Gesellschaft mit sich zu Rat zu gehen, und die Art und Weise seines Auftretens und Wirkens als Messias für sich zu bestimmen. Nicht ohne ernste Sammlung vor Gott mochte er sein großes Werk beginnen; aber fest und stark ging er aus der Einsamkeit hervor. - Ist es aber dennoch nicht ungehörig, meine Geliebten, dass ich bei dieser Gelegenheit mir vorgesetzt habe, von dem Segen stiller Einkehr in uns selbst zu sprechen, da doch gerade in der Einsamkeit der Versucher an ihn herantrat, und ihn dem göttlichen Werk zu entfremden suchte? Wohl geschah es so, und daraus mögen wir erkennen, dass wir dem Versucher nie entfliehen können, weil wir ihn meistens in der eigenen Brust tragen; dass aber, wenn die Einsamkeit ihn so kühn macht, sich zu entlarven, es auch um so leichter ist, ihn zu erkennen und ihm zu widerstehen. Das Leben in der Gemeinschaft wirkt Zerstreuung; die stille Einkehr in uns selbst soll uns Sammlung gewähren, damit

unsere Täuschungen schwinden,
unsere Pflichten uns klar werden, und
des Vaters Ernst und Gnade uns zu Herzen gehe.

Darin liegt der Segen stiller Einkehr in uns selbst, dem wir jetzt nachdenken wollen. Sie wirkt zuerst dahin:

1) dass unsere Täuschungen schwinden.

Wer seinen Pfad richtig wandeln will, muss ihn, seine Pflicht, seine Kraft und die zu erwartenden Schwierigkeiten klar überschauen, sonst läuft er Gefahr, zu verirren. Diese Gefahr droht um so mehr, je lauter das Treiben der Welt uns umrauscht, je mehr es unsere Teilnahme für sich gewonnen hat. Oder ist die Klage etwa unbegründet, dass es der Täuschungen so viele gibt unter den Menschen, dass die Wahrheit unterliegt und trügerischer Schein in ihrem Verkehr vorwaltet? Des Einen Schaden ist ja des Andern Gewinn, und dieser Gewinn wird oft genug durch Trug, List, Überredung, Schmeichelei und so viele schlechte Künste gesucht, dass der in dies Getriebe hinein schauende Wahrheitsfreund davor zurückschaudert. Selbst in unser geselliges Leben, in unsere Sitten, ja sogar in unsere Höflichkeitserweisungen haben sich eine Menge Rücksichten und Gebräuche eingeschlichen, welche nichts Anderes als versteckte Lügen und ganz geeignet sind, uns über die Meinung anderer Menschen, über uns und ihrer Gesinnung gegen uns zu täuschen. Ja, so verderbt ist die Sitte geworden, dass man es gar nicht mehr für ein Unrecht hält, Jemandem Schmeicheleien in das Angesicht zu sagen, über den man bei sich ganz anders denkt; denjenigen der Freundschaft und Gewogenheit zu versichern, gegen den man Neid und Groll im Herzen trägt. Man findet vielmehr solche Unredlichkeit ganz in der Ordnung, sieht darin nur einen Beweis guter Erziehung und Sitte, und schilt denjenigen ungezogen, oder doch wenigstens unklug, der es bis zu solcher Meisterschaft in der Verstellung nicht gebracht hat, sondern seine Herzensmeinung offen zu erkennen gibt. Es ist hier weder meine Aufgabe, noch meine Absicht, jene Sitte des Weiteren zu rügen, noch auch anzuerkennen, wie oft und wann die Kundgebung unsers Urteils über Andere und unserer Gesinnung gegen sie rücksichtslos und unberechtigt sei, oder schwer verletzend sein kann, da wir ja Alle dem Irrtum unterliegen, und nicht zu Richtern unserer Brüder berufen sind. Nur darauf habe ich aufmerksam zu machen, wie so sehr geeignet diese Sitte oder Unsitte ist, eine Menge Täuschungen über uns selbst, über unsere Stellung zu Andern, über unsern sittlichen Wert, unsere Verbindungen, Leistungen und Aussichten in uns zu erzeugen und zu nähren, welche in jeder Beziehung für uns höchst gefährlich werden können. Unsere eigene Eitelkeit und Selbstsucht ist ja schon geschäftig genug, um unser Urteil über uns selbst zu verwirren, alle Schatten aus demselben hinfortzubringen, und möglichst viel Licht in dasselbe hineinzutragen. Wird nun diese selbstgefällige Täuschung noch von außen her unterstützt, wie schwer ist es dann, dass wir uns ihr entwinden, wie leicht aber, dass wir davon abkommen, an der Besserung unserer selbst, an der Veredlung unserer Verbindungen, an der Berichtigung unserer Irrtümer zu arbeiten? Darum, meine Geliebten, ist von Zeit zu Zeit eine stille Einkehr in uns selbst so notwendig, damit wir die nötige Ruhe und Unbefangenheit zur Zerstörung unserer Täuschungen gewinnen, und diesen Segen zu gewähren ist sie auch vorzugsweise geeignet. Willst du einmal über dich mit Ernst zu Rat gehen, Christ, so musst du dem Geräusche der Welt entfliehen, so musst du dem Einfluss Anderer dich entziehen, so musst du vor deinem Gott dich sammeln, damit das hehre Vorbild Jesu und sein heiliges Wort ungeschwächt vor dein Bewusstsein treten, und daran musst du dich messen, danach deinen sittlichen Zustand beurteilen. Willst du verkennen, wie sehr dir dies Not tue? Es handelt sich um deine Seligkeit, um dein ewiges Heil, das du hier gründen oder verscherzen kannst, und die Täuschung, die dich der Sünde in die Arme führt, oder in derselben verharren lässt, ist eine seelengefährliche, der du entrinnen musst. O, man gewöhnt sich zu leicht an eine gewisse Art zu leben und zu denken; man merkt, betört von dem Reiz des Lebens, von den Zuflüsterungen Anderer und der eigenen Eitelkeit, es oft lange nicht, dass der Weg sich dem Abgrund zuneigt, der unsere Seele verschlingen kann, wenn man es unterlässt, von Zeit zu Zeit sich ein treues Bild von sich selbst zu entwerfen, und daran zu erkennen, was Not tut. Das sollte jeden Abend geschehen, wenn wir uns im Gebet vor Gott sammeln; aber wie oft wird es unter den Geschäften, Sorgen oder Vergnügungen, die uns ganz in Anspruch nehmen, vergessen? Wie Viele gibt es wohl, denen es gar kein Bedürfnis mehr ist, am Schluss des Tages ihr Herz dankbar zu Gott zu erheben? Hätten sie sich daran gewöhnt, nach dem lauten Treiben des Tages still in sich einzukehren, es würde dies Bedürfnis sich ihnen wieder aufdrängen, und sie würden die heiligende, stärkende und tröstende Kraft des frommen Aufblicks zu Gott wieder empfinden. -

Das sollte an jedem Sonntag geschehen; aber bei wie Vielen ist der heilige Tag nicht ein Tag der Andacht, sondern nur der Eitelkeit und des Vergnügens? - Dazu sollten wenigstens die wichtigen Gedenktage uns Anlass geben, die im Laufe des Jahres uns wiederkehren; aber auch sie werden von so vielem Anderen in Anspruch genommen, dass auch an ihnen oft keine Ruhe bleibt zur stillen Einkehr in uns selbst, zum ernsten Nachdenken über uns, und unsere Täuschungen bleiben und wurzeln immer fester ein! Nicht nur die über uns selbst, sondern auch über unsere Verbindungen mit andern Menschen, welche den wichtigsten Einfluss auf die Entwickelung unseres Charakters und unserer Gefühle haben. Bei dem Einen bestechen die angenehmen Formen, bei dem Andern der lebendige Geist, bei dem Dritten die Aussichten auf durch ihn zu erlangenden Gewinn, bei noch Andern die Gleichheit der Neigungen. Ob diese Verbindungen aber auch den sittlichen Ernst nicht schwächen, mit dem wir an unserer Selbstveredlung arbeiten sollen, das wird oft zu wenig beachtet. Darum entziehe dich zuweilen dem Einfluss, welchen sie auf dich üben, kehre in der Einsamkeit in dich selbst ein und prüfe gewissenhaft, ob dieser Einfluss ein vorteilhafter, deiner ewigen Bestimmung zusagender ist; und wenn du findest, dass er deine Leidenschaften erweckt, deinen Leichtsinn stärkt, deine Trägheit im Guten fördert und dein Sittlichkeitsgefühl abstumpft, o dann eile, dich ihm zu entziehen, dich vor ihm zu retten, und wenn es dir gelingt, so erkenne darin den Segen stiller Einkehr in dich selbst. -

Aber auch unsere Hoffnungen und Aussichten für die Zukunft und für das Jenseits zu berichtigen, ist sie in hohem Grad geeignet. Was der Mensch wünscht, das hofft er leicht; hat er es aber zu leichtsinnig gehofft, so ist die Enttäuschung schon hier bitter, und oft für unser ewiges Heil verderblich, weil durch sie leicht eine Niedergeschlagenheit, ein Kleinmut entsteht, der die nötige Kraft zur Erhebung, zur Rückkehr auf den Weg des Heiles raubt. Unsere wahre und letzte Hoffnung stehe auf Gott und seine Gnade; auf die Welt hoffend, hegen wir den Trug und die Täuschung im Herzen. Dass wir aber solchem Wahn entnommen und auf Gott hingewiesen werden, dazu wirkt vorzugsweise die ernste Selbst- und Weltbetrachtung, ungestört von dem wirren Lärme des Lebens. Dass sie unsere Täuschungen schwinden macht, ist ihr erster Segen; ein fernerer

2. dass unsere Pflichten uns klar werden:

unsere Pflichten, die uns Gott auferlegt, für deren Erfüllung wir dem Herrn verantwortlich sind, die uns oft eine schwer zu tragende Last aufbürden, um derentwillen wir oft den liebsten Wünschen unseres Herzens entsagen müssen. Dieser Pflichten müssen wir uns deutlich bewusst werden, sie sollen immer vor unserer Seele stehen; auf welche Weise wir sie am vollständigsten erfüllen können, das muss ein Gegenstand unsers ernstesten Nachdenkens sein. Zu solchem Zweck zog sich auch wohl Jesus in die Wüste zurück. Ihn hatte Gott berufen und ausgerüstet, der Heiland und Erlöser der Welt zu werden, und als der von dem Propheten verheißene Messias unter dem jüdischen Volk aufzutreten. Sammeln sollte er es um sich, um durch die Predigt des Evangeliums das Reich Gottes in demselben zu bauen; zu sich rufen sollte er die irrende Menschheit, und der wahre Hirt und Bischof ihrer Seele werden. Aber welche Last musste er zu diesem Zweck auf sich nehmen, welcher Feindschaft begegnen, welche Leiden erdulden? Und welcher Kraft bedurfte er, um Alles das zu vollbringen, um solchen Mühen und Leiden bewusst entgegen zu gehen, wie sein heiliger, weltbeglückender Beruf sie ihm auferlegte? Er fand sie, indem in der Einsamkeit Alles, was ihm oblag und bevorstand, ihm klar wurde, indem er dort erkannte, es gebe keinen andern Pfad für ihn, als der zum Kreuz; er müsse als Christus solches leiden, um zu der Herrlichkeit des Vaters einzugehen. Daher überwand er denn auch mit Festigkeit alle Versuchungen, die ihn von seiner Pflicht abwenden, die ihm andere Wege durch das Leben darbieten wollten. - Nein, auf keine leichte ungefährliche, irdischen Glanz und Hoheit gewährende Weise konnte er der Welterlöser werden. Er musste sich seiner heiligen Bestimmung opfern, um den Willen seines Vaters im Himmel zu tun. Solche Opfer hat, wenn auch in kleinerem Maßstab, Jeder darzubringen, der es mit seinem Beruf redlich meint; solche Versucher treten uns Allen entgegen, und nur, wenn wir erkannt haben, dass es ihr Bestreben ist, uns vom rechten Wege zu verlocken, nur dann können wir den Sieg über sie gewinnen.

Aber der Versucher zeigt sich nicht in seiner wahren Gestalt; er nimmt das Ansehen eines wohlmeinenden Freundes an, und sein Bestreben, unsere Pflichten uns aus dem Wege zu rücken, oder doch ihre Wichtigkeit und Heiligkeit zu verkleinern, kleidet er in die Sorge teilnehmender Liebe für uns. Er schiebt unsere Bedürfnisse vor und macht unsere Sorge um das Zeitliche ängstlich; er schmeichelt unsern Leidenschaften und verleitet uns zur Überschätzung unserer Kraft; er verwirrt unsern Glauben an die ewige sittliche Weltordnung, an die Vergeltung in der Ewigkeit, und nicht mit einem Versuch lässt er es bewenden, er kehrt in tausend verschiedenen Gestalten, bei tausend Veranlassungen wieder, immer das Eine erstrebend, dass unsere Pflichten in unsern Augen verkleinert, unser Unmut aber ihre Last vergrößert, und unsere Neigung uns ihnen zu entziehen verstärkt werde. Dabei weist er uns auf die Beispiele anderer Menschen hin: Siehe, sie leben und genießen, und die Welt besteht doch! Sei kein Tor, dich mit Kampf und Entsagung zu quälen; die Welt ist's nicht wert, es dankt dir Niemand, wenn du sie bessern willst, und es wird dir auch nicht gelingen, und du selbst: vergleiche dich mit den Andern; du bist viel besser als die Meisten von ihnen, folglich bist du gut genug, mit dem Gericht wirds so schlimm nicht werden. - Gewiss, meine Geliebten, haben wir alle den Versucher uns Solches schon zuflüstern hören. Das Leben bot ihm Belege genug dar, das eigene sinnliche Herz stimmte ihm freudig bei, und so wurde unser Geist umdüstert, dass ihm die klare Erkenntnis seiner Pflicht und ihre Heiligkeit entschwand, und die Sünde triumphierte über uns. Schwer ist es aber vom Fall sich zu erheben, die Sünde umschlingt den Gefallenen mit tausend Armen. Dann ists, als ob die Betörten mit Blindheit geschlagen, als ob ihre Seele von einem Rausch befangen wäre; das Geräusch des Lebens verhindert sie den Ruf des Gewissens zu hören, seine wechselnden Bilder ziehen das Auge von dem eigenen Inneren ab, der Strudel, in den sie sich gestürzt haben, ergreift sie immer gewaltiger, immer schneller dreht er seine Kreise und zieht sie hinab in die Tiefe des Verderbens! Und das Alles, weil sie keinen Augenblick zu stiller ernster Einkehr in sich selbst mehr fanden, in welchem Gott und sein Wort wieder vor ihre Seele getreten wäre, in welchem sie einen klaren Blick auf ihre Pflicht und in ihr derselben entfremdetes Innere hätten tun können!

Lasst es bei uns anders sein, meine Geliebten! Lasst uns oft zu gewissenhafter Selbstschau in uns einkehren und betrachten: was wir nach unsern Verhältnissen und Kräften sein sollten und worin wir noch unserer Pflicht ermangeln. Gatte und Vater! Gattin und Mutter! Prüft euch, ob eure Liebe, eure Treue gegen einander feststehe, ob die Sorge für euer gegenseitiges Wohl und für eure Kinder eine gewissenhafte sei! Je öfter ihr solche Prüfung vornehmt, desto schneller werdet ihr es gewahren, wenn irgend ein Feind eurer Liebe droht! - Der du ein Amt hast, der du Andern dienst, versäume nicht von Zeit zu Zeit dich in dich selbst zurückzuziehen, dir selbst Rechnung zu tun von deinem Haushalten, damit du mit Ehren bestehen mögest, wenn Andere sie einst von dir verlangen. Du sollst Gott allein dienen in deinem Beruf, wie groß oder wie klein er sei, und wenn du dich vor Gott zur Prüfung und zum Gebet sammelst, so wird deine Treue und mit ihr deine Kraft wachsen. Auch Jesus zog sich oft von den Seinen zurück, um zu beten; besonders damals als die Stunde seines Leidens gekommen war. Er lehrte auch seine Jünger: Wenn du betest, so gehe in dein Kämmerlein, und bete zu deinem Vater im Verborgenen! Dem lasst uns folgen, so werden auch wir einen klaren Blick über unsere Pflichten und über unsere Treue erhalten.

Das geschäftige Leben in der Welt hat oft den Nachteil, dass es unsere Blicke und Gedanken zu sehr auf das Geschaffene in seiner äußeren Erscheinung hinlenkt, und darüber geht nicht selten der Ausblick zu dem Schöpfer verloren; was geschieht, nimmt den Menschen oft so sehr in Anspruch und er kann es mit dem ewigen Plan unendlicher Weisheit oft so wenig vereinigen, dass oft der Gedanke an den unsichtbaren Leiter aller Dinge mehr als billig zurücktritt, und der Zweifel an solcher Leitung aller irdischen Dinge durch die unendliche Weisheit Gottes eine bedenkliche Stärke erhält! Wir sehen eben in diesem Durcheinander der menschlichen Verhältnisse nur scheinbar verworrene Fäden, und es scheint uns unmöglich, dass sie sich zu einem planmäßigen Gewebe zurechtstellen könnten. - Der tieferen und ernsten Forschung zeigt sich dies freilich anders; sie vorzunehmen bedürfen wir der stillen Einkehr in uns selbst, und sie wird segnend für uns wirken, dass sie uns

3) des Vaters Ernst und Gnade zu Gemüte führt.

Des Vaters Ernst, gegenüber der sittlichen Gleichgültigkeit und dem Leichtsinn, den das Leben in seinem bunten Treiben so oft erzeugt! Dem Herrn sollst du allein dienen, sein Gebot soll allein die Richtschnur deines Lebens sein, das dir zu heiligen Zwecken verliehen ist, in welchem du einen guten Kampf fort und fort kämpfen sollst! Die Treue wird er belohnen, die Untreue dagegen richten! Aber das Leben bietet so viele Erscheinungen dar, in welchem solche Gerechtigkeit nicht erkennbar ist. Der Gute leidet und klagt oft so lange, ohne dass er Hilfe findet, und der Himmel scheint ihm verschlossen, so dass sein Gebet nicht zu Gott dringt! Der Böse triumphiert nicht selten, herrlich und in Freuden fließt sein Leben dahin, und kein Richter lässt sich blicken, der ihm vergelte nach seiner Tat. Unternehmungen gedeihen auf Lug und Trug gestützt, und wer das Gute redlich will und fördert, findet so oft die nötige Unterstützung nicht, und steht trauernd vor gescheiterten Hoffnungen. Ach, wenn man dieses Treiben des Menschen sieht - mit Eitelkeit und Hochmut aufgeputzt, mit Lüge durchwebt und von roher Sinnlichkeit begleitet - da möchte man wohl zuweilen im Unmute fragen: Wo ist der Gott, dem unheilig Wesen nicht gefällt? Und weil er langmütig ist und harret mit dem Gerichte, da meint denn Mancher: Es sei so gut leben und mit dem Gerichte habe es keine Not! der sei ein Tor, der sich mit himmlischen Gedanken trage, und sich um einen gerechten Wandel vor dem Herrn mühe; - Genuss allein sei des Lebens Zweck. - O Christ, wenn solche Gedanken dich beschleichen wollen, dann suche der Einsamkeit heilige Stille und gehe mit dir selbst zu Rat. Bedenke, dass du nur die Gegenwart, den augenblicklichen Schein der Dinge gewahrst, die dich befremden. Kannst du aber die weitere Entwicklung und die Frucht überschauen, die sie in der Zukunft haben werden? Wie? Sollte der Gott, der mächtige Welten gebannt hat in ihre feste Bahn, und sie so geordnet hat, dass ihr Verlassen auch ihre Zerstörung wäre, sollte er den kleinen Menschen ungestraft aus dem Kreis seines heiligen Sittengesetzes heraustreten lassen? Überblicke die Gerichte Gottes in der Weltgeschichte; siehe, wie immerdar Gerechtigkeit ein Volk erhöht hat, die Sünde aber der Leute Verderben war, und der heilige Ernst, der Gottes Gebote und Offenbarungen durchweht, wird auch dir zu Herzen dringen, dass du nicht mehr zweifelst an seiner Gerechtigkeit und Heiligkeit, sondern das, was dir hier damit unvereinbar erscheint, der höheren Lösung vorbehältst, die sich dann ergeben wird, wenn wir das Treiben dieser Welt von höherem Standpunkt aus anschauen werden. Du wirst dann den Verlockungen des Leichtsinnes besser widerstehen, und in deinem Leben und Streben dir denjenigen Ernst bewahren, ohne welchen es nicht zum seligen Ziele gelangen kann.

Aber auch des Vaters Güte wird dir mehr zu Herzen gehen, auch wenn dein Leben von Leid, Sorge und Kummer nicht frei ist. In der geselligen Verbindung mit Anderen können wir uns des Vergleiches unseres Geschickes mit dem Ihrigen niemals ganz erwehren, und wenn wir sie an leiblichen und geistigen Gaben reicher bedacht sehen, wird uns leicht ein Unmut beschleichen, als seien wir gegen sie zurückgesetzt, wenn nicht gar eine Anwandlung von Neid sich regt, welches Beides geeignet ist, den Genuss der Gaben Gottes uns zu vergiften und uns zur Undankbarkeit zu verleiten. Darum betrachte dich auch einmal allein, und du wirst erkennen, wie auch an dir die Gnade Gottes groß geworden ist, wie manches Gut du besitzt, das dem Andern, den du beneidest, fehlt, und das er gern gegen seinen größten Schatz von dir eintauschen möchte; du wirst dann erkennen, dass ein vollkommenes Glück hier nie statt finden kann, und dass Gottes Weisheit es ist, die seine Gaben hier verschieden, aber doch so ausgeteilt hat, dass sie Jeden, der treu ist, den Weg durch das Leben und in das Himmelreich führen können. Ein zufriedenes Herz ist ein köstliches Gut, und wenn wir erwägen, dass wir nichts von Gott verdienen, so müssen wir dankbar gegen ihn und zufrieden sein. Zu solcher Erwägung aber wirst du bei stiller Einkehr in dich selbst gelangen, des Vaters Ernst und Güte werden dir zu Herzen gehen. -

Ja gewiss, meine Geliebten, so pflichtwidrig es wäre, wollten wir aus irgend welchem Beweggrund uns ganz von der Welt abschließen, so pflichtgemäß es ist, uns ihren guten Bestrebungen anzuschließen und den verderblichen zu widerstehen, so segensreich ist es doch, wenn wir von Zeit zu Zeit still in uns einkehren, um die Täuschungen abzustreifen, die uns aus dem Leben anhaften, - um unsre Pflichten zu erkennen, die uns das Leben auferlegt, um den Versuchern zu widerstehen, die uns in demselben nahen, und um des Vaters Ernst und Gnade lebendig zu erkennen - mir einem Wort, um die im Leben leicht getrübte Klarheit des Blickes in unser eignes Innere, und auf unser Verhältnis zu Gott und der Welt wieder zu gewinnen. Dadurch werden wir dann erkennen, was uns not tut. Es wird sich der Entschluss dadurch in uns stärken: Ja, Herr! dich allein wollen wir anbeten und dir dienen! Amen.